Radreise in das Memelland, nach Ostpreussen und Masuren, Abschnitt 2: Memelland, nordöstliches Polen


Über die Memel in Jurbarkas (Georgenburg)

Lumpėnai - Šakai (Schaken)

[Etappe 9, 75,23 km]




Schmalleningken, der östlichste Ort des Memellandes
Eine Arbeitsetappe ist eine Etappe, die man radeln muss, aber nicht unbedingt will. Man muss sie radeln, weil man von einer Region in die nächste kommen möchte, dazwischen aber uninteressante oder lästige Gefilde liegen, die man dazu durchqueren muss. So geht es uns heute und die nächsten zwei Etappen. Wir verlassen das Memelland und wollen nach Ostpolen. Durchqueren müssen wir dazu den Süden Litauens, und der ist alles andere als sehr sehenswert.

Doch noch ist das Memelland nicht vorbei. Bei mal wieder bestem Wetter packen wir unsere Räder und verlassen Lumpenai (Lompönen). Ein letzter Blick zurück zur alten Schule (Senasis Rambynas), und schon geht es weiter nach Osten. In Vilkyškiai (Willkischken) stehen noch einige alte Häuser, zum Teil in recht renovierungsbedürftigem Zustand. Topografisch geht es hier ein wenig hügelig zu, denn wir befinden uns inmitten des Willkischker Höhenzuges oder auch der kleinen litauischen Schweiz.


Alte Brücke in Vilkyškiai (Wischwill)
Östlich von Vilkyškiai beginnen weite Waldgebiete, die tief ins litauische Kernland hineinreichen. Auch wir bekommen das mit, denn bis zum nächsten Städtchen Viešvilė müssen wir fast zwanzig Kilometer durch Wälder radeln. Nichts gegen Wälder, aber irgendwann wird′s langweilig.

Viešvilė (Wischwill) ist ein nettes kleines Dörfchen am kleinen Wischwill-Fluss. Auch hier stehen noch einige malerische Häuser aus alter Zeit. Interessant ist auch eine Parkanlage rund um den Wischwill-Fluss mit Resten einer alten Brücke.

Letzte Station auf memelländischem Gebiet ist Smalininkai oder Schmalleningken. Hier befand sich die östliche Grenze des Memellandes und damit des deutschen Reiches. Entlang der Hauptstraße reiht sich ein interessantes Gebäude an das nächste. Auch hier scheint es, als sei die Zeit stehen geblieben. Wir machen eine kurze Rast und genießen das Treiben im kleinen Ortskern. Anschließend verlassen wir Schmalleningken in Richtung Jurbarkas (Georgenburg).


Jurbarkas (Georgenburg)
Und tatsächlich, kaum haben wir das alte Memelland hinter uns gelassen, scheint die Landschaft um einiges langweiliger und eintöniger zu werden. Jurbarkas (Georgenburg) präsentiert sich als schmucklose Stadt ohne jegliche Reize. In einer Pizzeria essen wir zu Mittag, dann geht es auf der großen Brücke über die Memel.

Und dort beginnt dann die eigentliche Arbeitsetappe. Die Landschaft wird eintönig und ist zu beiden Seiten der Landstraße hauptsächlich von Getreidefeldern geprägt. Nichts tut sich mehr, bis zum Horizont ziehen sich die langweiligen Anbauflächen dahin. Hie und da taucht mal ein kleines Örtchen auf, das war es aber auch dann mit der optischen Abwechslung.


Irgendwo zwischen Jurbarkas und Šakai
Und auch das Radeln auf den Landstraßen wird lästig. Hier nimmt der Schwerlastverkehr deutlich zu, und viele der LKW-Fahrer überholen gerne mit wenig Abstand. Erschwerend kommt hinzu, dass es neben der eigentlichen Fahrbahn oft noch einen Schotterstreifen gibt. Für beladene Reiseräder eine Zumutung. Für LKW-Fahrer DER zwingende Elendsweg, den Radler gefälligst zu nehmen haben. Was folgt, ist eine wenig friedliche Atmosphäre des Radfahrens, die vom Austausch bestimmter internationaler Handzeichen geprägt ist.

