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Städtereise Szczecin (Stettin) und Cottbus

Teil 1: Szczecin (Stettin), Neustadt

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Pasewalk - Szczezin


Bahnhofsgebäude in Pasewalk
An uns vorbei ziehen die sanften Ausläufer der Uckermünder Heide. Wir sitzen im Zug von Pasewalk nach Stettin und blicken neugierig hinaus in die frühherbstliche Nordostecke Deutschlands. Dass wir die deutsch-polnische Grenze passiert haben, bemerken wir erst an den vorbeiziehenden Ortsschildern. Wenige Minuten später machen sich die ersten Ausläufer Stettins bemerkbar, bevor der Zug schließlich in den Hauptbahnhof Szczecin Glówny einläuft.

Die ersten Eindrücke der westpommerschen Stadt sind rundherum positiv. Auf dem Fußweg zum Hotel, das ganz in der Nähe der berühmten Hakenterrasse liegt, kommen wir bereits ein erstes Mal an wesentlichen Sehenswürdigen der Altstadt vorbei. Kaum etwas ist zunächst von sozialistischer Funktionsbauweise zu entdecken, dafür jedoch viel Altes, darunter viel liebevoll Restauriertes. Die einzige Ausnahme bildet das zwischen Schloss und Hakenterrasse gelegene Brückensystem Trasa Zamkowa, das mit seinen Betonmassen wie ein Fremdkörper inmitten der historischen Umgebung liegt. Kurz dahinter erreichen wir schließlich das im Übrigen rundherum empfehlenswerte Hotel Focus. Seine Lage könnte zentraler kaum sein, und auch die Einrichtung lässt bei einem günstigen Preis kaum etwas zu wünschen übrig.


Hauptbahnhof Szczecin Glówny


Oderbrücke Trasa Zamkowa bei Nacht
Stettin, polnisch Szczecin (sprich: Scheschinn) ist mit knapp 408.000 Einwohnern (Tendez fallend) siebtgrößte Stadt Polens und beherbergt einen der größten Seehäfen der Ostsee. Szczecin ist Verwaltungssitz der Woiwodschaft (poln. Bezirk / Landkreis) Westpommern und kommerzielles Zentrum der weiteren Umgebung. Selbst die Bewohner der strukturschwachen und dünnbesiedelten Uckermark fahren zum Einkaufen gern mal über die Grenze.

Diese hätte nach Kriegsende eigentlich weiter östlich verlaufen müssen, denn der Hauptteil der Stadt befindet sich auf der Westseite der Oder und damit auch der Oder-Neiße-Linie. Stalin erachtete das strategisch wie wirtschaftlich sehr potente Stettin wohl als zu wichtig, um es auf deutschem Territorium zu belassen, zumal im Frühjahr 1945 noch große Unklarheit über die Zukunft Deutschlands bestand. Kurzerhand stellte er die Stadt unter polnische Verwaltung und übergab sie schließlich ganz Polen, was die alliierten Teilnehmer der Potsdamer Konferenz zähneknirschend zur Kenntnis nehmen mussten. Es folgte die Umbenennung Stettins in Szczecin sowie die Vertreibung des deutschstämmigen Bevölkerungsteils.


Alt & neu: Historisches Rathaus vor Nachkriegsblock
Heute präsentiert sich Szczecin als eine weitläufige, fast schon luftige Stadt mit Charme. Es lässt sich eine gewisse städtebauliche Verwandtschaftsbeziehung zu Berlin feststellen, die vor allem durch die großen sternförmigen Plätze, die breiten Alleen und die Mietskasernen aus der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts genährt wird. An dieser zuminmdest optischen Verwandschaft sind jedoch genauso die Zeugnisse sozialistischer Arschitektur beteiligt, die besondere Assoziationen an den Ostteil Berlins aufkommen lassen.

Seinen besonderen Charme erhält Szczecin vor allem durch die umfangreiche Jugendstilbebauung vieler Straßenzüge, in denen schmiedeiserne Balkongeländer und aufwändig verzierte Fassaden das Bild beherrschen. Die (noch erhaltene) historische Altstadt ist verhältnismäßig klein und lässt sich zu Fuß in wenigen Minuten durchmessen. Hier wird mancherorts noch fleißig restauriert; vor allem dem farbenfrohen Rossmarkt sowie dem strahlendweißen Pommernschloss sieht man die erfolgreichen Bemühungen deutlich an.

Allerdings hat man sich beim Wiederaufbau Szczecins bewusst dagegen entschieden, das Vorkriegsstadtbild neu zu errichten. Prominenter Befürworter dieser richtungsweisenden Konzeption war der Architekt und Stadtplaner Piotr Zaremba, der in den Jahren 1945 bis 1950 das Amt des Stadtpräsidenten innehatte. Zaremba strebte eine Hinwendung des Stadtbildes an den Osten an - weg von der westeuropäischen Vergangenheit, hin zum polnischen Sozialismus lautete die Devise. So wurde Altes mit Neuem gemischt, sprich sozialistische Funktionalarchitektur zwischen den alten Plunder gesetzt. Auf diese Weise entstand eine kurzweilige Mischung unterschiedlicher Baustile, die auch heute noch ihre besondere Wirkung verströmt. Auch wenn das ein oder andere Nachkriegsgebäude eine gründliche Renovierung nötig hat - das Aufbrechen einer städtebaulich homogenen Altbebauung hat dem Stadtbild eher gut als schlecht getan.


