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Lübeck - Bjørnefjell

Fahren, bis der Elch kommt

Wer nach Nordnorwegen will, muss ausdauernd und geduldig sein, denn die zu bewältigende Strecke ist äußerst lang und zieht sich gewaltig. Man neigt schnell dazu, den Weg zu unterschätzen, zumal die E6 in weiten Teilen eher einer mittelmäßigen Landstraße gleicht.

Von Lübeck fuhren wir nachts los, um morgens im norddänischen Hirtshals zu sein, wo aus die Fähre nach Oslo ablegte. Sie erreichte das verregnete Oslo am späten Nachmittag, und da wir während Überfahrt für ein paar Stunden aufs Ohr gelegt hatten, konnten wir uns einigermaßen ausgeruht ins Auto setzten und gen Norden durchstarten. Vom Osloer Fährhafen aus verlässt man die auf den ersten Blick wenig sehenswerte Stadt durch ein komfortables Netz von Tunneln und Schnellstraßen. Schnell gelangt man auf die E6, die sich für die ersten 50 Kilometer als gut ausgebaute Autobahn präsentiert. Die Hoffnung auf ein schnelles Vorwärtskommen schwindet aber bald mit der beständigen Abnahme der Straßenbreite und -qualität. Bis kurz vor Lillehammer entspricht die wenig aufregende Landschaft der von durchschnittlichen deutschen Mittelgebirgen, erst in der Nähe von Lillehammer werden die Berge schroffer und damit imposanter. Die E6 folgt dann dem Gudbrandsdalen, führt durch das Rondane-Massiv und erreicht schließlich das Dovrefjell, das auf einer Höhe von etwa 1000 Metern über NN überquert wird.

Hier war es mittlerweile dunkel geworden, und der Regen verschlechterte die Sicht erheblich. Zum ersten Mal sah die norwegische Landschaft auffällig anders aus, denn das Fjell liegt oberhalb der mit zunehmender nördlichen Breite rapide sinkenden Baumgrenze, und wirkt so eigentümlich fremdartig. Vom Auto aus wirkte die Landschaft im Dunkeln und im Regen beinahe gespenstisch, und die E6 war nun endgültig zu einer schmalen Landstraße zusammengeschrumpft.

Bis nach Oppdal führt die E6 wieder vom Fjell herunter und erreicht nach vielen Kilometern die Stadt Trondheim, wo sie wieder zu einer ausgebauten Autobahn anwächst und dummerweise mautpflichtig wird (10 Kronen).

Trondheim lag im frühen Morgen noch im Dunkeln. Trotz der nördlichen Breite dauerte es noch einige Stunden oder unzählige Kilometer nordwärts, bis die Morgendämmerung anbrach - was aber eher an der dicken Bewölkung lag. Als es schließlich hell geworden war, befanden wir uns irgendwo zwischen Trondheim und Mosjoen und fuhren, fuhren, fuhren. Nach langen Stunden schließlich erreichten wir Mo i Rana, und nach weiteren Stunden des ununterbrochenen Fahrens gegen Mittag endlich den nördlichen Polarkreis. Genau passend zur geographischen Bedeutung dieses Punktes verändert sich hier das Landschaftsbild gewaltig. Hat man sich noch kurz zuvor über die üppige Vegetation in diesen hohen Breiten gewundert, so befindet man sich nun wieder im kahlen Fjell, das von schneebedeckten Bergen umrahmt ist. Zum ersten Mal auf unserer Reise wirkte die Landschaft wirklich nördlich-polar. Am Polarkreis gibt es einen großen Parkplatz, einige Gedenksteine und schließlich das Polarkreis-Zentrum, das allerdings nicht weiter sehenswert ist, es sei denn, man interessiert sich für den Kauf nutzloser Souvenirs. Angeboten werden außer den üblichen Sinnlosigkeiten allerdings auch Norweger-Pullover und andere Textilwaren von höherer Qualität. Wir besuchten den Shop, benutzten die Toilette, wanderten ein wenig über das kahle Fjell (in dem unzählige Steinhaufen von den frommen Wünschen ebenso unzähliger Touristen künden) und fuhren weiter.


