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Abschnitt 3: Guangzhou (Kanton)

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Bei Schietwetter in den warmen Süden


Bahnhofsvorplatz Guangzhou
Wir haben alles richtig gemacht. Lange vergleichen wir die Schriftzeichen auf unseren Fahrkarten mit denen in unserem Mandarin-Sprachführer und kommen zu dem Schluss, dass unser Zug nach Guangzhou nicht nur im Shanghaier Südbahnhof abfährt, sondern auch dass wir die gewünschten Liegen im gewünschten Abteil beziehen können. In Shanghai gibt es zwei Fernbahnhöfe, die eine halbe Tagesreise von einander entfernt sind. Von jedem fahren Züge in unterschiedliche Richtungen ab, so dass es dringend geboten ist, den richtigen Abfahrtsbahnhof ausfindig zu machen.

Und tatsächlich, die Schriftzeichen oben auf der Fahrkarte bedeuteten so etwas wie "Süden" und unsere Liegen sind mit der gleichen Silbe gekennzeichnet, die den Anfang des Wortes "Shanghai" bildet. "Shanghai" bedeutet in etwa "über dem Meer", "Shang" also "oben" oder "über" und weist im Falle unserer Fahrkarten auf eine obere Liegen hin. Und genau eine davon hatten wir unbedingt buchen wollen, weil die Kombination aus oberer und unterer Liege im 4er-Abteil am vorteilhaftesten ist.


Freundliche Hilfe bei der Hotelsuche
Über ein nicht enden wollendes Gewirr aus Hochstraßen geht es morgens mit dem Taxi durch das auch nicht enden wollende Häusermeer der Riesenstadt zum Südbahnhof. Ein Hochhauswald reiht sich an den nächsten, und wir sind beinahe erschüttert darüber, über welche gigantische Fläche sich Shanghai erstreckt. Der Ablauf im futuristischen und hypermodernen Südbahnhof verläuft wie im Flughafen. Nachdem das Gepäck durchleuchtet wurde, begeben wir uns zu den "Gates" und warten auf das "Boarding".

Es ist viel los, dennoch sind wir die einzigen Langnasen auf den steinernen Sitzbänken. Plötzlich spricht uns auf Englisch ein Mann von der Seite an. Er sei selbst nur zu Besuch in Shanghai und lebe sonst als Geschäftsmann in den USA, erzählt er uns. Wir reden über dies und das und verkürzen uns so die Wartezeit zur Zugabfahrt.

Nachdem der KXXX schließlich eingefahren ist, machen wir es uns bequem in unserem Abteil, das leider nicht mehr so geräumig ist, wie im Paradezug T100. Wir teilen es mit einer Frau und einem Mann, die beide alleine reisen und den größten Teil der Fahrt auf dem Gang oder im Zugrestaurant verbringen. So haben wir weitestgehend unsere wohlverdiente Ruhe und begutachten mit Spannung die Landschaft.


Kantoner Verkehr
Zwei Stunden nach dem sekundengenauen Verlassen des Shanghaier Südbahnhofs kündigt sich schließlich der Changjiang (Yangtse) an. Die Fahrt über den riesigen Strom dauert über eine Minute und stellt bis Guangzhou das einzige Highlight der 22-stündigen Fahrt dar. In der Nacht wird es im engen Abteil ziemlich stickig, da die Klimaanlage nicht ununterbrochen läuft. Besonders während der Aufenthalte auf Bahnhöfen wird der Luftaustausch gerne abgestellt, so dass ich auf der oberen Liege häufig in einer Glocke aus feucht-abgestandener Aus-Atemluft nach Sauerstoff ringe. Trotzdem kann ich ein paar Stündchen schlafen, während der Zug durch den Regen zuckelt, der seit dem späten Nachmittag eingesetzt hat.

