Danzig, Gdynia, Sopot und polnische Befindlichkeiten

Weitere Fotos am Ende der Seite

Ankunft in Gdynia


Einfahrt in den Hafen von Gdynia
Ich stehe auf dem Deck der MS Finnlady und friere. Es ist früher Morgen, und die Fähre der finnischen Reederei tuckert langsam in den Hafen von Gdynia ein. Ein Wald von Kränen schält sich aus dem Nebel. Dahinter graue Plattenbauten aus vergangenen Tagen - eine Schönheit scheint das ehemalige Gdingen wahrlich nicht zu sein. Dennoch reicht sein eigentümlicher Charme bis hinauf auf das Außendeck. Gdynia ist so etwas wie der Hafen Danzigs, zweitgrößter Teil der sogenannten Trójmiasto, der "Dreistadt". Dabei handelt es sich um einen Ballungsraum aus den Städten Gdynia, Sopot und Gdańsk. Mit insgesamt ca. 800.000 Einwohnern bilden sie das wichtigste Wirtschafts- und Handelszentrum des südöstlichen Ostseeraumes.

Obwohl bereits im Jahre 1253 gegründet, ist Gdynia eine noch sehr junge Stadt. Ein nur scheinbarer Widerspruch, denn bis zum in den 1920er Jahre hinein war Gdynia ein kleines Fischernest in der nördlichen Kaschubei. Danach veränderte der Versailler Vertrag die Geschicke der Stadt grundlegend. Dieser garantierte Polen in seinem neu ausgehandelten Grenzentwurf einen Zugang zur Ostsee über den Danziger Hafen. Leider machte die überwiegend deutsche Bevölkerung des Freistaates Danzig diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung: Wo es ging, boykottierte man die Versailler Vereinbarungen. Der Danziger Hafen wurde so für den Umschlag polnischer Waren nutzlos. Im September 1922 beschloss das Polnische Parlament (Sejm), den Hafen im benachbarten Gdynia zu errichten. Damit wuchs die Bedeutung des kaschubischen Fischerdorfes sprunghaft an, ebenso wie seine Einwohnerzahl. Es avancierte seinerzeit zu einer der am schnellsten wachsenden Städte der Welt - einzig übertroffen von Chicago. 1930 zählte die Stadt bereits über 100.000 Einwohner, 1939 wurde sie von den Nazis okkupiert und in Gotenhafen umbenannt, im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges schließlich völlig zerstört.


Gdynia
Heute zählt Gdynia 251.400 Einwohner und stellt sich als moderne, wenn auch nicht besonders beschauliche Hafenstadt dar. Das braucht sie aber auch gar nicht, denn historisierende Beschaulichkeit gibt es im Nachbarort Danzig zur Genüge. Anstelle wiedererrichteter Altbauten zieht sich funktionale Plattenbauarchitektur die umliegenden Hänge hinauf. Östlich des Hafens ragen die 36-stöckigen Sea Towers 116 Meter in den Pommerschen Himmel und bilden ein weiteres städtebauliches Highlight. Hier wohnt es sich sicher nicht ganz billig, dafür aber mit bestem Meerblick. Keine Frage, Gdynia zählt zu den wohlhabendsten Städten ganz Polens.


Gdynia

Zwischen deutschem Heimweh und polnischer Trauer: Gdańsk 2010


Blick von der Mottlaubrücke in Richtung Krantor
Wir stehen an der Mottlaubrücke und genießen den Blick auf den Mottlaukai. Vorne dümpeln Ausflugsboote im Wasser, weiter hinten schält sich der schwarze Umriss des Krantors aus den Fassaden. Viel ist noch nicht los, und Stadtführerin Svetlana (Name geändert) meint, dass wir großes Glück hätten. Denn sonst sei diese Brücke wegen des famosen Altstadtblickes von Touristengruppen übervölkert. Nun bin ich Teil einer solchen, doch für einen ersten Besuch in der pommerschen Metropole mag das angehen.

