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Abschnitt 2: Shanghai

Weitere Fotos am Ende der Seite,
ebenso auch einige Videoclips.

Schönes Wetter in der Millionen-Metropole


Der Vorplatz des Shanghaier Hauptbahnhofs
Wir haben den großen Changjiang (Yangtse) und Nanning einfach verschlafen. Als wir aufwachen, scheint draußen die Sonne und die Landschaft ist bei Weitem nicht mehr so trist, wie sie es vor dem Einschlafen war. Auch macht sich an der dichter werdenden Bebauung allmählich der Großraum Shanghais bemerkbar. Langsam herrscht Aufbruchstimmung im Zug. Wir packen unsere Siebensachen und staunen nicht schlecht angesichts des Häusermeeres draußen. Pünktlich um 10 Uhr fährt der T100 schließlich in den Hauptbahnhof Shanghais ein.

Doch bevor es ins Stadtgewühl geht, heißt es Schlangestehen am Einreiseschalter. Beamte mit Drogenhunden mischen sich unters Volk und suchen nach verbotenen Substanzen. Die Abfertigung geht fix; dennoch haben einige der Leute keine Lust auf die Warterei und drängeln, was das Zeug hält. Schnell kriegt man sich in die Haare und pöbelt rum. So heilig, wie einige Reiseführer berichten, scheint einigen Chinesen ihr Gesicht nun auch wieder nicht zu sein. Schnell kommen wir an die Reihe und erhalten von einer freundlichen Grenzbeamtin die Einreisestempel in die Pässe gestempelt. Unsere Visa haben wir uns bereits vor der Reise im Hamburger Generalkonsulat der VR China besorgt - sonst würden wir spätestens jetzt reichlich dumm aus der Wäsche gucken. <

Mal wieder Ärger mit der Taxizunft...


Mit vollem Gepäck auf der Nanjing Doglu (Im Hintergrund das Shimao International Plaza, 333m)
Doch bevor es zu unserem Hotel geht, müssen wir uns erst einmal mit der Taximafia rumschlagen. Gleich am Bahnhofsausgang werden wir von Schleppern in Empfang genommen, die uns zu unserem Hotel kutschieren wollen - zu Fantasiepreisen, versteht sich. Wir gehen nicht darauf ein und versuchen am nahen Taxistand unser Glück. Die Schlepperbagage immer noch im Nacken, weigern sich die Fahrer, ihre Taxameter anzuschalten und verlangen die gleichen Preise, wie unsere ungefragten Begleiter. Schnell haben wir die Schnauze voll vom Taximafiazirkus und beschließen, die U-Bahn zu nehmen. Schon allein aus Protest.

Die Orientierung im U-Bahnhof fällt zunächst ein wenig schwierig aus. Hier ist nichts mehr so perfekt durchorganisiert, wie in Hong Kong. Zwar gibt es auch englische Übersetzungen der Fahrtziele, doch am Fahrkartenschalter müssen wir feststellen, dass Englisch nicht mehr weiterhilft. Trotzdem klappt die Transaktion, und auch landen wir in der richtigen Linie und stehen ein paar Minuten später mit unseren großen Rucksäcken auf dem Rücken in einem vollbesetzten U-Bahn Zug und werden neugierig angeschaut.

An der Station Nanjing Doglu steigen wir aus und finden uns mitten auf der bekanntesten Einkaufsmeile der Stadt wieder. Von hier wartet nur noch ein Fußmarsch von zwei Kilometern auf uns, sofern man in die richtige Richtung läuft. Als jedoch anstelle des Bundes der People's Square auftaucht, wissen wir, dass etwas schiefgelaufen ist. Um den Weg ein wenig abzukürzen, wuchten wir uns und unser Gepäck in die kleine Bimmelbahn, die die Fußgängerzone der Nanjing Doglu auf und ab fährt. Den restlichen Fußmarsch entlang des berühmten Bundes versüßt uns der Blick auf die gigantischen Wolkenkratzer Pudongs. Am frühen Nachmittag checken wir endlich im Hengsheng Peninsula Hotel ein und beziehen unser Zimmer in der 26sten Etage - mit Panoramablick auf die Skyline jenseits des Huangpo-Flusses. Wie es sich geziemt, logieren wir im Executive-Bereich des Hotels und nutzen zudem einen gesonderten Aufzug, der außen am Gebäude entlang läuft und uns immer wieder aufs Neue auf die Atmosphäre der Stadt einstimmt.