Am nächsten Morgen um kurz vor acht Uhr rollt der Zug endlich in den Kantoner Hauptbahnhof ein. Über eine dreiviertel Stunde zuvor hat sich die südchinesische Metropole bereits durch graue Betonvorstädte angekündigt, die passend zum trüben Himmel eine gewisse architektonische Tristesse versprühten. Zum Glück hat es aufgehört zu regnen. Zusammen mit aberhunderten Mitreisenden drücken wir uns in Richtung Bahnhofsausgang, wo noch einmal die Tickets überprüft werden. Da man seine Tickets nur in Verbindung mit Pass oder Ausweis benutzen kann, hat die chinesische Bahn so eine umfangreiche Kontrolle über die Reisen ihrer Kunden. Wer etwa vor dem gebuchten Ziel den Zug verlässt, fällt unweigerlich auf - Mobilitätskontrolle pur. Ein wenig später stehen wir auf dem großen Bahnhofsvorplatz und versuchen, uns zu orientieren. Unser Hotel liegt nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt, doch als völlig fremde Besucher, die nicht einmal einen Stadtplan besitzen, gucken wir erst mal doof in die Röhre. Das ist um so schlimmer, da wir als weit und breit einzige Europäer auf dem "Platz der Eigentumsdelikte" in unserer Orientierungslosigkeit schnell ins Visier der Taschendiebe geraten können. Wenigstens ist es schon früh am Morgen recht warm im südlichen China - und ebenso ist man hier nicht auf die Ankunft von Fremden eingestellt, weshalb uns hier keinerlei Taxi- und sonstige Schlepper in Empfang nehmen. Nun gilt es nur noch, unser Hotel zu finden.


Dongfeng Lu



Im Zentrum Kantons


Zu Fuß vom Bahnhof zum Donfeng-Hotel


Impression
Während wir ein wenig verloren auf dem Bahnhofsvorplatz herumstehen und uns überlegen, wie am besten zum Dongfang Hotel kommen, naht unerwartet Hilfe. Aus dem Gewimmel der Menschenmenge taucht der Mann auf, den wir gestern im Shanghaier Bahnhof kennengelernt haben. Er ist nicht in Eile und sucht mit uns das Hotel, das wir in Shanghai via Internet vorgebucht haben. Unmittelbare Bahnhofsnähe war eines der Hauptkriterien. Doch was auf schematisierten Stadtplänen wie ein einfacher Katzensprung aussieht, entpuppt sich in der Realität des Betondschungels meist als fortgeschrittene Herausforderung. Und so muss auch der nette Chinese hie und da nachfragen, bis wir endlich auf der richtigen Fährte sind. Er begleitet uns noch bis zum Hoteleingang, was immerhin knappe 20 Minuten Fußmarsch bedeutet. Wir sind nicht nur dankbar, sondern auch einmal mehr überrascht über die chinesische Hilfsbereitschaft.

Im Dongfang Hotel werden wir trotz unseres müden und leicht ungepflegten Äußeren fast wie Staatsgäste empfangen. Überfreundliches Personal nimmt unser Gepäck entgegen und begleitet uns zur riesigen Rezeption, die sich in einer Halle mit goldenem Riesenlöwen und allerlei sonstigem Prunk befindet. Kurz darauf folgen wir dem Hoteldiener durch die endlos langen Gänge des 1961 erbauten Gebäudes. Hier hängt noch der leicht muffige Charme sozialistischer Zweckarchitektur in der düsteren Luft. Im Gegensatz dazu mangelt es in unserem Zimmer an keinerlei Komfort, und durch das Fenster haben wir einen schönen Blick auf den palmengesäumten Hotel. Das ist genau das Richtige nach dieser langen und nicht ganz so bequemen Zugfahrt.


Wohnen in der Innenstadt
Nach einem überfälligen Duschbad machen wir uns sofort auf zu einem ersten Stadtbummel. Wir haben Hunger und hoffen, in der Nähe des Stadtzentrum ein günstiges Restaurant zu finden. Schwierig sollte das nicht sein, denn Guangzhou ist bekannt für seine vielfältige Küche. In gewisser Hinsicht steht die Stadt für das Erscheinungsbild der chinesischen Küche in der westlichen Welt, da das, was in den abermillionen Chinarestaurants in Europa und Amerika auf die Tische wandert, eigentlich kantonesische Speisen sind. Typisch etwa ist knusprig gebratenes Fleisch sowie Dim Sum, gedämpfte Teigtaschen mit unterschiedlichem Inhalt. Von diesen Bestsellern abgesehen, ist die kantonesische Küche jedoch selbst für chinesische Verhältnisse derart vielfältig, dass es heißt, die Kantonsesen äßen "alles, was schwimmt, fliegt oder vier Beine hat, außer Stühlen, Flugzeugen und Tischen."