Nicht nur über die Stadt wird sie uns viel berichten, auch über die aktuellen polnischen Befindlichkeiten. Und diese sind vor allem geprägt durch den Absturz einer mit hochrangigen Regierungsvertretern besetzten Maschine im russischen Smolensk. Alle 89 Passagiere kamen dabei ums Leben, unter anderem auch der polnische Staatspräsident Lech Kaczyński. Nun befindet sich das Land in einer Art Trauerparalyse, ist geschockt und beklagt die vielen prominenten Toten. Deren frühere Politik tritt dabei in den Hintergrund, scheint fast unangreifbar für Kritik zu werden.

Folgt man den Ausführungen unserer Stadtführerin, könnte man fast glauben, der Tod der überwiegend nationalkonservativen Politeliten habe das gesamte Land tief getroffen. Dabei war deren Politik heftig umstritten, und nicht jeder Pole dürfte die sentimentale Verklärung der Todesopfer mittragen. Denn seit dem die Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) im Jahre 2005 an die Macht kam, rückte die polnische Regierungspolitik ein gutes Stück in Richtung finsteres Mittelalter. Fortan dominierten reaktionäre Werte die Agenden, so etwa die Hatz auf alles Postkommunistische, Liberale und Antiklerikale. Auch Homosexuelle und Feministen wurden beschuldigt, die idealer Weise katholisch-konservative Moral der Gesellschaft zu untergraben. Eine "moralische Revolution" wurde gefordert, die Säuberung verantwortlicher Positionen von Kommunisten und "Vaterlandsverrätern", die Stärkung der Inneren und äußeren Sicherheit, die Schwächung des Parlaments sowie die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Mit seinem Rechtsruck steht Polen im Trend vieler ostmitteleuropäischer Staaten, die die politische Orientierungslücke zwischen autoritärem Sowjetkommunismus und neoliberalem Casinokapitalismus mit neotraditionalistisch-reaktionären Politikmustern auszufüllen versuchen. Symptomatisch hierfür ist der identitätsstiftende Rückgriff auf lokale Traditionen, die zunehmende Abschottung nach Außen und eine Rhetorik des "nationalen Interesses".


In der Heiligegeistgasse (ul. Św. Ducha)
Eine Rhetorik, die vor allem der ehemalige Staatspräsident und PiS-Mitbegründer Lech Kaczyński sehr gut beherrschte. Markige Worte waren sein Markenzeichen, und selbst im höchsten Staatsamt kamen ihm Begriffe wie "antipolnisch-zersetzend" über die Lippen. In simplem Schwarz-Weiß-Denken machte er den (philosophischen) Liberalismus für alle sittlichen Verwerfungen Polens verantwortlich. Die unabhängige und freie Presse war ihm ebenso ein Dorn im Auge, wie alle emanzipatorischen Bewegungen der Gesellschaft. In einer kaum noch grundlegenden demokratischen Werten verpflichteten Weise traten er und sein Zwillingsbruder für die geistig-moralische "Erneuerung" Polens ein. Gemeint war damit vor allem, Staatsapparat, Vorstandsetagen, Universitäten, Schulen und Redaktionen von Andersdenkenden zu säubern. Autoritäre Rückwärtsgewandtheit anstelle eines demokratischen Pluralismus. Und das mitten im Europa des 21sten Jahrhunderts.

Sein Zwillingsbruder und PiS-Chef Jarosław Kaczyński war mit erzkonservativen Verbalattacken nicht minder schüchtern und legte sich erst nach dem Flugzeugunglück einen etwas moderateren Kommunikationsstil zu. Die Wahl ins Präsidentenamt verfehlte er allerdings zugunsten von Bronislaw Komoroswki. Und das trotz der unverhohlenen Instrumentalisierung des tragischen Todes seines Zwillingsbruders.


In der Langgasse (ul.Długa)
Da ist es kein Wunder, dass eine derart reaktionäre Partei ihren besten Verbündeten in der katholischen Kirche gefunden hat - einer ebenso undemokratischen und von irrationalen Dogmen durchfurchten Institution. Zusammen mit dem fundamentalistischen Privatsender Radio Maryja betreibt man bis heute eine fruchtbare Kooperation in Sachen katholisch-konservativer Propaganda und geißelt eine gottlose Gesellschaft als das persönliche Werk des Teufels.

