Wintertour 2010 - oder gut gerutscht ist halb gereist (Februar 2010)

Vom Versuch einer Radreise bei Eis und Schnee

Kann man eine Radreise im Winter zum Nordkap unternehmen? Kapradler Frank Haake stellte diesen Frage eines Tages in den Raum und verwies darauf, dass das noch keiner gemacht habe und sicher eine interessantes Vorhaben sei. Nette Idee - doch angesichts der skandinavischen Schneemassen im Winter sicher nicht ohne weiteres durchführbar. Jedenfalls nicht ohne Spezialausrüstung und drahtseilhafte Nerven. Aber da Probieren schließlich über Studieren geht, mache ich mich auf kalte Tage gefasst und packe das Rad. Dabei kommt mir der lange schneereiche Winter ausnahmsweise gut gelegen, denn ein solches Ausmaß an skandinavischen Verhältnissen erlebt Norddeutschland nur selten.

Erste Etappe: Witzeeze. Dort befindet sich ein ganzjährig geöffneter Campingplatz, und mit knapp 60 Kilometern Entfernung sollte dieser auch bei schlechter Witterung gut zu erreichen sein. Denke ich zumindest, denn noch ist mir nicht bewusst, dass ich dort nie ankommen werde...


45 Minuten, um aus der Stadt zu kommen...


Lübeck, Ratzeburger Allee
Es kostet mich viel Zeit, das Lübecker Stadtgebiet zu verlassen - ganze 45 Minuten. Es ist Ende Februar und in den letzten Tagen hat es getaut. Wo bisher noch eine feste Schneedecke lag, brechen die Laufräder nun im knöcheltiefem Matsch ein. Das Hinterrad bricht beharrlich zur Seite aus. Mehr als in Schritttempo kann ich in solchen Situationen kaum fahren, ohne Stürze zu riskieren. Wenn das so weiter geht, komme ich nie ans Ziel. Also wechsele ich auf die saubere Fahrbahn und kann wieder kräftig in die Pedale treten. Es dauert keine Minute, bis es hinter mir böse hupt. Selbst jetzt, nach vielen Wochen Dauerwinter, gibt es noch verständislose Zeitgenossen, die meinen, die Fahrbahn gehöre nur Kraftfahrzeugen - übrigens ein weit verbreiteter Irrtum. Ich winke dem guten Mann in seiner warmen Karre einen netten Gruß hinterher. Möge er den Führerschein verlieren und fortan auf das Fahrrad angewiesen sein...

Der Radweg entlang der Ratzeburger Allee / B207 ist vorbildlich geräumt. Hier kann ich Kilometer machen und schnelkl aus der Stadt herauskommen. Allerdings bremsen kleinere Flächen Schneematsch immer wieder die Fahrt. Doch damit lässt sich leben, auch wenn ich stänig beschleunigen und abbremsen muss. Auch in Groß Grönau sorgen die Verhältnisse noch für zaghaften Optimismus, was sich am Ortsausgang jedoch rapide ändert. Da nur wichtige innerörtliche Radwege geräumt werden, beherrscht wieder grauer Matsch meine Spur - und zwar durchgehend. Zwar dürfte ich auch hier auf die Fahrbahn ausweichen, doch im Fall der stark befahrenen B207 ist mir das eindeutig zu riskant und ungemütlich. Also wird es Zeit für Plan B. Ich male mir aus, auf kleineren Landstraßen besser vorankommen zu können. Allerdings wird die Strecke damit auch länger, weil ich von der Diretissima abweichen muss.


So ist die Radlerwelt wieder in Ordnung
Bei Tüschenbeck verlasse ich also die B207 und radele ins Umland des Ratzeburger Sees, das nicht gerade arm an beachtlichen Hügeln ist. Auch die Lauenburgische Seenplatte wurde durch Jungmoränen der Weichseleiszeit gebildet und ist alles andere als flach. Ich begegne sogleich meinem ersten von vielen Anstiegen und arbeite mich den Nebenweg hinauf - wie so oft bei kräftigem Gegenwind. Dabei pflügen die Laufräder immer wieder durch den Schneematsch, denn auf dieser abgelegenen Straße gibt es nur eingeschränkten Winterdienst. Um voranzukommen, muss ich mich in der halbwegs sauberen Spur halten, die vom KFZ-Verkehr in den Schnee gedrückt wurde. Und das ist häufig ein Balanceakt, denn viel mehr als die Breite von Autoreifen bleibt mir nicht.

So arbeite ich mich mühsam voran. Schnell merke ich, dass die Auswahl gut beradelbarer Landstraßen beschränkt ist. Nur die stärker befahrenen sind frei von Schnee, die übrigen mehr oder weniger unpassierbar - jedenfalls für ein beladenes Reiserad. Das alles zwingt mich zu weiteren ungeplanten Umwegen, denn die geräumten Straßen führen nich immer in meine Idealrichtung. Nachdem ich mehrere Stunden gebraucht habe, um überhaupt in die Nähe Ratzeburgs zu kommen, dämmert mir langsam, dass ich mein Ziel wohl heute nicht mehr erreichen werde. Zumindest nicht bei Tageslicht.





Wo schlafen?


