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Costa Rica, Abschnitt 4: Dschungeltrekking im Parque Nacional Corcovado

Das Vorhaben: Mehrtägiges Dschungeltrekking im tropischen Regenwald

In aller Regel ist es so wenig möglich wie empfehlenswert, sich auf eigene Faust und ohne Führer durch weite Dschungelgebiete durchzuschlagen - jedenfalls solange man noch kein routinierter Überlebenskünstler ist. Der Parque Nacional Corcovado ist der zweitgrößte Nationalpark Costa Ricas und bietet als einziges uns bekanntes Dschungelgebiet überhaupt die Möglichkeit, ohne Führer und bei verantwortbarem Risiko in mehrtägigen Wanderungen durchquert zu werden. Dies ist deshalb machbar, weil er zum einen von markierten Trails durchzogen ist und es zum anderen mehrere Ranger-Stationen gibt, in denen übernachtet werden muss und an denen man sich an- und abzumelden hat. Geht man verloren, werden irgendwann Suchtrupps losgeschickt. Da der Park abgelegen auf der Halbinsel Osa liegt und nicht leicht zu erreichen ist, wird er zudem von den Touristenströmen gemieden und führt ein ruhiges Dasein am Rande des Landes. Da nur eine begrenzte Anzahl von Besuchern hineingelassen wird und der Besuch der Ranger-Stationen, wo es auch Verpflegung gibt, Geld kostet, muss man sein Vorhaben frühzeitig bei der Parkverwaltung anmelden.

Die Reiseliteratur beurteilt die Gefährlichkeit eines ungeführten Dschungeltrekkings unterschiedlich. Während die einen von prinzipiell guter Machbarkeit (Reise Know-How) sprechen, warnen andere eindringlich vor den Gefahren (Lonely Planet). Generell ist eine gute Kondition notwendig, da man im Falle eines mehrtägigen Treks schwere Rucksäcke bei kräfteraubendem Tropenklima durch z.T. steiles und unwegsames Gelände schleppen muss. Da streckenweise die Gezeiten beachtet werden müssen, kann zudem Trödeln zum Ärger- oder gar Verhängnis werden. Man muss Massen an Trinkwasser zu sich nehmen und kann sich wegen der zuweilen überwucherten und schlecht markierten Trails im Nirgendwo verlaufen. Während dies alles kalkulierbare Risiken sind, die man gut abschätzen kann, lauern im Wald aber noch weniger gut kontrollierbare Gefahren in Form bestimmter Mitglieder der hiesigen Fauna. Die Parkverwaltung selbst warnt hier vor folgenden Gefahren:

Flußüberquerungen: Flüsse müssen überquert werden, was oft nur bei Niedrigwasser möglich ist. Bei Hochwasser warten Haie und Krokodile.

Peccaries (wildschweinartige Viecher): Die Tiere erscheinen meist in großen Gruppen und greifen an, wenn sie sich bedroht fühlen. Dann hilft nur die Flucht auf einen Baum.

Schlangen: Fliehen zumeist schnell, beißen aber womöglich, falls sie es mal nicht schaffen.

Afrikanische Bienen: Eine durch Kreuzung entstandene Art, deren Verteidigungsstrategie der kompromisslose Angriff ist. Opfer werden gnadenlos verfolgt; selbst beim Abtauchen in Wasser wird geduldig bis zum Luftholen gewartet.


Die Route:

Wir haben uns für die "klassische Route" entschieden, deren Ausgangspunkt die Ranger-Station La Leona sein sollte. Hier sollte nach der Anreise aus Golfito ein erstes Mal übernachtet werden. Weiter sollte es zur Station Sirena gehen, wo wir drei Tage zum Erkunden der Gegend bleiben wollten. Der Weg dahin führt im wesentlichen entlang der Pazifikküste und hat eine Länge von etwa 16 km. Nach dem Aufenthalt in Sirena sollte der Corcovado in fast seiner gesamten Breite bis zur Station Los Patos durchquert werden (20 km, z.T. steiles Gelände). Nach einer letzten Übernachtung in Los Patos wollten wir in die Ortschaft Palma wandern (20 km) und von dort irgendwie zurück nach Golfito kommen.

