Die Fahrradrowdy-Debatte

Ein Editorial erregt die Gemüter. Als Reaktion auf einen einseitig Radfahrer-kritischen Artikel im SPIEGEL erhob ich im Editorial der "PETT MAN SÜLM!" das Wort gegen die negative Meinungsmache gegen Radfahrer. Natürlich nicht ohne darauf hinzuweisen, wie sehr unachtsame und aggressive Autofahrer Radler tagtäglich körperlich gefährden.

Eine Sichtweise, die eigentlich ganz im Sinne des ADFC und seiner Mitglieder sein sollte. Schließlich vertritt man als Lobbyverband die Interessen der Radfahrer. Und das gerne mit deutlichen Worten und auch mal mit einem Schuss Polemik. Klappern gehört zu Handwerk, sollte man meinen. Doch nicht jedem gefiel meine Argumentation.

Eine kleine Dokumentation einer interessanten Kontroverse innerhalb eines pluralistischen Verbands.




Es begann mit einem Editorial in der Oktoberausgabe der "PETT MAN SÜLM!" (Mitglieder- und Infozeitschrift des ADFC Landesverbands Schleswig-Holstein). Oder genauer, mit einem Artikel in der Illustrierten "SPIEGEL" ("Das Blech des Stärkeren", Spiegel vom 12.09.2011), in dem ein tendenziell Radfahrer-kritischer Tenor angeschlagen wurde. Radfahrer neigten zu rowdyhaftem Verhalten im Straßenverkehr, verhielten sich gern rücksichtslos und kämpften gegen Autofahrer und Fußgänger.

Die übliche Stimmungsmache der Mainstreammedien also, deren Redakteure wohl hauptsächlich mit dem Auto zur Arbeit kommen. Wie sonst, denn andernfalls hätte sie ihr täglicher Weg zum Hamburger Verlagshaus unter Garantie anders argumentieren lassen.

Wie dem auch sei, im Mutterland des Autofetischismus ist Radlerschelte nichts Ungewöhnliches. Doch mit steigendem Anteil des Radverkehrs auf deutschen Straßen scheint sich der Konflikt zu verschärfen. Waren Autofahrer bisher daran gewöhnt, den Hauptteil der Verkehrsinfrastruktur für sich alleine beanspruchen zu können, pochen mittlerweile immer mehr Radfahrer auf ihr Recht. Besonders seit dem Regensburger Urteil zur Benutzungspflicht von Radwegen treten Radlerinnen und Radler immer mehr heraus aus der Schattenwelt holpriger Radwege und hinein in Bewusstsein und Revier der motorisierten Wagenlenker.

Nun hat man sich in Sachen Verkehrspolitik nicht wirklich der aktuellen Situation angepasst. Zu sehr war man auf Autofahrer fixiert und verstand fahrradgerechte Verkehrsplanung eher als unwichtigen Kinderkram, denn als eine zukunftsweisende Neugestaltung. Auch das hat nicht gerade zu einer Verbesserung des Miteinanders der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer geführt.

Doch auch wenn er rar zu werden droht - der Platz sollte für alle da sein, nicht nur für die mit den meisten PS. Und ebenso sollte klar sein, dass Schwächeren ein besonderer Schutz zukommen sollte. Ein Prinzip, das fortgeschrittene Zivilisationen von steinzeitlichen Horden unterscheidet. Selbstverständlich gilt dieses Prinzip auch im Verhältnis von Radfahrern und Fußgängern, keine Frage. Selbst dann, wenn Fußgänger nur Autofahrer auf dem Weg zu ihren Karren sind.


Um eine bessere - sprich fahrradfreundliche - Verkehrspolitik zu erreichen, muss der ADFC Lobbyarbeit betreiben. Das ist seine satzungsmäßige Hauptaufgabe und unterscheidet ihn etwa vom Verein der skatspielenden Dackelfreunde. Er muss politische Arbeit leisten und seine Ziele nach außen kommunizieren. Dazu gehört auch, Fahrradfahren als eine intelligente, gesunde, ökologisch positive und saubere wie friedliche Form der Mobilität zu propagieren.

Ein positives gesellschaftliches Image des Fahrradfahrens ist der unabdingbare Hintergrund für eine erfolgreiche Lobbyarbeit in Politik und Zivilgesellschaft. Oder anders herum: Ein mieses Image von Radlern erschwert jede Lobbyarbeit. Und genau dazu leistete der besagte SPIEGEL-Artikel seinen Anteil.

