Radreise in das Memelland, nach Ostpreussen und Masuren, Abschnitt 4: Ermland (Elbląg, Sztutowo - KZ Stutthof -, Gdansk)


Elbląg

Lidzbark Warminski (Heilsberg) - Elbląg (Elbing)

Auf in die Elbinger Höhe!

[Etappe 16, 98,77 km]




Paradiesisch: Fast kein Verkehr auf der frischen 513
Manchmal muss man einfach etwas wagen. In einer Mischung uns Trotz und Pragmatismus entscheiden wir uns, die Sperrung der 531 einfach zu ignorieren. Schließlich sind wir mit dem Rad unterwegs, und außerdem kann man die Ortschaften entlang der Straße ja nicht komplett von der Außenwelt abschneiden. Auf der Ausfallstraße aus Lidzbark Warminski sind die Arbeiten in vollem Gange. Doch wir kommen durch. Bevor wir die Stadt verlassen, frage ich einen Arbeiter, ob man denn nach Orneta käme. Er bejaht und wir radeln los.

Und es stellt sich heraus, dass wir genau das Richtige getan haben. Die 513 ist so gut wie fertig, nur Randbefestigung und Fahrbahnmarkierung fehlen. Wohl um besser arbeiten zu können, hat man den Verkehr in Richtung Elbląg auf eine Ausweichstrecke verlagert. Mit dem Ergebnis, dass wir die Straße fast für uns alleine haben. Paradiesisch. So muss es sein.


Orneta (Wormditt)
Entspannt kommen wir in Orneta (Wormditt) an. Das kleine Städtchen hat eine bestens erhaltene Altstadt und wirkt schon auf den ersten Blick sympathisch und idyllisch. An einigen Ecken scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, wäre da nicht der Autoverkehr. Fünf Kilometer später biegen wir auf die Woiwodschaftsstraße 509 ab, weil der Rest der 513 dann wirklich gesperrt ist - auch für Radfahrer. Macht nicht, denn der Umweg ist so nur minimal. Entschädigt werden wir durch eine lauschige Landschaft, die von sanften Hügeln und kleinen Waldgebieten geprägt ist. Dazwischen liegen kleine Dörfchen, die zur ein oder anderen Rast einladen. Die Sonne scheint, der Verkehr ist minimal, was will man mehr als Reiseradler?

Ab Młynary hat das schöne Radlerleben dann ein jähes Ende. Es geht hinauf in die Elbinger Höhe (Wysoczyzna Elbląska, Trunzer Berge) und das mit einem kilometerlangen und zermürbenden Anstieg. Oben angekommen, geht es immer wieder hinab und hinauf, so dass wir am Ende dieser Etappe noch mächtig ins Schwitzen kommen. Der Tag neigt sich langsam dem Abend zu, während wir im Schweiße unserer Angesichter in die Pedale treten.


Und wieder einen Berg geschafft...
Wir wissen, dass Elbląg wieder unten liegt und es irgendwann wieder bergab gehen dürfte. Aber Elbląg will und will nicht näher kommen, genauso wenig wie die ersehnte Abfahrt. Doch dann geht alles plötzlich Schlag auf Schlag. Erst fahren wir am Stadtschild von Elbląg vorbei, und sofort geht es fünf Kilometer lang bergab. Weil wir auf den zunehmenden Verkehr achten müssen, können wir das leider nicht ausreichend würdigen und genießen. Im Straßengewimmel der Großstadt (123.000 Einwohner) versuchen wir, unser Hotel zu finden.

Nachdem uns das gelungen ist, machen wir uns auf zum Abendessen und einen abendlichen Spaziergang durch die angenehme Altstadt.


Elbląg


Elbląg


Elbląg

Elbląg - Sztutowo - Gdansk

Bedrückender Abstecher zum ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Stutthof

[Etappe 17, 92,61 km]


Brücke über den Nogat nach Pommern
Heute steht die letzte große Etappe dieser Radreise an. Wir radeln von Elblag nach Gdansk und wollen dabei noch einen Abstecher zum ehemaligen KZ Stutthof machen. Von Danzig aus soll es dann mit dem Zug nach Szczecin und weiter nach Lübeck gehen.Diese Etappe hat noch eine zusätzliche Besonderheit, denn wir verlassen das Gebiet des ehemaligen Ostpreußen und erreichen Pommern.

Aus Elblag herauszufinden, ist einfacher, als von Nordosten in die Stadt hinein zu kommen. Für Radler gibt es entlang der Fernstraße 7 einen separaten Radweg, was die Sache zusätzlich erleichtert. Nach einigen Kilometern biegen wir nach rechts in Richtung Maręcino ab. Es geht durch ein flaches, von vielen Entwässerungsgräben und Flüsschen durchzogenes Agrarland.


