Rerik nachts

Etappe 2: Raben-Steinfeld - Lubow - Blowatz - Rerik


Gesamtkilometer: 102,35


Vmax: 38,56 km/h

Das Jack Wolfskin Gossamer ist ein kleines, leichtes und günstiges Ein-Mann-Zelt. Es hat ein recht geringes Packmaß und eignet sich so ideal für kurze Radreisen. Erkauft wird das alles mit einem recht geringen Platzangebot im Inneren, sprich es ist furchtbar eng im Zelt. Und damit sehr unkomfortabel. Eine Hose an- oder auszuziehen erfordert akrobatische Gelenkigkeit, und auch das Ein- und Aussteigen ist an eine gute Körperbeherrschung gebunden.

Nachteilhaft ist auch der geringe Abstand zwischen Innen- und Außenzelt sowie die recht geringe Luftzirkulation. In der Praxis hat das zur Folge, dass sich in kalten Nächten reichlich Kondenswasser auf der Innenseite des Außenzeltes absetzt. Und da man sich im Schlaf auch mal bewegt, stößt man unweigerlich mit dem Schlafsack oder Kleidungsstücken an die Zeltwand. Und dadurch wird die Ausrüstung nass, vor allem der Schlafsack im Fußbereich.

Egal, damit muss ich halt leben. Ich schäle mich bei allerschönstem Sonnenschein aus Schlafsack und Zelt. Bald ist alles abgebaut und verpackt, dann kann es wieder losgehen. Ich radele an der Ostseite des Schweriner Sees nach Norden, dann biege ich in Leetzen in Richtung Langen Brütz ab. Es wird zunehmend hügelig. Plötzlich ein Schild, das ein Gefälle von 15% ankündigt. Da soll noch eimal jemand behaupten, der Norden sei flach. Von nun an bekommen meine Beine einiges zu tun, es geht munter auf und ab. Subjektiv gesehen, mehr auf als ab.

Hinter Klefeld geht es kurz auf die B104, bevor ich am 99 Meter hohen Homberg in einen Feldweg nach Ventschow einbiege. In Liessow habe ich endlich wieder glatten Asphalt unter den Rädern. Bergab geht es dann hinter Rubow, wo ich einen endlosen Berg mit an die 30 Km/h hinunter rollen darf. So recht kann ich mich nicht darüber freuen, denn in aller Regel muss man das mit entsprechenden Anstiegen wieder bezahlen. Aber ich nehme, was ich kriegen kann.

Es folgen Jessendorf und Schinn, dann bin ich in Lubow. Die Landschaft wirkt hier ein wenig eintönig, zudem nervt die nahe Autobahn. Dann verfahre ich mich und lande auf einer Trasse, die über das Wismarer Autobahnkreuz führt. Wieder einmal geht es streng bergauf.

Obwohl Wismar mit 42.300 Einwohnern relativ überschaubar ist, suggerieren die Verkehrsadern eine Großstadt. In Kritzow verlasse ich das Verkehrsgetöse und radele über Hornstorf auf das Salzhaff zu. Bei Neuburg fordert mich noch eine heftige Steigung heraus, dann geht es entspannt am Farpener Stausee vorbei nach Blowatz.

Ich habe Hunger und Durst, mein Proviant ist aufgebraucht. Das wäre in Polen oder Weissrussland selbst in ländlichsten Regionen kein Problem, denn dort gibt es in den allermeisten Dörfern kleine Läden. Nicht so in Deutschland. Im Land der Discounter kann man als Radreisender leicht in Not geraten, denn diese befinden sich meist nur in größeren Städten. Mit ihren Kampfpreisen und ihrer Oligopolstellung haben sie kleine Einzelhänder von der Bildfläche verscheucht.

Da Deutschland nicht nur das Land der Discounter, sondern auch das Land der stinkenden Blechkisten ist, fällt das vielen Leuten nicht auf. Mit dem Auto ist man ja schnell in der nächstgrößeren Kleinstadt um einzukaufen. Mit dem Fahrrad sieht das schon anders aus. Ich mache mir Sorgen, auch in Rerik nichts in den Magen zu kriegen.

Ich rolle über den Ostseeküstenradweg nach Norden. Obwohl ein bekannter Radfernweg, lässt seine Fahrbahnqualität oft sehr zu wünschen übrig. Auch am Salzhaff scheint Radtourismus in den Köpfen der Planer noch keine besondere Rolle zu spielen.

Auch in Boiensdorf, Stove, Pepelow und Roggow ist kein Lebensmittelgeschäft zu sehen. Infrastruktur Null. Schön, in Stove gibt es eine nette Windmühle und einen Souvenirladen, mein Magenknurren geht davon aber auch nicht weg.

Endlich Rerik. Das kleine Ostseebad liegt westlich der mondänen Seebäder Kühlungsborn und Heiligendamm. Letzteres ist uns ja noch sattsam bekannt, als Kriegstreiber George W. Bush von Frau Merkel devot hofiert wurde und sich durch Zäune und ein immenses Sicherheitsaufgebot die groteske Entfremdung der Politik von der Bevölkerung zeigte.

In Rerik geht es beschaulich zu. Es gibt Kureinrichtungen, Hotels und andere Unterkünfte. Sogar zwei Campingplätze hat das Städtchen. Ich baue mein Zelt auf dem Campingpark Rerik auf, eine Nacht kostet für mich inclusive der obligatorischen Kurtaxe schlappe 7,50 Euro. Und meine Angst war unbegründet, immerhin gibt es einen größeren Supermarkt und mehrere Getränkeläden.

Abends sitze ich an Promenade und schaue hinüber zur Halbinsel Wustrow. Sie ist in Privatbesitz und wurde 1998 an die Fundus-Gruppe verscherbelt. Das ist die selbe Firma, die in Heiligendamm das Grandhotel betreibt. Dort ist man seit jeher bemüht, die Öffentlichkeit nicht allzu nah kommen zu lassen, damit die gutbetuchte Kundschaft nicht vom Anblick des Pöbels beeinträchtigt wird. Auch auf Wustrow haben Normalsterbliche keinen Zugang.

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