Mit dem Rad von Lübeck nach Berlin 2 (Juni 2011)


Lindow

Alt-Schwerin - Lindow (111,11 km, ges.: 316,67)


Kloster Malchow
Manchmal kann man sich nur an den Kopf greifen. Was denken sich die Planer in den Straßenbaubehörden überhaupt? Alles Autler mit einem Fortbewegungshorizont, der an ihrer Windschutzscheibe endet. Auf einem Fahrrad sind diese Experten sicher noch nie über die grützigen Kopfsteinpflaster gefahren, die sie in ihre Käffer gekleistert haben. Sicher, das ist so schön historisierend und anheimelnd. Verleiht den Dorfkernen den Retrocharme der bröckelnden Fassaden ihrer miefigen Kuhställe. Aber wie es sich darüber mit dem Reisrad fährt - interessiert nicht. Rückständigkeit hat eben viele Gesichter.

In Malchow muss ich eine Zwangspause einlegen, weil die Drehbrücke über die Müritz-Elde-Wasserstraße geöffnet hat und eine Armada Hobbynautiker passieren lässt. Die Altstadt liegt malerisch auf einer Halbinsel im Malchower See, am anderen Ufer ragt der Turm der Klosterkirche in den Himmel. Das Wetter ist prima, während ich in Richtung Müritz unterwegs bin.


Röbel / Müritz
In Sietow beginnt ein neuer Radweg, der bis ins neun Kilometer entfernte Röbel führt. Er wurde mit Mitteln der EU geschaffen, worauf ein Schild stolz hinweist. Man könnte es aber auch so lesen, dass im Land der Luxusautobahnen keine Kohle für einen läppischen Radweg da ist.

Röbel kann ebenfalls auf einen malerischen Ortskern stolz sein. Leider gibt es auch eine Großbaustelle mit Umleitung, die mich vom geplanten Uferradweg weg führt. So radele ich eben über Spitzkuhn und Vipperow nach Vietzen und bekomme nebenbei nichts vom zweitgrößten See Deutschlands zu sehen. Nicht ein bisschen.

Egal, Wasser sieht schließlich immer gleich aus. Daher verlasse ich die Mecklenburgische Seenplatte mit Tempo nach Süden. Es geht durch dichte Wälder mit leicht hügeliger Topographie. Bei Prebelow erreiche endlich Brandenburg, das dritte Bundesland auf meiner Reise. In Rheinsberg bewundere ich kurz das Rheinsberger Schlosse und radele über weniger gastliche Landstraßen nach Lindow.

Lindow ist eine Stadt zum Wohlfühlen. Gleich drei Seen breiten sich von hier aus und holen die Natur sozusagen in den Ortskern hinein. Ich baue mein Zelt auf dem Campingplatz "Weißer Sand" am Gudelacksee auf und verbringe den lauen Abend Ort. In der Abenddämmerung besuche ich das verfallene alte Kloster am Wutzsee und schaue kleinen Haubentauchern bei ihrem herzigen Treiben zu.


Wer baut solche Straßen?


Schloss Rheinsberg


Friedhof am alten Kloster in Lindow

Lindow - Berlin-Spandau (102,69 km; ges: 419,36 km)


"Landstraße" im Wald
Alles könnte so einfach sein, wären da nicht diese kleinen Brandenburgischen Quasi-Landsträßchen. Kurz bevor ich losfahre, rät mir jemand auf dem Campingplatz, "über die Dörfer" zu fahren. Die Bundesstraße sei zu gefährlich, und außerdem gebe es viel mehr zu sehen. Ich lasse mich überreden und lande hinter Seebeck prompt im Wald. Wieder habe ich einen miesen Sandweg unter den Laufrädern, diesmal noch gespickt mit Zweigen, Tannenzapfen und allerlei anderem Zeugs, dass in Wäldern für gewöhnlich von den Bäumen fällt.

Irgendwann kreuzen sich zwei Waldwege. Und siehe da, gelbe Schilder zeigen mir nicht nur die Richtung an, sondern auch, dass ich mich hier auf einer offiziellen Landstraße befinde. Nur eben ohne jedweden Belag und ähnlich komfortablem Schnickschnack.

In Linde verfahre ich mich ein erstes Mal, weil der kleine Weg nach Teschendorf kaum beschildert ist. Ich befinde mich bereits im Dunstkreis Berlins. Und mir scheint, dass man sich hier durch besonders ausgeprägte Provinzialität von der benachbarten Metropole abzugrenzen versucht.


