Home >  Brennpunkt Demokratie & Kapitalismus > Einführungstext
Dezember 2006
 
 

Brennpunkt Demokratie und Kapitalismus: Einführung

Ein neues Zeitalter oder der Siegeszug von Marktwirtschaft und Demokratie

So würde ökonomische Freiheit Freiheit von der Wirtschaft bedeuten - von der Kontrolle durch ökonomische Kräfte und Verhältnisse; Freiheit vom täglichen Kampf ums Dasein, davon, sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Politische Freiheit würde die Befreiung der Individuen von der Politik bedeuten, über die sie keine wirksame Kontrolle ausüben. Entsprechend würde geistige Freiheit die Wiederherstellung des individuellen Denkens bedeuten, das jetzt durch Massenkommunikation und -schulung aufgesogen wird, die Abschaffung der "öffentlichen Meinung" mitsamt ihren Herstellern. Der unrealistische Klang dieser Behauptungen deutet nicht etwa auf ihren utopischen Charakter hin, sondern auf die Gewalt der Kräfte, die ihrer Verwirklichung um Wege stehen.

Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch


Die Welt befindet sich am Beginn des neuen Jahrtausends in einer Phase rascher Umbrüche, die gemäß dem wissenschaftlichen und publizistischen Mainstream tendenziell zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse auf dem Globus führen sollen. Während die Zahl demokratisch regierter Staaten beständig zunimmt und sich materieller Wohlstand zumindest in den Zentren und ihrer unmittelbaren Peripherie vermehrt, breitet sich über den technologiebasierten und überwiegend ökonomischen Globalisierungsprozess eine marktwirtschaftliche Ökonomie in (beinahe) globalem Maßstab aus und gerät mit der territorial umgrenzten Verfasstheit der politischen Gemeinwesen zunehmend in Konflikt. Die Ausbildung trans-, supra- und internationaler Institutionen zur Regulierung der globalen Handlungszusammenhänge dominiert mehr und mehr die nationalstaatliche Bildung und Formulierung des politischen Willens und sorgt gleichzeitig für eine sukzessive Festschreibung der ökonomischen - und nicht zuletzt auch politischen - Verfasstheit des internationalen Systems.

Die Folge davon ist zunächst eine weitgehende Einebnung der politischen, ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Differenzierungen zwischen den Nationalstaaten, die, vorangetrieben von der Logik des Geldes, wachsende ökonomische Ungleichheit produziert, die ihrerseits den internationalen Akkumulationsprozess weiter anschiebt (vgl. Altvater / Mahnkopf 1997: 46; Hirsch 1995: 31ff., 2002: 35ff.). Gleichzeitig aber deutet vieles darauf hin, dass auch die Regierungsformen der Nationalstaaten einem wenigstens partiell ökonomisch fundierten Druck der Angleichung ausgesetzt sind, in dessen Gefolge sich die Demokratie zuungunsten autoritärer Regimeformen weltweit durchsetzt, da diese nunmehr als einzig funktionale Herrschaftsform erscheint, mit der ein politisches Gemeinwesen innerhalb einer ökonomisch und politisch komplexen und weitgehend vernetzten Welt noch effektiv regiert werden kann. In der Tat belegen zahlreiche empirische Studien die These von der Universalisierung demokratischer Herrschaftsformen, die - ideologisch wie auch historisch alternativlos geworden - nun zu Fluchtpunkten einer glücklichen Humanentwicklung (Welzel 2002) mutiert sind.

So breitet sich vielerorts der Optimismus aus, die menschliche Geschichte habe sich nun endgültig zum Guten gewendet, weil die liberale Revolution beweise, "daß hier ein fundamentaler Prozeß wirksam ist, in dem alle menschlichen Gesellschaften in ein gemeinsames Entwicklungsschema hineingezwungen werden, (...) [das] sich auf die liberale Demokratie zubewegt."(1) (Fukuyama 1992: 88, Hervorh. i. Orig.) In diesem Sinne erkennen moderne Staaten die Notwendigkeit einer aktiven, partizipativen Zustimmung ihrer Bürger an, was zudem nicht mehr nur auf den nationalstaatlichen Raum begrenzt bleibt, sondern sich auf die überstaatlichen internationalen Institutionen und Organisationen ausweitet (Giddens 1996: 206). Allerdings steht diese aktive partizipative Zustimmung in den am weitesten fortgeschrittenen Demokratien wieder auf tönernen Füßen, da sie in der hochkomplexen und multipel vernetzten Welt schlicht nicht mehr durchführbar zu sein scheint.

Die Welt mag in weiten Bereichen komplexer und undurchschaubarer geworden sein, hat durch den Zusammenbruch des Ostblocks jedoch auch wieder ein unbestreitbares Moment der Vereinfachung hinzugewonnen, indem ein mögliches Alternativmodell zum überwiegend liberaldemokratisch (und andernorts erfolgreich auch autoritär) verfassten Kapitalismus abgetreten ist (2) . Dieses historische Großereignis hat der seit Mitte der 1970-er Jahre beschleunigt ablaufenden Transformation des Weltwirtschaftssystems eine neue Schubkraft verliehen, auf die viele Staaten der westlichen Welt mit einer Form des politischen Rückzugs reagierten, der daraus bestand, unter grundsätzlicher Akzeptierung (oder auch nur passiven Hinnahme) der offensichtlich irreversiblen globalökonomischen Rahmenbedingungen gleichzeitig wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit zu befördern (Stichwort: Dritter Weg), was in der weitgehenden Universalisierung angebotsorientierter Wirtschaftspolitiken eher zu Lasten der sozialen Verteilungsgerechtigkeit ausfallen musste.

Dabei darf indes nicht vergessen werden, dass es die gleichen und nun unter Anpassungsdruck stehenden Staaten waren, die die politischen Grundlagen dieser Transformation geschaffen haben. Die damit verbundene Orientierung an den "vor"-politischen Kräften der in zunehmenden Maße unangreifbar gewordenen globalen Märkte führte so zu einer Neudefinition zentraler Werte und Normen sowie zu einem Abbau des politischen Gestaltungsraumes der Nationalstaaten - mithin also zu einer Art "Ende der Politik" (Held 2000). In diesem Szenario sind freilich auch die Konstitutions- sowie Entfaltungsbedingungen des demokratischen Prozesses und seiner Institutionen einem gravierenden Wandlungsdruck ausgesetzt, und "die liberaldemokratische Verfassung, schon zuvor schwindsüchtig, dünnt vollends zu Mechanismen aus, die eine zukunftslose Politik, verstockt in gegenwärtigen Interessen und Vorurteilen, bedingen" (Narr / Schubert 1994: 190) . Gleichzeitig weisen viele Indizien darauf hin, dass die aufeinanderfolgenden Demokratisierungswellen (Huntington) zwar eine Vielzahl neuer "Demokratien" zum Ergebnis hatten, von denen sich jedoch ein großer Teil - bei genauerem Hinsehen - als problematisch oder gar "defekt" (Merkel et al. 2003) erweist.


Kein Ende der Geschichte in Sicht

Dem naiv simplifizierenden Ausruf des "Endes der Geschichte " (Fukuyama) (3) zum Trotz, mischen sich in die Siegesgesänge von der evolutionären Überlegenheit liberaler und demokratischer Gestaltungsprinzipien (vgl. Welzel 2000) insbesondere dann hässliche Missklänge, wenn der analytische Fokus von der kränkelnden Peripherie auf die prosperierenden Kernländer der kapitalistischen Zentren geschwenkt wird. Zwar mögen die dort herrschenden sozio-politischen Bedingungen und Zustände den Kriterien demokratischer Minimaldefinitionen bei Weitem genügen, was jedoch nicht zwingend bedeutet, dass auch diese Formen der Demokratie nicht fehlerhaft, defizitär oder mit erheblichen Strukturschwächen behaftet sein können. In den Vordergrund treten hier zum einen Aspekte der gewaltenteilenden Verschränkung von demokratisch(-legislativer) Institutionen und staatlich(-exekutiver) Gewaltapparate, in der die Legislative zum verlängerten Arm der Exekutive zu werden scheint, wenn Parlamente "diese Staatsbürokratie und ihre Belange [repräsentieren], deren Teil sie längst fast mit Haut und Haaren, aber jedenfalls in ihren Informationen und in einem gut Teil ihrer Positionen geworden sind" (Narr 1977: 9), das wechselseitige Verhältnis von Bürger und Staat (4) im Sinne einer ebenso wechselseitigen Kontrolle, und zum anderen die Art von Verhältnis, das staatliche Instanzen zum ökonomischen Gesellschaftssektor unterhalten. So geraten die seit einigen Jahrzehnten geführten Debatten um den "autoritären Staat BRD" (5) in dem Maße in immer stärkeren Widerspruch zu modernisierungstheoretischen Demokratisierungskonzepten (6) , wie die demokratischen Praxen und Institutionen im Laufe des Wandels der politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen ebenfalls unter Druck geraten und die überwunden geglaubten Ausbeutungs- und Ungleichheitsverhältnisse, die man nur in der Peripherie anzutreffen gewohnt war, nun in die Zentren zurückkehren (Sauer 2002: 152).

Heute reicht die Liste der zu beobachtenden Phänomene (7) etwa von Forderungen der politischen Elite nach "Demokratieermäßigung" zur Effizienzsteigerung über allgemeine Tendenzen der "Demokratieaushöhlung" durch Ausbildung repressiver sicherheitsstaatlicher Strukturen bis hin zur offenen "Demokratieverachtung" seitens politischer Akteure (Heitmeyer 2001: 518), während kritische Analysen der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaften mit Thesen arbeiten, deren Spektrum sich zwischen Begriffen des "autoritären Kapitalismus" (Heitmeyer 2001), der "kapitalistischen Autokratie" (Chomsky 1993) und des "zivilgesellschaftlichen Totalitarismus" (Hirsch 2002: insb. 173ff.) bewegt. Auch ist von einer "Trivialisierung" der Demokratie die Rede, die mit dem Wegbrechen der sozialen Bedingungen für die Partizipation von Bürgern als Folge der Universalisierung des Marktprinzips einhergeht (Ake 1997). Und mit Blick auf die spätere Frankfurter Schule scheint es gar, als sei "viel von dem zur Normalität geworden, was bei Horkheimer, Adorno und Marcuse noch als übertriebene Pointierung erscheinen musste" (Hirsch 1990: 121).

Andere Autoren verneinen schlichtweg, dass Demokratie in einer Welt der durchlässigen Grenzen überhaupt noch eine Chance habe, da der Nationalstaat als ihr alleiniger Garant und gemeinsamer Raum für kollektive Entscheidungen keinen Stellenwert mehr besäße (Guéhenno 1994). Bei aller Meinungsvielfalt kann jedoch als sicher gelten, dass "alle Demokratien letztlich wehrlos sind gegen die Gefahr einer durchaus mit demokratischen Mitteln ins Werk gesetzten Selbstzerstörung" (Offe 2000: 124).

Diese kleine Aufzählung kritischer und mahnender Stimmen soll aber keineswegs den Eindruck erwecken, als habe die kritische Analyse der "prekären Symbiose" (Scharpf 1999) von Kapitalismus und Demokratie aktuell einen (angemessen) hohen epistemischen Stellenwert. Und so "bleibt die neue Kapitalismuskritik auf wenige Autoren beschränkt (...), die zugleich politisch abprallt und kaum öffentliche Debatten auslöst" (Heitmeyer 2001: 506). Dennoch mehren sich beunruhigende Anzeichen dafür, dass gerade die globale kapitalistische Entwicklung, die von vielen als untrennbar mit dem Vormarsch der Demokratie angesehen wird, den Keim der Zerstörung demokratischer Praxen und Konstitutionsbedingungen in sich trägt.


