Nicht nur die innerstaatlichen, sondern gerade die mannigfaltigen überstaatlichen internationalen Beziehungen begründen eine stetig wachsende Interdependenz, die den Staat in eine dilemmatische Situation versetzen. Einerseits müssen immer mehr, größere und komplexere Aufgaben gelöst werden, andererseits verliert der Staat immer weitere materielle Ressourcen, um diesen gerecht zu werden. Die hochkomplexe Umwelt, die natürlich auch eine Folge jahrzehntelanger nationalstaatlicher Politiken ist, bedroht nun die Problemlösungsfähigkeit des Staats.
Ein Ausweg aus der Misere ist die Ausbildung von Verhandlungssystemen (Global Governance), in denen weitere gesellschaftliche Akteure zur Entscheidungsfindung eingebunden werden. Internationale Beziehungen verwandeln sich so in ein Gemenge von Akteuren, unter denen der Staat an relativem Gewicht verliert und zu einer Größe und vielen mutiert. Das demokratietheoretische Problem liegt auf der Hand: Zum einen wird die Abgrenzung von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren immer schwieriger, zum anderen stellt sich eine dringende Legitimationsfrage, sobald Entscheidungen einer Global Governance Struktur für ein Kollektiv verbindlich werden, an denen dessen Mitglieder kaum mitwirken konnten.
Entwicklungen / strukturelle Anlagen
- Schwindende Einflussmöglichkeiten der Betroffenen: Zu den Versprechen einer Demokratie (Norbert Bobbio: Die Zukunft der Demokratie, in: ders.: Die Zukunft der Demokratie, Berlin 1988, 7 - 34, S. 31) zählt, dass über über geeignete institutionelle Arrangements auf das eigene Lebensumfeld eingewirkt werden kann. Die von einer Entscheidung Betroffenen sollen auch die Autoren einer Entscheidung sein. Dies setzt einen entsprechenden Handlungsspielraum der Regierung voraus. Im verhandelnden Staat, der aus dem Bedeutungsverlust des Parlaments erwächst, werden verbindliche Entscheidungen mehr zuwischen Exekutive und gesellschaftlich potenten Gruppen ausgehandelt. Diese Reaktion auf eine steigende gesellschaftliche Komplexität zeigt, das die Politik ihre Steuerungsfähigkeit auf der Grundlage von Recht und hoheitlich-hierarchicher Intervention verloren hat.
- Durchbrechung des Prinzips der Gleichheit der politischen Partizipationsmöglichkeiten: Die Erhöhung der Regierungseffektivität von Verhandlungssystemen geht gemeinhin mit einer Dominant der Output-Legitmation einher. Die Beteiligungs- und Wirtwirkungsmöglichkeiten der Bürger geraten also vor der Fokussierung auf die Leistungsfähigkeit der Problemlösung in den Hintergrund. Es kommt so nicht nur zu einem Verlust der Authentizität des Regierungshandelns, sondern auch zu einer Durchbrechung des Kreislaufs der Macht, in dem das Volk die Regierung programmiert, die wiederum durch das Instrument des Rechts die Gesellschaft steuert.
Die personelle Zusammensetzung lässt nur noch den Einfluss potenter Interessen auf Entscheidungen zu. Es einigen sich die Vertreter einflussreicher Gruppen / Interessen auf Kosten der nicht beteiligten Dritten. Das Prinzip der Gleichheit der politischen Partizipationsmöglichkeiten wird so nicht nur formal, sondern auch materiell zerstört.
- Der hinter verschlossenen Türen agierende "verhandelnde Staat" stellt die Öffentlichkeit für Zurechnungsprobleme. Eine effektive und verantwortliche Zurechenbarkeit von Entscheidungen kann immer weniger stattfinden. Gleichzeitig wird Politik zunehmend informalisiert und deinstitutionalisiert, findet also vermehrt in informellen Netzwerken, "Runden", "Kommissionen" statt.
- Generelle demokratietheoretische Probleme mit kooperativen Verhandlungsstrukturen / Netzwerken:
1. Hohe Selektivität der Beteiligung. Konsensfördernde Kommunikationsstrukturen sind meist nur bei einer geringen Teilnehmerzahl zu realisieren.
2. Hohe Wahrscheinlichkeit von Einigungen auf Kosten unbeteiligter Dritter. Das Prinzip der Gleichheit der Partizipationschancen wird formell und materiell (bezogen auf Chancen der Interessendurchsetzung) verletzt.
3. Unterschiedliche Ressourcen und Machtpotenziale machen sich in Kooperationsprozessen stark bemerkbar. Konsens wird hauptsächlich mit Zugang zu Informationen und Tauschmacht erzielt. Da beides in Gesellschaften sehr ungleich verteilt ist, haben privilegierte Gruppen einen privilegierten Zugang zum politischen Prozess.
4. Verletzung des Öffentlichkeits- und Transparenzgebots: In kooperativen Verhandlungszirkeln werden Einigungen zumeist unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinter "verschlossenen Türen" erreicht. Für die Betroffenen bleibt so nicht mehr nachvollziehbar, wie Entscheidungen entstanden sind. Der Grundsatz der Transparenz demokratischer Verfahren wird verletzt, Kontrollmöglichkeiten abgebaut.
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