Radreise von Warschau nach Minsk, Abschnitt 1: (Lübeck) - Berlin - Warschau


Rohbau des Warshaw Spire (zweithöchstes Gebäude in Warschau, 220 Meter)

Lübeck - Berlin - Warschau

[Etappe 1, Lübeck - Büchen - Berlin-Friedrichshain: 67,60 km]




Claudia in Berlin
Die Bahnverbindung zwischen Lübeck und Büchen ist eine Katastrophe. Es verkehrt der Regionalexpress Kiel - Lüneburg (RE), und dieser zählt zu den schlimmsten "Produkten" der Deutschen Bahn. Stets überfüllt, unpünktlich und teuer, ist er eine Paradebeispiel für eine verfehlte Verkehrspolitik der Bahn, die in Stuttgart lieber Prachtbahnhöfe baut, als marode Verbindungen auf Vordermann zu bringen.

Um uns nicht diesem Schienenärgernis auszusetzen, radeln wir lieber nach Büchen. Denn dort müssen wir in den Zug nach Berlin um- oder einsteigen, und das wäre mit dem ständig verspäteten RE äußerst riskant. Das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite, und so rollen wir vorbei am Ratzeburger See nach Mölln und weiter nach Büchen.


Berlin, Radspur in die Karl-Marx-Allee (Blick zum Strausberger Platz)
Der Büchener Bahnhof ist recht weitläufig, weil er nach der Wende um die Gleise in den Osten der Republik erweitert wurde. Das zumindest mutmaßen wir, während wir auf den Intercity von Hamburg nach Berlin warten. Und was wäre eine Zugverbindung der Deutschen Bahn ohne obligatorische Verspätung? Eben, pünktlich kann ja jeder. Und so müssen wir eine gute halbe Stunde länger am Bahnsteig stehen, bis der Zug endlich eintrudelt.

Dann geht aber alles recht fix. Eilig hastet der Zug durch Mecklenburg und Brandenburg, bis er nach knapp zweieinhalb Stunden in Berlin einfährt. Dort erweist sich der Hauptbahnhof mal wieder als Ärgernis (nicht nur) für Radreisende. Seine Planer haben ihn so konstruiert, dass sich die Bahnsteige vertikal über mehrere Etagen verteilen. Verbunden werden die Etagen mit vielen Rolltreppen und nur wenigen, ständig besetzten Aufzügen. Und so ist man zwar recht schnell von Büchen in Berlin, braucht aber eine geschlagene halbe Stunde, um aus dem fehlkonstruierten Hauptbahnhof endlich raus in die Stadt zu kommen.


Auf dem Mauerbrunnen im Invalidenpark
Berlin empfängt uns am frühen Abend mit lauer Sommerluft. Bis zu unserem Hotel in Friedrichshain sind es noch knapp zehn Kilometer, die wir aber gerne durch die sommerlich aufgeheizte Stadt radeln. Im Grunde geht es nur geradeaus, vorbei am Reichstag und durch das Brandenburger Tor zum Alexanderplatz. Dann weiter in die Frankfurter Allee mit ihrer prächtigen sozialistischen Bebauung, die in meinen Augen zu den schönsten Boulevards Europas zählt.

Östlich des Frankfurter Tors ist leider Schluss mit prächtig. Es scheint, dass sich auch die Passanten an die profanere Bebauung des bürgerlichen Friedrichshain anpassen. Eine Bierflasche in der Hand zählt hier offensichtlich zur Grundausstattung des jungen Berlintouristen, von denen hier jede Menge durch die Straßen flanieren.

Wir quartieren uns im Hotel Georgenhof ein und essen einen obligatorischen Vöner im gleichnamigen veganen Imbiss in der Boxhagener Straße. Lecker.


Der Berlin-Warszawa-Express im Berliner Hauptbahnhof


Frank mit polnischem Bier und Wodka im Restaurantwagen "Wars" im Berlin-Warszawa-Express


Abendlicher Blick auf Warschau (rechts Warshaw Trade Tower, 208 Meter)

Warszawa (Warschau)


Vom Autor, Schauspieler und Polenkenner Steffen Möller stammt der Ausspruch, dass Warschau die hässlichste Hauptstadt Europas sei. So ganz bestätigen können wir das nicht. Verhehlen wollen wir aber auch nicht, dass da etwas dran sein könnte.

