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Berliner Streifzüge 2, Oktober 2007

Spa(t)ziergänge drch die Hauptstadt, Abs.2 : Tiergarten, Kreuzberg

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Tiergarten: Rein in die gute Stube!


Skulptur am neuen Berliner Hauptbahnhof
Berlins "gute Stube" geht zurück auf die Jagdleidenschaft preußischer Regenten, die im umzäunten Gehege gute Jagdgründe vorfinden konnten, ohne weit ins Umland fahren müssen. Erst im 19ten Jahrhundert erfolgte eine schrittweise Umwidmung des weitläufigen Geländes in einen Erholungs- und Lustgarten, der heute die größte Parkanlage Berlins ist. Der nach dem großen Tiergarten benannte Stadtteil gehört zum Stadtbezirk Mitte und ist mit nur 12.500 Einwohnern vergleichsweise dünn besiedelt, da große Areale von Grünanlagen und Regierungseinrichtungen besetzt sind.

Wir beginnen unseren Streifzug am Berliner Hauptbahnhof, dem neugestalteten Lehrter Bahnhof. Lange besaß Berlin nur sechs einzelne Kopfbahnhöfe, aber keinen zentralen Hauptbahnhof. Das war mit dem Prestigedenken der Berliner Eliten sowie der Deutschen Bahn in der Euphorie der Nachwendezeit sowie auch im Hinblick auf die Fußball-WM 2006 nicht zu vereinbaren. Außer der Errichtung des modernen Bahnhofsgebäudes nach Plänen des Architekten Meinhard von Gerkan erforderte das komplette Projekt die Neuorganisation des Schienen-Nahverkehrskonzepts der Stadt. Das inoffizielle Motto lautete "Klotzen statt Kleckern". Die Baukosten des Gebäudes verschlangen eine ganze Milliarde Euro, die damit verbundenen direkten verkehrstechnischen Maßnahmen nochmals über drei Milliarden Euro. Zusammen mit allen indirekten Kosten überschreitet das Projekt locker die Zehn-Millarden Grenze, was in Zeiten des von oben angeordneten Sozialabbaus wie blanker Hohn wirkt.

Über die Invalidenstraße wandern wir zum Hamburger Bahnhof, dessen 1845 erbautes Gebäude das älteste Bahnhofsgebäude Berlins ist, aber schon seit über hundert Jahren nicht mehr dem Schienenverkehr dient. Statt dessen beherbergt das klassizistische Gebäude das Museum für Gegenwart und in seinem Ostflügel ein überschätztes Schickimicki-Restaurant, in das wir uns zum Frühstücken setzen.


Teile der Hinterlandmauer auf dem Invalidenfriedhof
Mit gefülltem Magen geht es vorbei am Bundeswehrkrankenhaus über die Scharnhorststraße zum Invalidenfriedhof. Im 19ten Jahrhundert mauserte sich dieser zu einer Art guten Stube für Tote, die sich vor allem bei Angehörigen Berliner Militärs und ihren Familien großer Beliebtheit erfreute. Im Dritten Reich wurden hier neben Wehrmachts- auch NS-Größen verscharrt, von denen Gestapochef Reinhard Heydrich wohl der prominenteste Vertreter sein dürfte. Zu Zeiten der DDR hatte der Invalidenfriedhof das Pech, mitten im Grenzgebiet zu liegen. Quer durch das Gräberfeld wurde die Hinterlandmauer verlegt, von der heute noch einige Teile als Denkmal zu bewundern sind. So holten einige Nazi-Schergen die indirekten Folgen ihrer verfehlten Politik zumindest in der Weise ein, indem eine Grenzmauer über ihre Totenschädel gezogen wurde.

Vorbei an den kamerabewährten Zäunen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie geht es entlang des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals wieder zurück zur Invalidenstraße. Die Sonne scheint und der Tag entwickelt sich zu einem vorbildlichen Vertreter des goldenen Oktobers - ideal einen Besuch des Hauses der Kulturen der Welt.