Antworten demokratietheoretischer Konzepte

Vor diesem Hintergrund soll das Augenmerk darauf gerichtet werden, in welcher Weise demokratietheoretische Konzepte mit der Wandlung ihres Analyseobjekts umgehen und welche Aussagen zur dessen Vereinbarkeit mit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem getroffen werden, das als außer- oder vorpolitische Struktur von erheblicher Bedeutung für das originär staatlich-Politische ist. Aus diesem Grunde soll von der These ausgegangen werden, dass ein kritischer politökonomischer Ansatz der Demokratietheorie die Interdependenzen zwischen Politik und Demokratie, zwischen Staat und Ökonomie am ehesten analysieren und somit den aussagekräftigsten Beitrag zum "prekären Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie" zu liefern imstande ist (8) . Auch muss das Augenmerk darauf gerichtet werden, ob die sich Demokratietheorie tendenziell affirmativ oder kritisch gegenüber der Wandlung ihres Objektes verhält (9) . Zu guter letzt sollte eine Demokratietheorie aufgrund der Breite der auffindbaren oder auch nur vermuteten Erosionserscheinungen demokratischer Praxen, Institutionen und Konstitutionsbedingungen, die nicht nur in der Sphäre des Politischen, sondern gleichfalls im Mikrokosmos des Alltagslebens der Menschen zu finden sind, auf ihre diesbezügliche analytische Reichweite hin untersucht werden. Hierzu formulieren Narr und Naschold:

"Nimmt man inhaltlich bestimmte Kriterien von Demokratie zum Ausgangspunkt, dann gibt es in Gesellschaften prinzipiell keine Institution und keinen Faktor, der für die Theorie nicht relevant ist (...); anders gesagt, wie soll man den tendentiell universalen Charakter von Demokratie theoretisch zureichend und ohne zu starke Verkürzungen oder zu große Generalisierungen zu riskieren, einfangen? Vom Beginn des kognitiven Lernens (das ja wohl immer ein soziales Lernen ist) bis hin zur Situation im Altersheim, von der Situation im Betrieb bis hin zur Konsumtion vor dem häuslichen Fernsehapparat gibt es keine Struktur, Situation, Einflußgröße, die in einer zureichenden Demokratietheorie nicht im Prinzip erhalten sein müßte" (1973: 33).

In diesem Sinne ist es das Ziel des Brennpunktes Demokratie und Kapitalismus, Daten und Fakten zu sammeln, die den Wandel demokratischer Institutionen und Bestandsbedingungen vor dem Hintergrund der politökonomischen Gesellschaftsentwicklung beschreiben. Diese sollen parallel lose mit theoretischen Erwägungen gekoppelt werden, die auf einem Ansatz der politischen Ökonomie basieren


Demokratie in der globalen kapitalistischen Wirtschaft

Es sollen nun einige Entwicklungslinien zusammengetragen werden, die das prekäre Verhältnis beider Kategorien - das im Zeitalter der Globalisierung immer offener zu Tage tritt - verdeutlichen. Diese Auflistung von Zeichen der Erosion demokratischer Praxen und Konstitutionsbedingungen wird im Laufe der Zeit einem gesonderten Teil dieses Kapitels geschehen. Hier soll lediglich angedeutet werden, wie vielschichtig und komplex diese Wandlungsprozesse ausfallen, von welcher Reichweite und Tiefe sie sind und in welcher Form sie mit den ökonomischen Kontextbedingungen verbunden sind. Eine systematische Zusammenführung aller Erosionsstellen der Demokratie sowie ihre Analyse vor dem Hintergrund des globalisierten kapitalistischen Systems ist m.b.W. noch nicht durchgeführt worden. Die Beschlüsse der Großen Koalition zur Weiterführung der Anti-Terror-Gesetzte sowie zur Einführung einer Anti-Terror-DAtei zeigen einmal mehr, wie notwendig Forschung auf diesem Sachgebiet ist. Diese könnte einen wertvollen Beitrag dazu leisten, das gesellschaftliche Bewusstsein dafür schärfen, dass "der Übergang in eine totalitäre Gesellschaft fließend sein kann" (Simitis 2004).


Entwickelter Kapitalismus und Demokratie: Von Anfängen und Enden

Die Positionen könnten kaum unterschiedlicher sein: Während der amerikanische Politologe Francis Fukuyama die Globalisierung als alternativlos, aber voller guter Chancen erklärt und daher zuversichtlich ist, dass Demokratie und Marktwirtschaft "Bestand haben bis weit ins nächste Millenium" (Fukuyama 1999, vgl. ders. 1989, 1992), verkündet sein französischer Kollege Jean-Marie Guéhenno das "Ende der Demokratie", da mit dem Souveränitäts- und Bedeutungsverlust des Nationalstaats die Vorraussetzungen für Demokratie - gemeint ist damit ein institutionelles und kollektiv bindendes Zentrum zur Artikulation eines staatsbürgerlichen Allgemeinwillens - nicht mehr gegeben seien (10) . Beide Beispiele kennzeichnen die spätere Phase einer Debatte, die sich in grober Zusammenfassung mit der Vereinbarkeit von kapitalistischem Gesellschafts- und demokratischem Regierungssystem befasst und die bis weit in die gesellschaftswissenschaftliche Vergangenheit zurückreicht. Aus ihr sollen im folgenden einige ausgewählte Stimmen - ohne Anspruch auf theoriegeschichtliche Vollständigkeit und gewissermaßen zur Einstimmung - genannt werden.

Bereits im Jahre 1908 beurteilte Max Weber das Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus als problematisch und stellte skeptisch fest, " (e)s stünde heute äußerst übel um die Chancen der ‚Demokratie' und des ‚Individuums', wenn wir uns für ihre ‚Entwicklung' auf die ‚gesetzmäßige' Wirkung materieller Interessen verlassen sollten" (1958: 60). Durch die letzten Endes in neue Formen der Hörigkeit führende Entwicklung des Kapitalismus sei bereits dafür gesorgt, "daß die Bäume des demokratischen Individualismus nicht bis in den Himmel wachsen" (ebd.). Ein ähnlich düsteres Bild von den Bestandschancen der Demokratie in einer kapitalistischen Gesellschaft zeichnet Joseph Schumpeter, der zunächst die der Markwirtschaft inhärenten Zerstörungspotentiale aufdeckt. Der Kapitalismus wendet sich demnach gegen sich selbst, untergräbt seinen eigenen institutionellen Rahmen (Schumpeter 1975: 226ff.) und ruft sozialen Widerstand hervor. So sieht der Bourgeois "zu seinem Erstaunen, daß die rationalistische Einstellung nicht vor den Vollmachten von Königen und Päpsten Halt macht, sondern weiterschreitet zur Attacke gegen das Privateigentum und das ganze Schema von bürgerlichen Werten" (ebd. 231). Schumpeters anschließende Demokratietheorie geht davon aus, dass sich ein Volkswille nicht aus der Summe individueller Willensbekundungen ableiten lässt (ebd. 404) und der "typische Bürger" im Bereich der politischen Willensbildung auf eine tiefere Stufe der Geistestätigkeit zurückfällt: "Er argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde. Er wird zum Primitiven. Sein Denken wird assoziativ und affektmäßig" (ebd. 416f.). So bildet sich für ihn der labile und heterogene Volkswille stets im Laufe des politischen Prozesses aus und ist kein exogenes Produkt, das bereits präexistent formiert war und in den Prozess eingeführt wird (ebd. 418, Schmidt 1995: 133), sondern bildet sich vielmehr als ein Volkswille a posteriori aus. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen ist Demokratie für Schumpeter eine Institutionenordnung, "bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen des Volkes erwerben" (ebd. 428). Das bedeutet dann aber keine tatsächliche Volksherrschaft, sondern nur, "daß das Volk die Möglichkeit hat, die Männer, die es beherrschen sollen, zu akzeptieren oder abzulehnen" (ebd. 452), wobei die freie Konkurrenz "zwischen den Führungsanwärtern um die Führerschaft" (ebd.) letztlich zum wichtigsten Merkmal der demokratischen Methode avanciert. Trotz aller Skepsis stellt Schumpeter jedoch fest, dass die Demokratie als Produkt des Kapitalismus nicht zwingend mit diesem untergehen muss, sondern auch im Sozialismus durchaus weiterleben kann (ebd. 471ff.).

Gänzlich verschieden zu Schumpeters Skeptizimus und weitaus pessimistischer in Bezug auf die Realisierungsbedingungen von Demokratie in fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften fiel das Urteil der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule aus. Die instrumentelle Vernunft als Folge des okzidentalen Rationalisierungsprozesses, der zur Verdinglichung und Liquidation des Subjekts und damit zur "Auflösung des Individuums, der letzten Instanz eines möglichen Einspruchs gegen das negative Bestehende, und der damit verbundenen Auflösung des autonomen Denkens" (Geyer 1982: 75) führt, entfaltet demnach eine gegenaufklärerische, destruktive Wirkung. So führt nach Horkheimer und Adorno das kalkulierende Denken im Rahmen der vorherrschenden instrumentellen Vernunft zur einer tendenziell widersprüchlichen und "un"-vernünftigen Gesellschaft, in der die Konzentration auf planvolle Ziele nicht mehr möglich wird. Das marktwirtschaftliche Tauschprinzip avanciert für die Philosophen zum Motor eines sich neu ausbildenden Zwangszusammenhangs, der die Individuen immer weiter vereinnahmt und ihre Fähigkeiten zu kritischer Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedingungen lahmlegt. Dies geschieht im wesentlichen durch die Verallgemeinerung der ökonomischen Rationalität, mithin durch die Ausbreitung des Prinzips der abstrahierenden, wertbestimmenden Kategorisierung von Waren durch alle gesellschaftlichen Sphären hindurch, die Individualität eindämmt und die Bewusstseine der Menschen in diesem (totalisierenden) Sinne prägt: "Das (...) Tauschverhältnis beherrscht infolge seiner Dynamik die gesellschaftliche Wirklichkeit, wie etwa der Stoffwechsel den pflanzlichen oder tierischen Organismus weitgehend beherrscht" (Horkheimer 1970: 42).

Im Unterschied zur neo-marxistisch fundierten Gesellschaftsanalyse der Kritischen Theorie (und der sozialistischen Gesellschaftswissenschaft im Übrigen) traten in den 1970-er Jahren verstärkt Ansätze auf, die mit Blick auf die gegensätzlichen Interessen politischer und ökonomischer Akteure destruktive Widersprüche innerhalb der kapitalistischen Demokratie erkannten (Scharpf 1999a: 38). Geprägt von den ökonomischen und sozialen Krisen- und Umbruchserscheinungen dieses Jahrzehnts begann selbst die konservative und liberale Forschung damit, als bürgerliches Bewusstsein "endzeitliche Betrachtungen über sich selbst" (Offe 1979: 135) anzustellen. So deckten Crozier et al. (1975) zunächst einen im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegszeit tiefen Vertrauensverlust in demokratische Institutionen und schließlich eine Reihe demokratischer "Dysfunktionsalitäten" auf, die aufgrund fehlender Kohärenz des öffentlichen Willens und der nicht mehr gegebenen Notwendigkeit zur Formulierung prioritärer Ziele sowie auch einer prinzipiell überforderten Steuerungskapazität die Regierungspraxis zunehmend erschweren: "In this Situation, the machinery of democracy continues to operate, but the ability of the individuals operating that machinery to make decisions tends to deteriorate. (...) The system becomes one of anomic democracy, in which democratic politics become more an arena for the assertion of conflicting interests than a process for the building of common purposes" (ebd. 160f.). Den Autoren zufolge führt der Vertrauensverlust in die Regierungen, ihre Überforderung mit immer komplexeren gesellschaftlichen Anforderungen sowie der überbordende Interessenpluralismus und regionalistische Tendenzen infolge gewandelter außenpolitischer Handlungserfordernisse zu einem Abbau der Funktionalität der Demokratie. Diese kann z.B. aus einer konservativen modernisierungstheoretischen Perspektive ohnehin an Funktionalität für die ökonomische Entwicklung peripherer Staaten entbehren. Gemäß des technokratischen Modells (11) für den Zusammenhang von ökonomischer Entwicklung und Regierungsform lässt sich ein vicious circle konstruieren, in dem ein Mehr an ökonomischer Entwicklung eine geringere ökonomische Gleichheit zur Folge hat. Diese reduziert die politische Stabilität der Volkswirtschaft, indem ein höherer Partizipationsdruck entsteht, der aber, um den ökonomischen Fortschritt nicht zu gefährden, mittels repressiver Maßnahmen klein gehalten werden muss: "This model assumes that political partizipation must be held down, at last temporarily, in order to promote economic development, and that such development necessarily involves at last temporary increases in income equality" (Huntington / Nelson 1976: 23).

