Radreise von Warschau nach Minsk, Abschnitt 2: Warschau - Podlachien


Unterwegs im Osten von Masowien (Mazowsze)

Warschau - Tłuszcz - Węgrów - irgendwo bei Sokłów Podlaskie

[Etappe 2: 94,15 km]




Ein Räderwerk-Rad mit Geschichte
Wir haben keine Lust, uns durch das Warschauer Verkehrsgetümmel und gefährliche Ausfallstraßen zu quälen. Daher steigen wir am Bahnhof Warszawa Wileńska in einen Vorortzug und lassen uns für kleines Geld bis Tłuszcz kutschieren. Tłuszcz ist eine Kleinstadt im Warschauer Umland mit viel zu großem Bahnhof. Wir rätseln über den Namen, der übersetzt soviel wie "Fett" bedeutet. Die Leute wirken jedoch nicht besonders fettleibig, aber vielleicht gab es hier einmal eine Fettfabrik. Wir radeln durch masowische Kleinstädte und Wälder. Die Gegend ist insgesamt flach und wenig aufregend.

Hier, östlich von Warschau, befinden wir uns mitten im ärmlichen Ostteil Polens. Gleiches gilt auch für die Hauptstadt selbst, doch in der modernistischen Wohlstandsinsel merkt man davon nichts. Zawiszyn, Rowiska, Katy oder Jaczew heissen die Dörfchen auf unserem Weg in die nächste Kleinstadt namens Węgrów.


Węgrów
Węgrów hat immerhin 12.800 Einwohner und wirkt auf den ersten Blick wenig einladend. In der langsam einsetzenden Abenddämmerung wirken die grauen Wohnblocks besonders trist und abweisend. Um so größer unser Erstaunen, als wir den zentralen Marktplatz mit seiner schönen Kirche finden. Es gibt auch eine Pizzeria, in der wir uns das wohlverdiente Abendessen schmecken lassen.

Irgendwie hat man in Węgrów ein komisches Verhältnis zu Radfahrern. Schön, dass es jede Menge markierte Radwege gibt. Aber wohl nicht, um ihnen einen Gefallen zu tun, sondern eher, um sie von den Fahrbahnen fern zu halten. Jedenfalls findet das Zeichen "Verbot für Radverkehr" fast inflationäre Verwendung.

Über die Fernstraße 52 radeln wir weiter bis Sokłów Podlaskie, wo wir ein Hotel oder ähnliches zu finden hoffen. Zum Glück ist der Verkehr überschaubar, so dass die letzten 20 Kilometer dieser Etappe schnell durchgeradelt sind.


In Węgrów hat man ein komisches Verhältnis zum Fahrrad
Langsam wird es dunkel. Sokłów Podlaskie ist eine weitere Kleinstadt im östlichen Masowien. Auch hier gibt es eine markante Kirche und so etwas wie einen Ortskern. Dort gibt es eine Reihe von Geschäften und Restaurants, doch kein Hotel.

Wir fragen ein paar junge Leute, die uns auf Englisch weiterhelfen. Doch das beschriebene Hotel existiert nicht mehr. Überhaupt gibt es keine der wenigen Unterkünfte, die auf der zentralen Infotafel vermerkt sind. An einer Gaststätte hängt ein Schild mit der Aufschrift „Nocelegi“ (Übernachtung). Innen ein dicklicher Wirt, der ein paar anderen dicklichen Leuten gerade dickliche Wurstsuppe serviert. Er möchte uns wohl nicht in seiner Hütte haben und schickt uns fort. Also bleibt uns keine Wahl: auf zum Wildcamp!

Wild zu campen ist kein Problem für uns, schließlich haben wir die komplette Zeltausrüstung dabei. Nur die Logistik ist ein wenig unkomfortabel, weil wir noch Essen und Getränke kaufen und mitschleppen müssen. Dann gilt es, einen geeigneten Platz zu finden. Ein paar Kilometer außerhalb der ungastlichen Stadt finden wir ein kleines Wäldchen, in dem wir unauffällig verschwinden. Wir schieben die Räder einige hundert Meter hinein und bauen im letzten Licht der Abenddämmerung das Zelt auf. Dann noch ein Bier und einen Wein, Kekse, Chips - wir schlummern ein.


Wildcamp hinter Sokłów Podlaskie


Asphalt Ahoi!