Straßenszene, traditionelles chinesisches Viertel



Die berühmte Skyline Pudongs (von der Waibaidu-Brücke aus gesehen)



Shanghai - Stadt des Wandels


Am Bund
Bis vor wenigen Jahrzehnten galt die Hafenmetropole an der Yangtsemündung noch als heruntergekommener Moloch mit einer nicht unbeträchtlichen Kriminalitätsrate. Bis zum Zweiten Weltkrieg noch unbestrittenes Industrie- und Handelszentrum des chinesisch-pazifischen Raumes, verlor die Stadt nach dem Einzug der Kommunisten 1949 stetig an Bedeutung. Dies war eine Begleiterscheinung der politischen Säuberungsaktionen, die Shanghai von Opiumhöhlen, Prostituierten und Andersdenkenden befreien sollten.

Im Gegenzug dazu war die Stadt aber auch ein Zentrum des politisch-radikalen Denkens. Hier wurde nicht nur die KPCh (Kommunistische Partei Chinas) gegründet, von hier aus startete Mao Zedong zusammen mit der sog. Viererbande 1966 auch die Kulturrevolution, die in der Zerstörung traditioneller chinesischer Kulturgüter sowie der grausamen Verfolgung und Ermordung tausender Menschen gipfelte. Als die Mitglieder der Viererbande am 6. Oktober 1976 unter dem Einfluss von Maos Nachfolger Hua Guofeng verhaftet und verurteilt wurden, endete diese grausame und traurige Periode in der Geschichte Chinas, während eine reformorientierte Politikergeneration das Ruder übernahm.

Gewissermaßen zur Strafe wurde der Ausgangspunkt der Tragödie - Shanghai - von den neuen Machthabern bis in die 1980er Jahre hinein politisch vernachlässigt und finanziell ausgeblutet. Wegen dieser besonderen historischen Bedeutung berücksichtigte Parteichef Deng Xiaoping Shanghai nicht einmal bei seinem wirtschaftlichen Reformprogramm. Eine Haltung, die er allerdings Mitte der 1980er Jahre aufgab, was der Stadt ungeahnte Wachstumsimpulse verlieh. 1990 gründete man auf der kaum bebauten Ödfläche östlich des Huangpo-Flusses die Sonderwirtschaftszone Pudong, deren futuristische Skyline heute das Stadtbild entscheidend prägt. Shanghai avancierte unter der Ägide von Dengs Modernisierungsvorhaben zum Tor Chinas in Richtung Westen und damit zu einem wesentlichen Motor der rasanten ökonomischen Entwicklung der Volksrepublik.


Expo-Großbaustelle am Bund
Heute ist Shanghai mit knapp 15 Millionen Einwohnern im Ballungsraum und 10 Millionen im unmittelbaren Stadtgebiet die größte Stadt Chinas. Trotz der beeindruckenden Bauwerke und Errungenschaften ist die Modernisierung noch in vollem Gange. Mit der Folge, dass Altes Neuem weichen muss und so immer mehr traditionelle chinesische Wohnviertel von der Bildfläche verschwinden. Gleichzeitig wird an allen Ecken und Enden gebaut, denn es werden nicht nur immer weitere Büroflächen benötigt, sondern auch dringend mehr Wohnraum für die aus allen Nähten platzende Stadt. Die Folge waren Zwangsumsiedlungen hunderttausender Menschen in Wohnsilos am Stadtrand sowie die Einführung einer Meldepflicht mit begrenzter Aufenthaltserlaubnis für das Stadtgebiet.

Zurzeit bereitet sich Shanghai auf die Expo 2010 vor, was besonders an einer enormen Massierung von Baustellen abzulesen ist. Vor allem entlang des Bundes ist man mit einer kompletten Neugestaltung beschäftigt, die die Optik der berühmten Meile der Kolonialarchitektur aktuell empfindlich trübt. Dass derartige Prestige-Großveranstaltungen politische Skrupellosigkeiten geradezu stimulieren, zeigt sich dabei nicht zuletzt in den damit verbunden Zwangsumsiedlungen. Zudem erinnert das Maskottchen der Expo 2010 kurioser Weise an eine Hinterlassenschaft typisch chinesischer Rachenreinigung - einen stilisierten Keiler.


