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Magerøya, Nordkap und Knivskjellodden

Weiter in die Finmark

Eine umfangreiche Nordland-Reise in nur zweieinhalb Wochen zu absolvieren erfordert ein zuweilen ungewöhnliches Vorgehen, damit kostbare Zeit gespart werden kann. Als wir nach den vielen Stunden unserer Wanderung durch das Björnfjell erschöpft und durchgeschwitzt am Auto ankamen, starteten wir den Motor und fuhren ohne Pause weiter in Richtung Nordkapp - immerhin über 830 Kilometer. Als sehr angenehm erwiesen sich in diesem Zusammenhang die immer hellen Polartage, denn so konnten wir auch Nachts bei hervorragenden Sichtverhältnissen und ausgesprochen geringem Verkehr gut vorankommen.

Die E6 führt ab dem Ende des Lysen(-fjordes) bis kurz hinter Alta fast permanent am Wasser, sprich an Fjordlandschaften entlang. Die zumindest für den Reisenden aufkommenden Nachteile einer derart extrem zerklüfteten Küstenformation zeigen sich jedoch in überdeutlicher Schärfe ab dem kleinen Örtchen Odden am Lysen. Hier nämlich ist es einer Laune der Natur eingefallen, einen weiteren Fjord, den Kåfjord, urplötzlich als eine Art Nase des Lyngen gut 20 km nach Osten in die Landschaft hinein ragen zu lassen. Um also nur eine Handvoll Meilen dem Ziel näher zu kommen, muss der gesamte Nebenfjord komplett umfahren werden, und das sind deutlich mehr als 50 km oder eine knappe Stunde Fahrerei. Dafür bekommt der Reisende dann auch die Gelegenheit, die wenig sehenswürdige Ortschaft Kåfjordbotn an der Spitze der Wassernase zu bewundern.

Am frühen Morgen erreichten wir endlich die weitläufige und aufgeräumt wirkende Stadt Alta (mehr zu Alta in Abschnitt 3), tankten kurz und machten uns auf den Weg in den nördlichsten Teil der Finmark, dem nordpolnahen Bezirk Norwegens. Einige Kilometer hinter Alta führt die E6 wieder ins Landesinnere hinein und durchquert im Sennalandet eine Hochebene, die eindeutig lappländisch wirkt. Verstreute, entlang der Straße gelegene Rentierweiden, Samenhäuser (nicht nur Zelte) und auch samische Orts- und Straßenschilder zeugen davon, dass Nordskandinavien (in Norwegen die Bezirke Troms und Finnmark) eigentlich das Land der Samen ist. Letztere konnten sich in Norwegen trotz vieler Rückschläge einen gewissen Grad politischer Selbstbestimmung erkämpfen, ihr teilautonomes Verwaltungszentrum befindet sich in der Stadt Kautonkeino.

Wegezoll und Straßenräuberei am Nordkap

Das Nordkapp ist als das dominierende Ziel unzähliger Nordland-Touristen insofern fragwürdig, als die ästhetische Bedeutung seines Landschaftsbildes kaum mit der ideellen Bedeutung seiner geografischen Lage mithalten kann. Um es vorweg zu nehmen: die Warnungen vor allzu hohen Erwartungen, die in zahlreichen Reiseführern zu lesen sind, treffen in Sachen Nordkapp weitestgehend zu. Und so ist es nichts weiter als eine konsequente Vorverlagerung der ärgerlichen Aura menschlicher Fehleinschätzung, wenn schon viele Kilometer vor dem Ort der touristischen Begierde mit dem Abstrafen einer so undurchdachten wie tradierten Zielfixierung begonnen wird. Trotzdem haben auch wir nicht dem Impuls widerstehen können, dem nördlichsten Punkt Europas einen Besuch abzustatten, obwohl wir uns durchaus darüber im Klaren waren, dass es in Norwegen reizvollere Orte gibt, als das felsige Nordkap.