Demgegenüber befasste sich im gleichen Jahrzehnt Vertreter der gesellschaftswissenschaftlichen Linken mit der abnehmenden Legitimität der Staatsgewalt, die im sog. Spätkapitalismus in immer stärkerem Maße für die partikularen Interessen ökonomischer Akteure instrumentalisiert werde(12) , was zu einer strukturellen Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen führe. Die mit dieser ökonomischen Instrumentalisierung verknüpfte Ausweitung der Funktionen des politischen Systems ist gemäß dieser Theorie mit einem Ansteigen des staatlichen Legitimationsbedarfs verbunden, den dieser jedoch in immer geringerem Maße zu leisten in der Lage ist. Laut Offe (1972: XXff.) verhält sich die staatliche Binnenstruktur selektiv in Bezug auf bestimmte Klasseninteressen, was zu einer Dominanz solcher Interessen führt, "die im Gesamtinteresse des Kapitals" (ebd.) stehen. Da dies empirisch jedoch schwer nachzuweisen ist, weil sich der analytische Fokus auf den unausgefüllten Raum eben nicht-getroffener Entscheidungen (non-decisions) zu richten hat, behilft sich Offe mit der Formel, dass die klassenspezifische Selektivität des Staates nach einem sozialistischen Umbruch offen zu Tage treten wird (13) . Dieser sei Folge des zu zunehmenden Legitimitätsverlustes des kapitalistischen Staats, in dessen Gefolge eine sozialistische Ordnung die liberale Demokratie ablösen werde. Nach dem Ausbleiben der prophezeiten Krise wandte sich Offe der Verteidigung der liberalen Demokratie zu und thematisierte jedoch ihre Gefährdungen und Erosionserscheinungen innerhalb einer globalisierten Welt, in der es den Menschen nicht zuletzt an dem für den demokratischen Prozess notwendigen gegenseitigen Vertrauen mangelt - in horizontaler wie auch vertikaler Beziehung (Vgl. Offe 1996, 2000). Ebenso erkennt auch er, dass zu den Kosten der handels- und außenpolitischen Denationalisierung "jene legitimationsspendenden Mechanismen stillstehen, die eine feste nationalstaatliche Hülle zur Voraussetzung ihrer Wirksamkeit haben" (1996: 148).

Offe leitet mit seinen Ausführungen zu den Gefährdungen der Demokratie über zur gegenwärtigen Skepsis an ihren Bestandschancen in einer entgrenzten und überwiegend ökonomisch globalisierten Welt, die im folgenden genauer ausgeführt werden sollen.


Der Wandel der Weltökonomie

Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst der Globalisierung (14) - so ähnlich könnte die globalökonomische Entwicklung am Ende des letzten und Anfang des neuen Jahrtausends in Anlehnung an die Worte Karl Marx' und Friedrich Engels apostrophiert werden. Diskussionen und Debatten über die zumeist im Begriff Globalisierung zusammengefasste Entwicklung hauptsächlich ökonomischer, aber auch technologischer und kultureller Sachbereiche oder Handlungszusammenhänge, entsprechen in ihrer Häufigkeit der mittlerweile fast unüberschaubar gewordenen Literatur zu diesem Thema (15) .

Die Diskussion über die Globalisierung bewegt sich grob entlang zweier unterschiedlicher Positionen (eine mögliche dritte Position besteht darin, die Globalität von Globalisierung als solche in Frage zu stellen und darauf zu verweisen, dass sich die grenzüberschreitenden Interaktionen auf einen bevorzugten Ausschnitt des Globus beschränken (16) ). Die erste Position verneint schlichtweg die in qualitativer wie quantitativer Hinsicht neuartige Verfasstheit der globalen Ökonomie und verweist darauf, dass wirtschaftliche Aktivitäten noch überwiegend nationalstaatlich ausgerichtet seien, das Anwachsen internationaler Geld- und Warenströme Zeichen zunehmend miteinander verflochtener Nationalökonomien seien und sich der aktuelle globale Handel auf einen Niveau von vor etwa 100 Jahren bewege (Perraton et al. 1998: 134 f.). Eng verbunden mit dieser Interpretation ist die ideologische Aussage, Globalisierung, verstanden als mehr oder weniger radikaler Umbruch von Gesellschaftsformationen auf Basis ökonomischer Transformationen, sei ein seinerseits ideologischer Begriff zur Diskreditierung eines liberalen Wandels der Gesellschaften. In diesem Sinne kann der Begriff etwa als ideologisches Argument gegen die Wiedereinführung gesellschaftlicher Kontrolleinrichtungen für ökonomische Prozesse verwendet werden (Touraine 2001: 48) (17) . Hierin deutet sich die zweite Position an, die mit Globalisierung einen Umbruch der globalökonomischen Prozesse erkennt, der mit einer qualitativen und quantitativen Intensivierung grenzüberschreitender Waren- und Kapitalströme einhergeht, was Nationalstaaten insofern in Bedrängnis bringt, als diesen die Kontrolle über ökonomische Prozesse weitgehend entgleitet. Beide Positionen lassen sich anhand empirischer Analysen belegen (Röttger 1997: 25), wobei Röttger allerdings feststellt, dass der Versuch "den Bruch in der kapitalistischen Formationsgeschichte in der Ergründung ökonomischer Faktizitäten zu qualifizieren, (...) den Kern der globalisierungs-vermittelten Transformation der Gesellschaftsformationen" nicht enthüllen kann, "weil der Umbruch gesellschaftlicher Hegemonie und die sozio-politischen Restrukturierungen der kapitalistischen Gesellschaftsformationen fast systematisch ausgeblendet werden" (ebd. 25).

So unterschiedlich, wie die Interpretationen des Globalisierungsbegriffs lauten, fallen auch die Nennungen von historischen Ereignissen aus, die als grundlegend für grenzüberschreitende Wirtschaftsaktivitäten angesehen werden. Während von Seiten der die Neuartigkeit eher verneinenden Autoren Daten wie beispielsweise das Jahr der Fertigstellung des Suez Kanals oder Union Pacific Eisenbahn (1869, genannt von Paul Krugmann; nach Röttger 1997: 24) genannt werden, datieren die meisten Autoren der Gegenseite den Startschuss für die ökonomische und gesellschaftliche Transformation in einen Zeitraum um die Mitte der 1970er Jahre. Dort kam es infolge des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems zu einer Neugestaltung der internationalen Währungsbeziehungen, in deren Gefolge der grenzüberschreitende Kapitalverkehr liberalisiert und die nationalen Finanzmärkte dereguliert wurden. Hinzu traten die Erhöhung der Kommunikationsgeschwindigkeit infolge technologischer Innovationen sowie die Entwicklung neuer Finanzierungsinstrumente (vgl. Koch 1998: 108, Perraton et al. 1997: 150, Altvater / Mahnkopf 1996: 159ff.).

Allerdings ist die alleinige analytische Konzentration auf ökonomische Größen kaum hilfreich, wenn dabei die außerökonomischen Umbrüche in den Innenbereichen der Gesellschaften außer Acht gelassen werden, Globalisierung also nur als ökonomischer, nicht aber als gesellschaftlicher Prozess verstanden wird. So ist, wie Altvater und Mahnkopf feststellen, das spezifisch Neue der Globalisierung zunächst ihre Wahrnehmbarkeit im Alltagsleben der Menschen (1997: 33). Beide Autoren unterscheiden schließlich drei Ebenen von politischen und ökonomischen Artikulationsmustern, nämlich a) der Transnationalisierung, bei der sich das Kapital zwischen einzelnen Nationalstaaten umherbewegt und transnationale Beziehungen schafft, was b) zur Internationalisierung, also zur Ausbildung des internationalen Systems mit auf internationaler Ebene institutionalisierten Regulierungseinrichtungen führt, wodurch c) bei einer ausgebildeten Geoökonomie schließlich globale Interdependenz geschaffen wird, die aufgrund hegemonialer Beziehungen immer asymmetrisch gestaltet ist (ebd. 37 f.). Diese Interdependenz bedingt auf der einen Seite eine Angleichung nationalstaatlicher Reaktionsmuster, die sich überwiegend in der Herstellung systemischer Wettbewerbsfähigkeit durch angebotsorientierte Wirtschaftspolitiken und die Schaffung von Investitionsanreizen ausdrücken (18) , und verfestigt auf der anderen Seite nationale sozio-ökonomische Eigenheiten und Produktionsbedingungen (vgl. Perraton et al. 1998: 138).

Vieles spricht sogar dafür, dass gerade die Unterschiedlichkeit der einzelnen Nationalstaaten Motor der globalisierten Ökonomie ist und der globale Akkumulationsprozess schließlich dazu führt, dass "diese Ungleichheiten - beeinflußt durch politische Prozesse auf nationaler wie internationaler Ebene - immer wieder neu hergestellt werden" (Hirsch 1995: 68) (19) . Innerhalb dieser unterschiedlichen Wirtschaftsräume bewegt sich mobiles Kapital, angezogen oder abgestoßen vor den lokalen Akkumulationsbedingungen sprunghaft umher und gewinnt in seiner Flüchtigkeit einen entscheidenden Herrschaftsvorteil. Hierzu formuliert Zygmunt Baumann (2000: 145):

"Es [das Kapital, FS] ist jetzt exterritorial, flüchtig und wandelbar. Mit der körperlosen Arbeit bricht das Zeitalter des schwerelosen Kapitals an. Die gegenseitige Abhängigkeit ist einseitig aufgekündigt worden (...). Das Kapital ist unterwegs und guter Dinge, auf der Suche nach kurzen Abenteuern und voller Gewissheit, daß es immer wieder neue Abenteuer geben wird und Partner, mit denen man sie teilen kann. Das Kapital ist mit leichtem Marschgepäck unterwegs, und diese Leichtigkeit ist die Ursache zunehmender Unsicherheit für alle anderen Beteiligten. Hier liegt die Basis des Herrschaftsregimes der Gegenwart und die Ursache aller sozialer Spaltungen. "


Nationalstaaten in der Zwickmühle

Die kurzen und unvollständigen Ausführungen über den Themenkomplex Globalisierung deuten bereits an, dass es die Nationalstaaten sind, deren politischer Stellenwert und innere Verfasstheit am ehesten betroffen zu sein scheint. Auch weist vieles darauf hin, dass die fortschreitende Entwicklung der wohlfahrts- und rechtsstaatlichen Massendemokratien westlicher Industriestaaten heute an einem Endpunkt angekommen ist, der mit dem Bedeutungsverlust der historischen Konstellation von Territorialstaaten und der Ausbildung einer neuen, nunmehr postnationalen Konstellation eng verbunden ist (Habermas 1998: 94). Diese Denationalisierung (20) (Zürn) der Staatenwelt erscheint als logische Konsequenz von Handlungszusammenhängen, die im Zuge einer fortschreitenden technologischen (21) und ökonomischen Entwicklung nationalstaatliche Grenzen zunehmend transzendieren und die innerhalb der Grenzen souveräner Territorialmacht ablaufenden politischen Prozesse auf einen immer kleineren Einflussraum verweisen. So stehen die Nationalstaaten den Folgen grenzüberschreitender Umweltverschmutzung ebenso machtlos gegenüber, wie transnationalen Migrationsströmen oder einem international operierenden Terrorismus, der sich zudem sehr gut im gezielten Einsatz von Kommunikationsmitteln mit globaler Reichweite versteht.

Die Folge davon ist die Einschränkung der Fähigkeit von Nationalstaaten, "autonom das kollektive Schicksal ihrer Bürger zu gestalten" (Scharpf 1999a: 35), wobei "die größte Beschränkung demokratischer Selbstbestimmung (...) von der Reintegration globaler Kapitalmärkte und der internationalen Märkte für Güter und Dienstleistungen" (ebd.: 35) ausgeht (22) . Diese zunehmende Inkongruenz von nationalstaatlich legitimierter Wirkmächtigkeit und territorialer Mobilität und Reichweite ökonomischer Prozesse (23) zeigt sich insbesondere darin, dass a) internationale Finanzmärkte (24) "durch Risikozuschläge auf Zinsen oder Wechselkursänderungen" (Perraton et al. 1998: 158) beträchtlichen Einfluss auf nationalstaatliche Politiken ausüben; b) die Internationalisierung der Produktion durch multinationale Unternehmen Nationalstaaten in die Lage eines Standortwettbewerbs versetzt; und c) der quantitative Abbau sowie auch die qualitative Verschlechterung von Beschäftigung, die mit dem Druck zur Produktivitätssteigerung einhergehen (vgl. Altvater / Mahnkopf 1996: 262 ff.), die Funktionalität nationalstaatlicher Sozialsysteme gefährden, was in letzter Konsequenz auch das Niveau der gesellschaftlichen Integration bedroht (25) .

Insgesamt führt die fehlende Kongruenz zwischen Entscheidern und Betroffenen sowie zwischen Gültigkeitsreichweite relevanter Regelungen und Größe der davon betroffenen sozialen Handlungszusammenhänge zu zunehmender Fremdbestimmtheit individueller und kollektiver Akteure (26) (Zürn 1998: 237f.) - letztlich also zu einer Verdrängung der Politik durch den Markt (27) . Hochtechnologie und ökonomisch durchlässige Grenzen haben die Grundlage für eine Variante von Mobilität geschaffen, die sich zunehmend als machtpolitischer Vorteil gegenüber der territorialen Gebundenheit vieler sozialer und politischer Handlungsbereiche und damit als Grundlage einer neuen Form von Herrschaft ausweist (Baumann 2003: 141 ff.).

