Danzig per Rad (April 2011)
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Nicht immer ist Fahrrad drin, wo Fahrrad drauf steht. Der Fahrplan zeigte die mögliche Fahrradmitnahme an, und auch das Zusatzticket bekam ich problemlos. Nur der Zug wusste von nichts. In größter Eile suche ich alle Wagons von außen nach dem Zweirademblem ab. Vergeblich. Verloren radele ich den kompletten Bahnsteig rauf und runter. Sekunden vor der Abfahrt werde ich angewiesen, mich in das Ende des allerletzten Abteils zu quetschen. Und dort stehe ich zwei unbequeme Stunden lang inmitten meines Gerödels vor dem Klo. Wer es benutzen will, muss eben über mein Gelumpe hinüberklettern. Aber alle nehmen es mit Gelassenheit, niemand beschwert sich.
Danzig, Altstadt
Einfacher dagegen verläuft die Hotelsuche. Beim Verlassen des Bahnhofes fällt mir gleich das gegenüberliegende Scandic-Hotel ins Auge. Weil Fragen außer Zeit nichts kostet, informiere ich mich über die Zimmerpreise. Und siehe da: es gibt ein günstiges Drei-Tages-Special. Und auch das Rad kommt sicher unter. Besser geht‘s nicht.
Für polnische Verhältnisse ist Danzig ausgesprochen fahrradfreundlich. Nicht nur exotische Radtouristen sind hier auf zwei Rädern unterwegs, sondern viele der Einheimischen. Ein weites Netz von zum Teil bestens ausgebauten Radwegen durchzieht nicht nur die komplette Stadt, sondern auch die Nachbargemeinden Gdynia und Sopot.
Gemeinsam bilden sie Trójmiasto, die Dreistadt. Mit 800.000 Einwohnern bildet sie nicht nur die größte Agglomeration, sondern auch das größte Handels- und Wirtschaftszentrum des südöstlichen Ostseeraumes. Mit einer klaren Rollenverteilung: Das 450.000 Einwohner zählende Danzig bildet mit seiner grandiosen Altstadt das touristische Highlight. Gdynia (Gdingen, 250.000 EW) ist eine eher nüchterne, dafür aber sehr geschäftige Hafen- und Industriestadt. Sopot mit nur 80.000 Einwohnern schließlich mimt das kleine, mondäne und teure Seebad der Dreistadt.
Danzig, Altstadt
Insgesamt gehört die Region zu den wohlhabendsten in ganz Polen. Und auch in geografischer Hinsicht hat Trójmiasto einiges zu bieten. Im nördlichen Danzig müdet die Tote Weichsel in die Ostsee und bildet damit die Halbinsel Westerplatte. Alle drei Städte liegen direkt an Danziger Bucht, die im Westen von der Halbinel Hel, im Osten vom Frischen Haff begrenzt wird. Landeinwärts bildet die Kaschubische Schweiz ein bergiges und waldreiches Hinterland.
Blick über Danzig vom Hagelberg (Góra Gradowa)
Blick über die Halbinsel Westerplatte
Halbinsel Westerplatte
Dokumentationszentrum Westerplatte
"Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen" geiferte Adolf Hitler vor dem Reichstag, nach dem die polnische Garnison auf der Westerplatte durch das Kriegsschiff "Schleswig-Holstein" beschossen wurde. Eine ganze Serie inszenierter Grenzzwischenfälle waren dieser Aktion als Rechtfertigung vorausgegangen. Deutschland stand damit am Beginn des Polenfeldzuges, dem Anfang des Zweiten Weltkrieges.
Von diesen historischen Tatsachen einmal abgesehen, ist die Westerplatte nichts weiter als eine flache Halbinsel, die durch den Mündungsarm der Toten Weichsel gebildet wird. Viel zu sehen gibt es dort außer ein paar Industriebetrieben nicht, sieht man einmal von Mahnmal und Dokumentationszentrum ab.
Zerstörtes Kasernengebäude
Die Westerplatte ist von meinem Hotel etwa zehn Kilometer entfernt. Auf dem Weg liegt die Danziger Werft, wo ich einen kleinen Zwischenstopp am Werftarbeiter-Denkmal einlege. Die drei 40 Meter hohen Metallkreuze erinnern an die drei Arbeiteraufstände in den Jahren 1956, 1970 und 1976. .