Haus der Kulturen der Welt
Auf der weiten Rasenflächen in unmittelbarer Nähe zu Reichtag und Bundeskanzleramt, etwa dort, wo einst die Krolloper stand, errichtete man auf einem Schutthügel in den Nachkriegsjahren eine repräsentative Kongresshalle. Der von Hugh Stubbins entworfene und 1957 errichtete Bau besteht aus zwei von einander unabhängigen Elementen, nämlich einem für sich geschlossenen Gebäude und einer kühn darüber geschwungenen Betonschale als Dach. Aus Sicherheitsgründen verzichtete man auf eine freischwebende Bauweise des muschelförmigen Daches und stütze es durch einen von außen nicht sichtbaren Betonkragen ab. Dennoch führten Spannungen innerhalb der Bausubstanz am 21. Mai 1980 zum Einsturz eines Teils des südlichen Daches, wobei ein Journalist ums Leben kam. In den Folgejahren stabilisierte man das labile Dach mit zusätzlichen Säulen aus Stahlbeton. 1989 schließlich benannte man die Kongresshalle in Ermangelung eines alternativen Nutzungskonzepts in Haus der Kulturen der Welt um. Seit dem dient sie schwerpunktmäßig der Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen.


Fassadenloch im Bundeskanzleramt
In einem Nebenraum im Inneren findet gerade irgendeine Ausstellung statt, doch der Hauptsaal ist frei zugänglich. Außer vereinzelten künstlerischen Installationen herrscht hier vor allem gediegene Leere. Im Untergeschoss befindet sich ein Buchladen, der unter anderem Werke über außereuropäische Kunst führt. Wieder draußen, haben wir von der Südseite der Terrasse einen guten Blick auf Spree und das gigantische Bundeskanzleramt. Es zählt zu den größten Regierungsleitgebäuden der Welt und geht zurück auf gigantomanische Planungen unter Kanzler Helmut Kohl, der sich in der Nachwendeeuphorie wohl gerne ein angemessen repräsentatives Hauptquartier um Leib und Birne schneidern lassen wollte. Das postmoderne, von den Architekten Axel Schultes und Chralotte Frank entworfene Gebäude ist wesentlicher Teil des "Bandes des Bundes", das als Gebäudegruppe Ausdruck der städtebaulichen Neugestaltung des Berliner Regierungsviertels ist. Ungeachtet etwaiger architektonischer Finessen und verborgener Symbolismen wird das Bundeskanzleramt angesichts seiner kreisförmigen Fassadenelemente von der Berlinern gerne "Waschmaschine" genannt. Sehr augenfällig ist auch ein 18 Meter durchmessendes Loch in der westlichen Fassade, das wohl den Durchblick des Kanzlers symbolisieren soll. Vereinzelt wird der Bau auch "Kohllosseum" betitelt.


Blick von der Siegessäule auf die Straße des 17. Juni und den Ostteil der Stadt
Unsere nächste Station ist die Siegessäule, die in der Mitte des Großen Sterns ganze 66 Meter in den Berliner Himmel aufragt. An diesem zentralen Kreisverkehr treffen sich eine Handvoll wichtiger Straßen, allen voran die Straße des 17. Juni, die aufgrund ihrer enormen Breite den Tiergarten in zwei Hälften teilt. Die ehemalige Charlottenburger Chaussee wurde von den Nazis auf stolze 53 Meter verbreitert, um der geplanten Welthauptstadt Germania eine würdige Prachtstraße zu verleihen. Zum 50. Geburtstag Hitlers setzte man der ausgebauten Ost-West-Achse die Krone auf, indem man die Siegessäule vom Vorplatz des Reichstages auf den Großen Stern verfrachten ließ. Bei ihr handelt es sich um ein Denkmal der deutschen Einigungskriege, was am Historienfries am Säulenrundbau gut zu erkennen ist. Hier posieren heroische Kämpfer in einer vor Pathos nur so triefenden Darstellung der Einigung Deutschlands nach dem Sieg 1870/71.

Wir erreichen die Säule über einen Tunnel unter dem Kreisverkehr und zahlen zwei Euro Eintritt. In der Basis der Säule befindet sich eine trostlose Ausstellung von Modellen hauptstädtischer Wahrzeichen aus aller Welt, die wir gelangweilt betrachten. Anschließend nehmen wir die 285 Stufen in Angriff, die uns bis auf die Aussichtsplattform in 48 Metern Höhe bringen. Von hier bietet sich ein prächtiger Rundumblick über Berlin, der nur durch die leichte Überfüllung der Plattform ein wenig getrübt wird. Wieder unten, überqueren wir in einem gezielten Spurt alle sieben Spuren des Kreisverkehrs und machen uns zu Fuß auf zum Bauhaus-Archiv.