Über Šakai (Schaken) ist nicht allzu viel zu berichten. Immerhin gibt es im Zentrum einen kleinen See, an dessen Ufer ein paar Bänke zum Verweilen einladen. Kurz davor ein großer Supermarkt, in dem wir uns mit dem Nötigsten versorgen. Mehr muss man von Šakai eigentlich auch nicht sehen.


In Smalininkai


Die Memel bei Jurbarkas

Šakai (Schaken) - Mariampolė

[Etappe 9, 60,01 km]


Kirche in Pilvyškiai
Und wieder eine Arbeitsetappe. Diesmal ist sie sogar noch reizloser. Wieder geht es auf teils stärker befahrenen Landstraßen durch südlitauische Agrarlandschaften ohne jeden Wiedererkennungswert. Felder und Knicke, soweit das Auge reicht. Da hilft nur, schon Mittags ein Bier gegen die Langeweile zu trinken.

Eine kleine Rast legen wir in Pilvyškiai, wo wir eigentlich hoffen, etwas Warmes zu essen finden zu können. Das einzige geöffnete Restaurant führt leider nur fleischhaltiges Einheitsessen, weshalb wir uns in einem kleinen Laden mit Brötchen und Tomaten versorgen. Gestärkt stellen wir uns dann wieder dem Einerlei der Landstraßen.


Auf ins Verkehrsgetümmel der A7
Nach dem Abzweiger auf die A7 nach Marijampole wird der Verkehr sehr lästig. Uns bleibt nur ein kleiner Seitenstreifen, der uns vor den vorbeidonnernden Blechkisten trennt. Irgendwie hatten wir geglaubt, dass hier im Süden von Litauen, zischen Ostpolen und der Oblast Kaliningrad, nicht viel los sei. Weit gefehlt - es gibt wohl kein Fleckchen auf dieser Erde, das noch nicht vom Autoverkehr verseucht ist.

Marijampolė (47.000 Einwohner) ist dann endlich mal wieder so etwas wie ein Highlight. Die Provinzhauptstadt wirkt in ihrem Zentrum durchaus attraktiv. Hier trifft ein reger Einzelhandel auf das aufgelockerte sozialistischen Bauensebmle auf dem zentralen Platz. Hier befinden wir uns übrigens schon in der historischen Region Sudauen, benannt nach dem altpreußischen Stamm der Sudauer.


Marijampolė


Marijampolė


Regenguss bei Kalvarija (wir blieben verschont)

Mariampolė - Suvałki (Suwalken, PL)
Auf der Höllenstraße E67 nach Suwalken

[Etappe 10, 70,14 km]


Die lebensgefährliche A7 zwischen Kalvaria und Grenze
Hinter der profanen Nummer E67 verbirgt sich die Nord-Süd-Verbindung durch das Baltikum, die deshalb auch auf den poetischen Namen Via Baltica hört. Die Fernstraße beginnt in Prag und endet in Tallinn und ist von wesentlicher Bedeutung für den Güterverkehr.

Was gut für den Güter- und Schwerlastverkehr ist, ist im Umkehrschluss die Hölle für den Radverkehr. Doch manchmal lässt sich es sich einfach nicht vermeiden, eine solche Straße in die Route einzubauen. Das hat meist damit zu tun, dass die Haupt-Fernverbindungen einfach auch die direktesten sind.

Zwischen Mariampolė und Suvałki haben wir auf unseren Karten keine anderen Routen ausmachen können als die E67. Sicher gibt es Alternativen. Doch die zum Preis von heftigen Umwegen. Und warum soll eine Europastraße nicht auch gut für fernreisende Radler sein?