Die beschwerliche Anreise: Golfito - Puerto Jiménez - Carate - La Leona


Ankunft in Carate. Im Hintergrund die Allrad-Prtschenwagen.
Obwohl der Parkeingang bei La Leona nur 70 Luftlinien-Kilometer von Golfito entfernt liegt, dauert die Anreise einen ganzen Tag. Diese Unbequemlichkeit hat aber den vorteilhaften Nebeneffekt, dass der Corcovado nicht auf dem Reiseplan der meisten Touristen steht. Mit dem Linienboot überquerten wir am Morgen den Golfo Dulce und kamen 45 Minuten später in Puerto Jiménez auf der Halbinsel Osa an. Das kleine Städtchen ist Hauptort der Halbinsel und besteht hauptsächlich aus ungeteerten Gassen und ein paar Häusern, die in der tropischen Sonne dahindösen. Gleich nach der Ankunft am Hafen galt es, den Abfahrtsort der Allradwagen ausfindig zu machen, die nach Carate fahren. Wir hatten keine Ahnung, wohin wir gehen mussten und fragten einen Mann mit Jeep, ob er uns nicht für ein paar Colones dorthin bringen könnte. In Costa Rica ist die Unterscheidung zwischen offiziellen und "inoffiziell-privaten" Taxen oft nicht eindeutig; sprich, viele KFZ-Besitzer stellen ihr Gefährt auch spontan gegen Bezahlung für Beförderungszwecke zur Verfügung. Damit haben wir im Übrigen immer gute Erfahrungen gemacht, obwohl man damit in größeren Städten eher vorsichtig sein sollte. Der Mann also fuhr uns zu einem Kiosk, der gleichzeitig die gesuchte Abfahrtstelle war. Zur Feier des Tages tranken wir ein kühles Bier, während wir auf die Fahrer warteten.


Sinnlicher Sonnenuntergang an der Küste vor dem Parkeingang La Leona
Ein wenig später erschienen die Allrad-Pritschenwagen und los ging die Reise über den steinigen Feldweg nach Carate. Weil die Straße äußerst uneben war und der Wagen kaum gefedert, wurden wir gehörig durchgeschüttelt. Zwei Stunden später erreichten wir Carate, das mehr eine Ansammlung von Hotels als eine Siedlung darstellte. Die Halbinsel Osa schien in dieser Gegend bevorzugtes Domizil betuchter US-Amerikaner zu sein, die aber zum Glück für alle kaum vorzuhaben schienen, den Corcovado zu erwandern.

An einer schäbigen Bar stiegen wir aus und tranken ein letztes kühles Bier am Außenposten der Zivilisation. Anschließend zogen wir uns die Rucksäcke über und marschierten, lange 6 km immer am Strand entlang, zum Parkeingang La Leona. Als wir ankamen dämmerte es bereits gehörig, denn in Äquatornähe versinkt die Sonne pünktlich gegen 6 Uhr abends - Tag für Tag. Claudia sprach geduldig bei der angestellten Rangerin vor. Und tatsächlich war unsere in Deutschland getätigte Trekkinganmeldung in ihren Unterlagen gelandet, so dass wir die begehrten Eintrittskarten in die grüne Hölle ausgehändigt bekamen. Danach bauten wir das Zelt auf und tranken etwas nicaraguanischen Rum vor einem Sonnenuntergang, der an klischeehafter Romantik kaum mehr zu übertreffen gewesen wäre. Nach Einbruch der Dunkelheit verschwanden wir im Zelt und versuchten zu schlafen.
Das ungewohnt laute Rauschen des Pazifiks erschwerte das Einschlafen ein wenig, aber kleine Ohrenstöpsel sorgten für Abhilfe. Als am sehr frühen Morgen ein tropischer Regenguss auf die Zeltplane trommelte, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Als es aufhörte zu regnen, packten wir unsere Siebensachen und gingen zeitgleich mit dem Sonnenaufgang um kurz vor sechs Uhr los nach Siena.