Natürlich macht Radfahren Menschen nicht zu Heiligen. Niemand behauptet, dass Radfahrer stets regelkonform durch die Lande pedalierten. Und selbst ich ärgere mich ab und an über einige besonders dreiste oder unachtsame Zweiradgenossen. Allerdings sollte der überschaubare Stall der Schwarzen Schafe kein Grund dafür sein, den Schwanz einzuziehen und überkritisch mit kleingestutztem Selbstbewusstsein seinem politischen Gegenüber nur noch auf Kniehöhe zu begegnen. Ganz nach dem Motto: " Wir wissen, wir sind schlecht und haben es nicht verdient. Aber vielleicht könnte man ja trotzdem....".

Und nicht zu vergessen: Klappern gehört zum Handwerk! Ein selbstbewusster Lobbyverband darf gerne mal deutliche Worte benutzen und Polemisieren. Schließlich ist der motorisierte Gegner ein sehr potenter und übermächtiger. Er kann in seinen hochgezüchteten Karossen einiges vertragen. Und machen wir uns nichts vor: Wer eine Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer will, muss dem Dominierenden, dem alles-Beherrschen etwas wegnehmen. Denn noch sind Infrastruktur und Ressourcen viel zu ungleich verteilt.

So zumindest sehe ich die Lobbyarbeit des ADFC. Doch wie alle demokratischen Organisationen hat auch der ADFC ein ausgeprägtes pluralistisches Element. Und so nimmt es nicht Wunder, dass auch die Meinungen über die Kommunikation eines Lobbyverbands ganz unterschiedlich ausfallen können.

Zur Dokumentation finden Sie anschließend das betreffende Editorial sowie einige interessante Reaktionen darauf. Die Namen der Kritiker sind mir bekannt, werden an dieser Stelle aber nicht genannt.


Das Editorial aus "PETT MAN SÜLM!" 4/2011

Sind wir Rowdies?

Liebe Leserin, lieber Leser!
Auf Deutschlands Straßen tobt der Krieg! Rücksichtslos kämpfen Radfahrer gegen Autofahrer und Fußgänger. So jedenfalls argumentiert die achtseitige Titelstory, die im "Spiegel" vom 12.09. erschienen ist ("Das Blech des Stärkeren"). Harsche Worte für eine eigentlich erfreuliche Entwicklung: Der Anteil des Radverkehrs nimmt zu und erobert den öffentlichen Raum, das Auto hingegen dient als Statussymbol langsam aus. Keine Frage, der Hegemon strauchelt.

Und er wehrt sich: Nur allzu gerne wird in Presse und auf Stammtischen unkritisch das Bild vom Radrowdy kolportiert. Dieser hat nachts nie Licht an, rast bei Rot über Ampeln, fährt grundsätzlich gegen Einbahnstraßen und hechtet halsbrecherisch über volle Gehwege. Doch gibt es wirklich so viele Rowdys unter uns Radfahrern?

Natürlich nicht, und schwarze Schafe gibt es immer. Auch unter den Autofahrern. Nur mit dem Unterschied, dass deren Fehlverhalten Radfahrer substanziell gefährdet. Ohne Abstand überholen, an Einmündungen und beim Abbiegen nicht auf den Radverkehr achten oder die Wagentür ohne Umsicht aufreißen - kaum jemand würde hier von Rowdytum sprechen. Eher von alltäglichen Unachtsamkeiten - selbst wenn Radfahrer dabei regelmäßig schwer verletzt werden. Aber so ist das eben mit der Perspektive: Sie von den gewohnten Strukturen bestimmt, nicht aber von den wünschenswerten. Leider auch beim "Spiegel".

Ein erster Mailwechsel

"Guten Tag, Redaktion.

Ja, wir sind Rowdies! Wie kann man das leugnen? Jede Fahrt oder jeder Gang durch eine beliebige Stadt bestätigen das: Fehlverhalten, Rücksichtslosigkeit und Pöbeleien von Radfahrern sind üblich und altersunabhängig. Der “Spiegel” hat objektiv, sachlich und zutreffend berichtet. Der Hinweis auf das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer oder mangelhafte Infrastruktur ist ein armseliges und feiges Argument. Aus welcher “Perspektive” man es auch betrachtet: Rowdies bleiben Rowdies – und dabei handelt es sich nicht um einzelne “Schwarze Schafe”, die Herde ist schwarz.

Wenn Frank Spatzier seine Meinung in einem Leserbrief geäußert hätte, dann könnte man sie als die übliche, ignorante, reflexhaft vorgebrachte Replik auf einen radfahrerkritischen Zeitschriftenartikel abtun und unbeachtet lassen. Hier aber äußert sich der ADFC offiziell und an prominenter Stelle. Dafür ist mein Mitgliedsbeitrag eigentlich nicht gedacht. "


Antwort FS

"zunächst einmal vielen Dank für Ihre Kritik - auch wenn sie kein gutes Haar am aktuellen Editorial lässt.