Matsche auf dem Radweg (Groß Sarau)
Es ist kein schönes Gefühl, seine Route nicht so legen zu können, wie man möchte. Immer wieder stehe vor lästigen Entscheidungen: wird die Straße gut passierbar sein oder soll ich besser einen Umweg in Kauf nehmen, dafür auf freiem Asphalt radeln können? So führt mich der Abstecher nach Tüschenbeck nach Groß Sarau an der B 207, wo ich kurz dvon überzeugen kann, dass auch hier der Radweg in einem bedauerlichem Zustand ist. Über einen fast schon grotesken Anstieg muss ich wieder ins Hinterland ausweichen und stehe in Klein Sarau wieder vor verschneiten Straßen. Im Zickzack-Kurs arbeite ich mich so durch die Landschaft.

Dass ich es nicht mehr bis Witzeeze schaffe, stellt mich vor ein weiteres Problem. Ganzjährig geöffnete Campingplätze gibt es nur wenige. Zwar könnte ich auch wild campen, halte es aber für kaum realistisch, in den dichtgeschneiten Wäldern einen geeigneten Platz auch nur erreichen zu können. Pension und Jugendherberge sind für einen eingefleischten Zelter ebenfalls keine Alternativen. Also greife ich zum Telefon und rufe Bekannte an, die in Mölln leben und dort einen Schrebergarten besitzen. Schnell ist alles geklärt, ich darf mein Zelt dort aufbauen - wobei "schnell" nicht ganz zutreffend ist, weil ich harte Überzeugungsarbeit leisten musste. Schließlich schläft nicht jeder gern im Winter im Zelt, auch wenn ihm ein warmes Gästebett angeboten wird. So baue ich am späten Nachmittag mein Zelt im tiefen Schnee ihrer Parzelle auf.

Auch das ist keine leichte Arbeit, besonders die Heringe lassen sich nur schwer im tief zugeschneiten Boden verankern. Weil die Zeltplane höher liegt, als der feste Boden unter dem Schnee, wird das Abspannenn schwierig. Drinnen liegt es sich auf dem plattgedrückten Schnee zwar ein wenig uneben, doch im Schlafsack ist es gemütlich und warm. Ein gutes Buch, ein leckeres Feierabendbier - und schnell schlummere ich dem nächsten Tag entgegen.

In der Nacht sind die Temperaturen gefallen. Auch im Zelt herrschen frostige -2 Grad, was nicht gerade zum Aufstehen motiviert. Der Zeltabbau nimmt nun mehr Zeit in Anspruch, als üblich. Durch die Kälte ist der angetaute Schnee gefroren und fest verharscht, so dass ich staksig umher stolpere und fär jeden Handgriff die doppelte Zeit benötige. Zudem lassen sich die Heringe nur mit einer Eisenstange wieder aus dem Boden ziehen. Schwierig ist auch das Beladen meines Rades. Sein Ständer findet keinen Halt im tiefen Schnee, so dass ich es gegen die Laube lehnen muss.







Wenigstens einmal um den See

Auch das Radeln ist auf dem gefrorenen Schneematsch kein Vergnügen. Was gestern nur bremste, gerät heute gern zur gefährlichen Rutschpartie. Stets muss ich auf der Hut sein und weiß nicht, ab die laufräder nur im Matsch einbrechen oder auf ihm ausrutschen. Über Schmilau fahre ich nach Ratzeburg, wobei es hier am wenigsten Probleme gibt. Die Straße ist gut gerämt, und der Verkehr hält sich weil Wochenende ist in Grenzen. In Ratzebrug verzichte auf einen Besuch der Inselstadt radele weiter nach Bäk, was nochmal einiges an Beinschmalz fordert. Nun bin auf der Ostseite des Ratzeburger Sees und kann kann ihn wenigstens einmal umrunden. Auf der Landstraße nach Utecht habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt, fast im Minutentakt vom Schnee ausgebremst zu werden. Ärgerlich ist es trotzdem.

Vorbei an Rotenhusen komme ich wieder auf die B207 und weiter nach Groß Grönau. Meinem ursprünglichen Plan zufolge wäre ich jetzt auf dem Weg nach Hamburg, was durchaus frustrierend ist. Weil eine Fahrt mit nur einer Übernachtung meiner Definition entsprechend keine Radreise, sondern nur eine etwas längere Tagestour ist, fahre ich nicht sofort nach Hause. Ganz in der Nähe befindet sich unser eigener Schrebergarten, und soo hänge ich noch eine Nacht im Zelt dran und verwandele diese Wintertour in eine Radreise - wenn auch nur in eine ganz, ganz kleine.

Habe ich nun kapituliert oder doch dem Winter getrotzt? Von meiner geplanten Route ist nur wenig übrig geblieben, denn mit so hartnäckigen Behinderungen hatte ich nicht gerechnet. Mit wird klar, dass eine Radreise im harten Winter anderen Gesetzen folgt. Denn wenn der jeweilige Zustand der Straßen Route und Tempo bestimmt, gibt es keine Gewissheiten mehr. Außer eben jener, dass man viel Zeit, Geduld und Nerven braucht.

Geduld und Nerven hätte ich, mit der Zeit sieht es da schon ganz anders aus - da ist meine Entscheidung jedenfalls keine Kapitulation. Zudem sollte diese Tour auch ein Test sein und dazu dienen, Erfahrungen mit wenig radreisefreundlichen Witterungsbedingungen zu sammeln. Letzteres ist mir gelungen; und so hat der lange Winter doch noch einen positiven Nebeneffekt gehabt.







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