Berlin mit dem Rad, Juni 2011

Vegane Radtouren und Spa(t)ziergänge durch die Hauptstadt:

Abschnitt 1: Veggie Parade, Mitte, Treptower Park, Gropiusstadt
Abschnitt 2: Tiergarten, Charlottenburg, Friedrichshain, Marzahn-Hellersorf
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Veggie Parade

Dieser Bericht schließt nahtlos an die Radreise Lübeck - Berlin an. Als ich nach vier spannenden und interessanten Radreise-Tagen die Hauptstadt erreicht hatte, quartierte ich mich in einem zentral gelegenem Hotel ein und erkundete die Stadt auf dem Drahtesel. Und in der Tat: besser lässt sich Berlin kaum bereisen. Auf zum Teil bis zu 70 Kilometer langen Tagestouren lernte ich Ecken und Winkel der Stadt kennen, die der Tourist sonst kaum zu Gesicht bekommt. Zusätzlich erfuhr ich im wahrsten Sinne des Wortes die völlig andere Radfahrkultur, die Berlin sehr wohltuend etwa von Lübeck unterscheidet.

Von all diesen Dingen abgesehen, stand auch diese Reise im Zeichen des Veganismus. Und da Berlin nicht nur die politische, sondern auch die vegane Hauptstadt der Bundesrepublik ist, konnte ich mich hier besonders wohl und versorgt fühlen. Und so war die Teilnahme am " Veggie Street Day" gleich nach meiner Ankunft ein gelungener Einstieg in eine ganz besonders intensive Woche in Berlin.

Veggie Parade und das obligatorische Mitte


Treffen auf dem Alex
Wenn man als Veganer mit dem Rad nach Berlin fährt und dann zufällig die  Veggie-Parade steigt, muss man einfach mitgehen. Keine Frage, keine Diskussion. Ich habe meine erste Nacht im Adina Appartementhotel an der Invalidenstraße hinter mir und mache mich auf den Weg zum Alex (Alexanderplatz), wo sich alle treffen. Veranstaltet wird der Umzug zum Brandenburger Tor von vegetarischen und veganen Gruppen aus Berlin, allen voran   Berlin Vegan und der  Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt.

In erster Linie macht es Spaß, gemeinsam mit Gleichgesinnten (sieht man einmal von den Vegetarieren ab..) mitten über die Karl-Liebknecht-Straße und Unter den Linden zum Brandenburger Tor zu marschieren. Leider wird die Abschlusskundgebung von heftigen Regenschauern gestört. Trotzdem gelingt es den Aktivisten, mit Kuh-Kostümen bekleidet, die Buchstaben " Go Vegan" zu bilden. Mit ihren Körpern und auf dem nassen Pflaster, versteht sich.

Wenn man schon mal in Mitte ist, dann kann auch schnell der obligatorische Touri-Kreuzgang absolviert werden. Nach einem veganen Mittagsmahl im   Samadhi, wandere ich wieder zurück zu Alexanderplatz und Rotem Rathaus. Vorbei am lauschigen Nikolaiviertel geht es über die eher unschöne Gertraudenstraße zur Leipziger Straße. Vom Spittelmarkt aus genieße ich den grandiosen Ausblick auf die faszinierende Bebauung zu beiden Seiten des Asphaltbandes. Weit hinten in der Ferne luken die Hochhäuser des Potsdamer Platzes aus dem Dunst.

Zu DDR-Zeiten war die Leipziger Straße eine Art städtebauliche Prestigemeile. In allernächster Nähe zum Kreuzberger Zeitungsviertel galt es, den Prachtbauten von Springer & Co. Paroli zu bieten. Heraus kam eine homogene und geschlossene Plattenbebauung auf der einen und bis zu 25-geschossige Hochhaussolitäre auf der anderen Seite. Früher mussten den Blick in den kapitalistischen Westen nur Parteimitglieder ertragen, heute würde sogar ich nicht zögern, dort einzuziehen - und das trotz der Aussicht auf Springers Propagandazentrale.


Kundgebung vor dem Brandenburger Tor





Erste Runde: Mitte - Kreuzberg - Ehrenmahl der gefallenen Sowjetsoldaten- Gropiusstadt und zurück (ca. 60 km)


Gitschiner Straße, Kreuzberg
Zum Frühstücken geht′s erstmal nach Kreuzberg. Und zwar in einen Teil Kreuzbergs, der weniger hip und angesagt, dafür recht düster und leicht unansehnlich ist. In nächster Nähe zum Bezirk Neukölln hat das   Viasko sein Domizil, und genau da gibt′s Sonntags Brunch. Über zehn Kilometer muss ich von der Invaliedenstraße aus radeln, aber für ein 100% veganes Essen nehme ich die Strecke sehr gerne in Kauf.