Trotzdem kurz ein paar Anmerkungen dazu: Sie scheinen ja kein allzu gutes Bild von uns Fahrradfahrern zu haben. Das ist um so erstaunlicher, als Sie sich im ADFC für die Förderung des Radverkehrs einsetzen. Letztendlich ist das aber auch ein Beispiel für den ADFC als pluralistischen Verein, der mit einer breiten demokratischen Basis auch ein ebenso breites Meinungsspektrum abdeckt.

Und dennoch: Nein, ich bin kein Rowdy und verbitte mir als überzeugter Radfahrer, so tituliert zu werden. Auch nicht indirekt vom "SPIEGEL". Und wie mir, geht es den allermeisten von uns. Ich kenne sehr viele Radfahrer und Radfahrerinnen, die ebenfalls weit davon entfernt sind, Rowdytum zu pflegen und sich höllisch über den Artikel im "SPIEGEL" aufgeregt haben.

Ich bin jährlich an die 8.000 Kilometer mit dem Rad unterwegs - auf Radreise oder im Alltag hier in Lübeck. Ein Auto besitze ich nicht. "Fehlverhalten, Rücksichtslosigkeiten und Pöbeleien" sind nach meiner - durchaus nicht ungeschulten - Beobachtung eher Spezialitäten von Autofahrern. Ganz zu schweigen davon, wie oft meine Gesundheit tagtäglich durch unachtsame und aggressive Autofahrer bedroht wird. Darüber, dass es auf beiden Seiten Ausnahmen gibt, brauchen wir uns nicht zu unterhalten.

Das Editorial der PETT MAN SÜLM hat im ersten Teil die Funktion eines Leitartikels der Redaktion. Es transportiert eine Meinung - und die kann innerhalb des ADFC unterschiedlich ausfallen. Eines muss sie aber - nämlich der Satzung entsprechen. Und darin steht, an ganz prominenter und hochoffizieller Stelle: "Der Verein hat den Zweck (...) im Interesse der Allgemeinheit die Belange nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer, insbesondere den Fahrradverkehr zu fördern (...)".

Und dazu gehört ganz eindeutig ein positives Image der Radfahrer sowie des Radverkehrs. Es kann doch kein Belang der Radfahrer sein, durch eine einseitige Berichterstattung in den Medien als Rowdys abgestempelt zu werden.

Politische Entscheidungen zur Förderung des Radverkehrs werden nachweislich schwerer gefällt, wenn das gesellschaftliche Klima nicht stimmt. Und an diesem sind insbesondere die Massenmedien beteiligt, wenn sie systematisch ein negatives "Rowdy"-Image schaffen. Eine derartige Berichterstattung schadet den Zielen des ADFC. Sie in unserem Editorial zu kritisieren, ist also nicht nur legitim, sondern entspricht voll und ganz der Zielsetzung unseres Verbandes.

Replik Leser

"Guten Tag, Herr Spatzier, es freut mich zu lesen, dass Sie kein Rowdy sind. Sie sind es also nicht gewesen, der mich auf der Wielandbrücke angepöbelt hat, weil ich es gewagt habe, in der Mitte der Fußgängerbrücke zu gehen, so dass er mich nicht zügig überholen konnte. Sie waren es auch nicht, der mich auf der Fleischhauer Straße auf dem Gehweg mit seinem Anhänger angefahren hat, weil ich vor einem anderen Radfahrer zur Seite treten, nein, springen musste, der aus einem Gang herauskam. Auch waren Sie es nicht, der vor dem Rathaus Slalom fuhr und dabei sportlich mehrere Stangen/Fußgänger touchierte. Und der junge Vater, der mit zwei Kindern im Anhänger diagonal von Fußweg zu Fußweg bei Rot über die Kreuzung Fünfhausen / Beckergrube fuhr, der waren Sie auch nicht. Wahrscheinlich hatte ich das außergewöhnliche Pech an diesem Tag, dem einzigen Rowdy Lübecks, und das gleich mehrfach, zu begegnen. Das Phantom von Lübeck.

Aber ich wollte mit Ihnen gar nicht in einen persönlichen Briefwechsel treten, das war nicht die Intention meines Leserbriefs. Bleiben Sie getrost bei Ihrer Meinung, ich halte mich weiterhin an die Fakten. "


Leserbrief 1 als Reaktion

"Als ich den Leserbrief von Herrn XXX gelesen hatte, bin ich sofort in die Kirche gegangen, und habe um Vergebung gebetet, weil ich Radfahrer bin und damit zu diesen Rowdies gehöre. ;-)

Aber mal ehrlich: Das Pauschalurteil "Alle Radfahrer sind Rowdies" ist ungefähr so ernst zu nehmen wie die Aussage "Männer sind Schweine" oder "Frauen können nicht Auto fahren". Ich denke, mit Provokateuren braucht sich der ADFC nicht auseinandersetzen, da es keine Argumente gibt, über die man diskutieren könnte. "

