Radreise in das Memelland, nach Ostpreussen und Masuren, Abschnitt 3: Masuren


Am Jezioro Wydmińskie

Wigry - Olecko (Treuburg)

[Etappe 12, 62,38 km]




Wieder zurück in Suvałki
Es wird Zeit, dass wir nach Masuren kommen. Noch befinden wir uns tief in Podlachien, Polens nordwestlichster Woiwodschaft (Województwo Podlaskie). Podlachien hat die geringste Einwohnerdichte Polens und ist darüber hinaus seine strukturschwächste Region. Analog zur Bundesrepublik könnte man sagen, dass Podlachien das Vorpommern Polens ist. Wobei es hier eher Vor-Litauen oder Vor-Weissrussland heissen müsste. Trotzdem haben auch hier die meisten kleinen Ortschaften einen kleinen Lebensmittelladen, was man beileibe nicht von deutschen Landkäffern behaupten kann.

Auf der von Baustellen durchtränkten 653 machen wir uns auf den Weg zurück nach Suvałki. Nach Olecko folgen wir der selben Landstraße, nur mit dem Unterschied, dass östlich von Suvałki keine Baustellen mehr das Fortkommen stören.


St. Jakobs - Kirche in Bakałarzewo
In Bakałarzewo machen wir eine kleine Rast in einer Parkanlage im Schatten der St. Jakobs Kirche. Am Himmel beobachten wir eine seltsame Ansammlung von Vögeln, die sich vielleicht schon auf den Flug nach Süden vorbereiten. Hier überradeln wir schließlich auch die Woiwodschaftsgrenze nach Ermland-Masuren, wobei wir uns endlich im Landesteil Masuren befinden.

Wenige Kilometer vor Olecko wird nicht nur das Wetter trübe, sondern es nimmt auch der Verkehr spürbar zu. Zudem schlängelt sich die 653 durch einen tristen Wald, was erhöhte Aufmerksamkeit beim Radfahren erfordert.


Endlich in Masuren
Unsere Unterkunft liegt direkt am Jezioro Oleckio Wielkie, dem Großen Oleckosee. Und sie hätte durchaus idyllisch sein können, nervte nicht der dauernde Verkehrslärm der nahen Hauptverkehrsstraße. Auch optisch macht unsere erste richtige masurische Stadt Polens nicht wirklich viel her. Einzige Sehenswürdigkeit ist der sieben Hektar große Marktplatz, der früher mal größter des Deutschen Reiches war.

Passend zum tristen Eindruck Okeckos (das von uns daher den Namen "Oleckmich" verpasst bekam) zeigt sich auch das Wetter von seiner nasskühlen Seite. Vor unserer Hütte am See verlieren schon einige Bäume erste Blätter. In Olecko ist es so traurig, dass der Herbst schon Anfang August einsetzt.


Der Marktplatz von Olecko


Abends am Jezioro Oleckio Wielkie

Olecko - Giźycko

[Etappe 13, 73,55 km]


Unterwegs
Die Droga Wojewódzka 655 (Woiwodschaftsstraße) zwischen Olecko und Upałdy ist fast schon so etwas wie eine Traumstraße für Radreisende. Der Verkehr ist gering und die Landschaft oft überraschend sehenswert. Hier zeigt sich Masuren von seiner schönsten Seite, nämlich aus einem Mix aus Wäldern, Hügeln und Seen in allen Größenklassen.

Besonders gefällt es uns in Wydminy (Widminnen) am gleichnamigen See (Jezioro Wydmińskie), der wegen seiner schlauchförmigen Gestalt ein wenig an einen norwegischen Fjord erinnert. Wir befinden uns mitten in der Masurischen Seenplatte, die ihre Existenz eiszeitlichen Moränen verdankt. In vielen Fällen füllten sich glaziale Rinnen (wie etwa der Widminner See) mit dem Schmelzwasser der Gletscher und bildeten Seen aus.


