Dräger und die Lübecker Finkenstraße - oder wie ein Konzern die Allgemeinheit enteignet

Ein "guter Tag für Lübeck" war es in den Augen von Bürgermeister Saxe, als er am 31. August 2006 der Grundsteinlegung für das neue Verwaltungsgebäude des Dräger-Medical Teilkonzerns beiwohnen durfte. Es schien ihm nicht unangenehm zu sein, zusammen mit Wirtschaftsminister Austermann und den Konzernbossen auch auf dem Boden der ehemaligen Finkenstraße zu stehen. Letztere wurde an das Unternehmen im Rahmen eines "großen Maßnahmenpakets" günstig verscherbelt, nachdem man dreist mit der Verlegung des Werkes gedroht hatte.

Was sich für Herrn Saxe als ein "guter Tag" für die Stadt darstellt, ist aber bei genauerem Hinsehen nichts weiter, als eine erpresserische Enteignung der Allgemeinheit durch einen potenten und finanzkräftigen Konzern. Denn die Finkenstraße war öffentliches Eigentum; und auch die im Zuge ihrer Verschacherung notwendigen Umbaumaßnahmen an Moislinger Allee und Lachswehrallee gingen zu Lasten der Lübecker Bürger.


Mit der Globalisierung ist es so eine Sache. Weil in der zum globalen Dorf-Basar geschrumpften Welt ökonomische Parameter fast ohne Zeitverlust weltweit wirksam sind, leidet Dräger unter der internationalen Konkurrenz. Während Kommunikationsprozesse über Kontinente hinweg bedrohlich gut klappen, scheinen sie dagegen von der einen Seite der Finkenstraße kaum an die andere vordringen zu können. Die "historisch gewachsenen Strukturen", so der ehemalige Wirtschaftsminister Rohwer, hätten zu nicht optimalen Kommunikations- und Produktionsstrukturen geführt. Pech für Dräger also, dass seine Werksgebäude an beiden Seiten der Finkenstraße liegen - so nah und doch so fern. Warum also nicht die Straße zum Werksgelände machen, hat man sich schon vor 20 Jahren in der Konzernzentrale gedacht. Seit dem wartete man wohl auf einen günstigen Augenblick für das Vorlegen eines Wunschzettels.

Als mit dem neuen Jahrtausend der globale Kapitalismus so weit zu sich selbst gekommen war, dass entmoralisierte ökonomische Macht die politische mühelos in die Tasche stecken konnte und schon im lauten Nachdenken über Standortverlegungen erhebliches Erpressungspotenzial steckte, schlug Dräger zu. Nach Hamburg oder Ahrensburg wolle man den Firmensitz verlegen, wenn durch die leidige Finkenstraße betriebliche Abläufe weiterhin suboptimal blieben, tönte es aus der Konzernzentrale. Im gleichen Atemzug verlangte man von den Mitarbeitern Zugeständnisse in Sachen Lohn und Arbeitsflexibilität, um sie, wenn auch nicht an den Gewinnen, wenigstens am unternehmerischen Risiko teilhaben zu lassen. Dass hierzu ein Ergänzungstarifvertrag mit der IG-Metall vereinbart werden musste, veranlasste Vorstandschef Stefan Dräger dann auch, gegen die Macht der Gewerkschaften und das Betriebsverfassungsgesetz herzuziehen. Einen Vorstoß zu einem "fairen Interessenausgleich" nennt es der Unternehmersohn, wenn die Belegschaft der gewerkschaftlichen Rückendeckung beraubt wird.


Ende einer öffentlichen Straße: Werksgelände von Dräger (über die Moislinger Allee gesehen)
Doch wieder zurück zur Finkenstraße. Wer weiß, wie lange städtische Planungsvorhaben in der Regel dauern, staunte nicht schlecht über das Tempo, das in Sachen Entwidmung öffentlichen Grundes an den Tag gelegt wurde. Kommune und Land rotierten, um Dräger bei Laune und in der Stadt zu halten. "Standortsicherungskonzept" ist der neudeutsche Ausdruck für ein politisches Erfüllen der Begehrlichkeiten eines Privatunternehmens. Und man war sogar stolz darauf, die Forderungen des Konzerns besonders schnell und gehorsam erfüllt zu haben. "Alle Terminvorgaben zum Verfahren und zur Durchführung der Baumaßnahmen konnten nicht nur eingehalten, sondern sogar vorgezogen werden", freute sich der Bürgermeister wie ein braver Schuljunge.

Und zu tun war einiges. Insgesamt 18.000 Quadratmeter wechselten Bestimmung und Eigentümer. Teile der Finkenstraße, der Kleingartenanlage des Vereins Lachswehr, eines öffentlichen Fußweges sowie Liegenschaften eines Bootsclubs wurden dem Konzern übereignet. Über den Kaufpreis herrscht Stillschweigen, doch angesichts der Dräger'schen Drohgebärde dürfte man dem Unternehmen sicher wohlwollend entgegen gekommen sein. Außerdem galt es, die verkehrstechnische Leistungsfähigkeit der großen Zufahrtsstraßen Moislinger Allee und Lachswehrallee zu optimieren. Die Folge war eine Dauerbaustelle an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt Lübecks, die mit 11,5 Millionen Euro zu Buche schlug - für den ersten Bauabschnitt wohlgemerkt. Das Land steuerte zwar gut die Hälfte bei, was aber angesichts des klammen Stadtsäckels nicht viel zu bedeuten hat. Ein Grund mehr, in Sachen öffentlicher Daseinsvorsorge zu sparen. Der zweite Bauabschnitt wird im kommenden Jahr beginnen und die Verkehrsanbindung des Drägerwerkes um ein weiteres verbessern. Dass sich das Verkehrsaufkommen in der Lachswehralle verdoppeln und die Anwohner belasten wird, interessiert Dräger und Stadtverwaltung indes ebenso wenig, wie die Umwege, die Radfahrer und Fußgänger nun in Kauf nehmen müssen. Es sind ja nur einfache Bürger, sollen die doch abwandern....



Optimierte Verkehrsanbindung des Werkes an der verbreiterten Moislinger Allee (Blick in Richtung Lachswehrallee)
"Dräger gehört zu Lübeck, wie Marzipan und Holstentor" meinte Bürgermeister Saxe hündisch, als Dräger vor gut zwei Jahren eben genau das verneinte. Dem Konzern ist es schlichtweg egal, wo er sitzt. Ob in Lübeck, Ahrensburg oder Prag - Hauptsache, die Rahmenbedingungen stimmen. Ökonomische Macht botet in Zeiten der turbokapitalistischen Globalisierung politische Kräfte aus und erwirtschaftet Renditen auf dem Rücken der jeweiligen Bevölkerungen. Dass ökonomische Sonderinteressen propagandistisch wie ideologisch als Allgemeininteressen verkauft werden, macht es opportunistischen Politikern dabei nur leichter, sich als Erfüllungsgehilfen mächtiger Privatinteressen zu profilieren.

Hier zeigt sich einmal mehr, dass die wirtschaftsliberale Forderung nach dem Schutz des Eigentums eine sehr einseitige ist. Die Bürger Lübecks wurden von öffentlichen Gütern enteignet, um privaten Sonderinteressen genüge zu tun. Nebenbei bemerkt, erwartet Dräger Medical einen Gewinn von um die 100 Millionen Euro. Mal sehen wie lange es dauert, bis das nächste Unternehmen Straßen, öffentliche Plätze oder das jus primae noctis für seine Bosse einfordert.



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