Die Überwachungsstadt - Überwachungskameras in Lübeck

Nun ist es auch bei uns so weit: Als eine der ersten Städte Norddeutschlands wird auch in Lübeck bald der öffentliche Raum mit Videokameras überwacht werden. Diese mehr als zweifelhafte Ehre verdankt die Hansestadt der CDU-Bürgerschaftsfraktion, die die Observierung von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrer Stimmenmehrheit durchsetzen konnte. Die Überwachung beschränkt sich (zunächst) auf die Rathaus-Arkaden und soll hier vornehmlich der Sicherheit und Sauberkeit dienen. Das will heißen, dass sich die Konservativen versprechen, Graffitischmierer und Notdurftverrichter abzuschrecken oder gar dingfest zu machen. Und weil die öffentliche Ordnung so heilig ist, hat sich die lübsche CDU nicht einmal von den kritischen Einwänden des Landes-Datenschutzbeauftragten davon abbringen lassen.

Nun soll also die informationeile Selbstbestimmung unzähliger Passanten wegen einer Handvoll böser Buben geopfert werden, die die Wertvorstellungen der konservativen Bierdermänner nicht teilen. Das neugierige Auge der Obrigkeit soll nun ein Stück tiefer in den öffentlichen Raum hinein spähen.

Die CDU Fraktion indes verharmlost fleißig. So meint etwa ihr Mitglied Rüdiger Hinrichs, dass wer nichts zu verbergen habe, auch die Kameras nicht fürchten brauche. Mit dieser so naiven wie abgenutzten Plattitüde offenbart er damit sein gefährlich verzerrtes Verständnis von den Grundwerten einer freiheitlichen Demokratie (Lübecker Stadtzeitung v. 5.8.03, Aus den Fraktionen). Allerdings wäre es zu einfach, eine solche Geisteshaltung nur als konservative Naivität abzutun.

Das Hauptproblem nämlich, das sich dahinter verbirgt, ist von weitaus höherer Brisanz und hat im Kern mit dem Verhältnis von strategischer Herrschaftssicherung und staatsbürgerlichem Selbstverständnis zu tun. Denn dem Observieren des öffentlichen Raumes liegt die Tendenz zugrunde, alle Bürgerinnen und Bürger dem Generalverdacht zu unterwefen, etwas im Schilde führen zu können, das mit der (spieß-)bürgerlichen Ordnung letztlich das kapitalistische Machtgefüge stört. Es definiert den öffentlich Raum ALLER (!) Bürgerinnen und Bürger um in einen Ort der Anpassung an ökonomische Imperative, denn es ist vornehmlich das Interesse der Privatwirtschaft an umsatzbringenden Konsumenten und die Sorge der Stadt um die geldwerten Touristen, die darauf drängen, ein wachsames Auge auf das Treiben der Menschen zu haben.

Die Naivität im Umgang mit den Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaftsordnung spielt dem Herrschaftsanspruch der Ökonomie kräftig in die Hände und offenbart gleichzeitig den proto-totalitären Charakter, der ihrer Handlungslogik innewohnt. So wird der Einsehbereich der Kameras, die in den meisten Geschäften schon lange auf die Kundschaft glotzen, auf ihre öffentlichen Vorplätze erweitert, wo sie ein Stück mehr den Ordungsinteressen des Kapitals dienstbar gemacht werden. Die Medienpropaganda hat inzwischen dafür gesorgt, dass sich die meisten Menschen von ihrer eigenen Überwachung nicht mehr gestört fühlen. Sie hat klammheimlich ihr staatsbürgerliches Bewusstsein verstümmelt.

Gleichzeitig wird durch die Videoüberwachung deutlich, dass die Abkehr von einer verteilungs- und zugangsgerechten Politik auf ihre Protagonisten zurückschlägt, indem die zunehmend ausgegrenzten Menschen als potentielle Bedrohung von Ordnung und Sicherheit wahrgenommen werden. Die neoliberale Ideologie, die inzwischen fast das gesamte Parteienspektrum infiziert hat, produziert einige Gewinner und viele Verlierer. Der CDU - aber auch den anderen Parteien - ist daher ins Stammbuch zu schreiben, dass der beste Garant für ein intaktes Gemeinwesen nicht eine überwachte, sondern eine zufriedene und lebenswerte Gesellschaft ist. Und diese ist zwangsläufig auch eine solidarische und gerechte Gesellschaft, wobei "gerecht" gerade auch im Sinne von "verteilungsgerecht" verstanden werden muss.

Aus: Hundestraßen-Info, Zeitschrift der PDS Lübeck



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