Am Wegesrand ein kleines Moormit Totholz
In Upałdy ist dann Schluss mit dem Vergnügen. Es sind zwar nur noch wenige Kilometer bis Giźycko, die allerdings auf der überaus verkehrsreichen Fernstraße 63 absolviert werden müssen. Ausweichplatz gibt es so gut wie keinen, dazu kommt starker Verkehr von vorn und hinten.

Leicht genervt erreichen wir schließlich Giźycko (Lötzen, 30.000 Einwohner), das sich schnell als sehr trubelige Touristenstadt entpuppt. Durch die Straßen ziehen Massen von hauptsächlich jugendlichen Feriengästen. Und die haben, wie überall auf dieser Welt - aber besonders in Polen - nur Feiern im Kopf. Nicht, dass wir etwas dagegen hätten. Aber Giźycko ist alles andere als ein geruhsamer Ort für den Radurlaub.

Und so schenken wir uns die wenigen Sehenswürdigkeiten, die es hier gibt. Wir gehen (oder besser: radeln) essen und machen es uns dann auf dem Balkon unseres Hotelzimmers gemütlich. Immerhin können wir von dort aus den Jezioro Kisanjo sehen.


Wydminy


Blick über den Jezioro Kisanjo

Giźycko - Kętrzyn (Rastenburg)
In der Wolfsschanze

[Etappe 14, 53,75 km]


Unterwegs nach Kętrzyn
Es ist eine eher unspektakuläre Route, die uns nach Kętrzyn führt. Die Woiwodschaftsstraße 592 schlängelt sich durch dunkle Wälder und ist ansonsten mäßig stark befahren. Unser Ziel ist die alte ostpreußische Stadt Rastenburg, die 1946 nach dem Historiker Wojciech Kętrzyński in Kętrzyn umbenannt wurde.

Um genau zu sein, ist unser Ziel aber nicht Kętrzyn, sondern das acht Kilometer östlich gelegene Gierłotz, in dessen Nähe sich unsere feudale Unterkunft Kompleks Księźycowy Dworek befindet. Die beinahe schon barocke Villa liegt schlossähnlich auf einem Hügel am Jezioro Siecze, wobei unser Zimmer sogar mit einem riesigen Balkon aufwarten kann. Im Unterschied dazu macht das Personal und die mutmaßliche Hotelchefin einen wenig freundlichen Eindruck. Wir führen das darauf zurück, dass sie es noch nicht verwunden hat, den alten ehrbaren Familienbesitz für den schnöden Gelderwerb einsetzen zu müssen.


Vermarktung und Wehrmachtsromantik
Was uns in diese abgelegene Gegend verschlagen hat, liegt auf der Hand. Es ist die größte Touristenattraktion dieser Gegend, die Reste von Hitlers Wolfsschanze. Viele Worte müssen an dieser Stelle nicht über das geheime und streng abgesicherte Führerhauptquartier gemacht werden. 1940 von der Organisation Todt aus Unmengen an Stahlbeton errichtet, diente die Wolfsschanze bis 1945 als militärisches Lagezentrum und Führerhauptquartier. Die Wehrmacht versuchte zuletzt, die Gebäude vor der heranrückenden Roten Armee dem Erdboden gleich zu machen. Was aber angesichts der massiven Bunkerbauweise kaum gelang.

Heute ist das weitläufige Ruinenfeld eher Touristenattraktion denn Gedenkstätte. Überhaupt scheinen die Polen einen sonderbaren bis pragmatischen Umgang mit der Geschichte zu pflegen. Schon auf der Zufahrtsstraße zur Wolfsschanze wird für Fahrten in originalen Militärfahrzeugen geworben. Innerhalb der Wolfsschanze werden nachgemachte Waffen und Wehrmachts-Militaria verkauft. Und sogar schießen kann man für kleines Geld.

Für uns ist das stellenweise sehr unverständlich, schließlich hat der Nationalsozialismus immenses Unglück über Polen gebracht hat. Den Vogel schoss ein Angestellter des Wolfssschanzen-Museums ab, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „OKH Allenstein“ (OKH = Oberheereskommando) trug - in Frakturschrift.