Da ist es schon ein wenig erstaunlich, dass unsere Stadtführerin keinen noch so leisen Ton über die Politik des beweinten Präsidenten verliert. Statt dessen verliert sie sich in personenbezogenen Sentimentalitäten. Sicher ahnt die hauptberufliche Deutschlehrerin, dass die deutsche Journalistengruppe durchaus kritische Einwände vorzubringen hätte. Denn auch angesichts eines tragischen Unglückes bleibt fragwürdige Politik eben fragwürdige Politik. Auch als ich sie unter vier Augen behutsam darauf anspreche, erklärt sie ausweichend und den Tränen nahe, dass die demente Mutter der Kaczyński-Bürder erst in diesen Tagen vom Tode ihres Sohnes Lech erfahren habe. Wegen ihrer Erkrankung habe sie beide Söhne nicht auseinanderhalten können....


Blick vom Frauentor in Richtung Marienkirche


Langer Markt, Blick zum Grünen Tor


Lange Gasse, Blick zum Goldenen Tor


Sopot
Besser nachzuvollziehen sind dagegen ihre Ausführungen zum Thema Heimwehtourismus. Als nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Konferenz von Jalta die Westverschiebung Polens beschlossen wurde, fielen die ehemals deutschen Gebiete südliches Ostpreußen, Schlesien, Hinterpommern, Neumark und Danzig in das neue polnische Staatsgebiet. Es begann die Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den deutschen Ostgebieten, während Hunderttausende Polen aus dem nun sowjetischen Osten in die neuen westlichen Landesteile zogen. Unzählige Menschen verloren bei ihrer Flucht über Land oder die Ostsee ihr Leben. Im Zuge von Vertreibung und Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurde deren Bevölkerung praktisch komplett ausgetauscht - ein in der Geschichte bislang einmaliger Vorgang.

Die unversöhnliche Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber war dabei durchaus verständlich. Wie kaum ein anderes Land musste Polen unter den Verbrechen der Nazidiktatur leiden. Deren Politik war es, die polnischen "Untermenschen" bei der Eroberung des "Lebensraumes im Osten" zu versklaven. Polen verlor schließlich mehr als die Hälfte seines Nationalvermögens und ein Fünftel seiner damaligen Bevölkerung.

Heute sind nicht wenige Touristen in Pommern sogenannte Heimwehtouristen, die jene Orte noch einmal besichtigen wollen, an denen sie aufgewachsen sind. Dass sie bei der Pflege sentimentaler Erinnerungen nicht immer positiv überrascht sind, liegt in der Natur der Sache. Manche davon, so erzählt uns Svetlana, besäßen den Habitus der unrechtmäßig Verjagten. Bei der polnischen Bevölkerung seien sie nicht besonders gerne gesehen, vor allem dann nicht, wenn sie mit wenig Demut und einer das-war-mal-alles-unseres-Attitüde aufträten.


Sopot, Ostseeblick von der Seebrücke
Vergangenheit ist Vergangenheit, und der aktuelle Zustand wäre ohne die menschenverachtende Aggressivität Nazideutschlands nicht denkbar. Heute noch die Gültigkeit der Oder-Neiße-Grenze in Abrede zu stellen, wie es der Bund der Vertriebenen unter Erika Steinbach tat, kann nur als Anachronismus der Unbelehrbaren angesehen werden (Auch Ex-Präsidentenkandidat Jochim Gauck argumentiert im Nachwort des Schwarzbuch Kommunismus von 1998 in ähnlicher Richtung: "Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten).
Wenigstens in dieser Hinsicht stimme ich mit Svetlana überein. Und das macht den Kopf wieder frei für die Schönheit des wiederaufgebauten Danzig. Nebenbei bemerkt, würde sich keine Pole an der Verwendung des deutschen Namens stören. Er stamme aus dem Mittelalter und sei legitim. Aber Gdynia als "Gotenhafen" zu titulieren, sei ein schlimmer Fauxpas. Und das ist mehr als verständlich.


Sopot, auf der Seebrücke

Fotoblock

Highslide-Galerie: Auf Bilder klicken und dann Navigationsleiste in der Großansicht nutzen!

Karten

  • Karte


Alle Inhalte © Frank Spatzier 2010