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Von Küste zu Küste: Radreise Lübeck - Büsum und zurück (Oktober 2009)

Teil 2: Nortorf - Büsum und zurück (auf gleicher Route)

94,24 km

2 - 8 °C


Kurz vor der Fähre Breiholz / Meckelmoor
Trotz fehlender Isomatte schlafe ich bestens und erwache an einem sonnigen und kalten Morgen. Kein Wölkchen verdeckt den Himmel und das Gras der Zeltwiese ist mit Raureif überzogen. Es ist bitter kalt, nur knapp über dem Gefrierpunkt. Nach kurzer Morgentoilette und einem Frühstück in Gestalt vorweihnachtlicher Schokoladenlebkuchen baue ich das Zelt ab,lege die Ausrüstung zusammen und verstaue sie in den Packtaschen. Eine Prozedur, die jedes Mal über eine Stunde dauert - und mir ist bisher noch keine Methode eingefallen, sie zu verkürzen. Radreisen sind auch Übungen in Geduld.

Um kurz nach zehn Uhr bin ich endlich on the road und radele bei allerbestem Wetter nach Westen. Schon kurz hinter Nortorf muss ich anhalten und eine Fleecejacke ausziehen, weil ich trotz der tiefen Temperaturen ins Schwitzen komme. Es geht zunächst über Luhnstedt und Stafstedt nach Legan, wo die breite B77 zu überqueren ist. Die Landstraße ist gut zu befahren und wird in weiten Teilen vorbildlich von einem Radweg flankiert. Von der B77 bei Legan sind es noch fünf Kilometer bis zur Fähre Breiholz, die bei Meckelmoor den Nord-Ostsee-Kanal überfährt.


Am Nord-Ostsee-Kanal


Kanalweg mit Schiff
Der Nord-Ostsee-Kanal ist die meistbefahrenste künstliche Wasserstraße der Welt und erspart dem Schiffsverkehr das komplette Umfahren der jytländischen Halbinsel. Wer also von der Nord- in die Ostsee oder umgekehrt schippern will, kann sich mit der knapp 100 Kilometer langen Wasserstraße einen weiten Umweg ersparen. Zu beiden Seiten wird der Kanal von einem betonierten Wartungsweg flankiert, der für Radfahrer und Fußgänger geöffnet ist und sich als Radroute großer Beliebtheit erfreut.

Es gibt einige wenige Hochbrücken über den Kanal, der ansonsten nur auf Pendelfähren überquert werden kann. Diese sind zum Glück kostenlos und auch in engeren Abständen vorhanden. Ich setzte mit der Fähre Breiholz über und genieße die anschließenden Kilometer entlang des Kanals. Die Betonplatten des Kanalweges sind bestens befahrbar, zu dessen topografischer Natur es gehört, vollkommen eben zu verlaufen. Keine Steigungen, kein Gegenwind - paradiesische Zustände für einen Radler. So vergehen die knapp 20 Kilometer viel zu schnell, bevor ich an der L131 / Fährstation Fischerhütte wieder ins Binnenland abbiege. Über kleine Nebenwege, teilweise sogar ohne festen Belag, radele ich auf Bunsoh zu. Die 881 Einwohner zählende Gemeinde liegt bereits in der Dithmarscher Geest, die zur hohen Geest zählt, was meine Waden schnell zu spüren bekommen: Die Hauptstraße des Örtchens windet sich in ihrer kompletten Länge einen nicht unbedeutenden Hügel hinauf.


Unterwegs nach Bunsoh
Mit der Dithmarscher Geest habe ich nun zweite schleswig-holsteinische Landschaftsformation erreicht. Es handelt sich dabei um eiszeitliche Sandablagerungen ehemaliger Gletschermoränen, die, wie im Falle der Hohen Geest, beachtliche Hügel ergeben können. Über einen solchen muss ich nun mich und mein Gepäck hinaufkurbeln. Endlich oben angekommen, geht es bis Albersdorf wieder schön bergab, bevor der nächste Hügel an die Reihe kommt.

Einen Monat zuvor erst war Adolf Hitler symbolisch die Albersdorfer Ehrenbürgerwürde entzogen worden, die ihm im März 1933 von der Bauernschaft der damaligen NS-Hochburg verliehen wurde. Erst einer polnischen Touristin fiel auf, dass man diesen Akt bis dato nicht rückgängig gemacht hatte, was Gemeindevertreter damit begründeten, dass Ehrenbürgerschaften automatisch mit dem Tod endeten. Nun handelt es sich bei Adolf Hitler nicht um einen gewöhnlichen Ehrenbürger, und eine wenn auch nur symbolische Rücknahme dieser Ehrenposition war längst überfällig. In einer Gemeindesitzung wurde dem Diktator die Ehrenbürgerwürde nun "kommentar- und diskussionslos" (Pressearchiv Albersorf) aberkannt, aber der braune Schatten scheint noch immer nicht ganz aus dem Luftkurort verschwunden zu sein.