Der Küstenweg nach Sirena


Spuren zweier Wanderer auf dem Weg nach Sirena
Von den 16 Kilometern zwischen La Leona und Sirena gibt es kaum Fotos. Vor lauter Qual und Beschäftigung mit unserer Pein haben wir nicht mehr daran gedacht, die Wanderung zu dokumentieren. Dabei fing alles recht gut an. Nach dem frühen Aufbruch aus La Leona ging es am Strand entlang zur Mündung des Rio Madrigal, die bei Niedrigwasser kein Problem darstellte. Allerdings ließen uns die Auswaschungen im Sand erahnen, wie hoch das Wasser bei Flut stehen würde. Angesichts der Krokodile und Haie wäre dann eine Zwangspause bis zur Ebbe angesagt.

Die Route führte weiter entlang des Strandes, wo das Wandern im nachgiebigen Sand nicht gerade angenehm ausfiel. Obwohl es bereits am frühen Morgen ziemlich schwül gewesen war, stiegen Temperatur und Luftfeuchte im Laufe des Vormittags rapide an und der Schweiß begann zu fließen. Bei fast jeder Flussmündung zogen wir uns aus und badeten. Es machte keinen Unterschied mehr, ob wir nass in die Klamotten stiegen, denn die waren sowieso durchnässt und in der feuchten Hitze spielte das eh keine Rolle mehr. So wanderten wir und wanderten. Ab und an mussten wir einige Kilometer im Wald zurücklegen, bevor der Weg wieder an den Strand führte, der mit der Zeit immer felsiger wurde und unseren geschundenen Körpern leichte Kletterleistungen abverlangte. An diesen Stellen hätte man bei Hochwasser Probleme bekommen, da die See dann bis an den Waldsaum herangereicht hätte. Von Zeit zu Zeit trafen wir vereinzelte Wanderer, die aus Sirena kamen und Richtung La Leona liefen. Auf unserer Frage, wie weit es denn noch sei, erhielten wir stets die gleiche Antwort: drei Stunden. Sehr beruhigend.


Pazifikküste im Morgendunst
Noch vielen Stunden der Wanderung hatten wir die Wahl, entweder am Strand oder durch den Hain von Kokospalmen zu gehen. In unserer Erschöpfung zogen wir die Risiko herabfallender Nüsse dem nachgiebigen Strandboden vor. Am Ende der Etappe galt es schließlich, den Rio Claro zu durchqueren, der auch bei Niedrigwasser beachtliche Ausmaße aufweist. Wir mussten angestrengt nach der Furt suchen und wateten dann durch den Fluss.

Von da an war es nicht mehr weit bis zu jener Schneise mitten im Urwald, an deren Kopf die recht große Rangerstation Sirena liegt. Die Schneise dient als Landepiste für Flugzeuge, die gelegentlich zur Versorgung der Stationen anlanden oder, was wir während unseres Aufenthalts an der Station mit einer gehörigen Portion Geringschätzung feststellen mussten, US-amerikanische College-Schüler anfliegen, die sich den Fußmarsch durch den Wald sparen wollen. Die Station an sich bestand aus mehreren Holzgebäuden, die auf Pfählen standen und Schlaf- und Waschräume, Speisesaal sowie Büros beinhalteten. Auf einem überdachten Holzboden konnte man seine Zelte ohne Außenhüllen aufbauen, um im luftigen Innenzelt angenehmer schlafen zu können. Da hier aber bereits viele Zelte standen und wir außerdem lieber für uns bleiben wollten, bauten wir unsere Behausung auf dem Rasen draußen auf. Anschließend ruhten wir uns von den Strapazen aus, aßen ausgiebig und wuschen unsere durchgeschwitzten Klamotten.


