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Mecklenburger Runde, August 2009

Tag 1: Lübeck - Flesenow am Schweriner See

85 km

25 - 30 °C


Kurzer Stopp hinter Schönberg
Eine ungleiches Paar auf Radreise durch Mecklenburg. Der eine Radler auf dem High-End Reiserad, der andere auf dem 7-Gang Cityrad, dazu noch in Damenausführung. Ohne Low Rider, ohne Radtaschen, dafür mit viel Improvisation. Ohne Radreiseerfahrung, dafür mit viel Wagemut, Neugierde und Optimismus. Auf der anderen Seite ein leidenschaftlicher Radreisefan mit erprobter Ausrüstung und dem berüchtigten Jucken in den Waden. Die Strecke soll das nordöstliche Mecklenburg durchmessen, mit Tagesetappen von nicht unter 70 Kilometern. Ob das gutgehen kann?

Zur Vorgeschichte: Bei meinem Mitfahrer handelt es sich um Dirk, der nicht nur wie ich gerne Rad fährt, sondern auch in unserer Band Liquid Sky an den Saiten zupft. Er zögerte keine Sekunde, als ich ihn fragte, ob er mich auf dieser Radreise begleiten wolle. Auch ohne angemessenes Equipment zu besitzen, war er sofort Feuer und Flamme und brannte darauf, mal ein paar Tage nur mit Rad und Zelt unterwegs zu sein. Mögliche Bedenken bezüglich Rad, Gepäckbefestigung oder Erfahrung im Pedalieren mit veritablem Zusatzgewicht werden mit der lapidaren Bemerkung beiseite gewischt, das schon irgendwie hinkriegen zu werden. Ein paar Tage später treffen wir uns in Lübeck Wesloe. Das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite, während ein ungleiches Radlerduo unter gleißender Sonne gen Osten düst.

Unser erstes anvisiertes Ziel ist Bad Kleinen, wo es laut unserer Radkarte einen Campingplatz geben soll. Noch ahnen wir nicht, dass auch Radkarten irren können und unser Ziel schließlich Flesenow heißen wird - auf der gegenüberliegenden Seite des Schweriner Sees...


Abgeerntete Felder bei Rehna


Hundeangriff in Vitense
Noch ein letzter Einkauf, dann kann es losgehen. Bepackt mit einer dicken Flasche Energydrink und etwas Wasser verlässt Dirk das Famila Warenhaus in Lübeck Wesloe, das nur einen Katzensprung von unserem Proberaum in Schlutup entfernt liegt. Nur geht es diesmal nicht zum Proben, sondern zum knapp 80 Radkilometer entfernten Schweriner See. Wir haben ein wenig Mühe, die zusätzlichen Geträke in Dirks Gepäck zu verstauen. Er hat nur eine Satteltasche, dafür zusästzlich einen Rucksack auf dem Gepäckträger festgezurrt. Die Konstruktion wirkt zwar ein wenig wackelig, scheint aber ganz gut zu halten. Wir spannen noch ein zusätzliches Gummiband über das Gelumpe und radeln los.

Eine warme Sonne brennt vom Himmel, während wir Lübeck über Kirschenallee und Brandenbaumer Landstraße verlassen. In Herrnburg haben wir schließlich mecklenburgischen Boden unter den Laufrädern. Vorbei an Lüdersdorf und Lokwisch radeln wir bei bester Laune nach Schönberg, das mit seinen schmucklosen Backsteinhäusern leicht an den Ruhrpott erinnert. Das Städtchen liegt im westlichen Maurinetal, das besonders hier eine ausgeprägte Hügeligkeit entwickelt. So haben wir auf dem Weg nach Roduchelstorf eine erste langgestreckte Steigung zu bewältigen. Dirk muss sich hier auf seinem vollbepackten Damen-Cityrad mächtig ins Zeug, denn seine 7-Gang Schaltung ist ihm auch keine rechte Hilfe beim Bewegen des ungewohnten Gewichts.


Kleine Pause bei Testorf
Dirk hat auch in den nächsten Kilometern zuweilen mächtig zu leiden, denn die Landschaft bleibt hügelig. Zwar sanft und mit längeren moderaten Anstiegen, damit aber einfach nicht eben genug für ein überladenes Stadtrad. Eine Weile folgen wir dem westlichen Backsteinrundweg, der die imposanten Kirchenbauten aus Backstein zum Thema hat, die die größeren und selbst kleineren Städte dieser Region prägen. Auf ruhigen Nebenstraßen radeln wir durch eine ansprechende Mixtur aus lieblichen Agrarlandschaften und verschlafenen Ortschaften.