Von hier aus radele durch eher langweilige Wohn- und Industriegebiete. Warum sollte es in Danzig auch anders sein, als sonstwo auf der Welt? Schließlich hat auch Lübeck eine kleine sehenswerte Altstadt und große, weniger sehenswerte Wohngebiete drumherum.
Die Westerplatte erreicht man von der Danziger Stadtseite (Stadtteil Nowy Port) per Pendelfähre. Sie kostet für Radler einen eher symbolischen Betrag, der zudem nur in einer Fahrtrichtung zu bezahlen ist. Was nun folgt, bewegt sich auf einer Skala von wenig interessant bis trist. Das Erscheinungsbild der Halbinsel verhält sich in eklatantem Gegensatz zu ihrer historischen Bedeutung.
Einzig ihre Nordspitze lohnt den Besuch. Hier befinden sich verschiedene Dokumentationstafeln zur Danziger Vorkriegsproblematik und schließlich das Westerplatten-Denkmal. Dieses besteht aus einem 23 Meter hohen Granit-Monument, das auf einem künstlichen Hügel thront.
Ausstellung Westerplatte
Mahnmal Westerplatte
An der Ostsee entlang nach Sopot
Strandpromenade: vorbildlicher Radweg
Wenn es einen wirklich vorbildlichen Radweg in Danzig gibt, dann den Strandpromenadenradweg. Er führt ohne Unterbrechung vom Stadtteil Brźezno (anderthalb Kilometer westlich der Westerplatte) bis nach Sopot. Leider aber nicht weiter bis Gdynia, wie ich noch schmerzlich feststellen soll.
In
Brźezno an den Strand zu gelangen, ist allerdings alles andere als einfach. Grund dafür ist eine ellenlange Baustelle an den straßenbegleitenden Bahnschienen, die sich an kaum einer Stelle überradeln lassen. Aber dann geht′s um so schöner weiter.
Auf einer breiten Trasse folgt der Radweg der Danziger Bucht. Weil hier immer viel los ist, sind Rad- und Fußweg in aller Regel auch baulich getrennt und liegen zuweilen einige Meter auseinander. Denn die Erfahrung zeigt nur allzu oft, dass sich Fußgänger sehr gerne auf den Radweg verirren und in Beschlag nehmen (überspitzt könnte man sagen, dass die Autler oft nicht nur in ihren Karren den Radverkehr beeinträchtigen, sondern auch dann, wenn sie ausgestiegen sind - als nervige Fußgänger).
Westlich von Brźezno folgt die größte Parkanlage Danzigs, der Ronald Reagan Park. Richtig gelesen, er wurde nach dem so erzkonservativen wie dümmlichen Schauspieler und Kaltkriegspräsidenten Ronald Reagan benannt. Konservatives Gedankengut findet im erzkatholischen Polen leider oft seine peinliche Würdigung.
Sopot
Irgendwann verkündet ein Ortsschild, dass ich mich auf dem Stadtgebiet Sopots befinde. Trotz kühler Temperaturen tanzt hier der Bär. Und es wird immer doller, je weiter ich mich dem Kurzentrum nähere. Dort muss schließlich abgestiegen und geschoben werden - und zwar in eine überteuerte Kunstwelt. Man macht auf mondän und luxuriös, indem man an der Preisschraube dreht. Für ein läppisches Eis zahle ich einen selbst für deutsche Verhältnisse teuren Preis. Und so schnell ich gekommen bin, radele ich wieder weg.
Auf der Mole in Sopot
Blick über die Danziger Bucht nach Gdynia
Bei den Kilometerhäusern
In Oliwa
Dass Danzig nicht nur wiederaufgebauten alten Plunder zu bieten hat, zeigt ein Abstecher durch den Stadtteil
Oliwa. Mit dem Rad bestens zu erkunden, lässt sich hier neben einigen Wäldern auch interessante Wohnarchitektur jüngeren Datums besichtigen. Wer will schließlich schon Bäume sehen, wenn es auch Plattenbauten gibt?
Es war die Intention des sozialistischen Städte- und Wohnungsbaus, möglichst vielen Menschen eine günstige Unterkunft zu bieten. Erreicht wurde das häufig durch eine funktionale Architektur auf Plattenbau-Basis. Völlig zu Unrecht als hässlich oder unansehnlich verschrien, heiligt die Zielsetzung schließlich die Optik. Mit anderen Worten: Besser eine bezahlbare Wohnung im funktionalen Block, als sich nicht einmal am Stadtrand eine schäbige Bleibe leisten zu können (wie zurzeit etwa in Hamburg).