Der Rio Claro

Erkundungen rund um Sirena


Krokodil im Rio Pava
Der Abend nach der Ankunft aus La Leona war der Entspannung und Rekonvaleszenz gewidmet. Zu Bett gingen wir zur tropenüblichen Zeit, nämlich nicht sehr lange nach Sonnenuntergang um sechs Uhr abends. Überhaupt stellten wir fest, dass sich unser Schlaf-Wach-Rhythmus besonders im Dschungel eng an die Tageszeiten anpasste. An Schlaf war aber zunächst kaum zu denken, weil wir im Zelt schwitzten wie die Hunde. Wir lechzten nach jedem noch so leisen Hauch Luft, der irgendwie den Weg ins Innenzelt fand. Ich lag auf dem Rücken und las ein Buch, während sich auf meinem Bauch kleine Pfützen aus Schweiß bildeten. Sobald sie voll waren oder ich mich bewegte, rann ihr Inhalt auf die Isomatte.

So dösten wir vor uns hin, bis uns ein mächtiges Tropengewitter ins Freie trieb, da ein Zelt, zumindest wenn es nicht komplett im Wald steht, durch seine Stangen ein lohnenswertes Ziel für Blitze sein kann. Nach dem Inferno bezogen wir wieder unser Quartier und mussten feststellen, dass sich die Luft nicht ein bisschen abgekühlt, die Feuchtigkeit nicht ein Quäntchen verringert hatte. So lagen wir wieder und schwitzten, bis uns die zarte Hand des Schlafes sanft in das Land der Träume geleitete.Am Tag darauf standen Erkundungen rund um die Station Sirena an. Es gab eine Reihe von Trails, über die man die nähere Umgebung erwandern konnte. Mit leichtem Gepäck ging es zunächst los zum Rio Claro, den wir einmal in voller Pracht bei Flut sehen wollten. Außerdem hofften wir, bei dieser Gelegenheit einige jener Krokodile und Haie zu Gesicht zu bekommen, die das Überqueren des Flusses bei Flut zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit machen sollen. Als wir ihn erreichten, war bereits volles Hochwasser und an ein Herankommen an den Flusses nicht zu denken. Die braune Brühe reichte bis an den dichten Waldsaum und auch vom Strand her sah die Situation kaum besser aus. Jedenfalls erlebten wir auf diese Weise, wie stark ein solcher Fluss bei Flut anschwillen kann.

Wellen aus dem Meer pflanzen sich bei Flut in Flüssen recht weit in das Dschungelinnere fort
Anschließend wanderten wir zurück und weiter zum Rio Pava, der westlich von Sirena ins Meer mündet. Der Pava ist auch bei Ebbe nicht ohne Boot zu überqueren und ein beliebtes Tummelfeld für Krokodile und Haie. Über einen glitschigen Trampelpfad erreichten wir den Fluss und fanden auch schnell eine geeignete Aussichtsstelle. Angestrengt spähten wir auf das trübe Wasser, immer in der Hoffnung, ein Exemplar dieser Viecher zu finden. Nach einiger Zeit, als uns schon fast die Augen schmerzten, tauchte der Kopf eines Krokodils aus der Wasseroberfläche. Das Tier war von imposanter Größe und verharrte faul und träge an dieser einen Stelle. Wir konnten im flachen Ufer bis auf wenige Meter an das Reptil heranschleichen, obwohl das, wie wir später hörten, nicht unbedingt ungefährlich ist. Dieses spezielle Exemplar aber war zu träge für einen Angriff, was man ihm durchaus ansah. Nach einigen Minuten tauchte es ab und verschwand. Wir blieben noch eine Weile, aber erspähten keine nennenswerte exotische Kreatur mehr.