Ganz so umfangreich und exotisch wird unsder Essen dann doch nicht, denn wir setzen uns in ein kleines Straßenrestaurant in der Nähe des Zentrums und bestellen schlichten gebratenen Reis. Allerdings schmeckt auch dieses vergleichsweise einfache und billige Gericht hier in Kanton unvergleichlich lecker.


Sun Yat Sen - Denkmal (Sunzhongshan Monument)


Buntes Treiben nach Feierabend im People's Park

Auf zum Perlfluss!

Am späten Nachmittag machen wir uns erneut auf den Weg in die Innenstadt. Diesmal wollen wir uns das Treiben im kommerziellen Zentrum ansehen sowie dem berühmten Perlfluss einen Besuch abstatten. Wir wandern die verkehrsreiche Dongfeng Lu (Ost-Straße) entlang in Richtung Westen und kommen unterwegs am Zhaoxiu-Park vorbei, auf dem das gewaltige Sun Yat Sen Monument von einem Hügel aus in die Höhe ragt. Der Gründervater der Kuomintang, der bis heute regierenden chinesischen Nationalpartei, wurde 1870 in der Provinz Guangdong geboren und bekam in der Provinzhauptstadt ein würdiges Denkmal gesetzt.

Wir machen einen Abstecher zum People's Park, der um diese abendliche Stunde seinem Namen alle Ehre macht. Massen von Menschen bevölkern diese grüne Oase inmitten der Metropole. Es sind vor allem Familien, die sich auf den Bänken und Rasenflächen zum Picknick und Federballspielen versammeln. An seinem Südende schallen lateinamerikanische Klänge durch die laue Luft, sie wirken fast deplaziert im asiatischen Gewimmel. Man hat eine kleine Stereoanlage aufgebaut und tanzt ungezwungen zur Musik. Pärchen, aber auch alleine tanzende Männer, haben ihren Spaß am abendlichen Freilufttanztreff.


Wie in jedem großstädtischen Zentrum: Mc Doof und Neonreklame
In der Einkaufsstraße Bejing Lu hängen bunte Lampions in der Luft. Links und rechts der Fußgängerzone reihen sich die üblichen Filialisten aneinander, die fast in jeder anderen Großstadt der Welt zu finden sind. Guangzhou macht hier keine Ausnahme. Wären die Passanten nicht alle asiatischer Herkunft - man könnte auch in Hamburg, Köln, London oder sonstwo sein. Passend zum standardisierten Konsumambiente tapern wir in eine Mc Doof - Filiale und kaufen uns ein Softeis. Dass wir uns in einem kommerziellen Zentrum befinden, merken wir nicht zuletzt auch an den unvermeidlichen Verkäufern von Markenuhrenplagiaten, die uns hier das erst mal seit Shanghai wieder auf die Nerven fallen. Allerdings in weitaus erträglicherem Maß.

Weiter südlich erhellt bunte Neonreklame den Abend. Dennoch scheinen die Gassen immer dunkler zu werden, je mehr wir uns dem Perlfluss nähern. Bis hier scheint die Glitzerwelt der modernen Konsumtempel seltsamer Weise noch nicht vorgedrungen zu sein, hier dominieren die etwas schäbigeren Läden der Einheimischen. Wir drücken uns durch das Gewimmel auf den engen Bürgersteigen und stehen schließlich vor dem mächtigen Perfluss oder Zhu Jiang, der ab hier ein Flussdelta ausbildet und seine braunen Fluten rund 60 Kilometer weiter bei Macau ins Südchinesische Meer schickt.


