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Nebelwanderung in Westjütland: Ferring - Bovbjerg Fyr - Trans und zurück

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Es wird nicht mehr hell


Skulpturen vor dem Jens Søndergard Museum
Nahtlos geht die Nacht in eine undurchdringliche Nebelsuppe über. Man kann zwar noch die Hand vor Augen, nicht jedoch die Häuser am anderen Ende der Straße sehen. Müde quäle ich mich in meine Wanderschuhe, verlasse das warme Haus ohne ein rechtes Ziel. Nach wenigen Metern komme ich vorbei am Museum des Künstlers Jens Søndergard. Heraus aus den Schwaden schälen sich plötzlich mannshohe Körper, die sich so unheimlich wie bedrohlich vor der nicht sichtbaren Küste anheben. Aus dem Nebel dringt leise das Rauschen des Meeres. Sonst ist es totenstill.

Ich bin in Ferring, einem kleinen Städtchen an der wilden Küste Westjütlands, das sich verschlafen an den Rand des Bovbjergs schmiegt. Mit stolzen 41 Metern ist der Bovbjerg die höchste Erhebung weit und breit. Ganz oben thront der mit 26 Metern eher gedrungen wirkende Leuchtturm Bovbjerg Fyr sowie ein Grabhügel aus der Bronzezeit.

Es ist Winter und in Ferring scheint alles Leben ausgestorben zu sein. Hinter den Fensterscheiben der wenigen Häuschen herrscht Dunkelheit, auf den Sträßchen gähnende Leere. Mag sein, dass es hier im Sommer höher her geht. Doch jetzt - Mitte Dezember - scheint nur unsere kleine Gruppe einen Hauch von Leben in das verschlafene Nest zu bringen.


Ferring im Nebel
Seit unserer Ankunft wabern dicke Nebelschwaden über das Dorf. Von der Sonne, die hier im Winter ohnehin nur sehr niedrig steht, ist nichts zu sehen. Die Tageszeit lässt sich nur an der Uhr ablesen; es herrscht ein undefinierbarer Dämmerzustand. Ferring erscheint wie eine Geisterstadt, in der das menschliche Leben den Dämonen des Meeres gewichen ist, die sich nun im Schutze des Nebels weiter in das Land vor der Küste wagen, als sonst. Die vielen Wracks, die tief im Sand der Nordsee begraben liegen, speisen sie mit Leben. Unzählige Schiffe haben zu früheren Zeiten bei dichtem Nebel oder Sturm Orientierung und Kontrolle verloren, sind havariert, gesunken und liegen seitdem auf dem Grund der Nordsee. Ähnlich einer Perlenschnur reihen sich die Wracks entlang der Westjütländischen Küste. Ungezählt sind die Opfer.

In Thorsminde, ein paar Kilometer weiter im Süden, gibt es eigens ein Museum für die düsteren Zeugnisse maritimer Tragödien. Ganz in der Nähe verunglückten am Heiligabend des Jahres 1811 zwei Schiffe der Royal Navy in einem schweren Orkan. 1.300 Besatzungsmitglieder der Schiffe Defence und St. George verloren ihr Leben in den Fluten der Nordsee, direkt in Sichtweite des Bovbjergs. Nur 18 Seeleute konnten sich an Land retten.

Im Nebel scheint es nun, als ob die ruhelosen Geister der Ertrunkenen noch immer umherirrten. Und wie zu ihrer stummen Begrüßung blicken die steinernen Figuren auf Jens Søndergards Garten geduldig über das Meer - zu jeder Tages- und Nachtzeit. Heute scheinen sie Erfolg zu haben. Im Zwielicht des dichten Nebels sind die Tragödien von damals präsenter denn je. Wenn es nicht mehr hell wird in Ferring, schleichen sich die Opfer der See unmerklich zwischen die Lebenden.

Im Nebel die Steilküste entlang


Strandzugang an der Steilküste
Ich habe mein Ziel noch kein einziges Mal gesehen. Obwohl der Leuchtturm Bovbjerg Fyr Ferring wie ein Wahrzeichen überragt, drang im Nebel nicht einmal nachts sein Licht zu uns vor. Vorbei an den düsteren Skulpturen des Expressionisten Søndergard wandere ich in Richtung Küstenweg, immer das nebelgedämpfte Rauschen der See in den Ohren. Langsam gewinnt die Küste an Höhe. Nach einem halben Kilometer markiert ein mit ödem Beton gepflasterter Parkplatz das Ende des befestigten Weges. Hier tummeln sich oft Modellflugzeug- und Gleitschirmflieger, habe ich gelesen, weil sich hier wegen der Aufwinde prächtig über die Steilküste fliegen lässt.

