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Mecklenburger Runde, August 2009

Tag 3: Zierow - Schwerin

63 km / 95 km (mit Stadtrundfahrt Schwerin)

16 - 20 °C


Aussichtsturm im Bürgerpark Wismar
Bevor es losgeht, versorgen wir uns im Campingplatz-Laden mit Brötchen und Streuselschnecken, frühstücken gemütlich und bauen das Gerödel ab. Vor uns liegt eine anspruchsvolle Etappe ans Südende des Schweriner Sees zum Campingplatz in Raben Steinfeld, einer Nachbargemeinde Schwerins - geschätzte 80 Kilometer ohne Umwege und inclusive einer Durchquerung der Landeshauptstadt als Bonbon.

Die ersten Kilometer spulen wir ohne nennenswerte Aufmerksamkeit ab, da wir die Strecke nach Wismar bereits gut kennen. Am Rande der schnörkellosen B106 fällt uns schon von Weitem ein sonderbar aufragendes Bauwerk ins Auge. Es handelt sich dabei um den 28 Meter hohen Aussichtsturm des Wismarer Bürgerparks, einem großflächigen Ausflugs- und Naherholungsgebiet im Köppernitztal. Die Aussicht auf eine gute Aussicht ermuntert uns zu einem kleinen Abstecher. Zum Glück haben Turm und Bürgerpark geöffnet und kosten keinen Eintritt - sehr löblich! Wir parken die Räder und genießen anschließend einen tollen Rundblick, der nach Norden hin bis weit über die Wismar Bucht reicht. Den Schweriner See können wir leider nicht erkennen, dafür ist das Wetter wohl zu trüb. Wir lassen uns auf der leicht schwankenden Stahlkonstruktion den Wind um die Nasen wehen und freuen uns über den lohnenswerten Abstecher.


Blick über den Bürgerpark nach Norden
Weiter geht es wieder durch Dorf Mecklenburg nach Hohen Viecheln. Um nicht die komplette gestrige Strecke einfach wieder zurückzufahren, lassen wir diesmal Moltow links liegen und nehmen eine ruhige Nebenstrecke über Moidentin. Hinter diesem kleinen Dorf am Wallensteingraben wird unser Weg sehr schmal und führt durch eine ruhige Wald- und Feldlandschaft. Dabei ist so mancher Hügel zu überwinden, was Dirk mit wenig Wohlwollen zur Kenntnis nimmt und mit emsigen Schieben quittiert.

Weiter geht es auf einer eher reizarmen Strecke am nordwestlichen Ufer des Schweriner Sees entlang. Hinter Gallentin radeln wir auf einem gemütlichen Waldweg zum Begräbniswald Waldfrieden, wo wir uns zwar nicht zu unserer letzten, so aber zu einer kleinen Zwischen-Radlerruhe niederlassen. Kurz darauf passieren wir den Skulpturengarten von Schloß Wiligrad, dessen eigenwilliger Namen an den ursprünglichen Namen der Burg Mecklenburg (s.o.) erinnert.

Lübstorf und Hundorf ziehen an uns vorbei, und in Seehof beradeln wir bereits das Schweriner Stadtgebiet. Schwerin ist die einzige Landeshauptstadt, deren Einwohnerzahl mit 95.000 knapp unterhalb der Großstadtschwelle liegt. Um Zuzüge zu befördern und die Abwanderung zu minimieren, stehen auch im 1936 eingemeindeten Seedorf weite Neubaugebiete für Ein- und Mehrfamilienhäser mit attraktivem Seeblick. Den gibt es sicher auch aus so manch oberem Stockwerk eines Plattenbaus in Neu-Zippendorf, nur erfreut sich diese Form des Wohnungs- und Städtebaus schwindender Beliebtheit.


Turmblick


Kleine Pause vor dem Begräbniswald Waldfrieden


Endlich in Schwerin
Sehr zu unserer Freude hat sich das Wetter gebessert und die Sonne beherrscht nach und nach den morgens noch dunklen Himmel. In Wickendorf verlassen wir die Westseite des Schweriner Sees und biegen in Richtung Paulsdamm und B104 ab. Weil das Ufer an diese Stelle steil abfällt, geht es erstmal mit Karacho beragab, bevor wir auf Wasserhöhe durch ein schilfbestandenes Naturschutzgebiet auf das lange Betonband der B104 zuradeln. Auf einem begleitenden Radweg geht monoton geradeaus auf Schwerin zu, wobei der ständige KFZ-Verkehr der Bundesstraße das umgebende Naturidyll auf der Landzunge zwischen Innen- und Ziegelsee zur Farce mutieren lässt.