Auch die Konservativen richten Kameras auf den Gehweg vor ihrem Haupt-Stall, dem Konrad-Adenauer-Haus
Nach wenigen Gehminuten erreichen wir das Klingelhöfer-Dreieck, das mit seinen ambitionierten Repräsentativbauten eine hohe architektonische Dichte aufweist. Besonders ins Auge sticht das Ensemble der Botschaften der nordischen Länder, das von skandinavischen Architekten errichtet wurde und mit seinen grün patinierten Kupferlamellen und Wasserspielen einen interessanten Blickfang ergibt. Kaum hundert Schritte weiter ragt die gläserne Fassade des Konrad-Adenauer-Hauses auf, dem Sitz der CDU-Zentrale. Unterhalb der roten Lettern des Parteikürzels späht eine Kamera auf den Gehweg, also in den öffentlichen Raum, und verletzt somit die Bürgerrechte der Passanten. Überhaupt ist die Anzahl der nach draußen gerichteten Kameras in diesem Viertel erstaunlich hoch. Nicht nur die zahlreichen Botschaften und Parteizentralen spähen misstrauisch ins Öffentliche, sondern auch Unternehmen wie etwa die KPMG, die gleich gegenüber der CDU-Zentrale mit ihrem Hauptsitz Nähe zum politischen Zentrum Berlins demonstrieren will.

Ein paar Schritte weiter, und wir stehen endlich vor dem Bauhaus-Archiv. Hier werden Exponate und Artefakte gesammelt und ausgestellt, die die Design- und Architekturschule des Bauhauses dokumentieren. Der Eintritt ist frei, doch leider weist man uns auf den ersten Metern darauf hin, dass Fotografieren aus urheberrechtlichen Gründen verboten sei. Trotzdem beeindruckt uns die Sammlung enorm. Auch kann man Gebrauchsgegenstände im Bauhaus-Stil kaufen, nur hält uns die nach oben hin offene und nach unten hin vorzeitig geschlossene Preisskala davon ab. Leider.

Kreuzberg


Seitenstraße in der Nähe des Kottbusser Tors, Blick auf den Gebäudekomplex Zentrum Kreuzberg
Überquert man die Spree von der Friedrichshainer Seite aus nach Südwesten, findet man sich kurzerhand in Kreuzberg wieder. Man kann die Warschauer Straße aus Richtung Karl-Marx-Allee bis zur markanten Oberbaumbrücke herunterflanieren und anschließend vorbei am Schlesischen Tor und Görlitzer Bahnhof zum Kottbusser Tor, mitten hinein nach SO 36 wandern. Kreuzberg ist zweigeteilt, einmal in den ehemaligen Postbezirk Süd-Ost (SO) 36 und in SO61, den flächenmäßig größeren Teil. SO36 war früher zu drei Seiten von der Mauer umschlossen und führte eine Art Exklavendasein. Es entwickelte sich eine spezifische Subkultur, die von einer hohen Migrantenquote, alternativen urbanen Lebensformen und städtebaulichen Fehlplanungen geprägt wurde. Heute ist besonders die Gegend um das Kottbusser Tor von einer florierenden Kleinkriminalität geprägt; ebenso ist sie Austragungsort oft gewalttätiger Maidemonstrationen (siehe Berliner Streifzüge 1).

So erlebt auch der weniger aufmerksame Berlinwanderer, dass sich das Umfeld gleich nach dem Überqueren der Spree auffällig ändert. Und je weiter er zum Kottbusser Tor vordringt, desto augenfälliger wird die Veränderung. In den Seitenstraßen stehen zuweilen Grüppchen jüngerer Leute herum, und es kann vorkommen, dass man im Vorbeigehen Fragen zugeraunt bekommt, in denen Begriffe wie "Crack", oder "was zu Rauchen" vorkommen. Ein ähnliches Szenario also, wie in den Seitenstraßen um die Frankfurter Konstablerwache.


Kulturfabrik an der Spree
Das andere Gesicht Kreuzbergs schließt nahezu übergangslos an die Schmuddelecke an. In der Nähe des Spreeufers finden sich viele Kultureinrichtungen, Restaurants, Kneipen, Cafés - kurzum alles, was man als aufgeschlossener Mensch in einer Großstadt braucht und sucht. Die Dichte der Läden und Kneipen ist angenehm hoch, ebenso findet man hier in aller Regel noch richtige lokale Händler und nicht die ewigen Filialisten, die mittlerweile jedem Großstadtzentrum auf dem Globus ein immer einheitlicheres Gesicht verpassen. Da es sich in einer solchen Atmosphäre prima leben lässt, haben sich hier auch bessersituierte Menschen aus den oberen Bildungsschichten niedergelassen. Loft-Häuser und Designerwohnungen in alten Lagerhäusern an der Spree zeugen davon, wie auch der Chic Einzug nach Kreuzberg hält.