Das Meeresmuseum auf der Hakenterrasse


Werftarbeiter-Demonstrationszug auf dem Weg in Richtung Hakenterrasse


Demonstrationszug
Von der Hakenterrasse zur Neustadt

Vom Hotel ist es nur ein Katzensprung zur berühmten Hakenterrasse. Es geht ein wenig bergauf, denn die Gebäude dieser Uferstraße befinden sich auf den Waly Chrobrego, den 19 Meter hoch aufgeschütteten Chobry-Wällen. Im 18.Jahrhundert befand sich dort Fort Leopold, das Ende des 19.Jahrhunderts abgerissen wurde. An seiner Stelle errichtete man 1902 repräsentative Regierungsgebäude im Jugendstil, in denen sich heute (u.a.) das Meeresmuseum, die Hochschule für Seefahrt sowie der Verwaltungssitz der Woiwodschaft Westpommern befindet. Benannt ist die Hakenterrasse nach Oberbürgermeister Herrmann Haken, der während seiner Amtszeit von 1878 - 1907 (!) an der gründerzeitlichen Umgestaltung der Innenstadt beteiligt war.

Oben auf der Terrasse erleben wir ein beeindruckendes Schauspiel. Ein Demonstrationszug von Arbeitern der Stettiner Vulkanwerft zieht sich langsam zu uns herauf. Trillerpfeifen ertönen, Böller krachen und Nebelbomben zischen - dazu ein Meer aus den legendären Fahnen der Gewerkschaft Solidarnosc. Ihr Protest richtet sich gegen die mögliche Schließung ihrer Werft, die wahrscheinlich würde, wenn sich Warschau und Brüssel nicht über die wettbewerbspolitische Akzeptanz des polnischen Rettungsplanes einig würden.


Wohnblocks an der Jana Metejki


Blick zum Pazim-Center
Wir gehen weiter durch die große Parkanlage S. Źeromskiego und erreichen über die Jana Matejki mit ihren Solitärwohnblocks schließlich den modernen Teil der Neustadt mit dem weithin sichtbaren Pazim-Center. Das 1992 fertiggestellte und leicht futuristisch wirkende Hochhaus ist mit 22 Stockwerken und 92 Metern Höhe das höchste Gebäude Stadt. Es beherbergt außer Büroflächen und Lokalen auch Zimmer des Radisson-SAS Hotels. Gleich nebenan befindet sich mit dem Galaxy-Center das Stettiner Shopping-Mekka. Auf den fünf Etagen der etwas gesichtslosen Shopping-Mall versammeln sich Filialgeschäfte aller Art, darunter auch ein riesiger Real-Superstore mit umfangreicher Bierabteilung.

Nach einem ausgiebigen Kaufrausch marschieren wir in Richtung des Grunewaldplatzes (pl. Grunwaldzki, ehemals Kaiser-Wilhelm-Platz), der mitten im jugendstilgeprägten Pariser Viertel liegt. Dieser Name leitet sich von der gründerzeitlichen Neugestaltung der aus allen Nähten platzenden Stadt ab, die nach dem Vorbild der französischen Hauptstadt unternommen wurde. Großzügige Plätze und breite Boulevards sollten das Stadtbild auflockern und die stuckverzierten Mietkasernen würdig zur Geltung kommen lassen. Besonders hier finden sich viele Gemeinsamkeiten mit Berlin, denn die städtebauliche Anlage des Stettiner Pariser Quartiers geht genau wie die der Berliner Viertel Kreuzberg und Prenzlauer Berg auf das Wirken von James Hobrecht zurück. Dieser war Stadtbaumeister in Berlin sowie auch Stadtbaurat in Stettin.


Jugendstilfassaden in der Bogusława-Straße


Jugendstil in der Stalingradu-Straße
Besonders beeindruckend fällt die Jugendstilbebauung in der Bogusława-Straße aus. Zu beiden Seiten der Fußgängerzone ragen bunt bemalte stuckverzierte Gründerzeitfassaden in die Höhe, eine reicher verziert, als die andere. Am pl. Zgogy (dem früheren Bismarckplatz) geht es über die Obrońcow- in die Stalingradu-Straße, die ebenfalls mit prächtigen Jugendstilfassaden beeindruckt.

Über den windigen Platz Zołnoierza Polskiego, der im Sommer als Blumenmarkt fungiert, kommen wir in schließlich in die al. Niepodległości, eine der Hauptgeschäftsstraßen Stettins, die zu preußischer Zeit als Paradeplatz diente. Heute regiert hier der profane Kaufmannssinn, wobei wohltuend auffällt, dass sich hier kaum die sonst omnipräsenten Filialisten angesiedelt haben. Über den kargen pl. Solidarnósci kehren wir schließlich wieder ins Hotel zurück.


Am Platz Zołnoierza Polskiego









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    BRD / Polen


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