Nach einer Viertelstunde langweiliger Kurbelei erreichen wir schließlich die Randbezirke Schwerins. Zum Teil im Blindflug, zum Teil durch Befragung, arbeiten wir uns zum Zentrum der sympathischen Stadt vor, das von dem wuchtigen Bau des Schlosses gekrönt wird. Auch wenn es Schwerin nicht ganz auf 100.000 Einwohner bringt, ist die Orientierung ohne Stadtplan ein heikles Unterfangen. So bleibt uns keine Wahl, als in der gut besuchten Touristeninfo das dringend benötigte Kartenmaterial zu besorgen - schließlich müssen wir uns auf dem Weg nach Raben Steinfeld durch die gesammelten östlichen Ausläfer der Stadt kämpfen.


Zelten in Raben Steinfeld
Ausgerüstet mit einem Innenstadt- und Umgebungsplan fällt uns das nicht mehr allzu schwer. Zwar verfahren wir uns noch einmal ein ganz klein wenig, was vor allem dem abgekämpften Dirk eine zusätzliche Portion Geduld abverlangt. Doch nach die Auskunft eines sehr freundlichen Passanten bringt uns im Straßengewirr zwischen Faulem uns Ostdorfer See wieder auf die richtige Fährte. Nun brauchen wir nur noch der stark befahrenen B321 eine Handvoll Kilometer bis Raben Steinfeld zu folgen, das bereits im Landkreis Parchim liegt.

Mangels einer gut sichtbaren Ausschilderung des Campingplatzes wird diese Etappe nur noch durch ein letztes kleines Missgeschick beendet. Im Ort selbst steigt die Straße über einen halben Kilometer sehr steil an. Dirk muss mit letzter Kraft sein Cityrad schieben, und selbst ich komme in den kleinen Gängen zünftig ins Schwitzen. Oben angekommen ist von einem Campingplatz weit und breit nichts zu sehen. Zwei junge Mädchen geben uns schließlich die erhoffte Auskunft. Nun brauchen wir uns nur noch durch einen Wald ans Ufer herunterrollen zu lassen. Später werden wir feststellen, dass wir uns garnicht den Berg hinauf hätten quälen müssen, da am Ortseingang ein kleiner Waldweg in Richtung Campingplatz abgeht. Diesen hatte Dirk sogar schon ausgemacht - doch leider konnte ich sein Rufen nicht mehr hören, weil ich mich mit Schwung und Elan in den Anstieg geworfen hatte. Tempo ist gut, Nachdenken aber manchmal besser...


Das Schweriner Schloß


Lenin in Schwerin Neu-Zippendorf


Abendlicher Blick über den Pfaffenteich, links die Silhouette des Arsenals


Schlossstraße
Beim Einchecken in den etwas spießig wirkenden Campingplatz in Raben Steinfeld eröffnet uns die Betreiberin, dass sie uns eigentlich garnicht aufnehmen dürfe. Zu voll sei der Platz wegen BUGA und Hochsaison, so dass die drei Duschen nicht mehr ausreichend seien. Wir versichern ihr, als bescheidene Zelter nicht viel ihrer kostbaren Ressourcen beanspruchen zu wollen, dann dürfen wir uns auf der komplett freien Zeltwiese niederlassen. Den vollen Preis zahlen wir trotzdem. Übervölkert ist der Platz keineswegs, allerdings dominieren ihn ganz eindeutig Mitglieder der Wohnmobilfraktion, von denen sich einige sogar kleine Gärtchen eingerichtet haben. Wahrscheinlich will man dieser Stammklientel nicht zumuten, die Sanitäranlagen mit verwegenen Alternativtouristen teilen zu müssen. Egal, nachdem die Zelte stehen, ist erstmal ein kleiner Einkauf angesagt. Durch ein kleines Wäldchen radeln wir am späten Nachmittag in einen nahegelegenen Supermarkt und versorgen uns mit dem Nötigen. Während Dirk zu den Zelten zurückfährt, breche ich zu einer abendlichen Stadtbesichtigung Schwerins auf, das knappe zehn Kilometer von unserer Unterkunft entfernt liegt.

Schwerin ist eine ausgesprochen schöne und angenehme Stadt. Nicht besonders groß, doch städtisch genug, um eine würdige Landeshauptstadt abgeben zu können. Die Stadt windet sich um das Südufer des Schweriner Innensees herum, wobei ein langer Uferweg vom Zentrum bis hinüber nach Raben Steinfeld führt, der besonders am Abend von unzähligen Joggern genutzt wird. Überhaupt bildet der langgezogene Uferbereich ein veritables zentrumsnahes Naherholungsgebiet. Schwerin ist zudem eine Stadt des Wassers, denn neben dem prominenten Hauptsee lockern zahlreiche weitere Gewässer die Innenstadt auf. Besonders der Ostdorfer See, der wie ein Keil in Richtung Innenstadt ragt, sowie der nördlich gelegene Pfaffenteich sind maßgeblich für die Atmosphäre Schwerins - immerhin besteht ein Viertel der Stadtfläche aus Wasser.


