Pommern im Spätsommer: Über den polnischen Ostseeradweg R10 von Gdynia nach Heringsdorf (Teil 2: Łeba - Kołobrzeg )

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Hindernisfahrt nach Ustka

[Rad-Etappe 4: Łeba - Ustka; 96 km]

Und wieder Kaiserwetter. Oder besser: Radlerwetter, denn der Kaiser ist Geschichte und Radfahren hat Zukunft. Es ist spätsommerlich warm und die Sonne lacht vom Himmel, während ich die ersten Kilometer dieser Etappe über die starkbefahrene 214 abreiße. In Wicko biege ich auf die 213 ab und lasse das Gros der Blechkisten hinter mir, die wohl alle zum Provinzzentrum Lębork (Lauenburg) unterwegs sind. Nach Słupsk (Stolp) wollen von hier aus nur wenige, daher habe ich die Landstraße oft für mich alleine.

Nach 15 Kolimetern verlässt der R10 die Hauptstraße und läuft über urgemütliche Nebenstraßen durch die ländliche Provinz. Leider ist die Beschilderung ausgerechnet in Smołdzino etwas lückenhaft, denn hier gilt es, den kleinen Feldweg zum Jezioro Gardno (Gardner See) ausfindig zu machen.

Recht holprig geht es wieder in den Slowinzischen Nationalpark hinein und weiter bis zum Gewässer, wo nach rechts in Richtung Rowy abgebogen werden muss. Der Wegweiser spricht von neun Kilometern, was im Grunde nicht nach viel klingt. Wie lange aber neun Kilometer werden können, wird mir mit pädagogischer Eindrücklichkeit der folgende Waldweg zeigen.


Der gute alte Kolonnenweg
Dieser gleicht auf weiten Strecken eher einer Panzerübungsstrecke als einem Radfernweg. Der weiche Boden ist von einem längst vergangenen Regen völlig aufgeweicht und matschig. Langsam taste ich mich voran, muss stets Slalom um Wasserlöcher und Wurzeln fahren. Häufig geht garnichts mehr und es muss geschoben werden.

Einen Radfernweg durch ein derartig schlechtes Terrain zu legen, hat durchaus die Züge einer fortgeschrittenen Dreistigkeit. Die Situation wird dabei von den Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung verschärft. Die brausen gerne auf röhrenden Quads durch den Wald und wühlen den Boden noch weiter auf. Hier ist es also dringend nötig, mal ein paar Takte mit den Verantwortlichen zu sprechen.


Neun Kilometer Matschweg


R10 am Nordufer des Jez. Gardno


Da kommt Freude auf...


Blick über den Jezioro Gardno

Passend zu allem Ungemach fehlen auch in Rowy die R10-Beschilderungen, was eine zusätzliche Runde durch den faden Ort zur Folge hat. Bis Ustka radele ich über eher langweilige Landstraßen mit mäßigem Verkehr. Am späten Nachmittag komme ich dann endlich in Ustka (Stolpmünde) an.


Ustka bei Nacht
Ustka spielt in einer anderen Liga als Łeba. Mit gut 18.000 Einwohnern weht fast schon ein großstädtischer Wind durch die Straßen. Vor allem aber bemerkt man die relative Größe am Vorhandensein eines zentralen Biedronka-Supermarkts. Auch die Zimmersuche gestaltet sich hier etwas mühsam. Einige Vermieter wollen nicht für eine Nacht vermieten, weil der Aufwand dann zu hoch sei. Im Gegensatz dazu stehen an vielen Ecken Schlepper, die obdachlose Touristen an günstige Unterkünfte vermitteln.

Ich gehe zum Test mal auf das Angebot eines dieser Dienstleister an und lande in Zimmern, die nicht nur in preislicher Hinsicht billig wirken. Im Grunde kein Problem für einen asienerprobten Reisenden, nur sorge ich mich um mein sichtbar hochwertiges Fahrrad in einer eher argwöhnisch dreinschauenden Nachbarschaft. Zu guter Letzt lande ich in einem kleinen Hotel, muss dafür aber stolze 160 Taler (40 Euro) berappen. Zumindest steht das Rad nun sicher im Keller.


Ustka

Nach Darłowo zur Folter

[Rad-Etappe 5: Ustka - Darłowo; 56 km]


An der Woiwodschafts-Grenze
Eine kurze Etappe für die Kultur. Oder vielmehr für die Unkultur, denn in Darłowo steht die Besichtigung des Schlosses sowie einer Folterausstellung an. Und für beides hätte ich gerne ausreichend Zeit, sprich einen ganzen Nachmittag zur Verfügung.