Mit etwas über 1,7 Millionen Einwohnern und 517 Quadratkilometern Fläche ist die polnische Hauptstadt nur eine Handbreit kleiner als Hamburg. Dafür aber - zumindest auf den ersten Blick - um einiges moderner und futuristischer. Warschau wartet mit mehr Wolkenkratzern auf, als die Bankenmetropole Frankfurt am Main. Und in Sachen Architektur geht man dort durchaus wagemutiger vor, als in deutschen Großstädten.Allerdings ordnen sich die Warschauer Wolkenkratzer noch brav der Höhenvorgabe des alt-ehrwürdigen Kulturpalastes aus Sowjetzeiten unter. Und die objektive Betrachtung der Skyline zeigt schnell, wie selbst eine gewagte neomoderne Architektur im Schatten des wuchtigen Zuckerbäckerturms in ihre Schranken gewiesen wird.


Modernes Warschau
Nach Warschau kommt man idealer Weise mit dem Zug, und zwar dem Berlin Warschau Express. Diese Bahnverbindung wird zu genau definierten Teilen von der Deutschen und Polnischen Bahn (PKP)betrieben und verkehrt mehrmals täglich zwischen den Hauptstädten.

Bedeutsam werden die Betreiberverhältnisse vor allem im Restaurantabteil des Zuges, das von der polnischen Firma "Wars" unterhalten wird. Denn nur deshalb kann ich schon weit vor der Grenze zu Polen ein erstes polnisches Bier der Marke Żywiec (sprich: Schüwiäß) trinken. Und zu einem so leckeren polnischen Bier gehört selbstredend ein polnischer Wodka, der im Wars nicht in deutschen Warmduscher-, sondern in osteuropäischen Kennerdosen serviert wird. Immerhin 50cl misst das Wodkagläschen, das mir die langweilige Strecke zwischen Berlin und Frankfurt an der Oder versüsst.

Die Oder ist ein sympathischer Fluss, weil sie kaum schiffbar ist und mehr oder weniger naturbelassen zwischen Polen und Deutschland vor sich hin mäandert. Und vor allem auch deshalb, weil sie die Grenze zum unheilvollen Hoheitsbereich einer Angela Merkel und ihrer Junta markiert. Nicht, dass Polen mit seinem unkritischen Bekenntnis zum Turbokapitalismus politisch so viel besser wäre. Aber Merkel hat dort nichts mehr zu melden, und das ist ja immerhin schon mal was.


In der Altstadt (Stare Miasto)
Unsere - dank des Getränkeangebots im "Wars" - sehr kurzweilige Zugfahrt durch die polnischen Woiwodschaften Lubuskie (Lebus), Wielkopolskie (Großpolen) und Masowien (Mazowiekie) endet am frühen Abend am Warschauer Hauptbahnhof Warszawa-Centralna. Dessen markantes Gebäude liegt im Windschatten des mächtigen Kulturpalstes mitten im Zentrum der Hauptstadt. Auch hier verlaufen die Gleise in den unteren Etagen, doch anders als im Berliner Gegenstück ist ihre Anzahl auf ein vertretbares Maß begrenzt.

Und so dauert es auch nicht lange, bis unsere Räder endlich über die Straßen Warschaus rollen. Wir haben ein Appartement im Stadtteil Mirów gemietet, das im siebten Stockwerk eines hypermodernen Hochhauses liegt. Von unserem Hotel aus haben wir einen Spitzenblick auf das Hilton sowie den Warshaw-Tade-Tower, der mit 208 Metern Höhe immerhin das dritthöchste Gebäude der Stadt ist. Überhaupt ist Mirów von Hochhäusern und Wolkenkratzern geprägt. Zwischen den Giganten aus Glasbeton lugen hie und da noch verfallene Ziegelbauten hervor und erinnern daran, dass sich im Dritten Reich das Warschauer Ghetto über ein Großteil des Viertels erstreckte.