Endlich die Grenze zu Polen
Doch bis Kalvari haben wir noch eine Schonfrist und dürfen die Landstraße 180 benutzen. Doch dann ist Schluss mit lustig. Oder besser Schluss mit sicher, denn der litauische Teil der E67 ist lebensgefährlich für Radfahrer. Das liegt vor allem daran, dass es keinen Schutzstreifen am Fahrbahnrand gibt. Diesen gibt es dafür in der Fahrbahnmitte, damit entgegenkommende LKW nicht versehentlich miteinander kollidieren. In den Kurven ist der Fahrbahnbelag an den Rändern in die Höhe gezogen, wohl damit Wasser nicht unkontrolliert abläuft. Dann bleibt noch weniger Platz zum Ausweichen vor den LKW. Und wenn man diese Asphaltwölbung nicht rechtzeitig bemerkt, weil alle Aufmerksamkeit auf den Höllenverkehr gerichtet ist, sind Stürze vorprogrammiert.

Bis zur Polnischen Grenze nach etwa 20 Kilometern schwitzen wir Blut und Wasser. Die E67 in Südlitauen ist für Radfahrer definitiv nicht zu empfehlen. In Polen verbessert sich unsere Situation spürbar. Zwar sind wir immer noch auf der Via Baltica unterwegs, doch verwöhnt man uns hier mit einem breiten Randstreifen. Und wir staunen nicht schlecht, welche unfassbaren Mengen von Lastkraftwagen an uns vorbei fahren. Noch nie haben wir eine derart vom Schwerlastverkehr befahrene Straße gesehen. Dass angesichts der nicht endenden LKW-Schlange hier etwas gewaltig schief läuft, ist nicht zu übersehen. Auch führt die E67 mitten durch kleine Dörfer hindurch, was die Lebensqualität der Menschen dort drastisch beschränken dürfte.


LKW-Lindwurm auf der E67
Irgendwann erreichen wir schließlich Suvałki und beziehen unser Zimmer in einer kleinen Pension. Danach stehen Erledigungen in der Stadt an. Suvałki ist mit knapp 70.000 Einwohnern ein bedeutendes Zentrum im dünn besiedelten Nordosten Polens. Wie viele polnische Städte empfängt uns das frühere Suwalken zunächst mit ausgedehnten Plattenbauvierteln. Auch der LKW-Lindwurm der E67 quält sich durch die Vororte der Stadt und trägt zu ihrem abgasgeschwängerten Klima bei.

Das kleine Zentrum von Suvałki zeigt sich dagegen aufgelockert und sympathisch. Gegenüber der markanten Alexanderkirche erstreckt sich ein kleiner Stadtpark mit angrenzender Fußgängerzone. Für unser leibliches Wohl sorgen wir in einer hässlichen Einheits-Mall, die ihre Besucher in gleicher Art auch in Berlin, Warschau, New York oder wo auch immer langweilt. Da wir auf eine ausgedehnte Stadtbesichtigung wenig Lust haben und Suvałki dafür auch nicht allzu viel hergeben dürfte, machen wir es uns lieber in unserer Pension gemütlich.


Ortseingang Suvałki


Suvałki, Stadtzentrum mit Alexanderkirche


Suvałki, gemütliche Fußgängerzone

Suvałki - Wigry
Polnischer Baustellen-Marathon

[Etappe 11, 26,33 km]


Suvałki - Ost
Wir haben recht spontan beschlossen, einen Abstecher nach Wigry zu machen. In unseren Reiseführern kursiert das Städtchen als eine Art Geheimtipp. Daher fahren wir sogar noch etwas weiter nach Osten, also entfernen uns noch von Masuren. Wir halten das für vertretbar, weil es sich dabei nicht einmal um dreißig Kilometer handelt. Dreißig Kilometer, die mit zwei Übernachtungen in einem Kloster und Erkundungen in einem Nationalpark mehr als gerechtfertigt sein dürften.