Grünes und unüberwindliches Dickicht
Am Tag darauf unternahmen wir einige Rundwanderungen um die Station Sirena. Eigentlich wollten wir die Laguna Corcovado besichtigen, eine Mischung aus flachem See und Sumpfgebiet inmitten des Dschungels. Auf den zuweilen schlecht markierten Pfaden fanden wir aber keinen Zugang und wurden so schon einmal ein wenig darauf vorbereitet, was uns am nächsten Tag auf der Wanderung nach Los Patos erwarten sollte. Trails im Dschungel sind naturgemäß keine markierten und bequemen Wanderwege. Markerungen sind selten und manchmal ist der Weg selbst kaum mehr als solcher auszumachen. Der Boden ist nichts als Matsch und häufig sind Bäche und Flüsse zu überschreiten. Über alledem wabert eine feuchtheiße Luft, in der jede Anstrengung sofort in Schweiß transformiert wird.

Wieder zurück am Zelt pflegten wir unsere Ausrüstung und bereiteten uns auf die kommende Wanderung vor. Der Zufall wollte es, dass wir mit unserem Zelt genau an jener Stelle standen, wo der Trail aus Los Patos ankam. So sahen wir ab und an, wie völlig abgekämpfte Trekker vor Freude strahlend aus dem Wald traten, weil sie endlich ihr Ziel erreicht hatten. Da die meisten von ihnen einen recht sportlichen Eindruck machten, konnten wir aus ihrem Zustand auf die Strapazen der Dschungeldurchquerung schließen. Einige erzählten uns dann auch schaurige Geschichten über den Höllenweg durch den Corcovado, bei dem Höhenzüge wie zäher Matschboden für besondere Unterhaltung sorgen sollten. Verschiedentlich hörten wir auch, dass der lange Marsch durch das ewige dunkle Grün des Regenwaldes empfindlich auf das Gemüt schlagen kann. Alles in allem also schien diese Wanderung die erste an Beschwerlichkeit mühelos übertrumpfen zu können. Früh gingen wir am Abend in die Kojen, um die Qualen des nächsten Tages wenigsten gut ausgeschlafen Begrüßen zu können.

Quer durch die grüne Hölle: 20 Kilometer Tagesmarsch nach Los Patos


Am Anfang der Tour ist die Laune gut und die Zuversicht hoch. Im Bild steht Claudi auf dem Trail nach Los Patos, der in dieser Gegend noch komfortabel war.
Zeltabbau und Verstauen der Ausrüstung waren kurz nach Sonnenaufgang beendet. Bei den gemischten Gefühlen im Bauch überwogen jedenfalls die guten, als wir uns durch eine kleine Öffnung im Dickicht des Regenwaldes auf den Weg nach Los Patos machten. Unsere Wanderung dauerte kaum eine halbe Minute, dann war auch schon als erstes Hindernis ein tieferer Bach zu durchschreiten.

Kleine Flüsse und Bäche sind nichts ungewöhnliches im vor Wasser triefenden Regenwald. Doch es reicht schon aus, wenn das Wasser nur knapp zu tief für die knöchelhohen Wanderstiefel ist, um eine nervtötende Prozedur zu erzwingen. Weil die Schuhe innen halbwegs trocken bleiben sollen, müssen sie ausgezogen, in die Hand genommen und auf die andere Seite getragen werden. Dort muss man dann wieder hineinschlüpfen. Klingt einfach? Nun, das Problem dabei ist, dass man einen schweren Rucksack mit Anhängsel (Wasserbeutel, Fototasche) balancieren muss und der Boden uneben ist und ständig nachgibt. Außerdem gibt es keine saubere Stelle und der Matsch wandert zwangsläufig in die guten Mauken. Jeder kleine Fluss bedeutet also zusätzliche Arbeit, die nicht gerade willkommen ist.