Dies alles hat gravierende Konsequenzen für die territoriale und politische Reichweite politischer Institutionen. In einer empirischen Studie konnten Zürn et al. (1999) hinsichtlich politischer Denationalisierng (28) nachweisen, dass sich territoriale und personale Reichweite politischer Institutionen in gegenläufiger Weise entwickeln. So zeigte sich auf der territorialen Ebene ein Trend zur Integration, also zur Schwerpunktverlagerung auf Institutionen mit größerer Reichweite, während sich die personale Reichweite überwiegend fragmentativ entwickelt, was sich konkret in abnehmenden Zugangs- und Teilhaberechten individueller Akteure äußert: "Seit mindestens fünfzehn Jahren scheint sich die Integrationskraft des demokratischen Wohlfahrtsstaats zu erschöpfen. Dies zeigt sich in der Einschränkung der Teilhabe- und Zugangsrechte in der Mehrheit der Länder für einen Wachsenden Personenkreis" (Zürn et al. 1999).

Während also Integration (oder hier: Regionalisierung) als politische Strategie zur Wiedererschließung verlorener Handlungsspielräume (29) eine zunehmende Verlagerung von Handlungszusammenhängen auf eine höhere räumliche Ebene bedeutet, geht damit gleichzeitig eine Steigerung der systemischen Komplexität einher, da der politische Prozess nun einer enormen Mehrzahl an Einfluss- und Steuerungsgrößen gegenübersteht (30) . Die gebotene Schaffung demokratischer Strukturen in institutionalisierten transnationalen Handlungszusammenhängen würde daher schon aufgrund der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität der am demokratischen Prozess beteiligten Bürger scheitern oder ihre Zahl beträchtlich minimieren. Robert A. Dahl bemerkt hierzu treffend: "Even if attempts were made to create transnational ‚democratic' systems, the burdens of information, knowledge, and understanding they would place on their citizens would (…) far exceed those of national democratic systems - which (…) impose burdens that may already be excessive" (1994: 31). Nun stellt die räumliche Integration als organisatorisch-institutionelle Folge der technologiebasierten Transformationsprozesse nicht nur eine in partizipatorischer Hinsicht problematische Komplexitätssteigerung von Handlungszusammenhängen dar, sondern bedeutet gleichfalls eine zunehmende Durchdringung regionaler Präferenzen durch externe, überwiegend marktbasierte Einflussgrößen und solche "privater" Akteure wie multinationale Unternehmen (Hirsch 1995: 95). Zu beobachten ist also eine Ablösung nationalstaatlich organisierter Kompromisse unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen durch "neue Artikulationsverhältnisse von Weltmarkt und Staaten (...), durch die eine qualitativ neue Welle der kapitalistischen Vergesellschaftung Raum greift: die Verallgemeinerung weltmarkt-vermittelter neoliberaler Politik" (Röttger 1997: 29 f.). Dies ist natürlich nicht nur bei der Ausbildung regionaler Integrationsverbünde der Fall, sondern auch bei den internationalen Institutionen zur Regulierung supranationaler Sachbereiche (global governance), wie etwa der WTO, der G7 oder des IWF. Auch hier werden nationalstaatliche Rechtsbereiche durch das zwar formal, nicht jedoch theoretisch hinreichend legitimierbare Völkerrecht überlagert; ebenso kommt es zu einer Untergrabung der Positivität nationalen Rechts, also einem Einflussverlust nationaler Legislativen auf verbindliche Rechtsakte (von Bogdandy 2001: 270ff.) - die auf der anderen Seite jedoch das volle Gewicht der Legitimation der internationalen Verträge zu tragen haben.

Da ökonomische Globalisierung nationalstaatliche Politiken zu Anpassungsleistungen an die Imperative der Weltmärkte drängt, gleichen sich ihre Reaktionen auf diese Form des globalsystemischen inputs in vielen Bereichen an, indem überwiegend angebotsorientierte Wirtschaftspolitiken und die Förderung von Investitionsanreizen das politische Tagesgeschäft ebenso beherrschen, wie der Abbau wohlfahrtstaatlicher Einrichtungen und öffentlicher Leistungen (31) . Damit wird der Variationsspielraum möglicher Alternativziele der Bedienung von Sachzwängen untergeordnet und die Zukunft in einem nunmehr beschnittenen demokratischen Prozess als nicht mehr beliebig gestaltbar behandelt (32) . Doch obwohl es scheint, dass Nationalstaaten insgesamt unter dem globalökonomischen Konkurrenzpluralismus zu leiden haben, wird der Verlust ihrer Wirkmächtigkeit insofern relativiert, als sie selbst an der politischen Durchsetzung der ökonomischen Rahmenbedingungen beteiligt gewesen sind (33) .


Der erwachte Leviathan - oder wie stark ist der Staat wirklich

Nachlassender Einfluss auf grenzüberschreitende Handlungszusammenhänge, Regionalisierung in Integrationsverbünden unter Abgabe von Hoheitsbefugnissen auf supranationale Institutionen und das Konkurrieren als bloße technokratische Standorte um Investoren und Kapitalien: der Nationalstaat scheint auf den ersten Blick schwach und zum Spielball außerstaatlicher - sprich: im wesentlichen marktförmig-ökonomischer - Kräfte geworden zu sein. Wenn die ordnungspolitischen Grundentscheidungen für eine möglichst umfangreiche Marktsteuerung, basierend auf dem Glauben von der inhärenten Stabilität und der Steuerungsfähigkeit des Marktsystems, politische Prozesse durch mechanistische Handlungsregeln entpolitisieren und Marktgesetze zu Naturgesetzen erheben, liegt es nahe, dass die ökonomischen Dogmen (34) die herrschende Welt zur besten aller möglichen Welten erklären (Maier-Rigaud / Maier-Rigaud 2001: 210ff.). Der Primat der Ökonomie hat, so scheint und steht es in Einklang mit der neoklassischen Rhetorik von Verschlankung, Deregulierung und Privatisierung, jenen der Politik abgelöst zu haben, was unter der Maßgabe einer Trennung von Politik/Staat und Ökonomie evident scheint. Bereits Polanyi (1995: 88f.) wies auf die Entbettung der Ökonomie aus den sozialen Beziehungen und die daraus folgende Umkehrung des Abhängigkeitsverhältnisses hin, was bedeutet, dass nicht nur das Politische, sondern auch weite Bereiche des Gesellschaftlichen, zunehmend von Prinzipien einer ökonomischen Rationalität (oder der "Wahnvorstellung vom ökonomischen Determinismus"; Polanyi 1979: 133) beherrscht oder "lebensweltlich kolonisiert" (Habermas 1981, Bd.2: 489 f.) werden. Mit Blick auf die destruktiven Tendenzen eines sich selbst überlassenen Marktes verwies er diesen Mythos in das Reich der "krassen Utopie" und erkannte die zwingende Notwendigkeit der politischen Gestaltung, die die zerstörerischen Wirkungen des Marktprinzips begrenzen soll.

Doch trotz der aktuell enormen räumlichen, zeitlichen und nicht zuletzt auch gesellschaftlichen Intensivierung des Marktgeschehens, der Unterwerfung immer weiterer Lebensbereiche und Wertsphären mit ehemals alternativen Verteilungsmustern unter das Prinzip von Angebot und Nachfrage und dem allgemeinen Siegeszug der Imperative ökonomischer Rentabilität, stellt sich einmal mehr die Frage nach dem Grad der Einbettung des Marktes in das Politische und der politischen Kontrolle des Gesellschaftlichen, also letztlich nach der "Stärke" des Staates im Zeitalter der ökonomischen Internationalisierung. Und hier scheinen sich ökonomische Vorgänge die Notwendigkeit der politischen Regulierung in einer Weise zu eigen zu machen, die diese tendenziell ihren funktionalen Erfordernissen unterwirft, auf die sie jedoch als Regulativ nicht verzichten können (vgl. Altvater 1996: 111).

Die Theorie des Wirtschaftsliberalismus indes deutet das Verhältnis von Ökonomie und Politik auf ihre Weise. Wenn die jeweils ökonomisch-instrumentell begründeten und ohne Reflexion ihrer gesellschaftlichen Implikationen ausgeübten Einzelhandlungen der Individuen oder Wirtschaftssubjekte in ihrer Gesamtheit eine positiv-schöpferische Gesellschaftsgestaltung zur Folge haben; wenn also die Summe jeweils (gesamtgesellschaftlich) unverantwortlicher und egoistischer, dafür auf individuellen Freiheitswerten aufbauender Einzelentscheidungen zu einem Surplus an verantwortlichem kollektiven Schöpfungspotential führen, dann folgt daraus die Forderung nach Einbettung des Poltischen in das Ökonomische. Märkte als Einrichtungen der optimalen Allokation von Angebot und Nachfrage nach Gütern fast aller Art führen so automatisch zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen, ohne dass eine kollektiv-politische Zielsetzung nötig wäre (vgl. Münch 1998: 377ff.). Allerdings klammert die ökonomische Rationalität hieraus weite und auch für sie überlebenswichtige Bereiche aus, die sich nicht warenförmig verwerten lassen und daher einer dritten Instanz - dem Staat - überantwortet werden müssen (Gorz 1994: 182 ff.), denn "das Kriterium ökonomischer Rationalität, wie es von den ‚Wirtschaftssubjekten' veranschlagt wird - inklusive der ‚genialsten' Unternehmer -, reicht nicht aus, um die funktionalen und strukturellen Erfordernisse des ökonomischen Systems und des sozialen Lebens zu erfüllen. Sich selbst überlassen treibt die Marktwirtschaft stets auf einen Zusammenbruch zu, gemäß dem (...) Szenario der ‚Tragödie der Almende'" (ebd. 189). Überdies ist eine marktförmige Gestaltung sozialer Gemeinwesen von den Gewaltmitteln einer außerökonomischen Instanz abhängig, die über die Einhaltung gewisser Spielregeln und Verfahrensbedingungen (Vertragssicherheit, sozialer Friede, Infrastrukturen etc.) wacht (36).

Der liberalistischen Auffassung einer solchen "Dichotomie von Staat und Wirtschaft" ist entgegenzuhalten, dass diese die vielfältigen Wechsel- und Konstitutionsbedingungen zwischen beiden Kategorien ausblendet und ebenso verschleiert, dass "Märkte keine Naturphänomene, sondern politisch-instiutionell hergestellte Gegebenheiten" (Hirsch 2002: 112) sind und insofern weder von einer komplettem strukturellen Trennung, noch einer einseitigen Indienstnahme des Staates durch die Ökonomie auszugehen ist (36) . Die politische Konstitution des Marktes (Röttger 1997: 39) bildet so die Komplementärseite zur ökonomischen Einfassung politischer Prozesse gemäß der herrschenden Produktionsverhältnisse, wobei die jeweilige Form der politischen Regulierung regionaler Ökonomien sowie die Gewährleistung unterstützender (infrastruktureller) Rahmenbedingungen für die Produktion innerhalb der globalökonomischen Beziehungen strategisch funktionalisiert und geprägt wird. Während regionale Ökonomien auf diese Weise im Innenverhältnis reguliert werden, bildet die Einsatzmöglichkeit physischer Gewaltmittel, die auf den staatlichen Gewaltmonopolen basiert, eine wichtige und ergänzende Grundlage zur flankierenden Absicherung. Die Bedingungen einer weitgehenden Internationalisierung der Produktion stellen so an die Nationalstaaten erhöhte Anforderungen hinsichtlich der politischen Einbettung der Produktion, da eine Vernachlässigung der globalökonomischen Verwertungszusammenhänge entscheidende Nachteile verursachen würde (37) .

