Pommern im Spätsommer: Über den polnischen Ostseeradweg R10 von Gdynia nach Heringsdorf (Teil 3: Kołobrzeg - Świnoujście )

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Blick auf Trzebiatów

Auf die Insel Wolin

[Rad-Etappe 7: Kołobrzeg - Miedzywodzie; 85 km]


Trzebiatów, Marktplatz
Kołobrzeg ist auch auf seiner Westseite ein Paradebeispiel für Fahrradfreundlichkeit. Bis Grzybowo verläuft ein nagelneuer und bestens ausgebauter Prachtweg, der mich komfortabel aus der Stadt hinaus führt. Weiter geht es über eine weniger gute Landstraße, die mit ihren Schlaglöchern und groben Platten die Federgabel zu Höchstleistungen antreibt. An den langgezogenen Baustellen lässt sich aber erkennen, dass man hier für Abhilfe sorgen wird. Auch ist man dabei, einen separaten Radweg anzulegen.

In Mrzezyno verlasse ich die offizielle R10-Route, die hier umständlich und über miese Kolonnenwege nach Trzebiatów führt. Da bleibe ich lieber auf der Landstraße. Deren Asphaltbelag ist zwar löchrig wie ein Schweizer Käse, führt aber wenigstens ohne Umwege zum Teilziel.


Brücke über die Dzwina


Trzebiatów (Treptow an der Rega) hatte Glück und überstand den Zweiten Weltkrieg weitgehend unzerstört. Deshalb präsentiert sich die Kleinstadt heute als gutes Beispiel einer typisch pommerschen Stadtanlage, deren klassizistische und barocke Bürgerhäuser sich um einen weitläufigen und zumeist quadratischen Marktplatz gruppieren. Dominiert wird das Stadtbild vom 90 Meter hohen Turm der Marienkirche, der bis weit hinein ins Umland zu sehen ist.

Die folgenden zwanzig Kilometer fallen ein wenig ungemütlich aus, denn sie führen geradewegs über die befahrene 102. Zum Glück hält sich der Verkehr in Grenzen; auch der Wind meint es gut mit mir und schiebt mich von hinten bis Konarzewo. Die Badeorte Pagorzelia und Niechorze sind schnell durchfahren, dann geht es weiter in unittelbarer Küstennähe bis Pobierowo (Poberow). Auch hierbei handelt es sich wieder um einen typischen Vertreter polnischer Badeort-Kultur mit schier endlosem Budenzauber, einer ellenlangen Partymeile und einem gewissen Hang zur Gesichtslosigkeit.


Typisch: Tolle Fahrbahn und mieser Radweg


Strandleben in Miedzywodzie


Miedzywodzie
Über einen Waldweg geht es weiter ins winzige Łukecin, wo ich erneut den R10 verlasse und mich wagemutig auf die Küsten-Hauptstraße 102 begebe. Die Alternative wäre ein schlecht beschilderter und holpriger Waldweg mit vielen Abzweigungen. Da sind Irrwege vorprogrammiert. Also riskiere ich lieber mein Leben zwischen Autofahrern, die Radler bei Gegenverkehr lieber lebensgefährlich riskant überholen, als mal auf die Bremse zu treten (besonders hervor tun sich dabei Fahrer der Marke Audi).

In Dzwinówek ist der Spuk zum Glück vorbei, und es gibt sogar wieder einen - wenn auch miesen - Radweg. Im tristen Dzwinów (Berg Dievenow) verlasse ich das Polnische Festland und radele über die Dzwina auf die Insel Wolin. Die letzten fünf Kilometer in den kleinen Badeort Miedzywodzie (Heidebrink) muss ich mit einem grottenschlechten Radweg vorlieb nehmen, der die verkehrsreiche 102 begleitet. Hier ist es wie so oft in dieser KFZ-dominierten Welt: die Fahrbahn ist gut ausgebaut, der Radweg sträflich vernachlässigt und eine Frechheit. Vielleicht hat die Gemeinde die europäischen Fördermittel für den R10 in ihre Autostraßen gesteckt? Wer weiß...


Der letzte Sommertag der Saison

Endstation Świnoujście

[Rad-Etappe 8: Miedzywodzie - Świnoujście; 63 km]


Der Herbst klopft an
Kurze Etappen können täuschen. Erst glaubt man, die paar Kilometer schnell hinter sich bringen zu können, findet sich aber dann im Zustand tiefer Verzweiflung vor irgendeinem Hindernis wieder. Auch die letzte Rad-Etappe nach Świnoujście ist kurz. Um die 60 Kilometer verheißt meine Karte, von denen knappe zehn durch das Gelände des Wolliner Nationalparks verlaufen. Kein Problem also. Doch wie so oft schlummert der Teufel in kleinen Details, also fehlender Beschilderung an lebenswichtigen Punkten.

Recht hatte zumindest die gestrige Wettervorhersage. Das prächtige Sommerwetter wird von einer mächtigen Wolkenfront verdrängt, die aus westlicher Richtung über das Land rollt. Es wird immer dunkler und kräftiger Wind kommt auf. Es riecht förmlich nach Regen, bleibt aber wundersamer Weise trocken. Bis Domyslow verläuft noch alles komplikationslos. Ich radele durch alte Alleen, deren Bäume den letzten kläglichen Rest des Tageslichts verschlucken.


Am Strand von Świnoujście
Domylslov aber treibt mir die Tränen in die Augen. Ein winziges Kuhkaff, das aber groß genug ist, um gleich mehrere Wegekreuzungen und Ausfallwege zu beherbergen. Irgendwo muss ich hier abbiegen, aber an keiner Stelle ist ein rettendes R10-Schild zu finden. Ein erster Versuch führt mich vorbei an kläffenden Kötern hinaus auf die Felder. Offensichtlich der falsche Weg. Erst eine geschlagene Viertelstunde später radele ich auf der mutmaßlich richtigen Straße weiter.

