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Kirkenes - Norwegen Nordost - Varangerhalbinsel (Berlevåg)

Von Kirkenes auf die Varanger-Halbinsel

Auch auf die Gefahr hin, Finnland ein weiteres Mal Unrecht zu tun: kaum hatten wir die Grenze nach Norwegen und den besetzten und durchaus aktiven Posten (Vorsicht wegen der Flüssigkeitsvorräte!) passiert, änderte sich das Landschaftsbild grundlegend. An die Stelle der hügelig-gleichförmigen Wälder traten wild zerklüftete Felsformationen mit krüppeligem Bewuchs und schließlich der beeindruckende Varangerfjord, einem der nördlichsten Norwegens. Kurz vor Kirkenes, der nordöstlichsten Stadt des Landes, schlugen wir unser Zelt auf einem recht empfehlenswerten Campingplatz an der E6 auf und besichtigten die Stadt vor der russischen Grenze. Sie liegt im Übrigen fast auf dem gleichen Längengrad, wie das türkische Antalya.

Kirkenes ist eine aufgeräumt wirkende Stadt mit einem leicht schmuddelig wirkenden Zentrum, das von einem kleinen Platz mit Geschäften drumherum gebildet wird. Im Krieg von deutschen Truppen aufs Übelste heimgesucht, konnte sich Kirkenes im Laufe der Zeit erholen und eine intakte Wirtschaft, basierend auf der Eisenerzgewinnung, aufbauen, die jedoch vor wenigen Jahren wegen zu hohen Kosten weitgehend eingestellt wurde. Infolge der Nähe zur russischen Grenze herrscht ein gewisser Ost-West-Verkehr; auch gibt es die Straßenschilder in stets in zweisprachiger und -schriftlicher Ausführung. Man bemüht sich in Kirkenes um ein gutes Verhältnis zum schwierigen Nachbarn und organisiert trotz vieler formaler Schwierigkeiten Austausch- und Besuchsprogramme. Die nahe der Grenze qualmenden Schlote im nordkarelischen Nikel belasten die Umwelt allerdings auf beiden Seiten des Zauns erheblich. Ebenso gammeln auf dem Grund der Barentsee kaputte Atom-Uboote und ähnlich unschöner Schrott vor sich hin; seine Anwesenheit verdrängt man angesichts der möglichen katastrophalen Umweltfolgen besser, wozu der grenznah gehandelte Vodka sicher gute Beiträge leisten kann. Dennoch bemüht man sich in Kirkenes, die unverständlichen Aspekte russischer "Eigenheiten" so weit es geht zu ignorieren und richtet seine Aufmerksamkeit vielmehr auf die Menschen, die sich trotz ungleich schwierigerer Lebensbedingungen ein freundliches Wesen bewahrt haben.


Geschäftsstraße in Kirkenes


Zweisprachige Straßenschilder

Sackgasse ins Dreiländereck

In Kirkenes erkundigten wir uns im Fremdenverkehrsamt über die Wandermöglichkeiten im Grenzland. Wir bekamen den Rat, es im Øvre-Pasvik Nationalpark zu versuchen, der etwa 60 Km südlich von Kirkenes auf einem Landstrich liegt, der wie eine Nase zwischen Russland und Finnland hineinragt. Er endet bei Treriksøya, also dem Dreiländereck, wie der norwegische Name andeutet. So fuhren wir die schmale Straße von Kirkenes in Richtung Nyrud, was angesichts der Straßenverhältnisse ein recht mühsames Unterfangen darstellte. Gelegentlich führt die Straße fast direkt an der russischen Grenze entlang, die mit farbigen Pfählen gekennzeichnet ist, also weder über Zäune oder ähnliche Sperranalgen verfügt. Ihr Überschreiten ist - wir hatten selbstredend mit einem solchen Gedanken gespielt und uns diesbezüglich erkundigt - nicht zu empfehlen, da, so sagte man uns, die Grenze auch in den einsamsten Wäldern sehr gut bewacht sei und eine kurze illegale Einreise mit exorbitanten Geldbußen geahndet wird. Selbst eine Kontaktaufnahme mit Menschen auf der anderen Seite ist verboten, Hinüberschauen und -fotografieren allerdings nicht.