Pudong am Abend


Staunen in Pudong


Wolkenkratzer der Superlative: Jin Mao Tower (421m) und World Financial Centre (492m)
Pudong fasziniert. In nicht einmal zwei Jahrzehnten aus dem Boden gestampft, hat die Skyline der innerstädtischen Sonderwirtschaftszone mittlerweile ihren besonderen Platz innerhalb der Riege großstädtischer Hochhauspanoramen eingenommen. Der Stadtbezirk erstreckt sich vom Ostufer des Huangpo-Flusses bis zur Mündung des Jangtse ins Ostchinesische Meer auf einer Fläche, in die die Stadt München anderthalb mal hineinpassen würde. Pudong ist Shanghais Zentrum für Hochtechnologie und Wohnort von über zwei Millionen Menschen. Hier stehen mit dem Oriental Pearl Tower (468 m) der höchste und schönste Fernsehturm Asiens und mit dem Shanghai World Financial Centre (492 m) das zurzeit dritthöchste Gebäude der Welt.

Wir nähern uns dem futuristischen Stadtbezirk durch den mindestens ebenso futuristischen Bund Sightseeing Tunnel. Für 50 Yuan (Return-Ticket) wird man in kleinen Glaskabinen unter dem Huangpo-Fluss auf die andere Seite gefahren. Damit einem dabei nicht langweilig wird, sorgt eine psychodelische Licht- und Lasershow für gepflegte Unterhaltung. Drüben angekommen, marschieren wir schnurstracks auf das World Financial Center zu, das auf seiner Spitze eine Skybridge besitzt, die man besuchen kann. Ein Stadtplan ist nicht nötig, da die kaum zu übersehenden Gebäuderiesen gute Orientierungspunkte sind. Auf den ersten Metern kommen wir am Oriental Pearl Tower vorbei, der unserer Meinung als schönster Fernsehturm der Welt gehandelt werden kann. Seine elf unterschiedlich großen Kugeln, die zwischen den tragenden Säulen sitzen, symbolisieren einen traditionellen Vers des Dichters Bay Juyi, demzufolge das klassische Zupfinstrument Pipa wie Perlentropfen klingt, die auf eine Jadeplatte fallen. Auch ohne diese leicht schwülstige Leitidee verifizieren zu können, kann die Optik des mit 468 Metern Höhe dritthöchsten Fernsehturmes der Welt schlichtweg als umwerfend schön bezeichnet werden.


Im 100sten Stockwerk des Shanghai World Financial Centre, der höchsten Aussichtsplattform der Welt
Auf jeden Meter tun sich neue und umwerfendere Aussichten auf, und der Finger am Kameraauslöser droht wund zu werden. Doch bevor es zu den Hochhausriesen geht, wollen wir der Super Brand Mall einen Besuch abstatten, immerhin Asiens (!) größtem Einkaufszentrum. Von außen sieht der Konsumtempel nicht unbedingt nach diesem Superlativ aus, und auch sein standardisiertes Inneres vermag uns nicht wirklich zu überzeugen. Das liegt aber vor allem daran, dass es in der Riesenbutze nicht einmal einen Apple-Shop gibt, so dass sich unser Einkaufserlebnis auf das Abheben von Bargeld an einem ATM (Automatic Teller Machine - Geldautomat) beschränkt.

Bei bestem Wetter gehen wir weiter in Richtung des höchsten Gebäudes der Stadt, dem 492 Meter hohen Shanghai World Financial Centre. Niemand weiß, warum es nicht mehr für die letzten lächerlichen acht Meter zur 500-er Marke gereicht hat. Oder bis zur 509-er Marke, dann hätte man den Taipeh 101 (509m) getoppt und das höchste Gebäude Asiens in der Stadt gehabt. Ein kleiner Aufbau oder eine Antennenattrappe von unscheinbaren 17 Metern wäre bei einem Bauvorhaben dieser Dimension gewiss nicht mehr ins Gewicht gefallen. Niemand weiß, warum. Aber auch ohne diese 17 Meter verschlagen die Dimensionen des World Financial Centre dem Betrachter den Atem. Der mit 412 Metern Höhe ebenfalls riesige Jin Mao Tower nimmt sich im Schatten des Giganten fast schon mickrig aus. Natürlich spielt auch er in der allerersten Liga der welthöchsten Wolkenkratzer mit, unterscheidet sich aber in seiner an traditionelle chinesische Pagodenformen angelehnten Architektur gewaltig von der radikalen geometrischen Simplizität seines Nachbarn.