Hinter dem Parkplatz führt nur noch ein ausgetrampelter Pfad weiter. Ab und an führen lange Holzstiegen hinunter zum Strand, und manchmal tun sich tiefe Abbruchkanten auf, an denen der Pfad gefährlich nahe vorbeiführt. Schon lange habe ich Ferring verlassen. Doch wegen des Nebels gibt es keinen Hinweis darüber, wie weit es noch bis zum Leuchtturm ist. Nach einer halben Stunde schält sich ein seltsamer Umriss aus dem trüben Dunkel. Der Weg führt genau auf das unheimliche Objekt zu, das in seiner gedrungenen Form weder einem Haus noch einem anderen gewohnten Ding gleicht. Erst als ich direkt davon stehe erkenne ich, dass es sich um einen Bunker handelt. Die gesamte westjütländische Küste ist gespickt mit Überresten des Atlantikwalls, der im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Besatzern errichtet wurde, um eine britische Invasion zu verhindern. Seitdem verrotten unzählige Nazi-Betonbunker im Küstensand der Nordsee. Aber auch hier oben auf dem strategisch exponierten Bovbjerg befinden sich umfangreiche Befestigungsanlagen.


Bunker


Steilküste im Nebel

Vom Bovbjerg Fyr nach Trans


Bovbjerg Fyr
Ich verweile kurz am Bunker und folge danach wieder dem Pfad. Ganz langsam, fast schon behutsam, nehmen die fahlen Umrisse des Leuchtturms im Zwielicht des Nebels Gestalt an. Doch erst nachdem ich direkt davor stehe, kann ich die komplette Anlage auf dem Bovbjerg ausmachen. Der Leuchtturm selbst ist nur bescheidene 26 Meter hoch, doch zusammen mit der Höhe des Hügels erreicht er eine Feuerhöhe von 62 Metern - der höchsten Dänemarks. Das Ensemble besteht aus dem Leuchtturm und seinen zwei Wärterhäusern. Abgerundet wird es durch den markanten bronzezeitlichen Grabhügel Hesthøj, aus dem ein kleiner Obelisk ragt. Seiner Inschrift ist zu entnehmen, dass diesen Ort König Frederik VI besucht hat, um die Schäden beim Durchbruch der nördlich gelegenen Agger Tange zu besichtigen.

Oben auf dem Berg wirkt der Nebel ein wenig durchlässig. Es scheint, als versuche sich die Sonne durch die wenigen Lücken zu arbeiten. Hie und da lässt sich das Blau des Himmels erahnen, und beim Blick nach Nordwesten kann ich eine leichte Halo-Erscheinung ausmachen, die durch die Beugung des schwachen Sonnenlichts entlang der Nebelgrenze entstanden ist. Nur wenige Minuten später hat sich dieser Hauch von Helligkeit wieder verflüchtigt. Als ich in Richtung Trans weiterwandere, hat der dichte Nebel die Umgebung wieder in seinen festen Griff genommen.

Schwache Halo-Erscheinung


Der Weg zum südlich gelegenen Nachbarort ist diesmal betoniert. Das mag damit zu tun haben, dass dies der offizielle Zufahrtsweg zum Leuchtturm ist. Die Umgebung wird dadurch ein wenig eintönig und abwechslungsarm, zumal sich auch keine Ausblicke über die Steilküste mehr auftun. Nach anderthalb Kilometern taucht aus dem Nebel die weiße Kirche von Trans auf, die von einem kleinen Friedhof umsäumt ist. Sie wurde um 1200 errichtet und steht nicht allzu weit entfernt von der Abbruchkante der Steilküste.

Bei Trans klettere ich über eine lange Stiege zum Strand hinab. Zurück nach Ferring wandere ich diesmal über den feuchten Sand der Nordseeküste, der direkt am Wasser nur von den unzähligen Buhnen unterbrochen wird, an denen sich tosend die Wellen brechen. Einige Stunden später wandere ich in der Abenddämmerung erneut hoch zum Bovbjerg Fyr. Der Nebel hängt immer noch über der Landschaft, und als ich das Leuchtfeuer erreiche, ist es beinahe stockdunkel geworden. Auf meinem Heimweg huschen zuweilen flüchtige Schatten durch den fahlen Lichtkegel meiner Stirnlampe. Zuweilen fühlt es sich an, als sei ich bei aller Einsamkeit nicht alleine hier oben auf dem Bovbjerg. Die Dämonen der See mit all ihren verborgenen Wracks folgen mir auf Schritt und Tritt - erst der Glühwein mit reichlich Rum zurück im Ferienhäuschen kann sie schließlich auf Distanz halten.


Friedhof an der Kriche von Trans









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