Am nördlichen Polarkreis


Fjell-Landschaft am Polarkreis

Am Bjørnefjell in der Nähe von Narvik

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man lange Stunden ununterbrochen mit dem Autofahren beschäftigt ist, will man es in einer verträglichen Zeit bis hinauf in den äußersten Norden des Landes schaffen. Das ist nur möglich, wenn man sich am Steuer regelmäßig abwechselt. Man neigt beim Studieren der Karten leicht dazu, die riesigen Entfernungen zu unterschätzen. So liegt unser erstes Ziel innerhalb Norwergens, das Björnefell bei Narvik, zwar bereits im hohen Norden, ist aber immernoch Ewigkeiten vom Nordkap entfernt - und eine halbe Ewigkeit vom Polarkreis.

Nach dem Überqueren des Polarkreises führt die E6 wieder vom kahlen Fjell wieder hinab in dichtbewachsene Gebiete. In ihrem weiteren Verlauf folgt sie unterschiedlichsten Fjorden, führt über Brücken und durch Tunnels und endet bei Bognes abrupt vor dem Tysfjorden. Hier muß man mit der Fähre auf die andere Seite übersetzen, was der Nordfahrt eine kleine Zwangspause auferlegte, zumal im Nieselregen die Sicht auf Fjord, Meer und die beachtbarten Lofoten wenig berauschend ausfiel. Von Skarberget auf anderen Fjordseite war Narvik jedoch schnell erreicht. Im Vorbeifahren wirkte die im Nieselregen liegende Stadt mit dem Dank Golfstrom ganzjährig eisfreien Hafen wenig reizvoll. Wir ließen die Stadt links liegen, bogen einige Kilometer weiter auf die E10 in Richtung Schweden (Kiruna) ab und erreichten nach wenigen Kilometern, kurz vor der Grenze, die wir beinahe versehentlich passiert hätten, die Gegend um das Bjørnfjell. Die Hochebene liegt 400 - 1000 Meter über NN, was in diesen Breiten bedeutet, dass die Vegetation auf Büsche, Sträucher und Krüppelbäume zusammenschrumpft. Die Wolken hingen tief, es regnete ununterbrochen und hie und da lag noch Schnee. Unsere Aufgabe war es nun, einen geeigneten Platz für das wilde Aufstellen unseres Zeltes zu finden. Zu allem Überdruß ist die gesamte Gegend bis hin zur schwedischen Grenze ein ausgedehntes Ferienhausgebiet, so dass es schwierig war, bei der Stellplatzwahl die Regeln des Jedermannsrechts einzuhalten. An einem an der E10 gelegenen Parkplatz wurden wir fündig. Unweit von dort lag ein kleiner See, an dessen Ufer wir unser Zelt aufbauen konnten. Für den ersten Aufbau unseres Tunnelzeltes benötigten wir inklusive des Hineinräumens aller notwendigen Sachen eine knappe halbe Stunde. Diese Zeit nutzten die unzähligen Stechmücken für eine zusätzliche Mahlzeit - aus dem gleichen Grunde verbarrikadierten wir uns für Abendessen und Wein-Nachtisch im Zelt.