Doch zunächst müssen wir erfahren, dass dreißig Kilometer sehr, sehr lang werden können. Und zwar dann, wenn in Polen eine Landstraße erneuert wird. Anders als bei uns, nimmt man sich dort die komplette Verkehrsverbindung vor. Der Verkehr wird dann abschnittsweise einspurig geführt. Das Ergebnis ist also eine Baustellenampel nach der anderen - auf den paar Kilometern bis Wigry bestimmt zwanzig Stück.


Typiches Bild auf der 381 nach Wigry
Und jedes Mal das gleiche Spielchen: Die Rotphasen sind am Tempo der Autos ausgerichtet. Wir schaffen es nicht immer, die Baustellen rechtzeitig zu durchradeln. Dann kommt uns der Verkehr entgegen, und wir müssen uns irgendwo an der Seite verstecken.

Genervt erreichen wir endlich Wigry. Das kleine Dorf gibt gleich drei anderen Objekten seinen Namen, nämlich dem angrenzenden See (Jezioro Wigry), dem Kloster sowie dem dahinter liegenden Nationalpark. Das Kamedulenkloster Wigry befindet sich auf einer Halbinsel im See. Nur noch die Pfarrkirche wird für kirchliche Zwecke genutzt, die restlichen Gebäude werden vom polnischen Kultusministerium als Herbergsbetrieb unterhalten.


Kloster Wigry
Wir beziehen ein prächtiges Zimmer mit Blick auf den Klosterhof. Danach schauen wir uns das Innere der Pfarrkirche samt Krypta an. Ein Bediensteter schickt uns wieder nach draußen, weil wir keinen Eintritt gezahlt haben. Der sollte doch wohl im teuren Zimmerpreis enthalten sein. Und überhaupt, sollte eine Kirche nicht ohne Eintrittsgeld betreten werden können? Egal, die Fotos aus der Krypta sind schon im Kasten.

Die nähere Umgebung um das Kloster ist eher unspektakulär. Vor dem Dorf bieten Händler jede Menge mehr oder weniger brauchbarer Waren an. Etwas ärgerlich ist, dass es nur in Magdalenowo (5 km Schotterweg) einen kleinen Tante-Emma-Laden gibt. Ansonsten bleibt nur Leitungswasser oder das Restaurant im Klosterkeller.



Kamedulenkloster Wigry


Kamedulenkloster Wigry


In der Krypta der Pfarrkirche

Im Wigry Nationalpark (Wigiersky Park Naradowy)

[24,39 km]


Wegweiser
Ähnlich wie das Kloster wird der angrenzende Wigry Nationalpark ab und an als Geheimtipp gehandelt. Wir durchradeln ihn auf mehreren Routen, die auf einem kostenlosen Infoheftchen samt Karte vorgeschlagen werden. Dabei handelt es sich um Wander- und Fahrradwege, wobei wir schnell feststellen, dass man hier oft nur mit dem MTB gut vorankommt.

Der Nationalpark besteht hauptsächlich aus ausgedehnten Fichten- und Föhrenwäldern. Besonders geprägt wird er vom Flüsschen Czerny Hańcza, das wild durch seine Niederung mäandert. An einigen Stellen lässt sich das sumpfige Gelände auf Holzstegen besichtigen, was eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Park ist.

Davon abgesehen findet man sich in finsteren Wäldern wieder, die es in dieser Form auch bei uns zuhause gibt. Einige der Wege sind kaum mit dem Fahrrad zu passieren, aber dafür sind wir ja auch schließlich in einem weitestgehend naturbelassenen Nationalpark. Alles in allem dürfte es in Ost-Mitteleuropa aber sicher interessantere Naturgebiete geben.




Czerny Hańcza


Ein Fröschlein


Im finsteren Tann

[Gesamtkilometer: 525,66]

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