Großmutz
Es geht sogar soweit, dass ich ab Hohenbruch für ein paar Kilometer nicht mehr weiß, wo ich überhaupt bin. Irgendwann kann ich mich wieder orientieren, doch dann kommt der nächste Schlag: die Straße nach Velten ist bei Leegebruch gesperrt! Hochwichtige Schilder verkünden mir diese Hiobsbotschaft mit deutscher Deutlichkeit.

Kokolores, heißt es in einem kleinen Schreibwarenladen auf meine verzweifelte Frage, die Straße sei nirgendwo gesperrt. In Velten erfahre ich den Grund der Verwirrung: Weil die Hauptstraße dicht ist, muss auf eine Nebenstraße ausgewichen werden. Und die ist für schwere LKW nicht geeignet. Eine kleine Nebensächlichkeit, für die auf den mannshohen Schilderwänden wohl kein Platz mehr war.


Zwischen Hoppenrade und Löwenberg


Berlin-Spandau


Spandau, an der Havel


Altstadt Spandau
In Henningsdorf wird es schließlich städtisch. Will heißen, Verkehr und Industrieanlagen nehmen so sprunghaft zu, wie die städtebauliche Attraktivität ab. Außerdem ist trotz angestrengtem Spähen nirgendwo ein Wegweiser zur Havel zu finden, wo immerhin der Radfernweg Berlin-Kopenhagen verläuft (übrigens auch eine Mogelpackung: eigentlich endet er schon in Rostock, der Rest soll per Fähre absolviert werden...). Und so schlage ich mich hinter der Berliner Stadtgrenze einfach in den Wald und finde nach erneutem Nachfragen endlich mein Nachtquartier, den Campingplatz "Bürgerablage" in Berlin-Hakenfelde (Bezirk Spandau).

Am Abend statte ich der Spandauer Altstadt noch einen kleinen Besuch ab. Sie lässt sich durch einen Radweg erreichen, der im wesentlichen entlang der Havel verläuft und bestens ausgeschildert ist. Unterwegs geht es für Millionenstadt-Verhältnisse zunächst sehr idyllisch zu. Kleingartenkolonien und bewohnte Gartensiedlungen säumen das westliche Havelufer, das im Selbstverständnis vieler Eingeborener noch nicht richtig zu Berlin zählt.


Fußgängerzone Spandau
Erst mit dem Beginn von Spandau wird es langsam städtisch. Und spätestens bei den zig-spurigen Verkehrsadern rund um die Spandauer Altstadt ist man schließlich in der Großstadt Berlin angekommen. Die paar alten Häuschen im Kolk scheinen mit geradezu stoischer Gelassenheit dem nahen Verkehrslärm zu trotzen. Auch die Fußgängerzone mit ihren Allerweltsgeschäften macht nicht unbedingt viel her, einzig das wuchtige Rathaus und die Nikolaikirche lenken ein wenig von der öden kapitalistischen Konsumwelt ab.







Berlin-Hakenfelde - Berlin-Mitte (18,51 km, ges.: 437,87 km)


Siemensstadt, Wernerwerk X
Der letzte Abschnitt meiner Radreise führt mich von Hakenfelde nach Mitte, genauer ins Hotel Adina in der Invalidenstraße. Dort werden ich für eine ganze Woche bleiben und die Stadt mit dem Fahrrad erkunden. Der ausführliche Bericht dazu wird in Kürze in der Rubrik Berliner Streifzüge erscheinen.

Die letzten Kilometer vergehen viel zu schnell. Das liegt auch daran, dass man in Berlin kaum Orientierungsprobleme hat. Alle Wege führen ins Zentrum, oder anders ausgedrückt: das Zentrum zieht den Besucher magnetisch an, absorbiert ihn förmlich. Es gibt kein Entrinnen, die Gravitation ist in Berlin auf Stadtmitte geeicht.

Da hilft auch kein Abstecher in die Siemensstadt, in der sich die industriehistorisch interessante Keimzelle des heutigen Weltkonzerns auf einer beachtlichen Fläche ausbreitet. Und auch ein längerer Zwischenstopp am Schloss Carlottenburg kann meinen Sturz ins Zentrum nicht aufhalten.

Über den Ernst-Reuter-Platz erreiche ich die Hauptmagistrale der Stadt, die sich hier Straße des 17. Juni schimpft. Es folgen Fachhochschule, Großer Stern und Tiergarten, dann stehe ich auch schon vor dem Brandenburger Tor. Nur noch an den Besucherschlangen des Reichstagsgebäudes vorbei, ein paar Straßen weitergeradelt, und schon stehe ich an Rezeption und checke ein.


Schloß Charlottenburg


Charlottenburg (mit Rathaus)


Ernst-Reuter-Platz

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