Auf weiten Strecken im hohen Norden waren wir erstaunt über die teilweise üppige Vegetation, zumal wir uns auf einer Breite befanden, die der Mittel-Grönlands entsprach. Bis weit hinter Alta gab es jede Menge Grünes, und in nicht wenigen Vorgärten hatten die Leute sogar kleine Gemüsegärten angelegt. Dieses Bild änderte sich allerdings grundlegend, nachdem wir von der E6 auf die E69 in Richtung der Insel Magerøya abgebogen waren. Ab hier dominierte bei einer Baumgrenze von etwa 0 m ü. NN der nackte, unbewachsene Fels. Die Landschaft zeigte sich kahl und abweisend, dazu blies ein scharfer und kalter Wind von der See.

Das Nordkap liegt auf der baumlosen Insel Magerøya ("magere Insel", wegen der spärlichen Vegetation), die noch bis vor kurzem ausschließlich über eine Fähre zu erreichen gewesen war. Seit 1999 ist sie mit dem längsten unterseeischen Straßentunnel der Welt, dem 7 km langen Nordkaptunnel, zu erreichen. Die Tunnelröhre beginnt kurz hinter der Ortschaft Kåfjord, führt dann mit einem konstanten Gefälle von 9 % bis 200 m tief unter die Meeresoberfläche, steigt ab dann mit 9 % Steigung wieder an und erreicht kurz vor Honningsvåg das Licht des Polartages (jedenfalls im Sommer). Dort ereilt den Reisenden dann auch eine unverhoffte Überraschung: Wohl um die Touristen nicht schon vor Befahren des Tunnels von der Reise zum Nordkap abzuschrecken, hat man die Mautstation für den Tunnel sinnigerweise dahinter verlegt. Eine Strategie, die angesichts der horrenden Mautpreise von bei uns etwa 16 Euro, nicht unvernünftig scheint. Und um es vorwegzunehmen, der gleiche Betrag muss beim Verlassen der Insel erneut berappt werden - also Leute, seht zu, dass Ihr nicht Euer ganzes Geld auf Magerøya verpraßt!

Hauptort der Gemeinde Magerøya ist das Fischerdorf Honningsvåg (3.500 EW), das mit seiner Lotsenstation eine wichtige Bedeutung für die Schleppnetzfischerei im Nordmeer innehat. Der Ort wirkte wenig beschaulich und kaum anziehend für einen Besuch, womöglich wurde beim Wiederaufbau nach seiner Zerstörung durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg viel Wert auf eine funktionale Architektur gelegt. Von Honningsvåg führt eine zuweilen schmale Straße in Richtung Nordkap. Die Landschaft ist kaum bewachsen, felsig und wirkte bei unserer Ankunft auf Magerøya in den tiefhängenden Wolken trostlos, öde und kahl. Nach einer Weile hatten wir schließlich das Nordkap erreicht - oder vielmehr Bezahlstation davor. Beim Anblick der unverschämt hohen Preise (80 EUR, zumindest dann, wenn man mit dem Auto kommt) machten wir wieder kehrt und verzichteten auf einen Besuch am Kap der Abzockerei. Das Konzept der norwegischen Gierhälse aber scheint aufzugehen, denn viele der weitgereisten Touristen zahlen angesichts der langen Strecke zum Kap eben den Eintrittspreis, denn andernfalls hätten sie den weiten Weg umsonst zurückgelegt. Eine durchaus unrichtige Einschätzung, denn das auf 71° 10’ 21’’ nördlicher Breite liegende Nordkap ist nicht der nördlichste Punkt Europas. Dieser nämlich befindet sich am Ende der Landzunge Knivskjelodden auf 71° 11’ 8’’ nördlicher Breite, ist nur zu Fuß zu erreichen und war ohnehin Ziel unserer geplanten Nachtwanderung am Abend.

Wir kehrten um und bauten unser Zelt auf einem Campingplatz auf, der an der Gabelung der Straße nach Skarsvåg lag, günstig und auch empfehlenswert war. Nach einem erholsamen Mittagsschlaf - im immerhellen Polartag ist es egal, zu welcher Tageszeit man schläft - ging es los zur Nachtwanderung zum Kap Knivskjellodden.