Am Perlfluss
Zu beiden Seiten des Flusses türmt sich eine beachtliche Skyline in den abendlichen Himmel, denn auch die südchinesische Metropole macht keine Ausnahme in Sachen gigantischer Architektur. Bis in 440 Meter Höhe wachsen hier bereits die Wolkenkratzer, ganz zu schweigen vom höchsten Fernsehturm der Welt.

Wir wandern das Nordufer entlang, das von einer langen Promenade begleitet wird. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite reiht sich ein Restaurant an das andere. Zwar sind auch wir mittlerweile hungrig geworden, doch sagen uns weder Speisenangebot noch Preisniveau zu. Hier am Fluss ist alles doch alles ein wenig teurer.

Mich hat eine fiebrige Erkältung heimgesucht, die ich mir wahrscheinlich in der bakteriengeschwängerten Luft eines Zugabteils aufgefangen habe. Weil wir uns ziemlich weit vom Hotel entfernt haben, besteht Claudia daher auf eine Heimfahrt per U-Bahn. Dabei zeigt sich wieder einmal, dass man in China selbst in kaum touristisch frequentierten Städten Wert auf internationale Beschilderung legt. So ist die Orientierung in der sauberen Station dank englischsprachiger Übersetzungen der Wegweiser sehr einfach. Allerdings verweigern die Fahrchip-Automaten ihren korrekten Dienst, so dass wir das Personal konsultieren müssen. Wenige Minuten später kommen wir in unmittelbarer Hotelnähe wieder an die Oberfläche und lenken unsere müden Schritte in einen typisch chinesischen Fresstempel.

In China ist Essen eine grundsätzlich laute und genussvolle Angelegenheit. In der Regel versammeln sich kleine bis mittelgroße Gruppen um einen runden Tisch mit einer drehbaren Innenscheibe. Auf dieser landen die verschiedenen Speisen, die in großer Zahl bestellt und von allen Essteilnehmern verspeist werden. Lautes Reden, Nebengeräusche und engagierter Essgenuss gehören in China zum guten Ton. Unser Restaurant hat Turnhallenfläche und ist gut gefüllt. Flinke Kellner wieseln zwischen den Leuten umher und sorgen gekonnt für Nachschub. Weil in China die meisten Speisekarten bebildert sind, fällt uns die Bestellung nicht schwer. Viel schwerer ist es allerdings, all die leckeren Sachen aufzuessen, mit denen darauf hin unser Tisch vollgestellt wird. Proppenvoll zahlen wir den sehr moderaten Preis für die exotische Völlerei und fallen am späteren Abend rundum zufrieden in unsere Betten


Skyline am Perlfluss






Beim Abendessen im chinesischen Fresstempel



Wieder am Bahnhofsvorplatz
Der Abschied von Guangzhou fällt uns schwer. Eigentlich hätten wir dieser angenehmen und sympathischen Stadt viel mehr Zeit widmen sollen, doch wir müssen weiter nach Kunming in der Provinz Sichuan. Am frühen Morgen packen wir unsere Siebensachen und marschieren zum Bahnhof - zu Fuß und wegen der Schwüle nicht ohne gehörig zu schwitzen. Im Kantoner Hauptbahnhof wurde auf die ansonsten vorbildliche Zweisprachigkeit der Beschilderung leider verzichtet. So stehen wir vollbeladen im Menschengewimmel und blicken hilflos auf alle die Treppen und Gänge, die das riesige Gebäude durchziehen. Wir haben keine Ahnung, wo unser Zug abfährt, wo überhaupt die Bahnsteige oder Warteräume sind. In unserer Not wenden wir uns an das Personal und erhalten prompt eine Lektion in chinesischem Service. Eine Angestellte begleitet uns persönlich zu unserem Wartesaal der ersten Klasse, der mit bequemen Ledersesseln ausgestattet ist. Als unser Zug - natürlich nur auf Chinesisch - auf gerufen wird, holt uns eine andere Angestellte ab und bringt uns an den Bahnsteig. Ein Service, von dem sich die Deutsche Bahn sicher mehr als nur eine Scheibe abschneiden kann. Ein wenig später sitzen wir im Abteil und lassen die südchinesische Landschaft an uns vorbeiziehen. Kunming wartet - runde 1700 Kilometer weiter im Westen.

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