Leserbrief 2 als Reaktion

"Potzblitz! Dieser Beitrag von ADFC-Mitglied XXX war ja mehr als ein Leserbrief: das war ein Bekennerschreiben! Radikal, kompromisslos und eifernd, wie es sich für solche Schreiben gehört. "Ja, wir sind Rowdies!", outet er sich und alle anderen Radler gleich mit. Ist er nun "stolz darauf, ein Rowdy zu sein?" Mitnichten, er verabscheut das Rowdytum zutiefst. Wenn dem aber so ist: Warum geht er dann nicht zum nächstbesten Nagel und hängt sein eigenes Fahrrad daran? Denn getreu dem Dogma unseres ADFC-Mitglieds XXX bedeutet ein Radler weniger doch ein Rowdy weniger - oder etwa nicht? "

Austritt eines Mitglieds

"Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

nach Lektüre der neusten Ausgabe vom Pett man sülm und des erneut einseitigen und uneinsichtigen Editorials hat sich meine Beurteilung des Verbandes (siehe unten wiederholten Leserbrief vom August d.J.) bestätigt und verfestigt.

Für mich ist Radfahren weder Religion noch Weltanschauung und mein Blick auf die wahren Verhältnisse im Straßenverkehr ist insofern nicht durch Selbstgerechtigkeit verstellt.

Z.B. erlebt man weitaus häufiger, dass Radfahrer auf der falschen Straßenbreite mit maximaler Fahrt an den Ausfahrten - z.T. aus Tiefgaragen - vorbei rauschen, als Autofahrer die Einbahnstraßen in falscher Richtung befahren. Mit der Beleuchtung von Fahrrad einerseits und Autos andererseits verhält es sich ebenso.

Dass Radfahrer nicht auf ein vermeintliches Vorrecht im Straßenverkehr pochen dürfen, sondern angemessene Vorsicht auch gegenüber Autofahrern walten lassen müssen, ist an Unfällen durch unachtsames Autotüröffnen ebenso beteiligt, wie beim Abbiegen von Kfzs, die Radfahrer übersehen haben. Dabei hätte fehlender Blickkontakt den Radfahrer sehr oft warnen können (sic!).

Diesbezügliche einseitige Schuldzumessungen sind unangebracht, vielmehr tut Aufklärung Not, wie man sich als Verkehrsteilnehmer auf dem Fahrrad in potentiellen Gefahrensituationen zu verhalten und auch typische Fehler anderer Verkehrsteilnehmer voraus schauend einzukalkulieren hat. So wie ein Ausscheren auf der Autobahn nicht allein zu Lasten des Spurwechslers geht, wird die Rechtsprechung sich auch der typischen Unfälle von Radfahrern unter dem Aspekt widmen, ob diese voraus gesehen und mit mehr Vorsicht hätten vermieden werden können.

Die Radfahrer, hier mögen einige Mitglieder des ADFC eine Ausnahme darstellen, gebärden sich jedoch zunehmend als unvorsichtige, weil "schwächere" und insofern sich bevorrechtigt fühlende Verkehrsteilnehmer und der ADFC versäumt nicht nur eine objektive Beurteilung der Verhältnisse, sondern macht sich durch seine einseitigen öffentlichen Stellungnahmen zunehmend unglaubwürdig. Auf dieser Welle schwimmt man nicht ewig oben, der gerügte Spiegelartikel sollte ernst genommen werden.

Ich möchte den Verband nicht weiter durch meine Mitgliedschaft unterstützen, erkläre hiermit Austritt und bitte um Bestätigung.

Mit freundlichen Grüßen

XXX

Leserbrief:

Was sich der ADFC von dem eher beschönigenden Umgang mit den schwarzen Schafen unter Radfahrern verspricht, ist kaum nachvollziehbar, die "Ursache vorhandener Probleme" aber in den Zusammenhang mit ungenügenden und schadhaften Radwegen zu stellen, ist schlicht abwegig.

Fast alle Verkehrsteilnehmer sind oder waren dies in mehrfacher Funktion, also Auto- und Radfahrer, sowie als Fußgänger. Selten hört man so aufgebrachte Klagen, wie gegen rücksichtslose Radfahrer und zwar auch von den vernünftigen Radlern selbst.

Sich dieser Realität nicht zu stellen, stattdessen sich verkehrspolitisch irgendwo zwischen pressure group und Erweckungsbewegung mit moralischer Überlegenheit zu positionieren (so ein Landespolitiker, der nicht genannt werden will), ist auf Dauer kontraproduktiv. "

Frank Spatzier ©2011/2012