So bot uns die Landschaft bis Nyrud schöne Blicke auf weite Wälder, zumal in dieser Gegend mit den westlichen Ausläufern der sibirischen Taiga das größte zusammenhängende Waldgebiet der Welt beginnt. An einigen Stellen wurde die Schönheit der Landschaft allerdings durch die weithin sichtbaren Schlote von Nikel empfindlich getrübt und der Betrachter auf den Boden der traurigen Tatsachen maßloser Umweltverschmutzung zurückgeholt. Bei Nyrud, was keine Ortschaft, sondern lediglich eine Grenzpolizei-Station ist, befuhren wir einen grobschottrigen Weg, der zum Øvre-Pasvik Nationalpark führen sollte. Nach wenigen für das Auto lebensgefährlichen Minuten trafen wir auf eine Polizeistreife die uns riet, umzukehren, da der Wagen die noch folgenden 20 Km nicht unbeschadet überstehen würde. Das glaubten wir den Leuten aufs Wort und machten kehrt. Da es keinen anderen Zugang zum Park mehr gab, mussten wir schweren Herzens auf die Wanderung zum Dreiländereck verzichten. Einzig die Unmengen bienengroßer Stechfliegen, die wir sonst noch nirgendwo gesehen hatten, versuchten uns tatkräftig zu trösten. Dies jedoch ohne großen Erfolg, denn im Øvre-Pasvik hätten wir die wenn auch kleine Chance gehabt, einem der dort recht zahlreich vorkommenden Bären zu begegnen. Aus der Perspektive einer nicht mehr angetretenen Wanderung lässt sich so etwas natürlich leicht wünschen.


Blick nach Russland (beginnt gleich vorn am Ufer des Sees)

Kurs Nordwest: Die Varanger-Halbinsel hält nicht ganz, was sie verspricht

Skandinavien wird ganzjährig vom Golfstrom aufgeheizt und kommt daher in den Genuss erheblich höherer Durchschnittstemperaturen, als sie in anderen Orten auf vergleichbaren Breitengraden herrschen. So kann man im Sommer in Lappland bei Temperaturen bis an die 30 Grad (bei Kirkenes kletterte das Thermometer auf immerhin 27 Grad) durch üppig grüne Landschaften fahren und mit nur ein wenig Phantasie die Illusion südländischen Flairs erzeugen, während man sich auf etwa gleicher nördlicher Breite im mittleren Grönland oder nördlichen Alaska den Allerwertesten abfriert. Will man also "polarmäßige" Landschaften erleben, muss man selbst in Lappland lange suchen und wird höchstens an seinen allernördlichsten Ausläufern in die Barentsee fündig, so zum Beispiel auf der Porsanger-Halv&slash;ya, auf der Nordkapp-Insel Magerøya, auf der benachbarten Nordkinn-Halvøya (mit der nördlichsten europäischen Festlandspitze) und schließlich auf der Varanger- Halvøya, wo infolge ihrer relativ weiten Entfernung vom Wirkungsbereich des Golfstroms stellenweise subarktisches Klima herrscht (insbesondere in der Stadt Vardø auf einer kleinen Insel am Ostrand). Dies war ein wesentlicher Grund für einen Besuch auf der Varanger-Halbinsel, die wir nach einer mehrstündigen Fahrt von Kikenes aus erreichten. Wir folgten der E6 bis kurz vor Tana bru (Tana-Brücke) an der Tana, die in den Tanafjord mündet. Folgerichtig planten wir für den nächsten Tag eine Wanderung auf das Tanahorn, einen etwa 250 m hohen, an der Nordwestspitze der Varanger-Halbinsel gelegenen Berg.

Der erste Kontakt mit Varanger fand im strömenden Regen statt, denn das Wetter war in Kirkenes zu stabil und gut gewesen um auch so zu bleiben. Trotz Platzregen und kühlen Temperaturen fuhren die Leute hier lächelnd Fahrrad und joggten mit sichtbarem Vergnügen, was als Hinweis für die sonst herrschenden Klimaverhältnisse gewertet werden kann. Ab Leirpollskogen am Halbinseleingang beherrschen hohe und schroffe Felsen von ein- bis zweihundert Metern Höhe das Bild. Die Straße schlängelt sich alsdann durch immer kahlere Landschaften hinauf auf eine Hochebene (Fjell), in der auch im Sommer oft noch Schneewehen zu finden sind. Kurz vor der gemütlich wirkenden Ortschaft Kongfjord verlässt die Straße die einförmig-kahle, in einem meditativen Sinne aber überaus anregende Landschaft und führt am felsigen Ufer der Barentsee entlang nach Berlevåg, das wenig einladend und ein wenig herunterkommen wirkte. Irgendwie spiegelte sich der Frust des Ortes über seine Entfernung von der übrigen Welt in seinem Erscheinungsbild wider. Einen Kilometer hinter dem Stadtrand von Berlevåg schlugen wir unser Zelt fast am Ufer der Barentsee auf, wo wir nach einem leckeren Dosenmahl und anschließendem Abendtrunk an einem exponierten Ort bestens schlafen konnten


Kahle Landschaft auf Varanger


Blick aufs Meer bei Kongfjord


Mit dem Zelt am Ende der Welt (Wildcamp westlich von Berlevåg)



Karte

  • Nordkalotte


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