Sztutowo (Stutthof), links ein Teil des Rathauses
In Kępki schließlich überqueren wir den Nogat und verlassen wir die Woiwodschaft Ermland-Masuren (Warminsko-Mazurskie) und erreichen Pommern (Pomorskie). Damit lassen wir ein wenig wehmütig das ehemalige Ostpreussen hinter uns. Ab Maręcino nimmt der Verkehr leicht zu, auch haben wir auf unserem westlichen Kurs lästigen Gegenwind.

Im wenig sehenswerten Nowy Dwór Gdanski reihen wir uns in die Autoschlange auf der Woiwodschaftsstraße 502 nach Norden ein. Hier herrscht ein höllischer Verkehr, der dem auf der Via Baltica durchaus das Wasser reichen kann. Nur handelt es sich weniger um LKW, sondern um PKW. Klar, die 502 ist die Verbindung zu den Ostseebädern und damit entsprechend frequentiert. In Rybina haben wir die Faxen dicke und machen einen Umweg über die Dörfer nach Sztutowo.

Wohnhochhaus mit unserem Appartement
Sztutowo (Stutthof) selbst ist ein kleines und wenig attraktives Seebad am frischen Haff. Traurige Bekanntheit erlangte es durch das Konzentrationslager (KZ) Stutthof, in dem zwischen 1939 und 1945 etwa 110.00 Menschen unter furchtbaren Bedingungen inhaftiert waren. 65.000 von ihnen wurden von den Nazis ermordet.

Das Gelände des ehemaligen KZ Stutthof befindet sich etwa fünf Kilometer westlich von Sztutowo und kann als Museum und Gedenkstätte besichtigt werden. Wir nehmen uns einige Stunden Zeit und sind fassungslos angesichts der barbarischen und menschenverachtenden Gräueltaten, die den Gefangenen angetan worden sind. Hier zeigt sich wieder einmal, dass der Mensch alles andere als die "Krone der Schöpfung"M ist. Und auch, dass eine selbsternannte "Herrenrasse" eher als widerwärtiger Ausschuss der Evolution bezeichnet werden kann.

Fassungslos macht uns auch die Tatsache, dass viel zu wenige der Täter wirklich zur Verantwortung gezogen worden sind. Viel zu viele konnten entkommen, schlüpften durch das Raster einer nur halbherzig durchgeführten Entnazifizierung, erhielten nur milde Strafen und führten später ein bürgerliches Leben.


Blick über Danzig
In gedämpfter Stimmung setzen wir unsere Fahrt fort und trinken im nahen Stegna ein Bier zur Beruhigung. Nun ist es nicht mehr allzu weit bis Danzig. Auf den letzten dreißig Kilometern bricht langsam der Abend herein. In Mikoszewo geht es mit der Fähre über die Weichsel. In Świbno auf der anderen Seite beginnt bereits das Danziger Stadtgebiet.

Von Osten her in die 460.000-Einwohner-Stadt zu radeln macht nicht unbedingt Spaß, denn auf dieser Seite gibt es praktisch keine Radwege. Und so müssen wir uns, gemeinsam mit unzähligen Autofahrern, über autobahnähnliche Einfallstraßen quälen. Irgendwann haben wir es geschafft und stehen vor der weltberühmten Altstadt.

Nun müssen wir nur noch unsere Unterkunft finden, die diesmal ein privates Appartement ist. Sie liegt südlich der Altstadt im zehnten Stock eines Wohnhochhauses. Die Fahrräder können wir mit ins Appartement nehmen, allerdings passen sie kaum in den Fahrstuhl. Zum Ausgleich haben wir eine tolle Aussicht über die Stadt.


Eingangstor KZ Stutthof


Schlafbaracke


"Behandlungszimmer", auch für Menschenversuche


Krematoriumsofen

Gdansk - Szczecin (mit dem Zug)

Szczecin - Lübeck (mit dem Zug)

[Etappen 18 und 19, 7,28 und 6,17 km]


Szczecin
Nach einem weiteren entspannten Tag in Danzig treten wir die Heimreise an. Mit dem Zug geht es nach Szczecin (Stettin), wo wir noch eine Übernachtung einlegen. Passend zum Ende dieser Radreise verschlechtert sich das Wetter. Auch in Szczecin lassen es gemütlich zugehen und machen uns einen schönen Abend.

Die letzte Etappe führt mit der Bummelbahn von Stettin nach Lübeck. Je mehr wir uns Lübeck nähern, desto schlechter wird das Wetter. In Lübeck schließlich erleben wir den kältesten und nassesten Tag dieser Radreise. Klitschnass und bei fast schon herbstlichen 14,7 Grad kommen wir schließlich an.






Das schlechteste Wetter gab′s bei der Ankunft in Lübeck



[Gesamtkilometer: 1002,29]

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