Der Clou am Shanghai World Financial Centre ist allerdings seine Skybridge im 100. Stockwerk und auf 475 Metern Höhe. Am Fuße des Giganten ist es dann aber weniger dessen Optik, die uns den Atem verschlägt, als der horrende Eintrittspreis in die höchste Skybride der Welt. Stolze 150 Yuan (ca. 16 Euro) verlangt man Eintritt pro Nase, ein für China fast schon obszön hoher Preis. Egal, dieses Gebäude ist es wert. Im Inneren des Turmes weist uns eine Überzahl an höflichem Personal den Weg. Hinter jeder Ecke lauern Angestellte, die uns mit dem ausgestreckten Arm die Richtung weisen. Zunächst sehen wir uns eine wenig interessante Lichtshow in einem Nebenraum an, bevor es im Turboaufzug mit rekordverdächtigem Tempo nach oben geht. Im 95. Stockwerk befindet sich ein größerer Saal, der auch für Veranstaltungen gemietet werden kann. Von hier aus führen Rolltreppen schließlich zur höchsten Aussichtsplattform der Welt, die die Form einer Brücke zwischen den zwei Gebäudespitzen besitzt.

Der Ausblick ist umwerfend. Aus knapp 500 Metern Höhe wirken selbst die Giganten Jin-Mao- und Oriental-Pearl-Tower irgendwie mickrig. Wir können uns nicht satt sehen am Ausblick über die riesige Stadt. Leider trübt der immerwährende Smog ein wenig die Fernsicht, doch haben wir bei einem ansonsten fast wolkenlosen Himmel keinen Grund, uns zu beklagen. Ohne den Smog könnte man bis zum Changjiang (Jangtse) gucken, das Häusermeer Pudongs ist aber auch faszinierend anzusehen. Kaum zu glauben, dass hier vor wenigen Jahren noch überwiegend Brachland zu finden war. Heute erstrecken sich die Wohn- und Geschäftshochhäuser bis zum dunstigen Horizont.


Blick vom SWFC nach Puxi



Blick vom SWFC über Pudong



Auch hier oben müssen die Scheiben geputzt werden...


Restaurantviertel in der Nähe der Sichuan Beilu
Nach dem Rausch der Höhe wandern wir wieder zurück nach Puxi auf der westlichen Seite des Hunagpo. Hier halten wir Ausschau nach einem Internetcafé, von dem es laut unseres Reiseführers (Jörg Dreckmann: Shanghai, Reihe Reise Know-How) angeblich nur so wimmeln soll. Nicht nur mit dieser nicht ganz zutreffenden Information enttäuscht uns der CityGuide ein wenig, denn wenn es etwas kaum in Shanghai zu geben scheint, dann sind es Internetcafés. Erst nach einigem Rumfragen werden wir in der Nanjing Donglu fündig. Der Internetladen liegt in der ersten Etage eines Kaufhauses und sieht aus, wie eine düstere Spielhöhle. Surfen darf man erst, nachdem man seinen Reisepass vorgelegt hat. Auch die Einheimischen müssen ihre Ausweise registrieren lassen, bevor sie sich ins Web stürzen. Claudi hat ihren Pass im Hotelsafe liegen und wird nicht zu den Computern vorgelassen. Leicht angesäuert macht sie es sich auf einem schäbigen Sofa im Eingangsbereich bequem, während ich den aktuellen Blogeintrag in die Tasten haue.

Nach getaner Arbeit schlendern wir bis nach Sonnenuntergang durch die Gassen der Innenstadt und machen uns dann auf den Weg zum Hotel, das nördlich der Bejing-Donglu liegt. Diese Straße markiert die Grenze zum nördlichen Teil Shanghais, das bereits abseits des touristischen Geschehens liegt und einige weniger hochglanzpolierte Gegenden aufweist. In der Nähe der Sichuan Beilu finden wir ein kleines Restaurantviertel, das neben Esslokalen auch Massagesalons mit auffällig leicht bekleidetem Personal beherbergt. Prostitution ist in China verboten und taucht verdeckt in Form von Massage- und zuweilen auch Friseursalons auf. Dennoch finden wir problemlos ein kleines Restaurant, wo wir für wenig Geld ein leckeres Abendessen genießen.