Oliwa ist voll von funktionaler Architektur, die beileibe nicht hässlich sein muss. Manchmal fällt sie aber recht gigantisch aus, wie die sogenannten Kilometerhäuser zeigen. Dabei handelt es sich um Wohnblocks, die über einen Kilometer lang sind. Ohne Unterbrechung, wohlgemerkt. Angenehm ist auch, dass Oliwa prima durch Radwege erschlossen ist. Zwar lässt ihr Zustand zuweilen zu wünschen übrig. Aber immerhin...
Kilometerhaus in Oliwa
Kilometerhäuser in Oliwa
In der Marienkirche
Kirchengewölbe von oben
Danzig wäre ohne seine Altstadt nichts weiter, als eine polnische Großstadt unter vielen. Ihr historischer Kern wurde während des Krieges komplett in Schutt und Asche gelegt, als sie die Deutschen gegen die Rote Armee verteidigten. In jahrelanger und mühevoller Arbeit baute man anschließend Danzigs Altstadt im Stil des 16./17. Jahrhunderts wieder auf. Eine wahre Meisterleistung ganzer Heerscharen von Handwerkern und Restauratoren sorgte dafür, dass die alte Hansestadt heute wieder in voller Pracht erstrahlt.
Eines ihrer zentralen Bauwerke ist die gotische St. Marienkirche. Der wuchtige Bau wurde zwischen 1343 und 1502 erbaut und ist heute der fünftgrößte christliche Sakralbau der Welt. Man musste es damals also ziemlich nötig gehabt haben, Macht durch Protzarchitektur zu demonstrieren. Und kannte sicher auch wenig Skrupel, der Bevölkerung dafür immense Geld-, Sach- und Dienstleistungen abzunötigen.
Im Turm
Ganz in diesem Sinne wird der Besucher daran erinnert, sich an einem "heiligen Ort" zu befinden. Es folgt ein 105 Meter langer und 23 Meter hoher Innenraum, der mit dem üblichen sakralen Plunder vollgestellt ist. Besonders erwähnenswert davon sind die gigantische Astronomische Uhr im Nordschiff und der fünfflügelige Hochaltar.
Mich zieht es schließlich in den Turm. Gegen einen kleinen Obolus darf ich ganze 400 Stufen hinaufsteigen und von oben einen weiten Rundumblick über Danzig genießen. Doch auch im Turm gibt es Interessantes zu sehen. So fällt der Blick ab der Hälfte der Strecke auf die Oberseite des Gewölbes, das Dachgebälk sowie die riesigen Glocken.
Blick vom Turm
Blick vom Turm
Verwirrung in Gdynia
In Gdynia
Der letzte Reisetag hat es nochmal gehörig in sich. Ich fahre mit der Fähre zurück nach Rostock und muss mich daher auf dem Rad zum Hafen in Gdynia durchschlagen. Zunächst sieht alles ganz locker aus. Ich steuere den Strandpromendenradweg an und radele entspannt nach Sopot. Hier durchquere ich den Kurplatz an der Mole und radle weiter in Richtung Gdynia. Denke ich jedenfalls, denn irgendwann endet der gut ausgebaute Radweg im Sand des Strandes. Kein Weiterkommen mehr, auch gab es nirgendwo einen Hinweis auf die Sackgasse. Vermutlich deshalb nicht, weil man sein Rad ja über eine lange Treppe die Steilküste hinauftragen kann. Also wuchte ich das vollgepackte Reiserad die Stufen hinauf.
Oben geht es erstmal über einen gewohnt schlechten Waldweg, bis ich endlich an der Hauptstraße nach Gdynia ankomme. Mal mit, mal ohne Radweg arbeite ich mich so ins Zentrum vor. In der Hafenstadt hält man offensichtlich nicht ganz so viel von nachhaltiger Mobilität.
Am Hafen schließlich muss ich nur noch den richtigen Kai finden. Keine leichte Aufgabe in einem riesigen Hafengebiet ohne jegliche Hinweisschilder. Ich frage mich durch und finde endlich mein Ziel. Leider befindet sich der Finnlines Check-In ganze vier Kilometer entfernt davon. Das bekomme ich aber auch nur per Zufall raus. Zum Glück hat das Schiff Verspätung...
Ausfahrt aus Gdynia
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Hauptbahnhof Lübeck
Hauptbahnhof Lübeck
Für die Autler ist der Radweg nur zum Parken da...
In der Gruft des Bonifatius
Der blankgeküsste Fuß der Petrus-Statue