Marktplatz mit Dom und Säulengebäude


Marstall, Blick zum Schloss


Im Schlossgarten
Unbestrittener Mittelpunkt, touristisches Highligt und städtebauliches Juwel Nummer Eins ist allerdings das Schloss, das auf einer verwunschen wirkenden Insel inmitten des Innensees thront. Der verschnörkelte Bau blickt auf eine fast 1000-jährige Geschichte zurück und wurde im Laufe dieser Zeitspanne mehrfach um-, ab- und neu aufgebaut. Seine heutige Gestalt erhielt das Schloss, das ursprünglich auf die Anlage einer slawischen Burg aus dem frühen Mittelalter zurückgeht, erst im 19. und 20. Jahrhundert. Heute beherbergt das Gebäude den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns sowie ein staatliches Kunstmuseum. Es soll auch einen "Petermännchen" genannten Hausgeist besitzen, der bereits Wallenstein heimgesucht und aus der Stadt gejagt haben soll.

Die Schweriner Altstadt befindet sich gegenüber von Schlossinsel und Burgsee. Ihren Mittelpunkt bildet der Markt mit Altstädtischem Rathaus, Säulengebäude und Dom. Die eigentümliche Anordnung der stilistisch nicht unbedingt zueinander passenden Bauten lässt das weißgetünchte Neue- oder Säulengeäude leicht schief erscheinen. Mit 117 Metern Höhe überragt der Turm des Domes als zweithöchste Bauwerk der Stadt die umliegenden Giebelhäuser. Verbunden werden Marktplatz und Schlossinsel über die Schlossstraße, in der sich ein Repräsentativbau an den nächsten reiht. Besonders hervorzuheben sind die klassizistische Staatskanzlei und weitere historisierende Regierungsgebäude. In der Tat gibt es in der Altstadt - mit Ausnahme des Domes - keine Bauwerke, die vor dem 17. Jahrhundert entstanden sind. Was hier alt aussieht, ist in den meisten Fällen der Historismus des 19. Jahrhunderts. Hübsch anzusehen ist es trotzdem .


Funkturm (137 Meter) und Sendemast (273 Meter)


Neu-Zippendorfer Abendstimmung


In der Hamburger Allee
Doch was wäre eine Besichtigung Schwerins, ohne die jüngere Geschichte ausreichend zu würdigen? Sie wäre unvollständig. Auf meinem Rückweg nach Raben Steinfeld radele ich am Seeufer entlang nach Osten. Im Stadtteil Zippendorf ragt in der Entfernung der Funkturm auf einer Anhöhe empor und übt eine eigenwillige Anziehungskraft auf mich aus. Über die breite Plater Straße arbeite ich mich den Berg hinauf und lande im ehemaligen Großen Dreesch, der größten Plattenbausiedlung Schwerins. Zwischen den Jahren 1971 und 1983 wurden hier knapp 5000 Wohneinheiten für 14.000 Einwohner erstellt. Das Neubaugebiet umfasste zudem eine Poliklinik, Einkaufszentren und eine Schwimmhalle. Als viele Bewohner den großen Dreesch nach der Wende verließen und in den Plattenbauten immer mehr Wohnungen leer standen, entwickelte sich das in Neu-Zippendorf umbenannte Gebiet zu einem sozialen Brennpunkt der Stadt. Heute liegt die Einwohnerzahl bei 8.100 mit fallender Tendenz - daran ändert auch der mancherorts schöne Ausblick über den Schweriner See nicht viel.

Gekrönt wird der Große Dreesch vom 137 Meter hohen Funkturm, der 1957 im Zippendorfer Wald auf einem Hügel von knapp 72 Metern Meereshöhe errichtet wurde. Daneben steht der 273 Meter hohe Sendemast, der hauptsächlich für die UKW-Ausstrahlung genutzt wird. Bevor ich mich auf den Rückweg mache, begegne ich noch Lenin und seinem "Dekret über den Boden" - einem Denkmal an der Kreuzung von Plater Straße und Hamburger Allee. Das Dekret war nach der Oktoberrevolution die Grundlage der russischen Bolschewisten zur Landenteignung von Klerus und Gutsherrnschaft.

In der Abenddämmerung radele ich zurück ans Zippendorfer Ufer und folge dem unbefestigten Ufer- und Waldweg bis Mueß, wo ich ihn wegen der zuweilen haarsträbend schlechten Qualität entnervt verlasse. Zurück in Raben Steinfeld geht es nach einem verdienten Feierabendbier ins lauschige Zelt.


Platz der Discounter


Am Faulen See

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Route

  • West-Mecklenburg


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