Berlin mit dem Rad, Juni 2011

Vegane Radtouren und Spa(t)ziergänge durch die Hauptstadt:

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Sanierungsverkleidung des Turmes der Gedächtniskirche, daneben Neubau "Zoofenster" (118 m)

Wenig Spaß in Charlottenburg


Ernst-Reuter-Platz
Der Großbezirk "Mitte" setzt sich zusammen aus den Ortsteilen Mitte, Tiergarten und Wedding. Während das Ortsteil Mitte die historische Keimzelle Berlins abdeckt (die ehemaligen Fischerdörfer Cölln und Berlin), befand sich im Tiergarten das innerstädtische Jagdgebiet des Königs.

Übrig ist davon noch der Große Tiergarten, Berlins zentrale grüne Lunge, die sich vom Brandenburger Tor bis hinter den Großen Stern erstreckt. Am nordöstlichen Ende des Tiergartens befinden sich wesentliche bundespolitische Einrichtungen wie etwa das Bundeskanzleramt oder das Reichstagsgebäude samt Bundestag. Auf dem Platz davor stehen sich Schlangen von Menschen die Beine in die Bäuche, weil sie alle die berühmte Aussichtsplattform in der Kuppel besichtigen wollen.

Mich schaudert beim Gedanken, dem Entstehungsort unserer schwachsinnigen Bundespolitik so nahe zu sein. Bloß weg hier, denke ich mir, und trete in die Pedale. Vorbei am Haus der Kulturen der Welt geht es über John-Foster-Dulles-Allee und Spreeweg mitten hinein in den Großen Stern, dann weiter über die Straße des 17. Juni nach Westen.


Neubau "Zooblick"
Der Ernst-Reuter-Platz liegt bereits im Ortsteil Charlottenburg und ist nach West-Berlins erstem Bürgermeister benannt. Schon in den 1950er Jahren wurde er zu einer veritablen Verkehrsdrehscheibe ausgebaut und nach Plänen des Architekten Werner Düttmann mit Springbrunnen in seiner Mitte aufgelockert.

Umschlossen wird der Platz heute von Hochhäusern, die fast alle von der Technischen Universität genutzt werden. Alle Gebäude sind dabei auf lange Pfähle gegründet, da der Grundwasserspiegel an dieser Stelle besonders hoch liegt. Radfahrtechnisch ist der verkehrsumtoste Kreisverkehr übriges vorbildlich ausgestattet: es gibt je nach Abbiegerichtung getrennte Radspuren mit separaten Fahrradampeln.

Über die Hadenbergstraße radele ich ins mondäne Zentrum des früheren West-Berlin, das mit dem Kurfüstendamm auch seinen großbürgerlichen Boulevard besitzt. Er war einer der Hauptschauplätze der "Roaring Twentys" und damit ein Dorn im Auge des Menschen- und auch Spaßfeindes Hitler. Den letzten Rest gaben ihm die Bombennächte des Zweiten Weltkrieges, die ihn in Schutt und Asche legten.


Gedächtniskirche mit Ganzturm-Kondom, dahinter Europacenter
An die damaligen Zerstörungen gemahnt die Kaiser-Wilhelm-Gedächtbiskirche, deren zerstörter Turm bis heute in den Berliner Himmel ragt. Allerdings droht er nun endgültig zu zerfallen, weshalb aufwändige Reparaturarbeiten nötig sind. Diese finden unter einer durcheghenden Sanierungsverkleidung statt, die dem Turm nun die Optik eines gewöhnlichen Hochhauses verleiht.

Im Vergleich zu Mitte wirkt Charlottenburg um den Kurfüstendamm unangenehm eng und vollgestopft. Lärmender Verkehr drängt sich durch die Straßen, an denen es nicht einmal Radspuren oder -wege gibt. Radfahren macht hier keinen Spaß, und zu sehen gibt es auch nicht allzu viel. Einzig das 86 Meter hohe Europa-Center mit seinem bekannten Dach-Mercedesstern reisst den Karren ein wenig aus dem Dreck. Trotzdem, bleiben möchte ich hier nicht länger. Außerdem ruft das Bauhaus-Archiv, das wieder auf Tiergartener Terrain liegt.