Fotoblock 1

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Am People's Square (im Blick: Tomorrow Square, 288m)



People's Square: Blick auf das Shanghai Urban Planning Exhibition Centre


Französische Komzession und altes Chinesenviertel


People's Square, rechts der HK New World Tower (278m)
Uns steht ein langer Fußmarsch bevor. Nach dem umfangreichen Frühstücksbuffet geht es los; wie immer erst über die Waibaidu-Bridge in den südlichen Teil der Stadt, dann über die Nanjing Road zum Peolple's Park (Renmin Gongyuan). Die größte Grünanlage im Zentrum Shanghais ist umsäumt von Wolkenkratzern, die ihm ein wenig den Hauch des New Yorker Central Parks verleihen. Erstaunlicher Weise ist im Park selbst nicht viel los. Wir machen eine kleine Rast an einer Parkbank und werden mehrfach von jungen Chinesen angesprochen, die einfach neugierig sind und an uns ihre Englischkenntnisse erproben wollen. Bereitwillig beantworten wir die obligatorischen Fragen, woher wir kommen, was wir alles in China besuchen und wie uns Shanghai gefällt. Wir müssen nicht lügen, wenn wir unseren erfreuten Gesprächspartnern schildern, wie beeindruckt wir sind. Wir marschieren entlang der Xizang Nanlu (Tibet-Straße) in Richtung Süden und kommen so am der futuristischen Bau des Stadtplanungsmuseums (Shanghai Urban Planning Exhibition Centre) sowie am Shanghai Museum vorbei. Weiter geht es durch imposante Hochhauswälder in den südlichen Teil der Innenstadt. Über die Zhizong Lu erreichen wir schließlich Xitiandi und damit die ehemalige Französische Konzession.


Lan Shen Building (l., 196 m), Golden Bell Mansion (r., 200m)
Die Französische Konzession ist ein altes, noch von erhaltenen Strukturen und Gebäuden aus der Kolonialzeit geprägtes Viertel. Im 19.Jahrhundert weigerten sich die Franzosen, sich der internationalen Niederlassung der übrigen Kolonialmächte anzuschließen. Man schottete sich ab und unterhielt ein eigenes Bus- und Elektrizitätssystem. Außerdem etablierte man ein eigenes Rechtssystem, das der französischen Kolonialverwaltung im vietnamesischen Hanoi unterstand. Da diese intensive Kontakte zur chinesischen Unterwelt pflegte, war diese in der französischen Konzession besonders aktiv. Das Viertel mauserte sich zu einem Zentrum des Drogenhandels und der Prostitution und wurde so zum Treffpunkt der Shanghaier Halbwelt. Erst in den 1930er Jahren ging der französische Einfluss zurück, das koloniale Erbe hat jedoch bis heute in der Architektur überlebt.

Die ehemalige Französische Konzession ist geprägt von einstöckigen Wohnhäusern, Appartementgebäuden im Art-Deco Stil, alten Villen, ruhigen Parks und mit Platanen bestandenen Alleen. Sein Reiz wird hauptsächlich durch den Gegensatz zu den umliegenden Vierteln gebildet, die aus modernen Wolkenkratzern und auch slumähnlicher Bausubstanz bestehen. Hier kann man nett flanieren, bummeln, gemütlich einen Kaffee schlürfen und abends wohl auch nett ausgehen. Mehr aber auch nicht. Unsere Begeisterung über die Französische Konzession hält sich in engen Grenzen, denn der oft bemühte gemütlich-koloniale Charme kann im Angesicht des modernen Shanghai schnell in Langweiligkeit umschlagen. Und so schlendern wir etwas lustlos durch die kleinen Gassen, die uns nicht so recht in ihren Bann ziehen wollen. Mitten im Viertel liegt Xintiandi, eine kleine Fußgängerzone mit ein paar müden Geschäften und Restaurants. Angeblich eines der beliebtesten Flanier- und Shoppingmeilen der Stadt, scheint seine Beliebtheit wohl darin zu bestehen, dass hier alles recht klein, familiär und überschaubar wirkt. Sicher ein Pluspunkt für all jene, die ständig dem Trubel und der Hektik der Megacity ausgeliefert sind.

Schnell haben wir uns sattgesehen und wandern zurück in Richtung der alten Chinesenstadt. Unterwegs fallen uns einige seltsame Baustellen auf. Man errichtet Scheinfassaden vor einigen heruntergekommenen Straßenzügen, damit man von der Xizang Zonglu aus keinen direkten Blick mehr auf die weniger repräsentativen Viertel der Stadt hat. Auch hier lässt die Expo 2010 grüßen.