Und so duckt sich im Schatten der Glaspaläste ganz in der Nähe unseres Appartements noch ein kleiner Abschnitt der ehemaligen Ghettomauer. Ein kleines Schildchen weist auf den historischen Stellenwert der zwanzig Meter Mauerrest hin, die inmitten des modernen Mirów wie ein Fremdkörper wirken.


Stare Miasto, Siegismundsäule (plac Zamkowy)


Denkmal des Warschauer Aufstands (Pomnik Powstania Warszawskiego)


Kulturpalast (231 Meter) und Złota 44 (192 Meter)

Auf den Spuren des Warschauer Ghettos


Die Steelen markieren den ehemaligen Übergang zwischen dem großen und kleinen Ghetto
Als Deutsche haben wir es nicht leicht in Polen. Aber nicht nur dort. Unsere Geschichte hat zur Folge, dass wir uns an vielen Orten in Europa nicht allzu wohl fühlen können. Doch gerade Polen - und insbesondere Warschau - wurde von unseren Nazi-Altvorderen besonders schrecklich heimgesucht. Nun ist es nicht so, dass wir im Jahr 2015 mit belegter Stimme und gesenktem Blick jeden Polen nach der nächsten KZ-Gedenkstätte fragen würden. Dennoch lässt sich Warschau für uns nicht besuchen, ohne nach den Gräueltaten des Dritten Reiches zu suchen.

Und von diesen gibt es in Warschau vor allem zwei besonders herausragende, nämlich die Internierung der jüdischen Bevölkerung im Warschauer Ghetto sowie die Besatzung und Zerstörung der Stadt durch deutsche Truppen. Bis zum heutigen Tage gehört das Andenken an die Warschauer Aufstände gegen den Naziterror zum Selbstverständnis der Stadtbevölkerung. An vielen Orten der Stadt ist das Kürzel der Warschauer Widerstandsbewegung noch heute zu sehen. Und auch das Denkmal des Warschauer Widerstands (Pomnik Powstania Warszawskiego) am Plac Krasińskich verdeutlicht mit seiner überaus dynamischen Darstellung der aus den Abwässerkanälen aussteigenden Aufständischen den noch immer aktuellen Stellenwert des Aufstands gegen den Naziterror.

Das Warschauer Ghetto erstreckte sich auf einer Fläche von über 400 ha über die damalige Innenstadt und den heutigen Stadtteil Mirów. Über ein Drittel der damaligen Stadtbevölkerung wurde auf diesem kleinen Areal unter katastrophalen Lebensbedingungen eingepfercht. Ab Juli 1942 wurde das Warschauer Ghetto sukzessive aufgelöst. Hunderttausende Juden wurden in Viehwagons in das Vernichtungslager Treblinka verfrachtet, wo sie grausam ermordet wurden.

Im modernen Warschau ist nicht mehr allzu viel vom Ghetto zu finden. Das liegt vor allem daran, dass die Gebäude des Areals von den Nazis zerstört wurden. Es ist nur noch sehr wenig der alten Bausubstanz erhalten geblieben, und diese lugt wie Fremdkörper zwischen den neueren Bauten aus sozialistischer und kapitalistischer Zeit hervor. Vereinzelt stehen noch Reste der Ghettomauer. Sehenswert sind die Stelen in der Ulica Elektoralna, die die Stelle markieren, an der sich der Übergang vom großen zum kleinen Ghetto befand.


Chopin-Denkmal im Park Łazienkowski


Dachgarten auf der Unversitätsbibliothek


Am Rondo de Gaulle

Was besichtigen in Warschau? (Teil 1)

Hier eine kleine Auswahl von Sehenswürdigkeiten, Orten, Straßen und Stadtteilen, die wir an diesem ersten Aufenthalt unserer Reise in Warschau besichtigt haben. Generell kommt man in Warschau recht gut mit dem Fahrrad herum, wobei es sogar die ein oder andere Fahrradspur in der Stadt gibt. In Sachen Rücksichtnahme haben sich die Warschauer Autofahrer allerdings westlichen Standards angepasst und betrachten Radler leider auch als lästige Fremdkörper auf den Fahrbahnen.