Ich werde nicht enttäuscht. Das Viasko ist ein urgemütlicher Laden im Souterrain eines älteren Wohngebäudes. Von Gemüse über Tofu, Brötchen, Saucen, Dips, Gebäck bis hin zur veganen Torte und anderen Leckereien reicht die Palette der angebotenen Speisen. Ich kann bedenkenlos zugreifen, denn alles ist garantiert vegan - und schmeckt durch die Bank weg ausgesprochen lecker.


Ehrenmal der gefallenen Sowjetsoldaten
Gestärkt radele ich weiter über Glitschiner und Skalitzer Straße in Richtung Treptow. Letztere hat leider keinen separaten Radweg. Doch das Radeln auf der verkehrsreichen Straße stellt sich als ungewohnt entspannt dar. In Berlin herrscht eben eine völlig andere Fahrradkultur, als etwa im piefigen Lübeck. Die Berliner Pedalisten haben sich selbstbewusst den Raum im Straßenverkehr genommen, der ihnen zusteht. Falsche Bescheidenheit oder ängstliches Duckermäusertum? Fehlanzeige.

Am Schlesischen Tor wird es ein wenig eng. Der Verkehrsknotenpunkt ist ein Nadelöhr für den Verkehr, der hier aus drei Hauptrichtungen aufeinander trifft. Zum Ausgleich gibt es entlang der breiten Puschkinallee wieder einen Radweg. Zwei Kilometer weiter verdichtet sich das Grün zu beiden Seiten der Straße, hier beginnt der Treptower Park.

Seine Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1876, als auf dem Areal links der Spree ein Park für Erholungsbedürftige Menschen aus Kreuzberg und Neukölln angelegt wurde. 1896 war es zunächst wieder vorbei mit der Erholung, da genau dort die Berliner Gewerbeausstellung stattfand. Dort stellten die schwerreichen Bonzen der deutschen Großindustrie alles mögliche aus, was sie interessierte. Man legte einen künstlichen See an, drapierte Palmen darum, stellte Käfige mit echten Afrikanern aus und verschönte das Diner mit echten ägyptischen Mumien.


Ehrenmal der gefallenen Sowjetsoldaten
Mumien gibt es auf dem Gelände heute zwar keine mehr, dafür jede Menge Leichen. Man kann sie nicht sehen, denn sie befinden sich im Inneren des monumentalen Ehrenmals der gefallenen Sowjetsoladaten. Die Gebeine jener etwa 5.000 Rotarmisten liegen dort begraben, die bei den Kämpfen um Berlin gefallen sind. Das monumentale Denkmal besteht aus dem roten Granit von Hitlers Reichskanzlei, errichtet wurde es in den Jahren 1946 - 48 von deutschen Männern und Frauen als Wiedergutmachungsleistung.

Gewiss, die martialische Architektur und Symbolik der Stalin-Ära ist gewöhnungsbedürftig. Doch seine unbedingte Berechtigung hat das Ehrenmahl auf jeden Fall - auch bis in die ferne Zukunft. Radfahren ist auf dem Gelände leider verboten, aufgrund seiner Dimensionen jedoch so praktisch, dass ich es nict lassen kann. Es ist auch einiges los hier. Viele der Besucher scheinen die Nachfahren gefallener Soldaten zu sein. Andere wiederum sind gewöhnliche Berliner, die hier etwas Ruhe oder Inspiration suchen. Ich mache mir sogar die Mühe und erklimme die Stufen zum Pavillon unter der zentralen Statue: einem Sowjetsoldaten mit Schwert und zerschlagenem Hakenkreuz. Drinnen befindet sich ein Kranz und ein Mosaik mit kyrillischer Inschrift. Interessanter dagegen ist die Aussicht über das weitläufige Gelände.

Gropiusstadt

Der Himmel verheißt nichts Gutes. Dunkle Wolken haben das Ruder übernommen, jeden Moment kann es regnen. Egal, die Gropiusstadt steht noch auf dem Programmzettel und wartet auf meinen Besuch. Vom Treptower Park aus ist sie relativ gut zu erreichen, obwohl es gut und gerne 15 Kilometer Radelstrecke sein dürften.