Der erste Teil der Strecke bestand aus einem Trail auf ebenem Gelände, der aber über knöcheltiefen Matsch führte und daher mühsam zu begehen war. Der Trail selbst war in aller Regel gut zu erkennen; ab und zu hing zusätzlich ein roter Faden oder eine alte Colaflasche in einem Baum. Das Wandern war insgesamt angenehm und ging recht zügig vonstatten. Weil wir wussten, dass uns im letzten Drittel der Strecke Berge im Weg standen, machten nach ein paar Stunden eine kleine Rast. Hauptsächlich aßen wir Salzkekse, um den Mineralstoffverlust durch das exorbitante Schwitzen wieder auszugleichen

Jede Flussüberquerung bedeutet zusätzliche und unerwünschte Arbeit
Zwei entgegen kommende Trekker aus Deutschland informierten uns kurz darauf, dass die schönen Zeiten im ebenen Gelände bald vorbei seien und die Hügel demnächst begännen. Wir wanderten ein wenig weiter und mussten schließlich eine weitere Pause an einem größeren Flusslauf einlegen, um unsere Wasservorräte aufzustocken. Ausreichendes Flüssigkeitszufuhr ist oberstes Gebot; allerdings kann man in diesem Klima kaum soviel Wasser mitschleppen, wie man in sich hinein schütten muss. Also muss man sich sein Trinkwasser von Zeit zu Zeit selbst herstellen.

Da man wegen der mannigfaltigen Gefahrenquellen im noch so unschuldig blubbernden Wasser stolzer Dschungelbäche nicht vorsichtig genug sein kann, kam bei uns ein zweistufiges Reinigungssystem zum Einsatz. Zur Beseitigung feinstofflicher Fremd- und Giftkörper bis Mikrobengröße benutzen wir einen kleinen. leichten und robusten Keramik-Wasserfilter (MSR MinoWorx Ex), für alles weitere Böse, wie etwa Viren, ein zusätzliches Desinfektionsmittel (Certisil Combina flüssig). So gewappnet hätten wir selbst die übelste Chloake in Evian verwandelt. Die Trinkwasserbereitung verschaffte uns außerdem noch eine mittlere Pause vor dem kommenden Bergland.
Um einige Liter köstliches Wasser herzustellen, musste zunächst die Brühe aus dem Bach durch den Filter in den Wassersack gepumpt werden (was dadurch vereinfacht wird, dass das sich Gewinde des Filters auf den Stutzen des Orltlieb-Sacks schrauben lässt). Vier bis fünf Liter konnten so innerhalb einer Viertelstunde gewonnen werden. Dann brauchten wir nur noch ein paar Tröpfchen Certisil hinein zu träufeln - und fertig war das Heilwasser.


Bei der Trinkwassergewinnung
Danach begann die Qual. Kaum waren wir nach unserer Trinkwasser-Pause losmarschiert, stieg der Weg merklich an. Für einige Zeit waren wir der Meinung, schon mitten im Höhenzug zu sein. Doch weit gefehlt. Ehe wir uns versahen, ging es über steinige und wurzelige Stufen bergauf. Die Schwierigkeit bestand dabei weniger in der Steigung, als in der Glitschigkeit des Pfades. Nach einem Anstieg von mehr als hundert Höhenmetern folgte ein ebensolcher Abstieg, der jedoch um einiges schlimmer war, als das Hochkraxeln. Anstiege und Absteige wechselten sich fortan über viele Kilometer ab. Weil der wassergetränkte Boden so überaus gltischig und rutschig war, musste vor allem jeder Tritt bergab gut sitzen. Wir kamen daher nicht mehr allzu schnell voran, weil sich zudem tiefe Schluchten zu den Seiten auftaten. Ein Abrutschen auf dem Pfand hätte also an manchen Stellen ziemlich ernstahfte Folgen haben können. In dieser besonderen Situation waren die Anstiege immer angenehmer, als die Abstiege.