Zelten auf Magerøya


Landschaft auf Magerøya



Die Wanderung zum Kap Knivskjellodden, dem wirklich nördlichsten Punkt Europas

Gegen Abend machten wir uns auf den Weg zum kleinen Parkplatz Knivskjellodden, der nur wenige Kilometer vor der Nordkapp-Abzockstation seitlich an der Straße liegt. Von hier aus beginnt der mit Steinmännern gekennzeichnete Wanderweg zum etwa 10 Km entfernten Kap Knivskjellodden. Das Wetter hatte sich inzwischen zum Guten geändert, die Wolken waren verschwunden und die Sonne schien golden und kräftig. Der Weg verläuft über felsiges Kahlfjell, das von den Samen als Sommerweide für Rentiere benutzt wird. Es war auf den Wanderungen in Norwegen übrigens immer wieder beruhigend, dass die recht häufig auftauchenden Rentiere sehr scheu sind und sich immer in sicherer Entfernung zum Menschen aufhielten - so auch hier. Wir wanderten durch endlose Gesteinswiesen, manchmal auch durch morastige Feuchtstellen, über die gelegentlich Holzstege gelegt waren. Das Wandern über den steinigen und felsigen Untergrund strengte mit der Zeit ein wenig an, weil man ständig die Füße heben muß, um nicht zu stolpern. Bei jedem zweiten Tritt kommt man in aller Regel irgendwie ungünstig zwischen den Steinen auf, so dass trotz unseres sehr festen Schuhwerks die Füße leicht schmerzten. Ohne festes Schuhwerk wäre diese Wanderung eine Tortur.

Der Weg führte durch eine sehr gleichförmige Landschaft, die nur an wenigen Stellen den Blick zum Meer hin ermöglicht und ansonsten eher zur Kontemplation anregt. Vor dem Ansatz der Landzunge Knivskjllodden fällt das Gelände zum Meer hin in eine geröllhaltige Bucht steil ab. Von der Küste steigt der unbefestigte Weg dann wieder ein wenig an und verläuft auf der Hangmitte der Landzunge durch Felsen, Furchen und allerlei andere Hindernisse bis zu deren Ende. Das Wandern an der Schräge war zuweilen mühselig, so dass sich die zwei bis drei Kilometer zur nördlichsten Spitze beträchtlich in die Länge zogen.

Nach langen Stunden der Wanderung hatten wir dann - fast pünktlich um Mitternacht - den nördlichsten Punkt Europas, das Kap Knivskjellodden erreicht und blickten staunend über das Nordmeer unter der taghellen Mitternachtsonne. Östlich der Bucht erhebt sich der imposante Nordkapp-Felsen, auf dem sich unzählige Touristen drängten, deren Treiben wir aus sicherer Entfernung und noch nördlicherer Breite mit dem Fernglas betrachteten. Das Wetter hätte in der Tat nicht besser sein können, denn - selten genug für Magerøya - schien an einem wolkenlosen Himmel die Sonne und ließ auf einer nördlichen Breite von 71° 11’ 8’’ um Mitternacht eine Ahnung von Wärme entstehen.

Nachdem wir uns an der eigentümlichen Atmosphäre an der Barent-See satt gesehen hatten, machten wir uns ermüdet auf den fast endlosen Rückweg. Diesmal blies ein kalter Wind, und auch die Rentiere hatten sich ermattet schlafen gelegt. Gegen vier Uhr morgens erreichten wir unseren Zeltplatz und tranken in der hellen Sonne noch ein frühmorgenliches Glas Wein vor dem Einschlafen - der Marsch zum Knivskjellodden hatte sich mehr als gelohnt!

Nordkapp-Felsen
Der 300 m hohe Nordkap-Felsen


71° 11’ 8’’
Um Mitternacht am nördlichsten Punkt Europas


Blick auf Nordemmer-Insel
Blick von Magerøya auf eine kleine Insel im Nordmeer


Ausblick auf der Insel
Sommernächtliche Aussicht auf Magerøya




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