Axel-Springer-Haus
Ein wiederum anderes Gesicht zeigt Kreuzberg im alten Zeitungsviertel. Nicht mehr viel erinnert an die gewaltige Dichte und Vielfalt der Verlage und Druckhäuser, die hier vor Krieg und NS-Zeit ihr zuhause hatten. Noch 1932 erschienen hier 32 Zeitungen, zudem hatten viele Nachrichtenagenturen hier ihren Sitz. Am 3. Februar 1942 legten schließlich 1000 amerikanische Bomber das Viertel in Schutt und Asche, so dass von der alten Bausubstanz nicht mehr viel übrig ist. Auch die einstige Verlagsdichte wurde nicht einmal mehr annäherungsweise erreicht.

Heute wird das Viertel auch in architektonischer Hinsicht von Axel-Springer-Verlag dominiert, der hier sein markantes Verlagsgebäude errichtet hat. Zu Zeiten der DDR stand es direkt an der Mauer und unterstrich so Springers politische Einigungsambitionen. In ökonomischer Hinsicht gelang Springer, vor allem mit den Blättern Bild und BZ (Berliner Zeitung), eine Quasi-Monopolisierung des Zeitungsmarktes. Wie auch heute noch, wurden die Massenmedien zur gezielten politischen Beeinflussung eingesetzt, was im April 1968 zu Protesten der Außerparlamentarischen Opposition führte. Diese machten die ausgesprochen tendenziöse Berichterstattung der Bild-Zeitung für den Mordanschlag auf Rudi Dutschke mitverantwortlich. So kam es zu Demonstrationen in Kochstraße und ebenso zu Zusammenstößen mit der Polizei, als aufgebrachte Studenten die Auslieferung von Springer-Blättern zu verhindern versuchten. Selbst der (zumindest heute) eher opportunistische Bänkelsänger Wolf Biermann ließ sich damals zu der Aussage hinreißen, die erste Kugel auf Dutschke käme aus Springers Zeitungswald.


Das GSW-Verwaltungsgebäude steht auf der Stelle des 1945 zerstörten Ullstein-Gebäudes
Exakt 28 Jahre nach dem Attentat auf Rudi Dutschke benannte der Berliner Senat den oberen Teil der Lindenstraße in Axel-Springer-Straße um - ungeachtet der Proteste der Bezirke Mitte und Kreuzberg. Dem aufmerksamen Beobachter fällt die Eulenskulptur auf, die vor dem Springer-Gebäude aufgestellt ist. Sie ist das Firmenemblem des Ullstein-Verlages, der Springer den Einstieg ins Berliner Zeitungsgeschäft ermöglicht hat. Ullstein brachte 1904 mit der "BZ am Mittag" die erste Boulevardzeitung überhaupt auf den Markt. Auch die Berliner Morgenpost stammt aus dem Hause Ullstein und war in den zwanziger Jahren die auflagenstärkste Zeitung Berlins. 1967 schluckte Springer, bis dato nur Minderheitsaktionär bei Ullstein, den kompletten Verlag und mit ihm die erfolgreichen Blätter. 1979 zog mit der taz ein kleines Gegengewicht zum Springer-Monopol ins alte Zeitungsviertel ein. Die alternative Tageszeitung hat in der Kochstraße 18 ihren Sitz, dem Rudi-Dutschke-Haus. Auf einer Gedenktafel am Hauseingang steht folgender Text: "Mehrere tausend Menschen versuchten die Auslieferung jener Tageszeitungen zu verhindern, in denen die Bewegung und die Person Rudi Dutschkes denunziert wurden. Aus der Einsicht in die Notwendigkeit einer alternativen Öffentlichkeit entstand 1979 die "tageszeitung.".

Ansonsten wechseln sich im alten Zeitungsviertel klobige Neubauten mit gelegentlichen Brachflächen ab, auf denen Obstbäume und Unkraut sprießen. Von der Kochstraße erreicht man nach wenigen Schritten die Friedrichstraße und dann den ehemaligen Grenzübergang Checkpoint-Charlie. Heute verlässt man durch ihn statt verfeindeter Machtblöcke nur Kreuzberg in Richtung Mitte. Die Hochhäuser der umgestalteten Leipziger Straße weisen den Weg.









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