Über Dammweg und Grenzallee radele ich auf recht passablen Radwegen vom Bezirk Treptow-Köpenick nach Neukölln. Am Südende der Herrmannstraße geht es über den Britzer Damm auf den nicht enden wollenden Buckower Damm. Je weiter ich fahre, desto öder und schäbiger wirkt die Bebauung. Das mag täuschen, denn auch der Himmel zieht sich immer weiter zu und schickt ein fahl-graues Licht auf die tristen Wohnblöcke. Noch sind die Hochhaus-Solitäre dünn gestreut, doch je mehr ich in die Pedalen trete, desto zahlreicher scheinen sie zu werden.


Gropius-Haus und Ideal-Hochhaus

Schließlich erreiche ich die Kreuzung Bukower Damm / Johannistaler Allee und bin mittendrin in der Gropiusstadt. Sie gehört zum Stadtteil Rudow, das Anfang der 1960er Jahren noch ein kleines Bauerndorf am Rande Berlins war. Genauso wie Britz und Buckow, die ebenso friedlich und unbedarft vor sich hin dümpelten. Doch West-Berlin dehnte sich aus und brauchte Platz für seine wachsende Einwohnerschaft. Allerdings endete dieser jäh an der Grenze zur DDR, was eine gewisse Konzentration von Wohnraum nötig machte - zumindest für die weniger betuchten Berliner.


Gropiusstadt


Gropiusstadt, Gropiushaus


Gropiusstadt, Ideal-Hochhaus



Also legte man 1962 den Grundstein für eine gigantische Großsiedlung, deren leitender Architekt bis zu seinem Tode 1968 der Bauhaus Mitbegründer Walter Gropius war. Auch wenn seine ursprünglichen Konzepte - aus Kostengründen - zum Teil stark verwässert oder überhaupt nicht umgesetzt worden sind, trägt der Komplex bis heute seinen Namen. Ganz in diesem Sinne war seine bekannteste Bewohnerin Christiane F. ein recht plastisches Beispiel für die sozialen und individuellen Folgen dieser Architektur und Stadtplanung. Wahrlich keine gute Werbung für die städtischen Bauträger, die sie auch vorwerfen lassen mussten, eine völlig inhomogene Großsiedlung in den märkischen Sand geklotzt zu haben.


Auch in Berlin werden Radspuren gerne als Parkplatz missbraucht
Und in der Tat, so sieht die Gropiusstadt heute immer noch aus. Und das trotz aller kosmetischen Auflockerungen und Aufhübschungen. Dominiert wird alles von einzelstehenden oder gruppierten Wohnhochhäusern unterschiedlichster Architektur. Dazwischen gibt es ein paar halbherzige Parkanlagen und die obligatorischen eingeschossigen Versorgungsmeilen mit ihren Viedeotheken und Dönerbuden.

Zwischen Lipschitzallee und Kölner Damm befindet sich schließlich der gesellschaftliche Mittelpunkt der Gropiusstadt: das Gemeinschaftshaus auf dem grauem Betonplatz mit betörender Aussicht auf einfallslose Wohnblocks. Der ideale Ort für die gelungene Psychogenese zum Alkoholiker, Fixer oder Schnüffler.


Endlich wieder zurück im Hotel
Sicher, die Gropiusstadt hat auch Positives zu bieten, so etwa das Gropiushaus oder das Ideal-Hochhaus (Berlins höchstes Wohngebäude). Insgesamt krankt das Viertel aber an einer nicht vorhandenen städtebaulichen Einheit. Alles wirkt zerfasert und zerrissen, provisorisch und lieblos. Eben so, wie man im kapitalistischen Westen sozialen Wohnungsbau verstanden hat. Und um es schon einmal vorweg zu nehmen: Selbst die verschriensten Plattenbau-Siedlungen Ostberlins erreichen nicht diesen Grad an deprimierender Ausstrahlung.

Die Wolken haben ihr angedrohtes Versprechen gehalten und lassen es immer stärker regnen. Ich mache mich schleunigst auf den Rückweg. Ab der Karl-Marx-Straße radele ich durch strömenden Regen und komme knappe 15 Kilometer später völlig durchnässt in meinem Hotel an. Zum Abendessen gibt es Brötchen mit Salat und Tomaten drauf - natürlich vegan, denn das braucht mein Immunsystem jetzt um so mehr!

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Text und Fotos © Frank Spatzier 2011