Im idyllischen Vitense, dessen Geschichte bis ins Jahr 1202 zurückreicht, werden wir Opfer eines Hundeangriffs. Während eines kleinen Orientierungsstopps stürzen zwei schuhkartongroße Pudel aus einer Hauseinfahrt und kläffen uns an. Bevor schlimmeres geschieht, suchen wir schnell das Weite...


Mecklenburger Weiten


Idyllische Landwege bei Drispeth
Hunger macht sich breit. Dazu verlässt uns nach und auch noch die Sonne und macht einem diffus bewölkten Himmel Platz. Weit und breit ist kein Einkaufsladen zu sehen. Selbst in Upahl, das auf unserer Radkarte immerhin fett gedruckt ist, gibt es allem Anschein nach zwar zwei massige Autohäuser, jedoch nicht einmal einen Tante-Emma-Laden - geschweige denn einen Vertreter der ewigen Discounter, die sonst überall wie Unkraut aus dem Boden schieß,en.

Mit hängenden Mägen pedalieren wir munter weiter, denn wir haben gerade mal knapp die Hälfte unserer Etappe hinter uns gebracht. In loser Folge ziehen die Dörfer Testorf, Harmshagen und Groß Krankow an uns vorbei, bevor mit Bobitz wieder eine größere Ansiedlung erreichen. Auf der B206 sind es nur ein Dutzend Kilometer bis Wismar, was uns hier aber wenig nützt. Verpflegung scheint es auch nicht zu geben, dafür aber eine Eisdiele und eine Raiffeisenbank. Auf deren Parkplatz lassen wir uns kurz nieder und futtern ein paar mitgebrachte Nüsse aus der Tüte.

Dirk hat schon seit einiger Zeit ein wenig zu leiden. Die häufigen Anstiege ließen sich mit dem beladenen Cityrad nur unter Mühen bewätigen, was gewaltig an seinen Kräften zehrte. Da auch kein Nahrungs- und Energienachschub stattfand, ist sein Wohlbefinden einem merklichen Erschöpfung gewichen.

Von Bobitz führt ein gemütlicher Weg in das idyllische Örtchen Drispeth an den Dambecker Seen, die nebenbei zum größten Naturschutzgebiet des Landkreises Nordwest-Mecklenburg gehören. Vorbei an Zickhusen bekommen wir in Gallentin ein erstes Mal den Schweriner See in den Blick. Nun sind es nur noch wenige Kilometer bis Bad Kleinen, wo unser Campingplatz sein soll.


Auf nach Zickhusen!


Zelten in Flessenow
Auf Radreisen ist es immer besser, sich auf nichts zu verlassen. Wie sonst im Leben, gibt es auch hier keinerlei Gewissheiten. Auf nichts kann man sich verlassen, nichts und niemandem kann man vertrauen - schon garnicht einer Fahrradkarte. In unserer Bikeline RK-MV1 (Lübecker Bucht, Mecklenburgische Ostsee West, aktuellste Ausgabe) ist überdeutlich ein kleines Campingplatz-Symbol in Bad Kleinen abgedruckt. Zwar klein, aber unübersehbar.

Es ist bereits gegen acht Uhr abends, als wir in den kleinen Ort einrollen, der einen Grossteil seiner Bekanntheit durch einen Einsatz der GSG-9 verdankt, bei dem am 27. Juni 1993 die RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams festgenommen werden sollten. Es kam zu einem Feuergefecht am Bahnhof, bei dem ein Beamter sowie Wolfgang Grams ums Leben kamen.

Unser Ziel ist aber nicht der denkwürdige Bahnhof der kleinen Gemeinde, sondern eine Informationstafel für Besucher, aus der sich keinerlei Hinweis auf einen Campingplatz findet. Angesäuert radeln wir weiter und machen Station in einem Supermarkt. Mit aufgefüllten Reserven an Lebensmitteln aller Art verkraften wir auch die negativen Antworten auf unsere Frage nach dem Campingplatz mit stoischer Gelassenheit. Wie wir fast schon geahnt haben, gibt es in näherer Umgebung keinen Campingplatz, erst wieder in Flessenow auf der anderen Seite des Sees. So radeln wir gelassen die letzten 12 Kilometer in die sanfte Abenddämmerung hinein.

Vorbei an Hohen Viecheln geht es im Zwielicht durch das Naturschutzgebiet Döpe am gleichnamigen See, bevor wir gegen 22 Uhr endlich den Campingplatz in Flessenow erreichen. Nach Zeltaufbau und wohlverdientem Feierabendbier schlafen wir einer weiteren spannenden Etappe entgegen.


Der Schweriner See

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Route

  • West-Mecklenburg


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