Die Ranger-Station Los Patos ist eher ruhig und beschaulich.
So quälten wir uns über den glitschigen Trampelpfad durch das Mittelgebirge. Nach mehreren zum Schluss der Etappe schier endlosen Stunden erschien hinter einer Wegbiegung plötzlich eine Lichtung und ein Gatterzaun, an dem das ersehnte Schild mit der Aufschrift "Los Patos" prangte. Ein Pferd döste in der Sonne vor sich hin und zwei junge Ranger arbeiteten auf dem Gelände. Ganz im Gegensatz zu Sirena war Los Patos eher ein idyllischer Flecken ohne viel Betrieb. Am Abend beherbergte die Station ganze fünf Personen, von denen drei Trekker waren.

Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht mit einem jungen US-Amerikaner, der uns u.a. erzählte, wie sehr er und viele andere seiner Landsleute von der Wiederwahl George W. Bushs entsetzt gewesen waren. Der Süden des Landes sei sehr konservativ, meinte er, und wir fanden so auch eine kleine Parallele zur eigenen Heimat. Natürlich hinkt dieser Vergleich hinten und vorne, aber die hohe Popularität krachlederner CSU-Weißwurstköpfe in Bayern lässt im gebildeten Norden zuweilen Argwohn aufkommen, der sich aber spätestens wieder bei den guten gesamtdeutschen Beliebtheitswerten Frau Merkels relativieren muss. Als beruhigend jedoch darf gelten, dass diesseits wie jenseits des Atlantiks blankes Entsetzen über die Besetzung höchster Regierungsämter durch flachgeistige Eierköpfe die Runde machen kann. Nach einem guten Glas nicaraguanischem Rum fielen wir dann auf die Isomatten und schliefen tief und fest.

Heimweg mit Tücken und Hilfen


Das Flussbett des Rio Rincón wird zum Wanderweg. Vor vielen Jahren war auch hier Dschungel. Durch Goldsucher wurde er zerstört und zurückgedrängt. Die Einrichtung des Nationalparks war eine Reaktion zum Schutz des Regenwaldes.
Die letzte Etappe zurück in die Zivilisation war mit 16 Kilometern Länge angegeben und sollte uns zunächst bis in die Ortschaft Palma bringen, von wo aus wir irgendwie mit Bussen zur Interamericanana und dann wieder nach Golfito kommen wollten. Wie genau, wussten wir nicht, dafür waren wir uns schnell darüber im Klaren, dass der Weg aus dem Corcovado heraus auch kein Zuckerschlecken sein würde. Kaum hatten wir am frühen Morgen Los Patos hinter uns gelassen, empfing uns auch schon wieder das grüne Dickicht des Regenwaldes. Nach dem Durchqueren der Nationalpark-Grenze hatte man sich die Mühe gemacht, den Pfad durch Trittflächen aus Baumscheiben ein wenig begehbarer zu machen. Wegen der allgegenwärtigen Nässe hatten sich diese Tritte allesamt in glatte Rutschflächen verwandelt, was das Wandern eher erschwerte, als erleichterte. Zum Glück ging es wenigstens bergab.

Nach einigen rutschigen Kilometern hatten wir das Ende des Waldes erreicht und standen vor dem Rio Rincón. In der Regenzeit wälzt sich dieser Fluss breit und mächtig durch das Tal. In der Trockenzeit aber rinnt nur ein vergleichsweise schmales Bächlein durch das steinige Flussbett. Genau hierdurch sollte der nächste Abschnitt unserer Route führen - durch das Bett des Rincón. So problemlos die Orientierung dadurch ausfiel, so ärgerlicher wurde die Geländeformation für meine Wanderschuhe. Alle hundert Meter musste hüfttiefes Wasser durchquert werden. Die Schuhe jedesmal an- und auszuziehen hätte uns Stunden gekostet. Weil keine längere Wanderung mehr auf unserem Plan stand, lies ich die armen Mauken einfach an und latschte damit durch die Fluten. Natürlich hätte man für solche Fälle leichte Sandalen mitführen müssen, doch wer denkt schon alle Eventualitäten. Für Wanderer, die die Corcovado-Tour von Palma aus starten, ist diese Überlegung durchaus wichtig, denn sie haben schließlich noch alles vor sich. Und dann sind nasse Wanderschuhe kein guter Ratschlag.