Die Fahrt dahin ist wenig spektakulär. Kurz hinter Zaleskie überquere ich die Grenze zur Woiwodschaft Zachodniepomorskie (Westpommern). Mit einem Schlage verwandelt sich der Straßenbelag in eine üble Schlaglochansammlung, dazu geht es bergauf. Nicht mehr allzu weit am Horizont türmen sich gewaltige Gewitterwolken auf und ferner Donner dringt grollend zu mir hinüber.

In Barzowice erwartet mich ein fast schon grotesker Anstieg, der sich mit durchschnittlich zehn Steigungsprozenten einen ganzen Kilometer lang durch die komplette Ortschaft zieht. Und wie bei solchen Phänomenen üblich, offenbart sich die ganze Pracht erst im Anschluss an eine Kurve. Bis dahin ist man im naiven Glauben, den Anstieg noch auf dem mittleren Kettenblatt bewältigen zu können. Anschließend schaltet man resigniert auf das kleinste, gibt sich den Gegebenheiten hin und kurbelt im Schneckentempo den Berg hinauf.


Hügelblick
Irgendwann geht es auch wieder runter, denn Berge sind gerecht. Es folgt die stark befahrene 213 nach Darłowo. Mittlerweile hat sich der Himmel bedrohlich zugezogen. Ich schalte lieber das Licht ein, damit mich keiner der vorbei brausenden LKW übersieht. In Darłowo schließlich, keine hundert Meter vom Hotel "Erik" entfernt, beginnt es zu schütten. Eine Punktlandung, denn es sind nur zehn Meter bis zum schützenden Brama Kamienna (Hohes Tor), einem mittelalterlichen Stadttor, unter das ich mich flüchte.

Ein wenig später checke ich im Hotel ein und gehe auf Besichtigungs- und Einkaufstour. Das historische Stadtbild Darłowos ist noch bestens erhalten, da die Stadt den Zweiten Weltkrieg weitgehend unzerstört überstanden hat. Besonders sehenswert sind der quadratische Rathausplatz mit seinen Bürgerhäuser-Ensembles sowie das Schloss der Herzöge von Pommern. Und, um auch das nicht unerwähnt zu lassen, gilt das einstige Rügenwalde als Geburtsstadt der Teewurst. Heute befinden sich aber keine entsprechenden Betriebe mehr vor Ort, was mich als Veganer selbstredend freut.


Darlowo im Regen
Das Schlossinnere enttäuscht ein wenig, seine Sammlungen sind eher dürftig und auch nicht besonders interessant. Aber im Gebäude gegenüber residiert ja noch die Ausstellung mittelalterlicher Foltergeräte. Bei den Exponaten handelt es sich um Originale. Und ausnahmslos alle lassen mich schaudern. Der Mensch ist die einzige Spezies, die es fertig gebracht hat, ihre Intelligenz dafür einzusetzen, ihren Artgenossen möglichst große Schmerzen zuzufügen.

Und das überwiegend im Dienste der Heiligen Inquisition, also christlich-religiöser und machtbezogener Motive. Mir kommt der Gedanke, dass solche anti-zivilisatorischen Entgleisungen auch nur eine Religionsgemeinschaft praktizieren konnte, die ein altrömisches Hinrichtungsgerät zu ihrem Erkennungs- und Identifikationssysmbol erhoben hat...


Im Schloss der Pommerschen Herzöge



Streckbank in der Ausstellung mittelalterlicher Foltergeräte



Rathausplatz Darłowo



Darlowo im Regen, die Zweite

Auf in die Großstadt: Von Darłowo nach Kołobrzeg

[Rad-Etappe 6: Darłowo; - Kołobrzeg, 93 km]


Auf dem tollen Radweg kurz vor Kołobrzeg


Am Ortsausgang von Rzepkowo
Und immer wieder der Jezioro Bukowo (Neubukower See). Nur eine dünne Nehrung trennt ihn von der Ostsee, doch auf ihr gibt es keinen benutzbaren Weg. Nicht mal für Radfahrer. Also muss der See in seiner ganzen Pracht umradelt werden, was über zwanzig Kilometer kostet. Zum Ausgleich ist das Wetter gut, während ich ab Dabki (Damkerort) meine Zwangsumrundung in Angriff nehme.