Langsam beginnt die Dithmarscher Geest


Marktplatz Heide (Foto von Tag 3)
Kaum bin ich aus Albersdorf heraus, geht es auch schon wieder mächtig zur Sache - jedenfalls für norddeutsche Verhältnisse. Auf der L316 nach Heide geht es ab Arkebek stetig bergan, was im Sinne ausgleichender Radreise-Gerechtigkeit mit einer ebensolchen Abfahrt belohnt wird. Erst weit hinter Nordhastedt läuft sich die Geest langsam in die flache Marschlandschaft aus.

Die Kreisstadt Heide markiert in etwa diesen Übergang der Landschaftsformationen. Heide ist mit 20.000 Einwohnern das wirtschaftliche und politische Zentrum Dithmarschens und besitzt den größten unbebauten Marktplatz Deutschlands (4,7 Ha). Mir fallen in Heide die überdurchschnittlich vielen Scherben auf den Radwegen auf, offensichtlich entsorgt man hier gerne Bierflaschen auf effektvolle Weise. Ich verlasse Heide auf der B203 nach Büsum, die auf ihrer gesamten Länge von einem guten Radweg begleitet wird. Dennoch gibt es am Ortsausgang eine Beschilderung, die wohl auf eine wesentlich längere Alternativeroute verweist.

Hier bin ich nun endgültig in der Marsch angekommen, flachem Schwemmland ohne jede Erhebung. Das Fehlen natürlicher Hindernisse und die Nähe zur Nordsee haben häufig eine steife Briese zur Folge, die mir heute zur Feier des Tages von vorn entgegenbläst. So werden die 23 Kilometer bis Büsum zu einer sportlichen Angelegenheit. Zudem herrscht auf der Bundesstraße reger Verkehr, denn all jene Tagestouristen kehren von der Nordsee wieder in ihre Binnenland-Städte zurück.


An der B203 nach Heide


Windpark bei Wöhrden


Büsum, Fußgängerzone
Am späten Nachmittag komme ich endlich in Büsum an und baue mein Zelt auf dem sehr empfehlenswerten Campingplatz "Zur Perle" auf. Mit 9,50 Euro zahle ich vergleichsweise wenig für einen Platz, der gleich hinter dem Nordseedeich liegt und beste Sanitäranlagen besitzt. Büsum (4.900 Einwohner) ist der drittwichtigste schleswig-holsteinische Fremdenverkehrsort an der Nordseeküste und wird von seinem Fischerei- und Ausflugshafen dominiert, dessen maritimes Flair die Innenstadt durchströmt. Dort gibt es eine kleine Fußgängerzone mit touristisch geprägten Geschäften und dementsprechender Kitschpräsenz. Außerhalb der Innenstadt dominieren Appartementhäuser, Hotels und Ferienwohnungen das eher biedere Stadtbild.

Wie fast ganz Dithmarschen war im Dritten Reich auch Büsum eine Hochburg der Nationalsozialisten und noch bis weit in die 1960er Jahre hinein von braunem Mief befallen. Davon merke ich allerdings nicht viel, während ich in der Abenddämmerung durch die Sträßchen radele, immer auf der Suche nach einem günstigen Restaurant fürs Abendessen. Fündig werde ich außerhalb des touristischen Zentrums, wo ich in einem kleinen Imbiss eine fettige Mahlzeit verschlinge. Bevor es völlig dunkel ist, setze ich mich noch mit einem Feierabendbier in der Hand auf den Deich und lasse meinen Blick über die Nordsee zum Horizont schweifen.


Abendlicher Blick vom Deich

Nachts holt mich das Prasseln von Regen auf meiner Zeltplane gelegentlich aus dem Schlaf. Das Wetter hat sich verschlechtert und ich hoffe, dass bis zu meiner Abfahrt aus Büsum wenigstens der Regen verschwunden sein möge. Ist er aber nicht. Während ich das Zelt abbaue, nieselt es unaufhörlich aus dunklen Wolken. Erst zurück in Heide hört der Niederschlag auf. Zum Glück ist mir der Wind gewogen und schiebt mich förmliche in Richtung Osten.

Auf einer Radreise darf man auch mal faul sein und sich nicht ständig mit Navigationsentscheidungen beschäftigen wollen. Deshalb fahre ich auf dem Weg nach Nortorf exakt die gleiche Strecke, auf der ich gestern hergekommen bin. Nur eben in umgekehrter Richtung. Und hierbei kommt ein ähnlicher Effekt zum Tragen, den man auch von Wanderungen kennt: Bekannte Strecken erscheinen subjektiv kürzer, als unbekannte. Und so bin ich schon am frühen Nachmittag wieder zurück in Nortorf und nutze die restliche Zeit für ausgedehnte Erkundungen der Stadt. Erst nach dem Knacken der 100-Kilometer-Marke mache ich es mir im Zelt gemütlich.

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Karte

  • Karte Schleswig-Holstein Ssüd / Mitte


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