Straußberger Platz


Straußberger Platz


Karl-Marx-Allee(ehemals Stalinallee)

Wo gehts zur Plattenbau-Hölle? Unterwegs nach Marzahn-Hellersdorf (Rückweg fast über Köpenick)


Wandgemälde des nicaraguanischen Künstlers Manuel Garcia Moia (Skandinavische Str.)
Keine Frage, wer in Berlin gigantische Plattenbaukomplexe besichtigen will, muss in den Osten. Tief in den Osten. Und zwar in den Bezirk Marzahn-Hellersdorf, wo freiwillig angeblich niemand hinmöchte und Gregor Gysi seinen Wahlkreis hat. Die Geschichte dieser Ortsteile ähnelt in gewisser Weise der von Buckow, Rudow und Britz, wo sich ab den 1960ern die Gropiusstadt breitgemacht hat. Nur heißen sie im Osten Biesdorf, Kaulsdorf oder Mahsldorf und waren früher auch nichts weiter, als kleine Ortschaften im Dunstkreis der Metropole. Doch dann entdeckten die sozialistischen Planer die weiten Felder im Umkreis der Dörfer als ideale Bauflächen für Wohnsiedlungen.

Bis zu ihrem Zusammenschluss waren Marzahn und Hellersdorf die jüngsten Bezirke der Stadt. Bis Anfang der 1980er Jahre gehörten sie noch zum Bezirk Lichtenberg und bekamen erst dann die Autonomie geschenkt. Heute leben in ihren Plattenbau-Großsiedlungen fast Dreiviertel aller Einwohner des Bezirks. Und das sind mit 250.000 nicht gerade wenig. Und doch überrascht der Großbezirk durch seine Luftigkeit, seine entspannte Weite und sein vieles Grün.


Friedhof Friedrichsfelde
Von Mitte in der äußersten Osten zu kommen, ist in Berlin das Einfachste der Welt. Man schlägt sich irgendwie bis zum Alexanderplatz durch und rollt anschließend auf die Karl-Marx-Allee, die kurz dahinter beginnt. Die frühere Stalinallee ist meiner Überzeugung nach die imposanteste und faszinierendste Straße Berlins, zumindest auf ihren ersten zwei Kilometern bis zum Frankfurter Tor.

1990 komplett unter Denkmalschutz gestellt, beherbergt der 90 Meter breite Prachtboulevard die Höchstleistungen sozialistischer Architektur. Am 3. Februar 1952 wurde hier der Grundstein für den ersten Wohnblock gelegt. Und weil die im Zentrum der neuen Hauptstadt der DDR besonders schön aussehen sollten, machte man sich alle Mühe, die Gebäude reich zu verzieren. Zur Verwendung kamen Hunderttausende Kacheln aus Meißen, klassizistische Säulen, künstlerische Gesimse und Balustraden.


Gedenkstätte der Sozialisten
Auch das städtebauliche Ensemble begeistert: Betrachtet man den Straußberger Platz als Anfang des Komplexes, so bilden seine Hochhäuser ein Tor. Ein zweites Tor wird von den Türmen des Frankfurter Platzes gebildet, die in Sichtweite liegen. Und radfahrtechnisch ist die Karl-Marx-Allee mit ihren sehr breiten Radwegen ein Genuss. Es ist eben immer von Vorteil, wenn genügend Platz für alle da ist.

Am Frankfurter Platz geht die Karl-Marx-Allee in die Frankfurter Allee über und führt mitten hinein in den Friedrichshainer Kiez mit seinen kleinen Läden und alternativen Subkulturen. Noch immer radele ich auf einem passablen Radweg, auch wenn er hier ab und an von uneinsichtigen Autlern als Kurzparkplatz missbraucht wird. Kurz bevor die Frankfurter Allee die Bahngleise auf der Lichtenberger Brücke überquert, biege ich nach links in die Gertrudenstraße ab.


Gedenkstätte der Sozialisten
Ich mache einen kleinen Abstecher zum Zentralfriedhof Friedrichtsfelde, der schon im Bezirk Lichtenberg-Hohenschönhausen liegt. Und aus welchem Grunde besucht ein politisch gebildeter und überzeugter Mensch diesen Friedhof? Weil sich genau dort die Gedenkstätte der Sozialisten befindet.

Hier ruhen - zumeist nur symbolisch - große Persönlichkeiten des deutschen Sozialismus, allen voran die KPD-Mitbegründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Zu DDR-Zeiten sind die alljährlichen Kranzniederlegungen wohl ungleich größer ausgefallen, als sie es heute sind. Dennoch erweisen noch immer einige Sozialisten ihren politischen Vorbildern und Bewegungs-Gründervätern und -müttern die Ehre. So wie ich heute.