In der ehemaligen Französischen Konzession



In der chinesischen Altstadt


Die "chinesische Altstadt"


Nachgebaute Gebäude
Die chinesische Altstadt kündigt sich am Treffpunkt Renmin Lu / Hainan Donglu durch einen rapiden Abfall der Geschosshöhe an. Es beginnt ein Viertel mit kleinen Häuschen und einem regen Markttreiben. Die engen Gässchen werden von allerlei Verkaufsständen gesäumt, und auch der Großteil der Häuser ist zur Straße hin mit Läden geöffnet. Wir befinden uns im traditionellsten und am längsten besiedelten Teil der Stadt, der früher auch den Nan Tao (südlicher Markt) beherbergte.

Es herrscht ein munteres Treiben - und man würde sich fast in das alte Shanghai der Kolonialzeit zurückversetzt fühlen, würden nicht ab und an die höchsten Türme Pudongs über den schmutzigen Ziegeldächern hervorschauen. Zu dieser Zeit waren die Chinesen hier vollkommen unter sich, denn kein Ausländer setzte seinen Fuß in die engen Gassen des Viertels. Heute ist das ein wenig anders, aber dennoch hält sich die Zahl der mit Stadtplan und Kamera bewaffneten Touristen in engen Grenzen.


In der "richtigen", also nicht künstlichen chinesischen Altstadt
Das ist ein paar Straßenzüge weiter nördlich ganz anders. Weil besonders in Shanghai eine unüberschaubare Menge an alter Bausubstanz der Stadtmodernisierung zum Opfer gefallen ist, hat man rund um die Shanghai Lao Jie (Old Shanghai Street) Gebäude aus der Ming- und Qingdynastie nachgebaut. Diese künstliche Altstadt ist aber kaum mehr als ein netter Versuch, denn angesichts nerviger Souvenirläden und der unvermeidlichen Filialen internationaler Fastfoodketten nimmt diese Form der Kulturpflege eher die Gestalt eines chinesischen Disneyland an. Schnell verlassen wir das plastikhafte Kunstchina mit seinen lärmenden Touristenhorden und Markenuhren-Plagiats-Verkäufern und machen uns auf den Heimweg.

Bevor es zum Hotel geht, unternehmen wir noch eine obligatorische Bootsfahrt über den Huangpu-River. Die Sonne geht langsam unter und taucht die Sihlouette der Stadt in ein goldenes Licht - die optimale Zeit für eine Besichtigung der imposanten Skyline vom Fluß aus. Je tiefer die Sonne steht und je schräger die Lichtstrahlen durch den Smog fallen müssen, desto mehr droht die Umgebung im Nebel zu verschwinden. Vorbei an den Hafenanlagen fahren wir bis zur Yangpu-Brücke, die den Huangpu im nördlichen Shanghai, ganz in der Nähe seiner Mündung in den Changjiang, überspannt. Die Brücke ist mit 602 Metern Spannweite die am weitesten gespannte Schrägseilbrücke der Welt.


Am frühen Abend auf dem Huangpu-River
Im Anschluss an die Bootstour schlendern wir noch ein wenig über den abendlichen Bund und genießen die Aussicht auf das bunt illuminierte Pudong. Plötzlich werden wir von zwei chinesischen Pärchen angesprochen, die uns nicht nur von sich und China erzählen, sondern auch viel über uns wissen möchten. Sie sind auf dem Weg zu einer Teezeremonie und fragen uns, ob wir sie begleiten möchten. Natürlich schlagen wir ein und befinden uns ein wenig später im Hinterzimmer eines kleinen Teeladens und lassen uns leckeren Grüntee aufgießen. Bis heute wissen wir nicht, ob die Vier einfach nur Schlepper des Teeladens waren - denn derartige Maschen sind in Asien nicht unüblich. Im Nachhinein halten wir das aber eher für unwahrscheinlich, da die Teepreise eher gering waren und auch unsere Kurzbekannten alle gezahlt haben. Als erfahrene Asienreisende sind wir stets mit dem Aufbau eines feinen Sensoriums zur Unterscheidung zwischen Schleppern und echtem Interesse am fremden Gast beschäftigt. Und die Mehrzahl aller Kontakte zu Einheimischen ist von letzterer Sorte.

Den letzten Abend im faszinierenden Shanghai verbringe ich im Übrigen in der Badewanne. Mit einem Tsingtao-Bier in der Hand liege ich im warmen Wasser und schaue auf die funkelnden Wolkenkratzer Pudongs. Pünktlich um 22.45 Uhr wir die Illumination ausgeschaltet - fast so, also ob Raum für neue Eindrücke geschaffen werden soll, denn schon morgen geht es mit dem Zug weiter - oder vielmehr zurück - nach Guangzhou.


Sonnenuntergang auf dem Huangpu

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