Überwachung in Kętrzyn
Kętrzyn ist im Grunde eine sympathische Stadt mit verwunschenen Winkeln und viel alter Bausubstanz. Allerdings ist das Verkehrsaufkommen in der knapp 28.000 Einwohner zählenden Stadt so heftig, dass jeder Anflug einer idyllischen Atmosphäre im Keim erstickt wird. Interessant und durchaus abschreckend ist auch ein Hinweisschild am Ortseingang, das auf öffentliche Kameraüberwachung hinweist. Willkommen im ach so freien Europa.










In Kętrzyn


In der Wolfsschanze


Wolfsschanze: Hier darf scharf geschossen werden!


Militärspaß auf der Wolfsschanz (man achte auf das T-Shirt des Fahrers)

Kętrzyn - Lidzbark Warminski (Heilsberg)
Von Masuren ins Ermland

[Etappe 15, 82,22 km]


Basilika von Święta Lipka (Heiligelinde)
Das Wetter ist super und der Verkehr verstopft die Straßen von Kętrzyn. Es ist nicht einfach, die Woiwodschaftsstraße 594 nach Bisztynek zu finden. Zu allem Überdruss liegt Kętrzyn in einer Senke, was einen moderaten, aber durchaus spürbaren Anstieg bedeutet. Nach einer knappen Stunde erreichen wir den Wallfahrtsort Święta Lipka mit seiner baroken Basilika. Im Gegensatz zu den Busladungen von Pilgern und Touristen nehmen wir uns keine Zeit für eine Besichtigung.

Wenige Kilometer später verlassen wir Masuren und erreichen das Ermland (Warmia). Früher das Siedlungsgebiet eines prussischen Stammes, ist es heute der westliche Landesteil der Woiwodschaft Ermland-Masuren (Województwo warmińsko-mazurskie). Mit Reszel (Rößel) nehmen wir die erste ermländische Ortschaft unter unsere Laufräder. Die sehr gut erhaltene Altstadt liegt auf einem Steilhang oberhalb des Flüsschens Sajna. Man erreicht sie über ein steinernes Viadukt, das über das tiefe Flusstal führt.


In Reszel
Das Wetter beginnt zu schwächeln. Während wir in Święta Lipka vor Hitze noch halb am verdursten waren, zieht sich nun der Himmel zu und es riecht nach Regen. Dann doch lieber einen Hitzschlag erleiden. In Bisztynek (Bischofstein) müssen wir für kurze Zeit auf die Fernstraße 52, doch der Verkehr hält sich in Grenzen.

Unsere letzte Rast machen wir in Kiwity (Kiwitten). Der Einkaufsladen befindet sich in einem Gebäude aus sozialistischer Zeit und lädt uns so erst recht auf ein Bier ein. Und wir haben Glück: Hinter uns zieht sich der Himmel zu bedrohlichsten Weltuntergangswolken zusammen, doch wir bekommen keinen Tropfen ab.


Bisztynek
Die letzten Kilometer nach Lidzbark Warminski (Heilsberg) vergehen schnell. Unser Hotel liegt ausgerechnet am Ortsausgang in entgegengesetzter Richtung. Und weil auch Heilsberg in einer Senke liegt, müssen wir mächtig bergauf strampeln. Dafür ist der Chef des Hotel Goórecki sehr radfahrerfreundlich, hat viele Tipps auf Lager und spricht sogar deutsch. Nicht dass das nötig wäre, aber manchmal hilft′s.

Leider sehen wir ihn nicht mehr nach unserer Rückkehr vom Abendessen. In der Stadt sind uns Hinweisschilder aufgefallen, auf denen zu lesen war, dass die Woiwodschaftsstraße 513 nach Orneta wegen Bauarbeiten komplett gesperrt ist. Das würde für unsere nächste Etappe einen Umweg von mindestens 30 Kilometern bedeuten. Und so sorgen wir uns leise in den Schlaf.



Satopy (Santoppen), Pfarkirche St. Jodokus


Unterwegs


..und schlechtes Wetter im Rücken

[Gesamtkilometer: 797,46]

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