Die Neuordnung der globalen Ökonomie erfordert somit eine (Selbst-)Transformation der Staatlichkeit, mit der den globalökonomischen Imperativen (dem Konkurrenzverhältnis) auf Seiten des Staates wie auch den regulativen Bedürfnissen auf Seiten der internationalen Märkte Rechnung getragen wird. Jessop (1992: XXX) sieht in diesem Zusammenhang eine Ablösung des auf Vollbeschäftigung und generalisierte Massenkonsumnormen (1996: 62) ausgerichteten Keynesianischen Wohlfahrtsstaats durch den Schumpeterianischen Workfare-Staat, dessen Anliegen es ist "nnovationen auf der Angebotsseite zu fördern sowie Tempo und Zielrichtung des technologischen Wandels mitzubestimmen und seine Wohlfahrtstätigkeit (...) zu reorganisieren" (1996: 57). In ähnlicher Weise erkennt Joachim Hirsch (1995, 2002) einen neuen Typ des Staats, dessen Hauptaufgabe in der Beförderung systemischer Wettbewerbsfähigkeit - auch unter Einbeziehung außerökonomischer Bereiche - zu sehen ist: "Die Funktionslogik des nationalen Wettbewerbsstaats beruht also, etwas überspitzt ausgedrückt, auf der alle sozialen Sphären umgreifenden Ausrichtung der Gesellschaft auf das Ziel globaler Wettbewerbsfähigkeit, deren Grundlage die Profitabilität von ‚Standorten' für ein immer flexiblere werdendes Kapital ist" (2002: 114) (38) . Dies alles geht einher mit der Tendenz einer zunehmenden Durchstaatlichung der Gesellschaft, in der die Überantwortung bestimmter Politikfelder, insbesondere solcher der Daseinsvorsorge oder des "service public" an private Marktstrukturen, mit einem Ausbau der staatlichen Kontroll- und Überwachungsapparate ergänzt wird (39) (Hirsch / Roth 1986: 142 ff.; Hirsch 2002: 116f.). Hierzu Joachim Hirsch:

"Ungeachtet aller neoliberalen Marktrhetorik von ‚Privatisierung' und ‚Deregulierung' stellt deshalb die Entwicklung vom ‚Sicherheits-' zum ‚nationalen Wettbewerbsstaat' nichts anderes als eine neue Phase der Durchstaatlichung der Gesellschaft dar. (...) So kann generell von einem ‚Rückzug' des Staates aus der Gesellschaft keine Rede sein, auch wenn sich die Formen staatsadministrativer Regulierung erheblich verändern, also z.B. polizeiliche Überwachung an die Stelle von materiellen Sicherheitsleistungen tritt, private Schulen subventioniert statt staatliche errichtet werden oder wenn statt einfacher Ge- und Verbote staatlich regulierte Marktmechanismen eingesetzt werden (...)" (1995: 113).

Hierin kommt hinsichtlich der (durchaus konfliktbehafteten) Aufgaben eines kapitalistischen Staates zum Ausdruck, dass das staatliche Gewaltmonopolmonopol zur Gewährung von Vertrags- und Eigentumssicherheit, staatliche Infrastrukturleistungen zur gesellschaftlichen Integration und Eindämmung sozialer Konflikte und staatliche Forschungs- und Bildungseinrichtungen zur Beförderung verwertungsrelevanten Wissens benötigt werden, wobei sich Schwerpunkt und Ausgestaltung dieser Staatsaufgaben in Abhängigkeit von der vorherrschenden Wirtschaftsweise verschieben können (Vgl. etwa Weber 1974, Narr /Schubert 1994: 159 ff., Hirsch 1995: 16ff., Offe 1973: 27ff., Jessop 1996: 43ff.) (40) . Insofern wäre es verfälschend, von einem "Ende der Politik" zu sprechen, da staatliche Macht in durchaus gestaltender Weise eingesetzt wird - lediglich der Gestaltungsspielraum scheint auf einen engeren Korridor kohärenter und in ihrer Zielorientierung zunehmend gleichgerichteter Möglichkeiten eingegrenzt zu sein, die im wesentlichen von der Präformierung des Politischen durch den jeweiligen Akkumulationsmodus der kapitalistischen Ökonomie bestimmt werden (Vgl. Hoffmann 1984: XXXX, Röttger 1997: 33ff).

Gleichzeitig gilt es, den anwachsenden sozialen und kulturellen Desintegrationserscheinungen mit tendenziell repressiven Maßnahmen vom Typ "law and order" zu begegnen (vgl. Heitmeyer 2001: 518, Hirsch 2002: 176 f., Rifkin 1996: 156 ff.), deren Umfang und Wirkungsgrad vor allem durch technologische Innovationen entscheidend erweitert werden konnte. Dies verweist auf einen Staatstypus, der bei seiner Transformation unverkennbar autoritäre Züge annimmt, die sich insbesondere im Abbau liberaler Freiheits- und Bürgerrechte, der Stärkung der Exekutive und dem Einsatz repressiver Gewaltmittel andeutet. In der Staatstheorie Nicos Poulantzas' tritt dieser Sachverhalt treffend als autoritärer Etatismus in Erscheinung, denn "ein gesteigertes Ansichreißen sämtlicher Bereiche des ökonomisch-gesellschaftlichen Lebens durch den Staat artikuliert sich mit dem einschneidenden Verfall der Institutionen der politischen Demokratie sowie mit den drakonischen und vielfältigen Einschränkungen der sogenannten ‚formalen' Freiheiten (...)" (2002: 232). Im folgenden sollen zwei der Hauptmerkmale des starken (autoritären) Staats, der Funktionsverlust der Legislative gegenüber der Exekutive sowie der Aufbau repressiver Strukturen, näher vorgestellt werden.



1 Die Einschränkung der Parlamentsfunktionen bei Stärkung der Exekutive

Wenn der Staat im globalisierten Kapitalismus nach innen an Stärke gewinnt, so wird die bereits angedeutete Kräfteverschiebung innerhalb der staatlichen Gewalten zugunsten der Exekutive durch eine Schwächung der Legislative ergänzt. Zwar wurde die Repräsentativität des Parlaments seit längerem verschiedentlich als nur fiktiv (42) angesehen, doch kann trotzdem - und auch ohne einer Mystifizierung des "'Funktionsverlustes' des Parlaments gegenüber früheren Formen des Parlamentarismus" (Agnoli 1995: 233) Gefahr zu laufen - eine demokratietheoretisch relevante Erosion wesentlicher Parlamentsfunktionen festgestellt werden. Ihre Ursachen sowie ihre Auswirkungen auf die unterschiedlichen Parlamentsfunktionen sind vielseitig und sollen im folgenden nur kurz skizziert werden.

Wie bereits ausführlich angesprochen, vollzieht sich ein Großteil des Bedeutungsverlustes der nationalen Parlamente auf dem Gebiet der Reorganisation von Handlungs- und Entscheidungszusammenhängen im Zuge der Globalisierung. Die Ausbildung regionaler Integrationsräume als Kehrseite dieses Prozesses hat zumeist mit der Verlagerung hoheitlicher Befugnisse auf eine höhere, supranationale Institutionalisierungsebene einen relativen Einflussverlust nationaler Legislativen zur Folge, zumal die Bedingungen zur Ausbildung einer funktional äquivalenten Legislativeinrichtung auf supranationaler Ebene kaum gegeben sind.

Wieder zurück auf der nationalstaatlichen Ebene, haben sich Parlamente weiteren Schwierigkeiten zu stellen. So befinden sie sich in einem Kommunikationsdilemma, da sich ihre massenmediale Einbindung in die öffentlichen Kommunikationskanäle zu einem großen Teil über das kommerzialisierte und nach marktwirtschaftlichen Kriterien funktionierende Medienwesen vollzieht. Hierdurch wird durch Selektion und Verzerrung von Information eine massive Entpolitisierung der Bevölkerung bei gleichzeitiger "Boulevardisierung" des politischen Geschehens befördert, die mit der Herstellung einer subjektiven Dominanz der Exekutive gegenüber der Legislative einhergeht (Marschall 1999, Narr/Schubert 1994: 186ff.). Die Personalisierung des politischen Geschehens trägt ebenfalls dazu bei, dass es überwiegend die Gesichter von Angehörigen der Exekutive sind, die den Bürgern erinnerbar bleiben. Die Prekarisierung der parlamentarischen Kommunikationsfunktion gerät überdies in Widerspruch zur Aufgabe der demokratischen Rückkopplung des EU-Ministerrats, die eine Intensivierung ihrer Kommunikationsfunktion erfordert und die eine entsprechend erweiterte politische Information der Bürger einbezieht (Steffani 1997: 168).

Die Einflussnahme organisierter Interessen auf die Ministerialbürokratie bei Umgehung der parlamentarischen Willensbildung erhöht zusätzlich die Stellung der Exekutive (vgl Sebald 1996, Fücks 2003), was im nationalen wie supranationalen (43) Terrain von Bedeutung ist. Gleichzeitig entsteht vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Strukturwandels mit Tendenzen der Ausdifferenzierung und Individualisierung sowie dem Zerbröckeln der traditionellen Konfliktlinien ein Repräsentationsdefizit, das durch o.g. Kommunikationsdilemma weiter vertieft wird. In dieser Situation haben selbst die Parlamentarier "keine geordneten und klar darlegbaren Vorstellungen von repräsentativer Demokratie (,die) auf Abruf verfügbar sind" (Patzelt 1991: 165). Dies mag auch als Ausdruck eines gewandelten professionellen Selbstverständnisses der politischen Amts- und Mandatsträger gewertet werden, die in der Ausübung ihrer Tätigkeiten vordergründig die Sicherung persönlicher Karrieren und Privilegien suchen (44) . Hinzu tritt die verbreitete Informalisierung und Deinstitutionalisierung politischer Entscheidungsprozesse in Form zumeist intransparenten Kommissionen, Runden, Netzwerke und sogar Talk-Shows, die zusätzliche Legitimitätsprobleme in der anvisierten Steigerung von Effizienz und der Bewältigung hochkomplexer Sachverhalte schaffen . So kann es bei einem entsprechenden Einflussgrad von (auch massenmedial prominent gemachten) Politikberatungsgremien zu einer Vorstrukturierung parlamentarischer Entscheidungen kommen, deren Zustandekommen dann hauptsächlich in den vorpolitischen und außerparlamentarischen Raum vorverlegt wäre.

Zu guter letzt werden Parlament und Exekutive gleichermaßen vom politischen Potenzial der autonomisierten, "formierten" Verwaltung bedroht, die, je nach Intensität der Verwaltungspolitik und Masse der überantworteten Regelungsbereiche, eine eigenständige, mithin autoritär strukturierte Herrschaftsstruktur darstellt (Ellwein 1971).

2. Repressiver Abbau von Freiheitsrechten: Der systemisch wettbewerbsfähige Präventivstaat

Technologischer Fortschritt, soziale Desintegration aufgrund sozialstruktureller und -politischer (45) Wandlungsprozesse und der staatliche wie auch ökonomische Wunsch nach Kontrolle und Berechenbarkeit von Bürgern oder Kunden fördern in ihrer Kombination tendenziell den Aufbau repressiver Strukturen und der Einschränkung von Freiheitsrechten - eine Entwicklung, die durch den internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 nur geringfügig beschleunigt, aber dafür versuchsweise politisch legitimiert worden ist.

In einer zunehmend entgrenzten Welt mit transnational mobilen Wirtschaftssubjekten, Interessenträgern und Informationsströmen, in einer Welt der allgemein recht hohen Fluktuationsraten, spielt der technologische Fortschritt (46) dem gesteigerten Bedürfnis des starken Staats nach herrschaftstechnisch gebotenem Überblick und neuer Handlungskraft in einer Weise in die Hände, die grundlegende Freiheitsrechte einer (regressiven) Neudefinition unterzieht. Hinzu tritt eine Verunsicherung insbesondere neokonservativer Kreise innerhalb der Exekutive hinsichtlich des Zerfalls moralischer Wertstrukturen bei zunehmender Dominanz individueller Präferenzen gegenüber kollektiven Pflichten, die neue - nun repressive - Formen der sozialen Kontrolle als einzigen Ausweg erkennen, freilich ohne die Kausalitätsbeziehung zwischen Wertewandel und gesellschaftlicher Transformation näher zu berücksichtigen (Hansen 1998: 198).

Gewiss waren exekutivisch geprägte Sicherheitspolitiken und -kampagnen, so etwa der Ausbau hierfür zentraler Institutionen wie BKA oder BND, sowie flankierender Gesetze, wie etwa dem Lauschangriff oder dem Extremistengesetz, auch bereits vor dem "deutschen Herbst 1977" nicht minder symptomatisch für einen Staat, der Stärke repräsentieren und Sicherheit erzeugen will, wobei das legitime und für gelebte Freiheit notwendige Bedürfnis nach Sicherheit häufig zur Durchsetzung repressiver Freiheitsbeschränkungen instrumentalisiert wurde (vgl. Seifert 1995: 41 ff.). Dabei wird jedoch häufig ausgeblendet, dass die in größerer Zahl auftretenden und mit staatlich-administrativen und polizeilichen Gewaltmitteln bekämpften Anomien gerade eine kausale Folge der herrschenden Ordnung sein können (Narr / Naschold 1973: 19).

Aktuell mehren sich die Anzeichen für einen Zusammenhang vom Einsatz repressiver Gewaltmittel und den gesellschaftlichen, sozialen und politischen Folgen der ökonomischen Internationalisierung, die hier im wesentlichen in a) einer verstärkten Desintegrationstendenz sozialer Gefüge infolge gesellschaftlicher Ausdifferenzierung und Individualisierung, b) diverser politischer wie auch sozialer Kontrollverluste (Heitmeyer 2001), c) der Instrumentalisierung der Bevölkerung für Ziele systemischer Wettbewerbsfähigkeit des Staats (Hirsch 2002: 114, Hirsch/Roth 1986: 142 ff.) und d) der Erzeugung von Armut durch den Strukturwandel der Arbeitsmärkte und den Abbau wohlfahrtstaatlicher Institutionen (Hansen 1998: 202ff.) zu finden sind (47) .