Kopfende des Golfo Dulce. Im Hintergrund rechts die Halbinsel Osa, im Hintergrund links wäre das Festland.
Die Landschaft sah hier anders aus, als im Regenwald. Was für ungeübte Augen im wesentlichen nach intakter und üppiger Natur aussah, war in Wahrheit nichts anderes, als die traurige Folge der Goldgier. Weil in den Flüssen Gold gefunden wurde und bis zum heutigen Tage noch gefunden wird, haben unzählige Goldsucher mit ihren Auswaschmethoden (z.B. Goldtrennung per Quecksilber) dem Regenwald beträchtliche Schäden zugefügt. So war die Gründung des großen Corcovado Nationalparks auch eine Reaktion auf den rücksichtslosen Umgang mit der Natur. Allerdings kümmern sich einige übrig gebliebene Goldschürfer kaum um die gesetzlichen Bestimmungen und versuchen noch immer, dem Boden der Osa Halbinsel Gold zu entreißen. Die wenigen Ranger können ihre Augen nicht überall haben, und so ist der Regenwald auf der Halbinsel Osa trotz staatlichen Schutzes weiterhin gefährdet.

In der Hitze des voranschreitenden Tages wurde das Wandern im ungeschützten Flussbett immer anstrengender. Nach einigen Stunden kam uns ein Radfahrer (!!!) auf einem Mountainbike entgegen und verkündete uns die niederschmetternde Nachricht, dass es noch sehr weit bis Palma sei. Zermürbt latschten wir weiter. Ein wenig später hörten wir das Motorengeräusch eines Geländewagens und erblickten hierin unsportlicher Weise unsere Rettung. Der Jeep war in Richtung Parkeingang unterwegs und die Mission seiner Insassen unbekannt. Aber egal - wenn der Wagen aber zurückfahren sollte, wollten wir ihn anhalten. Und so kam es dann auch. Wir fragten höflich, ob wir bis nach Palma mitfahren durften, saßen kurz darauf auf den Pritschen.

Nach etwa 10 Kilometern wackeliger Fahrt erreichten wir schließlich Palma, ein winziges Kaff mit einem Supermarkt, einem Café und einer Bushaltestelle. Leider konnten wir nicht in Erfahrung bringen, wann der Bus zur Interamericana abfuhr (eine Rücktour über Puerto Jiménez kam nicht in Frage, weil an dem Tag kein Boot mehr nach Golfito abgefahren wäre). Weil wir nach den anstrengenden Tagen im Corcovado nicht all zuviel Lust auf komplizierte Verbindungsplanungen hatten, organisierten wir uns kurzerhand selbst unsere Rückreise. Und das sieht in Costa Rica so aus: Einige Leute besitzen Geländewagen und freuen sich darüber, sich ein paar Colones dazuverdienen zu können. In der Kaffeebar des Ortes fragten wir (d.h. Claudia), ob uns jemand zur Interamericana bringen könnte. Es dauerte keine Viertelstunde, und schon holte uns ein Mann mit seinem Kastenwagen ab und los ging's nach Chacarita. Für die etwa 50 Kilometer lange Fahrt zahlten wir 10.000 Colones, etwa 20 Euro. Chacarita liegt an der Interamericana und ist von riesigen Ölpalmenfeldern umgeben, als Ortschaft aber kaum der Rede wert. Vielmehr handelt es sich dabei um einige Häuser, die an der Abzweigung der Landstraße zur Osa-Halbinsel stehen. Wir lungerten an der Bushaltestelle herum, wo noch zwei Personen warteten. Weil wir keine Lust dazu hatten, riefen wir ein Taxi und fragten, ob jemand mitkommen wolle. So endete die letzte Etappe der abenteuerlichen Corcovado-Wanderung im Taxi, das uns für 6.500 (14 Euro) Mäuse nach Golfito brachte.

Karte

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    Costa Rica / Halbinsel Osa


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