Wilder Zeltplatz
Der erste wilde Zeltplatz (das Zelt ist durch Tarnfarben nur schwer auszumachen)

Björnfjell
Landschaft am Bjørnfjell

Am Rallarveien: Auf den Spuren der Bahnarbeiter

Das Bjørnfjell befindet sich am Ende der letzten Stichstraße, die die E10 knappe drei Kilometer vor der schwedischen Grenze verläßt. Auf der schwedischen Seite führt die Europastraße in Richtung Kiruna (ca. 160 Km), dem berühmt-berüchtigten nordischen Zentrum des Eisenerzabbaus. Mit diesem hat die Gegend um das Björnfjell eine historische und technische Verbindung, nämlich die Ofotbahn, eine durch schwierigstes Gelände hindurch getriebene Bahnverbindung, auf der das Eisenerz seit 1903 zum ganzjährig eisfreien Hafen nach Narvik befördert wird. Der Bau der Strecke geschah unter schwierigsten Bedingungen, und das Baumaterial musste auf engen Arbeitswegen durch das felsige und steilwandige Fjellgelände zu den jeweiligen Arbeitsorten transportiert werden. Heute befördert die Ofotbahn zwar immer noch Eisenerz, aber mittlerweile auch viele Reisende.

Unsere erste Wanderung auf dieser Reise sollte in ihrem ersten Abschnitt den ehemaligen Arbeitswegen der Streckenarbeiter folgen und anschließend über das Hochfjell zurückführen. Von der Bahnstation Bjørnfjell (513 m ü. NN) folgten wir dem Rallarveien durch das angrenzende Ferienhausgebiet zu den zahlreichen und beschilderten Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke. Vom Weg aus boten sich an vielen Stellen erstaunliche Ausblicke in die Berglandschaft, die trotz ihrer mittelgebirgsmäßigen Höhen (600 - 1000 m ü. NN) aufgrund der niedrigen Baumgrenze sehr alpin wirkten. An vielen Stellen lag selbst jetzt, im Hochsommer, noch Schnee. Als besonders sehenswert empfanden wir jene Überbleibsel aus dem Streckenbau, die einen Einblick in die äußerst harte Streckenarbeit erlaubten - allen voran die imposante Norddalsbrua. Die 180 Meter lange und 1988 stillgelegte Eisenbrücke überquert in schwindelnder Höhe das Norddal und rostet als technisches Denkmal still und langsam vor sich hin.

Einige leichte Schwierigkeiten bereitete uns der zu Steinschlag neigende Fels oberhalb des Weges, der uns ab und zu unfreiwillige Kletterpartien aufnötigte. Der erste Teil der Wanderung, der im wesentlichen dem Rallarveien folgte, endete an der Bahnstation Katterat in 373 m ü. NN. Ständige Begleiter auf dem Weg waren Myriaden von Stechmücken, die es schlichtweg unmöglich machten, zum Rasten oder Verrichten anzuhalten. Besonders am Katterat war es oft nur unter Mühen möglich, in unserem Wanderführer den Wegverlauf nachzulesen. Da der zweite Teil der Wanderung über das Hochfjell zum Ausgangspunkt zurückführen sollte, mussten wir zunächst lange bergauf marschieren, um nach oben auf die Berge zu kommen. Oben angekommen, bot sich das typische Bild des Kahlfjells: eine nahezu vegetationslose Hochebene mit vielen Felsen, kleinen Seen und moorastigen Feuchtstellen. Die Orientierung geschah hier nur noch anhand aufgeschichteter Steinhaufen (Steinmänner), die man im weitläufigen Gelände ausmachen und ansteuern muss. Zum Glück war in unserem Fall noch kein Witzbold auf die Idee gekommen, ein paar der Haufen abzutragen oder umzusetzen...

Das Kahlfjell bietet mit seiner schroffen, kühlen und leicht abweisenden Ästhetik einen idealen Hintergrund für meditative Gedanken oder ähnlich kontemplative Geistesregungen, taugt jedoch auf Dauer nicht allzu viel als visuelle Bereicherung beim Wandern. So waren wir nach einigen fast endlosen Stunden durch die immergleiche Fjelllandschaft froh, als wir die ersten Häuser der Ferienhaussiedlung am Bjørnfjell sichtbar wurden.

Bjornefjell 1
Oben im Bjørnfjell

Bahnstation Björnfjell
Bahnstation Bjørnfjell

Schnee
Schnee im Juli!




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