Auf diese Weise nimmt der "nationale Wettbewerbstaat" (Hirsch) die unverkennbaren Züge eines Präventionsstaates an, in dem Ermittlungen und Kontrollen verdachtsunabhängig ausgeführt werden, weil der Generalverdacht potenziell über jeden Bürger verhängt wird und in dem die vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung besonders in einem Szenario diffuser Terrorbedrohung einen immer größeren Stellenwert erhält (48) . So ist der Einsatz von Rasterfahndung und damit verbunden Datenabgleichen mit der technologiebasierten Produktion von Verdachtsmomenten gleichzusetzen, die der Schutzwirkung der Unschuldsvermutung zuwiderläuft und jeden Bürger in die Lage versetzt, jederzeit zum Objekt eines Verdachts werden zu lassen (Riehle 1988). Insbesondere im Gefolge der Gesetzgebung zum Komplex der inneren Sicherheit (49) ab den 1990-er Jahren hat sich die Ermittlungsarbeit der Polizei bevorzugt in den Vorfeldbereich möglicher Straftaten verlegt, also in ein ursprünglich nachrichtendienstlichen Einrichtungen vorbehaltenes Terrain, und "hat sich damit vom Reaktionsmuster des liberalen Verfassungsstaats gelöst" (Knieper 1996, 482), was zusätzlich durch die Aufweichung von Grundrechten, wie etwa bei der Änderung von Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) im Zuge der Gesetzgebung zum "Großen Lauschangriff", flankiert und vertieft wurde (50) . Im Gegenzug wurden Nachrichtendienste verstärkt in die Strafverfolgung einbezogen, ohne jedoch zu gewährleisten, dass der Grad ihrer justitiellen Kontrolle als legitimatorische Basis erhöht wurde. Weiterhin ist eine zunehmend operative Zielsetzung des Strafrechts zu beobachten, durch das die Defizite der politischen Problembearbeitung auf den Bereich des Strafrechts abgeschoben werden, das nun mehr und mehr als symbolischer Politikersatz fungiert (ebd.: 486). In diese Entwicklungen fügt sich der fortschreitende Aufbau der videografischen Überwachung des öffentlichen Raumes passgenau ein (51) .

Dabei liegt den neuen Maximen staatlicher Innensicherheit nicht nur der Impetus einer Intensivierung staatlicher Herrschaft zugrunde, sondern es können diese ebenfalls als Ausdruck eines ökonomistischen Verständnisses von Rechtspolitik angesehen werden, in dem vermittels einer Erhöhung der Verbrechenskosten die Kosten-Nutzen-Relation von Straftaten anreizmindernd verschlechtern (Sack 1995: 430 ff.).


Private Gefährdung von Freiheitsrechten: Ökonomie und Überwachung

Die alljährliche Verleihung des sogenannten "Big-Brother-Awards" durch den Verein FoeBud (52) weist regelmäßig darauf hin, dass Bürgerrechte nicht nur durch staatlich-administrative Organe mit hoheitlichen Befugnissen bedroht werden, sondern in ähnlichem Maße auch durch privatwirtschaftliche Akteure, die immer ausgefeiltere Technologien zu Überwachungs- und Kontrollzwecken entwickeln und einsetzen. Während die Überwachung von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz schon lange Gegenstand gewerkschaftlicher und innerbetrieblicher Kontroversen ist (53) , hat sich der Fokus des privatwirtschaftlichen Kontrollinteresses bis weit in den außerbetrieblichen öffentlichen Raum ausgedehnt. Die Gründe hierfür sind hauptsächlich in der kaufmännischen Notwendigkeit nach möglichst umfangreicher Kenntnis der Konsumgewohnheiten vorhandener und potentieller Kunden, der betriebswirtschaftlich motivierten Optimierung betriebsinterner Produktions- und Logistikprozesse sowie der Herstellung und Pflege eines konsumförderlichen Umfeldes der Verkaufsstellen zu finden. Ebenso ausschlaggebend sind die verbesserten technischen Möglichkeiten der Datenerhebung sowie die fallenden Anschaffungs- und Unterhaltungskosten.

Während Überwachungstechniken innerhalb privatwirtschaftlich genutzter Gebäude und Grundstücke "lediglich" für die Freiheitsrechte der Arbeitnehmer und Kunden von Belang sind, es sich also um nichtöffentliche Räume handelt, verlagert sich das privatwirtschaftliche Interesse nach Überwachung tendenziell in den Bereich des Öffentlichen. So bildet die videografische Überwachung öffentlicher Plätze als technischer Form der Erhebung personenbezogener Daten einen beliebten Ansatzpunkt für privat-öffentliche Kooperationen, die zumeist unter Bezugnahme auf die Bekämpfung von Kriminalität begründet wird, die sich nachteilig auf die subjektiv gefühlte Sicherheit der Bürger und die Kauflust der Konsumenten auswirkt. Hier vermischen sich zumeist konservative Ordnungsvorstellungen mit der Instrumentalisierung des öffentlichen Raumes für ökonomische Zwecke, wodurch es zur Exklusion bestimmter Personengruppen und negativen Sanktionierung von nicht konsumgerechtem Verhalten kommt (Hefendehl 2004).

Eine technisierte Form der sozialen Kontrolle soll als Disziplinarmassnahme deviantes Verhalten eindämmen und Kriminalitätsprävention erlauben, wobei es sich in beiden Fällen um askriptive Kategorien handelt, die enger Anlehnung an konsumatorische Normen und ökonomische Interessen entwickelt werden. Eine weitere Motivation für den massiven Einsatz von Überwachungstechniken in Innenstädten ist der wachsende Druck zur Herstellung eines konsumfreundlichen Klimas, um der wachsenden Konkurrenz zu außerstädtischen Einkaufszentren zu begegnen (Gras 2002: 263). Dies weist darauf hin, dass der Übergang von privater zu öffentlicher Überwachung zumeist fließend ist (ebd.: 262).

Ihnen zugrunde liegt die psychologische Wirkung von Überwachungseinrichtungen auf Betroffene, ihr Verhalten zu ändern oder gar aus Angst vor der technischen Erfassung heraus auf die Wahrnehmung bestimmter Rechte zu verzichten (54) . Von einer Verletzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist dabei insofern auszugehen, als überwachten Bürgern kaum Abwehrmöglichkeiten und Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Verwendung und Verarbeitung der erhobenen Informationen ausüben können. Ähnliches liegt in anderen Fällen der personenbezogenen Datenerhebung durch die Privatwirtschaft vor, auch wenn sie nicht zur disziplinierenden oder präventiven Verhaltenskontrolle, sondern etwa aus kaufmännischen oder marketingtechnischen Gründen vorgenommen wird, wie es etwa beim (unternehmens- oder auch branchenübergreifenden) Sammeln umfangreicher Kundendaten, etwa mit Informationen über ihre konsumrelevanten Gewohnheiten und Lebensstile, der Fall ist (55) . Hier kombinieren sich die technologischen Möglichkeiten der Datenerhebung und des Datenabgleichs ("Data-Mining") mit der Tarnung der Erhebungsmethoden und der Unwissenheit sowie unzureichenden Sensibilität der Betroffenen zu einer demokratietheoretisch relevanten Beeinträchtigung individueller Freiheitsrechte. Der schon längst zur Realität gewordene "gläserne Kunde" ist ein Symbol dafür, dass der Umfang des heutigen Datenschutzes angesichts immer weiterer technischer Innovationen kaum mehr in der Lage ist, den erweiterten Möglichkeiten der Datenerhebung gerecht zu werden (Opaschowski 1998).


Ein erstes Fazit

Aufgabe der vorangegangenen Abschnitte war es, einen wesentlichen Teil der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen der globalen ökonomischen Entwicklung und der Ausgestaltung demokratierelevanter Praxen und Institutionen in leicht mit der modernisierungstheoretischen These vom "evolutionären" Sieg der Kombination von Marktwirtschaft und Demokratie kontrastierender Weise darzustellen. Die (zwangsläufig unvollständige) Betrachtung konzentrierte sich zunächst auf den Prozess der im wesentlichen ökonomischen Globalisierung, der auf der einen Seite einen Einflussverlust demokratisch legitimierter Nationalstaaten auf weite Regelungsbereiche und zum anderen den Versuch ihrer - wenn auch modifizierten - Rückgewinnung in Bestrebungen der räumlichen und sachgebietsbezogenen Integration nach sich zieht.

Hierbei kommt es zu ersten Legitimationsschwierigkeiten, da völkerrechtlich verbindliche Rechtsakte übergeordneter Instanzen nicht mehr auf dem herkömmlichen Wege legitimiert werden können, sondern nur noch mittelbar über die nationalen Parlamente. Diese verlieren jedoch, nicht nur durch die Abgabe von Hoheitsrechten auf supranationale Institutionen, sondern auch durch kommunikative Dilemmata und die "Amerikanisierung" des politisch-parlamentarischen Geschehens, genau jenes Gewicht, das sie zur Erfüllung dieser Aufgabe benötigten. Die Folge davon ist neben einem relativen Übergewicht der Exekutive im Gefüge der nationalstaatlichen Gewaltenteilung bei gleichzeitiger Erosion der Parlamentsfunktionen eine schwindende demokratische Legitimation supranationaler Institutionen, die in einem eklatanten Missverhältnis zu ihrem Einfluss und ihren Befugnissen steht.

Trotz der erodierenden Einwirkungen der Internationalisierung weiter Handlungszusammenhänge kann jedoch von einem Machtverlust des Nationalstaats keine Rede sein; es ist im Gegenteil eine Stärkung des administrativen Staatsapparats zu konstatieren, die sich insbesondere regulierend nach innen, also auf das Volk bezieht, das im Gefolge angebotsorientierter Wirtschafts- und Sozialpolitiken sowie gesellschaftsstruktureller Wandlungsprozesse Anzeichen der Desintegration zeigt. Der sich im systemischen Wettbewerb befindende Staat neigt vermehrt dazu, die schwindende Integrationskraft seiner im wesentlichen auf diese Konkurrenzposition ausgerichteten Politiken durch repressive Zwangsmittel zu ersetzen, um die Bevölkerung für den ökonomischen Wettbewerb zu mobilisieren (oder zu instrumentalisieren) und sozialen Frieden zu gewährleisten.

Die Erfahrung, potenzielles Ziel des internationalen Terrorismus zu sein, verschärft diesen Trend zum repressiven Präventionsstaat zusätzlich. Gleichzeitig schränkt der massive Einsatz von immer ausgefeilteren Datenerhebungstechnologien durch die Privatwirtschaft die Freiheitsrechte der Bürger weiter ein. Ursache hierfür sind technologische Innovationen, die Datenerhebung und Informationsverarbeitung billiger und leistungsfähiger machen sowie die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit erweiterter Datenbestände zum Zwecke der Optimierung betrieblicher Abläufe und verkaufsfördernder Maßnahmen. Die Zusammenarbeit von privatwirtschaftlichen und öffentlichen Akteuren beim Einsatz von Kontroll- und Überwachungstechnik, insbesondere zur Schaffung konsumfreundlicher Geschäftsumfelder, führt zur einer weiteren Beeinträchtigung von Freiheitsrechten.

Auf die Rolle der Massenmedien wurde nur am Rande eingegangen, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass diese aufgrund ihrer Definitions- und Meinungsmacht eine wesentliche Rolle in der Herstellung von gesellschaftlicher Akzeptanz der vorherrschenden Zustände spielen. So trägt das hochkonzentrierte Mediensystem zum einen durch direkte (Werbung) und indirekte (Reproduktion durch mediale Interpretation) Information zur Beeinflussung kollektiver Normen und Werte bei und selegiert zum anderen auf Grundlage seiner ökonomischen Funktionsbasis Inhalte nach Verwertungsgesichtpunkten, was zur Folge hat, "daß die informationelle Qualität vernünftiger, also urteilsfähig machender Information dem Medium widerspricht. (...) Soweit Politik im Sinne von Vorgängen, die um den Staat kreisen, oder öffentlichen Aktionen überhaupt medialisiert wird, verstärken die Medien die desinformierende Ohnmacht und verengen Politik zu einem Spektakel in personalistischen Symbolen und symbolisierten Personen" (Narr / Schubert 1994: 187) (56) .