Sie ist zudem doppelt ärgerlich, da es auch unterwegs kaum etwas Interessantes zu sehen gibt. Gleznowko, Bielkowo und Iwiecino sind langweilige Dörfer, die inmitten einer ebenso langweiligen Agrarlandschaft dösen. Einzig Rzepkowo, das nur über Schotter- und Kolonnenwege zu erreichen ist, wirkt, als sei die Zeit in den 1950ern stehen geblieben.

Ganz anders die Orte an der Nehrung des benachbarten Jezioro Jamno (Jamund-See). Hier gibt es nicht nur eine breite Straße, sondern auch touristische Infrastruktur en masse. Während Lacy noch ein wenig ruhig wirkt, steppt im Doppel-Seebad Mielno-Uniescie der Bär. Dazwischen liegt die Nehrungsstraße mit begleitendem Radweg, von aus man nur den See im Blick hat. Nur am Jamno-Kanal, den kleinen Durchstich zwischen See und Meer, kann man beide Gewässer gleichzeitig bestaunen.


Jamno-Kanal, Blick zur Ostsee
Im Anschluss führt der R10 wieder in den Wald hinein, zum Glück bei erträglicher Wegequalität. Nun geht es immer dicht an der Küste entlang, wobei sich immer wieder schöne Ausblicke übers Meer auftun. Leider ist der schottrige Weg hinter dem trubeligen Sarbinowo (Sorenbohm) mit einem Meer an Schlaglöchern überzogen, was ein Radeln in grotesken Slalombahnen nach sich zieht.

Kurz vor Ustronie Morskie (Henkenhagen) nutze ich einen kleinen Rastplatz für eine Pause. Zur Feier des schönen Tages gönne ich mir sogar ein kühles Bier, denn bis Kołobrzeg ist es nicht mehr weit. Außerdem habe ich nur noch allerbeste Radwege vor mir. Der erste davon führt über das Gelände eines kleinen Flugplatzes, der zweite schließt sich daran an und leitet mich entlang der Steilküste mitten hinein ins Herz von Kołobrzeg.

Übrigens auf einem neuen und großzügig ausgelegten Weg, der ausschließlich (!) für Radfahrer bestimmt ist. Auch auf der stark frequentierten Promenade von Kołobrzeg darf auf einem separaten Streifen geradelt werden. Absteigen, wie etwa in Heringsdorf oder Ückeritz, muss hier keiner. Das nenne ich fortschrittlich!


Moorlandschaft an der Küste kurz vor Kołobrzeg
Kołobrzeg ist mit seinen 50.000 Einwohnern der größte Kurort der Region. Städtebaulich erkennt man das vor allem an den so riesigen wie gesichtslosen Hotel- und Appartementburgen am östlichen Stadtrand. In den Reiseführern indes finden sie kaum Erwähnung, dafür wird umso lieber über die Plattenbauten aus sozialistischen Zeiten hergezogen. Überhaupt verbreitet man gerne das Gerücht, Kołobrzeg sei hässlich, was allenfalls auf die erwähnten Hotel-Neubauten zutrifft. In Wirklichkeit ist Kołobrzegs Stadtbild eine entspannte Mischung aus ein paar Hochhaus-Solitären, wiedererrichteten Altbauten und allem anderen, was dazwischen liegt.

Ich quartiere mich im Hotel "New Skanpol" ein, das mitten in der Stadt in einem großen Gebäuderiegel residiert, der unverkennbar einer sozialistischen Architekturtradition entstammt. Hier spricht man offenkundig deutsch, denn meine grauhaarigen Landsleute werden gleich busweise ins alte Kurbad Kolberg gekarrt.

Vielleicht weil die Stadt so groß ist, fällt es mir besonders schwer, ein geeignetes Restaurant fürs Abendessen zu finden. Für einen vegan lebenden Touristen ohne Sprachkenntnisse ist es nämlich alles andere als einfach, etwas Passendes zwischen die Zähne zu bekommen. In Frage kommen zumeist nur vegetarische Pizzen, die ich ohne Käsebelag bestelle. Fündig werde ich schließlich im "Casa Toscana", einer winzigen Pizzeria in einer Seitenstraße der Fußgängerzone. Hier macht sich der italienische Koch tatsächlich Gedanken, wie er den fehlenden Käse kulinarisch ausgleichen kann. Das Ergebnis: die leckerste vegane Pizza der gesamten Reise!








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