  • Stare Miasto (Altstadt): Eigentlich ist sie ein Fake, die Warschauer Altstadt. Nachdem sie im Anschluss an den Warschauer Aufstand von SS und deutschen Truppen akribisch zerstört wurde, entschloss man sich für einen Wiederaufbau inklusive originalgetreuer Rekonstruktion der Gebäude. Es folgte eine der aufwändigsten Baumaßnahmen in der Geschichte Europas. Trotzdem ist die Warschauer Altstadt bei der einheimischen Bevölkerung wenig beliebt, was angeblich daran liegen soll, dass sie eben nur eine Rekonstruktion ist. Besucht wird sie vor allem von Touristen, was sich am hohen Preisniveau der hiesigen Lokalitäten ablesen lässt.

  • Mariensztat: Unterhalb der Altstadt und zur Weichsel gelegen, wurde Mariensztat nach den Kriegszerstörungen nicht mehr originalgetreu rekonstruiert. Als Vorbild für den Wiederaufbau diente das Ideal eines Dorfes aus dem 18. Jahrhundert. Lauschiger kann man mitten in einer Millionenstadt kaum wohnen.

  • Grabmal des Unbekannten Soldaten: Die ewige Flamme brennt in den letzten erhaltenen Arakaden des Pałac Saski, der im zweiten Weltkrieg völlig zerstört wurde zum Gedenken der Opfer dieses Krieges. Aus unterschiedlichen Gründen sehenswert ist die tägliche Wachablösung (12 Uhr).

  • Park Łazienkowski / Ujazdowski: Die großen Parkanlagen zählen zu den schönsten Europas und beherbergen weitere Sehenswürdigkeiten wie etwa Schloss Ujazdowski, die Alte Orangerie oder Chopin-Denkmal. Leider dürfen Fahrräder nicht mit auf das Gelände genommen werden, und warum nicht gejoggt werden darf, wissen nur die polnischen Götter. Seinen Eintrittspreis nicht wert ist auch der Botanische Garten der Universität.

  • Trakt Królewski / Krakowskie Przedmiejsce: Auch Warschau hat seinen Prachtboulevard, und dieser erstreckt sich vom Schlossplatz in Richtung Süden - und dort über den Rondo de Gaulle mit seiner Palme weiter über Novy Świat und aleja Ujazdowskie bis zum Belwedere. Zum entspannten Flair trägt wesentlich bei, dass der Abschnitt zwischen Schlossplatz und Rondo de Gaulle verkehrsberuhigt ist.

  • Praga: In Frankfurt gibt es Hibbdebach und Dribbdebach, in Warschau Praga und den Rest der Stadt. Praga ist der Stadtteil östlich der Weichsel und gilt als verrufen. Im Unterschied zum den Stadtteilen westlich des Flusses wurde Praga jedoch nicht im Krieg zerstört und zeigt daher das ursprüngliche Warschau. Als besonders sehenswert haben wir das lärmige Praga jedoch nicht erlebt. Interessant mag das protzige Nationalstadium (Stadion Naradowy) sein, das zur EM 2012 an den Ort des alten Stadions geklotzt wurde.

  • Pawiak-Gefängnis: Das 1830 erbaute Gefängnis wurde im Dritten Reich von der Gestapo für Verhöre und Folterungen benutzt. Über 120.000 Menschen wurden dort zwischen 1939 und 1944 grausam gequält und in vielen Fällen anschließend in den Vernichtungslagern ermordet. Leider kommen im Museum der brutale Terror sowie die Foltermethoden der Gestapo ein wenig zu kurz.


Keine Kunst, nur schöde Getränkereklame


Pawiak-Gefängnis


In der Aleje Solidarności

Kilometer Berlin - Warschau , Tag 1: 12,80
Kilometer Minsk, Tag 3: 17,60
Kilometer Minsk, Tag 3: 21,14


[Gesamtkilometer: 119,14]

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