In diesem Szenario erscheint Demokratie, zunächst einmal grob verstanden als Kombination von Herrschaft durch und für das Volk, als ein wandelbarer Herrschaftsmodus, in dem die Variationsbreite möglicher Entscheidungsalternativen infolge institutional und ideologisch verfestigter Rahmenbedingungen zunehmend enger wird und dabei verstärkt auf die "output"-Komponente des demokratischer Legitimationsmodus verweist. Es stellt sich dabei Frage, inwieweit auf partizipative Elemente, deren Realisierungschancen angesichts der Komplexität der Entscheidungsräume und mit Blick auf ihre Steuerungsfähigkeit als schlecht beurteilt werden müssen, verzichtet werden kann, ohne dass das Übergewicht der Herrschaft für das Volk in eine alternativlose, bestehende Missstände affirmierende Interessenpolitik mündet. Die Antwort darauf muss lauten, dass ein solches Übergewicht nicht sein kann, ohne demokratische Defizite hervorzurufen, die schließlich eine "wohlwollende Autokatie" (57) zu etablieren helfen. Vieles deutet aber darauf hin, dass gerade dies immer greifbarer wird, oder zumindest, dass sich die gesellschaftliche Funktion von Demokratie in Aspekten der Steuerungseffizienz vorhandener und zielgerichtet hergestellter Handlungszusammenhänge verliert. Das nämlich deutet auf eine Gesellschaft hin, die "keine Alternative mehr zu sich selbst" (Baumann, 2000: 32) kennt, und deren in einem reflexiven Sinne kritische Individuen kaum mehr unter die hochkomplexe Oberfläche schauen können: "Aber irgendwie reicht diese Reflexivität nicht hin, um die komplexen Mechanismen zu durchschauen, die unser Handeln steuern und sein Ergebnis bestimmen, geschweige denn die Bedingungen, die wiederum diese Mechanismen am Laufen halten" (ebd. 33) (58) . .

Der die Deutungshoheit dominierender gesellschaftlicher Gruppen befestigende und die kulturverändernde (59) Einfluss der Massenmedien und die Hinwendung des Staates zu tendenziell repressiv-autoritären Maßnahmen bilden in ihrer Gesamtheit ein strukturelles Gefüge mit annähernder Totalität, das die Formulierung einer Alternative zum Bestehenden in immer größerem Maße behindert. In diesem Brennpunkt Demokratie & Kapitalismus sollen Materialen zu folgenden Problemkomplexen zusammengetragen und untersucht werden, die, wie im vorangegangenen Kapitel bereits verdeutlicht wurde, Strukturprobleme demokratischer Regierungstypen in kapitalistischen Gesellschaftsformen markieren, die durch die politisch- und gesellschaftlich-strukturellen Auswirkungen des Kapitalismus determiniert sind. Dazu zählen insbesondere:

a) Die Legitimität und Demokratiefähigkeit inter-, trans- und supranationaler Institutionen, die verbindliche Entscheidungen für Nationalstaaten und ihre Bevölkerungen produzieren.

b) Das Verhältnis von Staat, Ökonomie und Gesellschaft, wobei Fragen nach einer Suprematie der Ökonomie und ihrer Rationalität sowie die in diesem Kontext spezifische Rolle und Funktion des Staates sowie der diesbezüglichen Funktionalität demokratischer Institutionen nachgegangen werden soll. Dies schließt Veränderungen der Gewaltenteilung und damit der Stellung des Parlaments ebenso mit ein, wie die Rolle der Bevölkerung bei der politischen Meinungsbildung. In diesem Sinne wären vier konkretisierende Unterkategorien zu bilden, die in kausalem Zusammenhang mit dem spezifischen Verhältnis von Staat, Ökonomie und Gesellschaft stehen:


(i) Die Rolle des Staates hinsichtlich der Funktion seines Gewaltmonopols und dessen mögliche Indienststellung zu Zwecken gesellschaftlicher Herrschaft oder zu Zwecken der Begegnung von deren Folgen. Im Mittelpunkt steht hier die "Stärke" des Staates, also die Handlungsschwelle und Reichweite des Einsatzes (im weitesten Sinne) repressiver Gewaltmittel, ihre herrschaftsbezogene Motivation sowie die Zusammensetzung ihrer gesellschaftlichen Zielobjekte. Untrennbar hiermit verbunden ist auch die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Ökonomie, ihrer Trennung, Überlappung und wechselseitigen symbiotischen Bedingung.

(ii) Die Rolle der ökonomischen Akteure als ihrerseits Gewaltmittel anwendende oder staatliche Gewaltmittel usurpierende Gesellschaftsgruppe. Privatwirtschaftliche Akteure setzen Gewaltmittel im Dienste ihrer ökonomischen Interessen ein, die aufgrund ihrer Verbreitung und Verallgemeinerung Freiheitsrechte einschränken sowie demokratische Praxen behindern. Diese Gewaltmittel sind, so kann thesenartig formuliert werden, demokratietheoretisch relevant, weil sie das freie Verhalten der Bürger potentiell einschränken und durch das Verhältnis der Ökonomie zum Staat aufgewertet werden.

(iii) Die Rolle sozio-kultureller und sozialpsychologischer Bedingungsgrößen des demokratischen Prozesses auf Seiten der Bevölkerung (Stichworte: Individualisierung, kollektive Identität, Zukunftsangst etc.).

(iiii) Die Rolle der Massenmedien in der Beförderung, Bildung und Reproduktion von Deutungsmustern hegemonialer Interessengruppen, also in der Durchsetzung ihrer Meinungshoheit (61) .


Fußnoten:

(1) Dieser Optimismus Fukuyamas hinsichtlich des glücklichen Ausganges der ideologischen Evolution des Menschen kann allerdings als gleichsam ideologischer Versuch der theoretischen Flankierung der Univeralisierung bestimmter Aspekte des westlichen Zivilisationsmodells verstanden werden.

(2) Hierzu Ulrich Beck mit Blick auf das Fukuyama (1989) ausgerufene "Ende der Geschichte", das sich als historischer Sieg von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft auszeichnet: "Was bleibt und entsteht [nach der Blockkonfrontation, FS], sind Variationskonflikte im Systempuzzle zwischen Markt, Plan, Demokratie, Diktatur und Sozialismus in der Spannbreite von Schweden bis Südafrika, östliche Kombinationen des Liberalsozialismus eingeschlossen. Das ist nicht das Tor zum ewigen Weltfrieden (...). Nicht also die Geschichte geht zu Ende, wohl aber die Geschichte, die vorangetrieben wird vom Gegeneinander konkurrierender Entwürfe einer besseren Welt" (1991: 196).

(3) Zur weitergehenden Kritik an Fukuyama siehe Rehberg 1994.

(4) Nachdem der Begriff "Staat" nun schon einige male gefallen ist, soll darauf hingewiesen werden, dass er im Verlaufe dieser Arbeit in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. So kann damit a) eine territorial-organisatorische ("Mitgliedsstaat der EU") , b) eine gesellschafts- und machttheoretische ("Staat als Gegenpol von Ökonomie") oder c) eine steuerungstheoretische Kategorie gemeint sein. In Fall c) ist dann vom "politischen System" die Rede.

(5) Als kleine Auswahl siehe z.B. Narr 1977, Agnoli 1970, Pötzl 1985, Appel 1988; als kompakte theoriegeschichtliche Übersicht siehe Sauer 2002.

(6) I.w.S., Überblick z.B. in Puhle / Merkel 1999 oder auch Przeworski et al. 2000. Während Modernisierungstheorien (grob verallgemeinert) davon ausgehen, dass Autokratien oder Diktaturen bei fortschreitender ökonomischer Entwicklung schließlich dominierende demokratische Strukturen ausbauen, weil infolge der komplexeren Sozialstruktur, der gewichtigeren Zivilgesellschaft, der besseren Informationsmöglichkeiten und der wachsenden Autonomie der Produzenten nur noch demokratische Herrschaftssysteme effektives Regieren ermöglichen, gehen Przeworski et al. davon aus, dass Demokratie exogen bedingt ist.

(7) Selbstverständlich sind viele dieser Phänomene keineswegs neue Erscheinungen. Neu ist jedoch ihre Qualität und Häufung. (8) Narr und Naschold halten zwar kein Plädoyer für eine politökomische Demokratietheorie, bemängeln aber auch das übliche systematische Ausblenden der Ökonomie: "Bei der gegenwärtigen Verzahnung zwischen ‚Politik' als institutionalisiertem Entscheidungs-, Beteiligungs- und Legitimationsmechanismus und ‚Ökonomie' als scheinbar diffusem Apparat zur Produktion von Gütern, bei der seit der Industrialisierung stärker denn je gegebenen ökonomische Hauptwurzel von Herrschaft ist es mehr als verwunderlich, daß die Mehrzahl der der mit Demokratie befaßten politikwissenschaftlichen und soziologischen wissenschaftlichen Arbeiten den ökonomischen Faktor ausspart (..)" (1973: 101).

(9) Bezugnehmend auf die (affirmierende) Ausrichtung US-amerikanischer Demokratietheorien an den Interessen und Befindlichkeiten der Mittel- und Oberklasse stellen Narr und Naschold in diesem Sinne fest: "Diese mangelnde inhaltliche Kriterienbezogenheit, diese vorbewußte Akzeptierung dessen, was ‚stabil' ist, als stabil demokratisch, sofern es sich im Westen abspielt, macht denn auch die entscheidende Schwäche einer Sozialwissenschaft aus, die im Sinne einer eigenen politischen Gesellschaftskonzeption bewußtlos geblieben ist" (1973: 13). Und weiter: &qout;Kurz gesagt, man verfügte über keine konzeptionell-kritische Distanz zur herrschenden Wirklichkeit als der Wirklichkeit derjenigen, die auf der Sonnenseite des Herrschafts- und Verteilungstages sich befinden" (ebd. 14).

(10) Scharpf 1970

(11) Frankfurter Rundschau v. 11.09.2004, S. 1. Berichtet wurde über ein zwischen Otto Schily und der SPD-Fraktion abgestimmtes und der Redaktion vorliegendes vertrauliches Papier, das als Grundlage für sicherheitspolitische Verhandlungen mit der Opposition dienen sollte. Gefordert wurde dort u.a. eine weitere Zentralisierung und Befugnisausweitung von BKA und BfV sowie die Einführung der bundesweiten Rasterfahndung (einschließlich der erforderlichen Grundgesetzänderungen).

(12) Eine gute kritische Einführung in die republikanische (rousseauistische) Demokratieauffassung Guéhennos gibt Münch (1998: 364ff.).

(13) Huntington / Nelson 1973: 23.

(14) Vertreter der Spätkapitalismus-Theorie: insbesondere Habermas 1973, Offe 1972.

(15) Zur Kritik an Offe siehe Hirsch 1974: 222ff.. Laut Hirsch verfügt Offe über keinen historischen Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, was ihn dazu zwingt, Gesellschaft nur "phänomenologisch" erfassen zu können. Gesellschaft erscheine ihm daher als Aggregat nebeneinander existierender Interessengruppen, das erst durch die Selektivität des politischen Systems strukturiert werde. Definiere man aber "Gesellschaft" als "Klassengesellschaft, [die sich] durch das (...) Wirken des Wertgesetzes und ohne bestimmenden äußeren Eingriff selbst reproduziert und daß diese spezifische Form des Reproduktionsprozesses notwendig den bürgerlichen Staat als ‚besondere', gegenüber dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß und den Produktionsagenten relativ verselbständigte Instanhervorbringgt", dann werde die scheinbare Selektivität des Staates als Resultat der Abhängigkeit des Staates vom Reproduktionsprozeß des Kapitals enlarvt.

(16) "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus", MEW XX XX

(17) Daher können hier aus Platzgründen auch nur einige wenige, so aber hoffentlich gewichtige Stimmen berücksichtigt werden.

(18) So etwa Zürn 1998: 65 ff., der stattdessen den Begriff Denationalisierung bevorzugt, weil sich die angeführten Prozesse im wesentlichen auf die OECD-Welt beschränkten.

(19) Touraine erblickt in der Globalisierung den Aspekt der Entwicklung eines Wirtschaftssystems, das weder von politischen Institutionen noch von internationalen Rechtsnormen kontrolliert wird (ebd.).

(20) Vgl. etwa Scharpf 1997a, 186ff. oder auch den von Jessop (1992: XX; 1996: 61ff.) angesprochenen Wandel vom "Keynesianischen Wohlfahrtstaat" zum "Schumpeterianischen Workfare State".

(21) Vgl. etwa auch Hirsch 2002: 38; Narr/Schubert 1994: 176f..

(22) Für Zürn (1998: 65 f.) ist der Begriff "Globalisierung" zur Kennzeichnung der internationalen politischen, kulturellen und ökonomischen Wandlungsprozesse unzureichend, da sich die grenzüberschreitenden Interaktionen vorwiegend innerhalb der OECD-Grenzen abspielen und daher kaum "global" zu nennen sind. Daher verwendet er den Begriff Denationalisierung, den er operationalisiert als "die relative Zunahme der Intensität und der Reichweite grenzüberschreitender Austausch- oder Produktionsprozesse in den Sachbereichen Wirtschaft, Umwelt, Gewalt, Mobilität sowie Kommunikation und Kultur" (ebd.: 76).