Auf Höhe Friedrichfelde
Aber auch der restliche Friedhof ist nicht ohne Reize. In weiten Bereichen wirkt er wie ein Wald, in dem verwitterte Gräber mit ihren schiefen und überwucherten Grabsteinen liegen. Alles in allem also ausgesprochen verwunschen und mit einer Prise düsterer Romantik gewürzt. Der ideale Platz für eine kleine Rast.

Und während ich so dasitze, mein Brötchen verdrücke und ein nahes Grab bestaune, kommen plötzlich zwei Leute auf mich zu. Ohne es zu wissen, habe ich mich auf ihrer privaten Sitzbank niedergelassen. Denn im Grab nebenan verwesen die Gebeine ihrer kürzlich verstorbenen Tochter. Sie war in etwa so alt wie ich, als sie aus dem Leben schied. Seit dem kommen die Eltern regelmäßig an ihr Grab und haben sich daher eigens eine kleine Sitzbank aufgestellt. Mein restliches Brötchen esse ich anschließend lieber in sozialistischer Gesellschaft auf.


Kaulsdorf, Dorfstraße


Kaulsdorf-Nord


Auf der Lichtenberger Brücke



Weiter geht′s in Richtung Plattenbauhölle. Doch die will sich so schnell nicht sehen lassen. Ein paar Kilometer pedaliere ich schon längst durch Marzahn-Hellersdorfer Terrain, doch die Architektur wirkt derart aufgelockert, dass fast glaube, Berlin hinter mir gelassen zu haben. In Alt-Biesdorf ist der alte Dorfanger samt Kirche noch bestens zu erkennen; und überhaupt wirkt alles beschaulich und klein. Anderthalb Kilometer weiter bin ich schließlich in Kaulsdorf und biege vorsichtshalber nach links ab, bevor ich Berlin dann wirklich hinter mir lasse. Doch anstelle der erhofften Plattenbaukomplexe lande ich ich in der Dorfstraße mit ihren kleinen Häuschen und der Kirche. Millionenstadt und Metropole Berlin? Die ist überall, aber bloß nicht hier in der Märkischen Provinz.


Pflänzchen
Um es kurz zu machen: Nach längerer Suche finde ich dann doch meine ersehnten Plattenbauten im Norden von Kaulsdorf, Biesdorf und Marzahn. Trotzdem fehlt von der erwarteten Tristesse jede Spur. Man könnt schon fast das Gegenteil behaupten. Die Blocks wirken eher bunt als grau und liegen oft so weit von einander entfernt, dass genügend Platz für Grünflächen herrscht. Auch wirken die einzelnen Gebäude mit durchschnittlich fünf bis sechs Geschossen weitaus leichtfüssiger, als ihre Geschwister in der Gropiusstadt. Und das selbst dann, wenn sie in Gestalt langer Bänder auftauchen. Zu guter Letzt ist da ja auch noch das Wuhletal, das als grünes Naherholungsgebiet wie ein langer Keil zwischen Kausldorf und Marzahn liegt. Da wohnt es sich vielerorts erheblich schlechter.


Die frisch sanierten "Twin-Towers"
Auf meinem Rückweg mache ich noch einen kleinen Abstecher in Richtung Köpenick, das ein paar Kilometer weiter südlich liegt. Hierzu nehme ich die Köpenicker Straße, die mein Ziel schließlich so schön im Namen trägt. Aufgrund mangelhafter Beschilderung führt sie mich allerdings zum Bahnhof Wuhlheide und weiter in die Verlängerte Wladowallee. Erst hier dämmert mir, dass Köpenick ganz woanders liegt. Ich füge mich den Tatsachen und radele zurück nach Mitte.

Und was gibt es diesem Tag zu essen? Weil es auf dem Weg liegt, esse ich in der Boxhagener Straße in Friedrichshain zu Abend, und zwar einen veganen Döner! Diese ausgesprochen leckere Spezialität wird in einem kleinen Imbiss namens   Vöner angeboten. Er besteht selbstredend nicht aus dem Fleisch gequälter und getöteter Tiere, sondern aus Seitan (Weizeneiweiß). Dazu gibt′s Pommes, die hier so gut schmecken, wie nirgendwo sonst.

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Text und Fotos © Frank Spatzier 2011