Sicher kann ich aber erst sein, nachdem ein Schild nach Warnowo weist. Raus aus dem Schlamassel bin ich damit noch lange nicht, denn auch in Warnowo gibt es keinen Hinweis darauf, welcher der zahlreichen Waldwege mich durch den Wolliner Nationalpark nach Miedzyzdroje (Misdroj) leiten soll. Mehr durch Zufall finde ich den richtigen Eingang in den Wald und erreiche ein wenig später glücklich Miedzyzdroje.


Świnoujście, Promenade
Obwohl das alte Misdroj ein traditionsreiches Seebad ist, lasse ich es links liegen und flüchte mich auf die breite E65 nach Świnoujście. Hier kann ich mich nicht mehr verfahren! Und der breite Seitenstreifen hält mir zudem die lästigen Blechkisten ein wenig vom Leibe.

Am frühen Nachmittag trudele ich endlich im früheren Swinemünde ein und nehme mir ein Zimmer. Diesmal sogar ein besseres in der Willa Pod Debami, denn ich will hier noch ein paar Tage bleiben und mir die Gegend anschauen.


Am Beginn des Polnischen R10 (Grenze D/PL)



Polnische Grenze



Regen


Auf der Woliner Seite der Stadt besuche ich Fort Gerharda (Fort Wschodni, Ost-Fort) sowie den Leuchtturm (beides ca. 10 Rad-Kilometer entfernt). Beim Fort handelt es sich um eine noch sehr gut erhaltene preußische Wehranlage, in der heute das preußische Armeeleben nachempfunden werden kann. Auch beherbergt es ein Museum, das Relikte aus den letzten Kriegen zeigt.

Ebenfalls sehr sehenswert ist der Leuchtturm (Latarnia Morska), der mit 68 Metern höchste an Polens Ostseeküste ist.


Blick vom Leuchtturm auf Usedom



Oben im Leuchtturm



In Fort Gerhardia


Willkommen im Land der Absteiger

[Rad-Tour: Świnoujście - Ahlbeck - Heringsdorf - Ükeritz und zurück, 52 km]


Dümmer geht′s nicht: Beschilderung in Ückeritz


Absteigen in Heringsdorf
In Deutschland hat man ein seltsames Verhältnis zum Fahrrad. Denn wo eine lobbystarke Industrie Bonzen und andere psychisch Gestörte mit tonnenschweren Protzkarren versorgt, fristet das Fahrrad gerne mal ein Randdasein. Und wenn die Vernunft mal Oberhand gewinnt und man Radwege anlegt, kann das selbstverständlich nicht ohne Gängelei und Maßregelung geschehen. Wo käme man in Deutschland denn hin, wenn Radler ungestört ihres Weges fahren könnten? Schließlich gilt "Freie Fahrt für freie Bürger" nur für Fahrzeuge, die sich nachweislich an der Gemeinschaftsaufgabe Umweltzerstörung beteiligen.


Absteigen in Heringsdorf 2: Stau an der Umlaufsperre
Wie dem auch sei, meine erste Fahrt von Świnoujście auf die deutsche Seite Usedoms wird auch meine letzte bleiben. Und ich gelobe, mich niemals auch nur für ein Wochenende in einem der piefigen und blankgewienerten deutschen Seebäder einzumieten.

Wer Świnoujście nach Westen hin verlässt, wird auf einem breiten Radweg bis an die Grenze geführt. Ab dann ist Schluss mit dem Komfort, erst nach einem halben Kilometer nimmt das deutsche Radwegnetz den Pedalisten auf. Aber nur, um ihn kurz darauf wieder in den Verkehr der stak befahrenen B111 zu schicken.

Aber es gibt den Ostseeradweg ja auch auf deutscher Seite. Er beginnt in Ahlbeck an der Promenade und sieht eigentlich recht vielversprechend aus. Es ist jede Menge los, wobei es vor allem Grauhaarige sind, die sich hier auf ihren Rädern tummeln. Es besteht kein Zweifel: Usedoms deutsche Seebäder sind ein Rentnerparadies! Trotzdem geht alles gut, und ich schaue mir entspannt die etwas steril wirkende Architektur an.


Absteigen in Bansin
In Heringsdorf schließlich ragt eine dreiste Umlaufsperre mitten in den Radweg hinein. In den Ostseeradweg wohlgemerkt, also in einen touristisch relevanten und prominenten Fern-Radweg. Grund dafür ist eine banale Engstelle, die Radler und Fußgänger gemeinsam nutzen müssen. Platz ist für alle genug, trotzdem will man Radfahrer schon 50 Meter davor aus den Satteln haben.

Die meisten Radler folgen den Befehlen der tumben Obrigkeit, ich dagegen leiste zivilen Ungehorsam. Schon jetzt steht für mich fest, dass ich in einem solchen Kaff nie Urlaub machen werde.

Es folgen weitere Frechheiten dieser Art, die am Sachverstand der Planer mehr als zweifeln lassen. Absteigen, absteigen und nochmals absteigen lautet die Devise auf dem deutschen Ostsee-Schiebeweg auf Usedom.


Absteigen in Ückeritz
Der Gipfel an Dümmlichkeit wird schließlich in Ückeritz erreicht. Hier kennt man weder Scham noch Scheu, Radwegweiser zusammen mit Rad-Verbotsschildern zu kombinieren und Radreisende einen halben Kilometer lang schieben zu lassen. Ich habe die Schnauze voll, kehre um und kurbele fluchtartig zurück nach Polen. Das muss ich mir wirklich nicht antun. Zu Usedoms deutscher Seite kann ich da nur sagen: Nein danke!





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