(23) Hierbei sind auf der Seite der innovativen Entwicklungen vor allem die Transport- und Kommunikationstechnologie, auf der Seite der externalisierbaren Risiken auch z.B. fehleigeschätzte Technologiefolgen oder allgemeine Stör- und Unfälle zu nennen.

(24) Vgl. Scharpf 1987: 298ff..

(25) Siehe auch Held 1990: 140.

(26) Die Globalisierung der Finanzmärkte zeigt sich im wesentlichen durch sehr hohe Transaktionsvolumina, hohe Gewinn- und Verlustmöglichkeiten, niedrige Transaktions- und Informationskosten sowie einen sinkenden Einfluss staatlicher Organe.

(27) Vgl. etwa auch Bourdieu 1998.

(28) In diesem Sinne geht für Zürn (1998: 238) das Demokratie - Defizit innerhalb des Systems internationaler Beziehungen nicht von der strukturellen Architektur der internationalen Institutionen aus, sondern von der diesen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Denationalisierung.

(29) Habermas 1998: 120f.

(30)Politische Denationalisierung bedeutet die Veränderung der Reichweite und des Zusammenspiels politischer Institutionen gegenüber einer ursprünglichen Dominanz nationalstaatlicher Institutionen (Zürn et al. 1999: 322)

(31) Vgl. Statz / Weiner 1996: 357, Narr / Schubert 1994: 169ff.

(32) Aus systemtheoretischer Perspektive erwächst aus der ungeheuren Komplexitätssteigerung, die mit der Globalisierung - also im weitesten Sinne der Erosion untergeordneter Teilsysteme - verbunden ist, die Anforderung, ein neues Höchstmaß an chaotischer Unordnung durch neue Ordnungsformen beherrschbar zu machen; dies jedoch in der Gewissheit, die Unordnung nicht mehr aufheben zu können (vgl. Willke 2003). Jedoch sollte im Auge behalten werden, dass die Systemtheorie als bürgerliche Staatstheorie "die enthistorisierende Konstruktion von Funktionsmethoden zur deskriptiven Erforschung und Systematisierung eines Phänomenkonglomerats auf einem Formalisierungs- und Abstraktionsniveau (leisten kann; FS), das es bestenfalls erlaubt, komplexe System-Reaktionen auf Umwelteinflüsse und Umweltrestriktionen und ihre Folgewirkungen zu systematisieren (...)" (Hirsch 1974: 222).

(33) Vgl. Scharpf 1997a: 186ff., 1987: 306ff. oder auch den von Jessop (1992, 1996:61ff.) angesprochenen Wandel vom "Keynesianischen Wohlfahrts-" zum "Schumpeterschen Workfare State".

(34) Diese Form der Alternativlosigkeit läuft dem Grundgedanken einer voluntaristischen Ordnung zuwider, in der die aktive Weltgestaltung einen zentralen Stellenwert einnimmt (s. Münch 1984: 27). Wenn der Wille der Bevölkerung nur noch in einer einzigen inhaltlichen Ausrichtung die Chance hat, gestalterisch zu wirken, werden demokratische Verfahren zunehmend obsolet. Vgl. hierzu auch Offe 1996: 149, Scharpf 1993b: 169.

(35) Gemeint ist hier vor allem die Neugestaltung des Weltwirtschaftssystems nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, die insbesondere in der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs, der Deregulierung nationaler Finanzmärkte, der Erhöhung der Informations- und Kommunikationsgeschwindigkeit durch technologische Innovationen und der damit verbundenen Reduzierung der Reaktionszeiten und Kosten bei internationalen Finanztransaktionen bestand. Hierdurch entstand eine intensive Vernetzung nationaler Finanzmärkte, die sich so weitgehend den nationalen Aufsichtsbehörden entziehen konnten (Koch 1998: 108).

(36) Vgl. Abromeit 2002: 18.

(37) Siehe Anm. 41.

(38) Zum neoliberalen Diskurs stellte Bourdieu (1998) treffend fest, dass dieser 6quot;nur (deshalb, FS) besonders durchsetzungsfähig und schwer zu bekämpfen ist, weil er in einer Welt der Machtverhältnisse, die er selber schaffen hilft, alle Mächte auf seiner Seite hat."

(39> Scharpf (1999: 36ff.) spricht von einer symbiotischen Interdependenz von demokratischem Staat und kapitalistischer Ökonomie, bei der die Rentabilität ökonomischer Aktivitäten ebenso von staatlichen Infrastruktur- und Schutzleistungen abhängt, wie die Qualität und Quantität sozialpolitischer Leistungen des Staates von der privaten Ökonomie.

(40) Eine gute Übersicht zur Herausbildung der Form des Staates aus der Besonderung von Politischem und Ökonomischem in kapitalistischen Gesellschaften findet etwa bei Blanke et al. 1975: 414 ff.

(41) Hierzu zählt auch der Einsatz der Staatsapparate für eine Durchkapitalisierung vormals geschützter Gesellschaftsbereiche wie etwa der Bildungspolitik.

(42) Zur Mobilisierung der Bürger für einen "Wirtschaftskrieg" durch einen zum Unternehmen mutierten Staat siehe auch Balibar1993: 97f.

(43) Da der Vergesellschaftungsmodus im fortgeschrittenen Kapitalismus auf der dissoziativen Unterscheidung betont ungleicher Individuen durch Konsumtion, also einer asozialen Sozialisierung (Gorz 1994: 74) basiert, muss der Staat zwangsläufig korrigierend eingreifen, da so ein Allgemeininteresse weder formuliert noch verfolgt werden kann. So erklärt sich die gleichzeitige Verbindung von Durchstaatlichung (Verrechtlichung und Bürokratisierung immer weiterer Bereiche) und Durchkapitalisierung (Ausbreitung des monetären Kalküls im politischen und gesellschaftlichen Raum) als Ergebnis einer paradoxen dissoziativen Vergesellschaftung (Narr/Schubert 1994: 162).

(44) Auf die materialistische Staatsableitung, die Trennung der physischen Zwangsgewalt des Staates von allen gesellschaftlichen Klasen als notwendige Voraussetzung kapitalistischer Wirtschafssysteme erkennt, wird an späterer Stelle noch eingegangen werden.

(45) Eine umfangreiche Einführung in die Theorie der sozialen Integration gibt Münch 1998.

(46) Hierzu Kelsen: "Andererseits wollte man den Schein erwecken als ob im Parlamentarismus die Idee der demokratischen Freiheit (...) ungebrochen zum Ausdruck käme. Diesem Zwecke dient die Fiktion der Repräsentation, der Gedanke, daß das Parlament nur Stellvertreter des Volkes sein, daß das Volk seinen Willen nur im Parlament, nur durch das Parlament äußern könne, obgleich das parlamentarische Prinzip in allen Verfassungen mit der Bestimmung verbunden ist, daß die Abgeordneten von ihren Wählern keine bindenden Instruktionen anzunehmen haben, daß somit das Parlament in seiner Funktion vom Volke rechtlich unabhängig ist" (1929: 30). Agnoli (1995: 233) warnt vor diesem Hintergrund davor, die Erosion von Parlamentsfunktionen zu hoch zu bewerten, denn "(...) als gesellschaftlicher Machtfaktor stellt das Parlament geschichtlich vom Anfang an in der Absicht der bürgerlichen Gesellschaft die Fiktion der durch Volksvertretung verwirklichten Volksfreiheit dar".

(47) Für die Rolle des Lobbyismus in der Europäischen Union siehe Kohler-Koch 1992, Platzer 1999 oder van Schendelen 2003 (der Lobbying jedoch weniger als demokratietheoretisch problematisch im Sinne einer Schwächung der Legislative ansieht, sondern allenfalls als Frage gleicher Zugangschancen der Interessengruppen zu den Entscheidern in einem nach außen offenen System).

(48) Ergänzend hierzu kann angemerkt werden, dass Parlamentarier innerhalb der sozialen Organisation Parlament einem Sozialisationsdruck unterliegen, der im wesentlichen aus einem Zwang zur Anpassung bei Vermeidung bestimmter institutionenspezifischer Sanktionen besteht (Badura / Reese 1976).

(49) Vgl. etwa Dahrendorf 1996.

(50) Die Technologieentwicklung spielt in der Tat eine besondere Rolle, indem sie die geforderten Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle sowie des Datenaustauschs und -abgleichs zur Verfügung stellt, was einen zusätzlichen Druck auf die Freiheitsrechte ausübt. "Technischer Fortschritt auf der einen bedeutet also immer auch eine Weiterentwicklung im Bereich der Überwachungstechnologie auf der anderen Seite. Dass sich beide Seiten nicht voneinander trennen lassen, wird oftmals übersehen oder aus Zufriedenheit über die mit Hilfe der Informationstechnologie geschaffenen Möglichkeiten bereitwillig ignoriert. In der Tat scheint es mittlerweile üblich zu sein, weite Teile der eigenen Privatsphäre zugunsten anderer Vorteile zu opfern" (Zöller 2002, 15). Als aktuelles Beispiel hierfür soll das im Aufbau befindliche LKW-Mautsystem angeführt sein, dessen wenig datensparsame, dafür aber technologisch ausgefeilte Konzeption, eine Verkehrstotalüberwachung / Mobilitätskontrolle auf Autobahnen ermöglichen würde (Vgl. etwa 26. Tätigkeitsbericht des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, Schleswig Holstein).

(51) Zum Zusammenhang von Neoliberalismus und repressiven Sicherheitspolitiken siehe auch Hansen 1998.

(52) Zum Überblick siehe Gössner 1995, Prantl 2002.

(53) Kritischer Überblick zum Thema innere Sicherheit z.B. Jünschke / Mertens 1994 oder Kutscha / Paech 1987.

(54) So warnte etwa Rechtsanwalt Ralf Gössner als Sachverständiger im Innenausschuss des Deutschen Bundestages in diesem Zusammenhang vor dem Abgleiten des demokratischen Rechtsstaats in ein illiberal-autoritäres Regime, das der Sicherheit und dem Strafanspruch des Staates absolute Priorität gegenüber den individuellen Freiheitsrechten der Bürger einräumt. (in Lisken 1998: 113).

(55) So heißt es etwa im 26. Tätigkeitsbericht des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz. Schleswig Holstein: "So wird es auch schleswig-holsteinischen Städten immer schwieriger, sich einen Tag lang frei und unbeobachtet bewegen zu können". Zum Themenkomplex Überwachung als disziplinierendes Herrschaftsmittel siehe auch das klassische Werk von Foucault (1974, insbesondere: 220ff.).

(56) Verein zur Förderung des öffentlich bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.; Internet: www.foebud.org, www.bigbrotheraward.de.

(57) Diese Diskussion erhält durch die verbesserten medizinischen Testmethoden (Drogenscreenings, Genomanalysen, Gesundheitschecks) bei fehlendem rechtlichen Arbeitnehmerschutz eine neue Brisanz (Weichert 2000).

(58) Siehe Gras 2002: 237; hier wird auch ein ausführlicher Überblick über die rechtliche Einschätzung videografischer Überwachung gegeben.

(59) Vgl. 26. Tätigkeitsbericht des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, Schleswig Holstein.

(60) Siehe auch Demirovic 1997: 165 ff..

(61) Abromeit 2002: 19

(62) Dies erinnert an die Worte Marcuses: "Denn 'totalitär' ist nicht nur eine terroristische politische Gleichschaltung der Gesellschaft, sondern auch eine nicht-terroristische ökonomisch-technische Gleichschaltung, die sich in der Manipulation von Bedürfnissen durch althergebrachte Interessen geltend macht. Sie beugt so dem Aufkommen einer Opposition gegen das Ganze vor" (1989, 23)

(63) Vgl. etwa Postman 1985, Dörner 2000 (insb. Kap. 4) oder klassisch: Horkheimer/Adorno 2000: 128 - 176 (Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug).

(64) Im weitesten Sinne.

(65) Hierzu Demirovic (1997: 167) treffend: "So haben die Medien auf ihre Konsumenten einen entscheidenden Effekt, den Verlust an Bildung. Ihr Handeln wird auf die Befolgung bloß äußerlicher Verhaltensmuster reduziert, die sich aus der konformistischen Unterwerfung unter kulturindustriell gesteuerte Moden ergibt. (...) Durch medienvermittelte oder telekratische Verfügung über die öffentlichen Diskurse können sie [die Herrschenden, FS] sich jeder Rationalitätszumutung entziehen oder den Begriff der Vernunft in herrschaftsopportuner Weise transformieren".

Literaturliste als rtf-Textdatei

 
oben oben