Massenmediale Brechmittel - Fünfzehn Minuten Privat-TV beim Mittagsessen
 Alleine Essen ist langweilig, und deshalb schaue ich dabei gern fern. So auch heute Mittag. Doch dieses mal zappte ich auf die falschen Programme und verdarb mir so regelrecht den Appetit. Zuerst blieb ich auf dem Mittagsmagazin von RTL stehen, sozusagen der TV-Version der Bild-Zeitung. Seriösen Journalismus darf man hier nicht erwarten, dafür um so dreistere politische Meinungsmache. Bei der Anmoderation des nächsten Beitrags prangte rechts neben der Moderateuse der Spruch "Arbeit - Nein Danke!" auf dem Schirm. Diese erzählte dann, dass sich gerade jetzt im wirtschaftlichen Aufschwung zeige, dass viele Arbeitslose keine Lust hätten, die nun freien Arbeitsplätze zu besetzen. Das faule Pack.
Im folgenden Beitrag, der an Plattheit kaum mehr zu überbieten war, untermauerte man diese Aussage fleißig. Zu Wort kam zunächst ein bayerischer Wirtshausbesitzer, der Personal für seinen abgelegenen Landgasthof mit Pension suchte. Niemand wolle bei arbeiten, lamentierte er, obwohl man sogar Zimmer für die Mitarbeiter bereithalte. Schnitt. Mit dieser Info im Sack schickte man ein Kamerateam in eine Arbeitsagentur irgendwo in Thüringen. Ein Reporter hielt den Leuten in der Warteschlange sein Mikro vor die Nase und frage dummdreist, ob man denn nicht bei dem Wirt in Bayern arbeiten wolle. Wie zu erwarten und von der Redaktion sicherlich erhofft, hatten die Wenigsten Lust, für einen lausigen Stundenlohn ihre Wohnungen aufzugeben und in die bajuwarische Walachei zu ziehen. Der Reporter und die Leichtjournalisten aus der Redaktion hätten das sicher auch nicht getan, wären sie - und in diesem Fall zu Recht - ohne Arbeit. Aber die Botschaft wurde überdeutlich: kein Bock auf Arbeit! Denen geht es viel zu gut mit Hartz IV, so die implizite Mutmaßung.
 Angewidert von der Stimmungsmache aus dem Hause Bertelsmann zappte ich zur Konkurrenz auf Pro 7. Dort lief gerade das Mittagsmagazin "Avenzio" und hier die Rubrik "Jobstars". Drei junge Mädels bewarben sich dort um einen Ausbildungsplatz zur Kosmetikerin. Um diesen zu erhalten, mussten sie berufsbezogene Aufgaben lösen, von denen sie kaum Ahnung hatten. Kein Wunder, denn die Ausbildung hatten sie ja noch vor sich. Deutlicher als die öffentliche Bloßstellung der unbedarften Mädels wurden dabei die Botschaften von Konkurrenz und Opportunismus, die es als heiliges Credo des modernen Berufslebens zu verinnerlichen galt. Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst, ist die Lehre, die wie dicke Soße aus dem Bildschirm triefte. Und wie die Tränen, die Pro 7 fernab jeder journalistischen Ethik in Großaufnahme einfing.
Noch bevor ihr Berufsleben so richtig losging, lernten die Kandidatinnen, dass die jeweils andere die bitterste Gegnerin ist. Ein Grundprinzip des heutigen Kapitalismus, in dem jeder gegen jeden kämpft, Solidarität unbekannt ist und konkurrierende Individuen für den globalen Kampf um die höchste Rendite der Anteilseigner totalmobil gemacht werden. Ganz in diesem Sinne formulierte die schwarzhaarige Kandidatin, worauf es noch ankommt. Vom potenziellen Chef gebeten, sich bis auf den Bikini auszuziehen, zögerte sie keine Sekunde mit ihrer Entblößung. Man müsse tun, was der Arbeitgeber verlange, kam ihr später in mehreren Variationen über die Lippen. Ihr Blick richtete sich dabei auf ihre Mitbewerberin, die wegen figürlicher Probleme einen Minirock anbehalten hatte. Wir haben auch diese Botschaft verstanden: Erbitterte Konkurrenz nutzt nur etwas in Kombination mit Unterwürfigkeit und Gehorsam. Der Chef befiehlt und der Azubi / Angestellte hat widerstandslos Folge zu leisten - auch wenn es um seine Persönlichkeitsrechte geht.
Pro 7 hat uns gezeigt, worauf es im Berufsleben ankommt. Nämlich auf die Einübung von devoter Unterwürfigkeit, beliebiger Verfügbarkeit und Leistungsbereitschaft ohne Anspruchsbewusstsein. Wenn schon jüngste Menschen auf Konkurrenz und ökonomische Funktionalität getrimmt werden, können so richtig auf das freuen, was sie in ihrem künftigen Berufsleben erwartet. Und dank Pro 7 werden sie und ein Großteil der Zuschauer diesen Schmarren als gottgegeben hinnehmen.
Mit vollem Mund zappte ich weiter und landete auf RTL 2. Die "2" steht hier wohl für "RTL im Quadrat", zumindest was die Dümmlichkeit des Programms anbelangt. Es lief gerade Big Brother und ich sah, wie belanglose Menschen belanglose Sachen von sich geben. Ich erfuhr, wer wen wie sympathisch oder auch nicht findet und wie sie alle die Muttertagsüberraschung erlebt haben (man hat wohl die Mütter der Eingeknasteten genötigt, sie zu besuchen). Bei Big Brother sticht nicht nur die offenkundige Geistesarmut der Insassen ins Auge. Diese zeigt sich schon allein durch die bloße Tatsache ihrer Teilnahme und  bestätigt sich durch ihr dünngeistiges Gelaber stets auf's Neue. Ins Auge sticht aber genauso die dem Sendeformat immanente Verharmlosung der Totalüberwachung sowie der Aufgabe von Persönlichkeitsrechten - passiv durch die Kandidaten, aktiv durch den Sender. Nicht, dass man in den Konzernzentralen bauernschlau geplant hätte, mit Big Brother die wirtschaftliche und staatliche Überwachungsoffensive zu flankieren. Es ist wohl eher ein unkritischer Opportunismus und Ökonomismus am Werk, dem die Nebenfolgen und indirekten Aussagen ebenso Wurscht sind, wie Persönlichkeitsrechte und Würde der Teilnehmer - mögen die auch noch so dumpfgeistig daherkommen. Aber machen wir uns nichts vor, das alles steht natürlich in bestem Einklang mit den strategischen Zielen der herrschenden Klasse.
Bevor mir das Essen ganz im Halse stecken blieb, schaltete ich die Glotze ab. All das geschah wohlgemerkt in einem Zeitraum von fünfzehn Minuten! Fünfzehn läppische Minuten! Wenn man sich überlegt, wie lange der Bundesbürger im Schnitt in die Röhre guckt, kann einem Angst und Bange werden. Schaut man sich an, wer die Deutungshoheit im gesellschaftlichen Diskurs inne hat, verwundert es auch nicht mehr, wenn fast jeder auf der Straße die neoliberalen Parolen nachäffen kann und sich still in sein scheinbar alternativloses Schicksal fügt. Na dann Prost Mahlzeit!
    
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