Blick über den Fluss Bug

Sokłów Podlaskie - Drohycin - Siemiatycze - Hajnówka


[Etappe 3: 109,25 km]




Endlich in Podlachien (Podlaskie)
Warme Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die Baumkronen zu unserem Zelt. Wir haben prima geschlafen und sind dem dicklichen Wirt von gestern Abend im Nachhinein sogar ein wenig dankbar für seine Ignoranz. Schließlich haben wir so ein paar Złoty gespart und zudem nachtschlafend die herrliche Waldluft genießen können.

Schnell bauen wir alles ab, verstauen unsere Siebensachen auf den Rädern und machen uns auf den Weg. Es ist ein herrlicher Tag. Die Sonne strahlt vom Himmel, als gäbe es kein Morgen. Hochsommer in Ostpolen.

Wie gestern Abend sind wir mangels Alternativen noch auf der Fernstraße 52 unterwegs. Doch es gibt nur wenig Verkehr, der uns beim Radeln stört oder gefährdet. Selbst die wenigen LKW-Fahrer überholen uns andächtig und mit reichlich Abstand. Ein paar Kilometer vor Drohicyn überqueren wir den Bug und damit die Grenze zur Woiwodschaft Podlachien (Podlaskie).


Es rollt sich prächtig auf der 52 zwischen Drohycin und Siemiatycze
Wie in vielen anderen europäischen Ländern gibt es auch in Polen ein Ost-West-Gefälle. Während es den westlichen Landesteilen ökonomisch besser geht, ist der Osten dünner besiedelt, strukturschwächer und weniger entwickelt. Und je weiter man nach Osten kommt, desto höher ist der weißrussische Anteil der Bevölkerung. Ablesen lässt sich das an der Zunahme russisch-orthodoxer Kirchen.

In Siemiatyce schlagen wir uns die Bäuche voll. Wir haben nicht gefrühstückt und neigen daher zur kulinarischen Übertreibung. Je eine 50cm-Pizza wird geordert, aber leider nicht geschafft. Das 15.000-Einwohner-Städtchen macht einen aufgeräumten und überaus sympathischen Eindruck. Weniger sympathisch ist der lange Anstieg der Landstraße 693 aus dem Ort hinaus. Die Sonne brennt vom Himmel und unsere vollen Mägen scheinen zusätzlich zu bremsen.

Weiter geht es über Backi Bliższe, Kajanka, Źercyce und Milejczyce nach Kleszczele, wo wir eine kleine Pause machen. Die Straßenverhältnisse sind sehr angenehm. Mit der Zeit werden auch die gelegentlichen Anstiege weniger. Ab Kleszczele werden wir dann sogar mit einem eigenen Radweg entlang der Straße 639 beglückt. Kurz vor Hajnowka noch eine letzte Rast in einem Örtchen namens Pasienczniki Duże, bevor die Unterkunftssuche beginnt.


Straße mit Radweg zwischen Kleszczele und Hajnówka
Hajnówka ist mit über 21.000 Einwohnern schon so etwas wie eine Großstadt im äußersten Osten Polens. Und man mag kaum glauben, dass hier die polnische Bevölkerung in der Minderheit ist. Das Tor zum Nationalpark ist eindeutig weissrussisch geprägt.

Auch hier ist es nicht einfach, ein Hotel zu finden. Wildcampen ist eine weniger gute Idee, da die Stadt bereits von den Wäldern des Nationalparks umgeben ist, in denen Campen noch strenger verboten ist, als im übrigen Polen (in Polen gibt es kein Jedermannsrecht). Zum Glück werden wir fündig und kommen im letzten freien Zimmer eines Hotels namens Zajazd Wroła Lasu unter.

Hajnówka bietet eine sehr in interessante Optik. Viele Straßenzüge sind von bunten Holzhäusern geprägt, was sich positiv auf die Atmosphäre der Stadt auswirkt. Irgendwie wirkt alles gemütlich und gediegen. Eine Wohlfühlatmosphäre, die uns ganz auf die kommenden Tage im Nationalpark einstimmt.

Schräg gegenüber dem Hotel liegt ein Supermarkt in einem atmosphärisch weniger vorteilhaften Gebäude, das sicher noch aus Sowjetzeiten stammt. Wir versorgen uns mit dem Nötigsten, verziehen uns auf die Stube und machen es uns gemütlich.


Siemiatyce


Hajnówka


Hajnówka

Hajnówka - Białowieża


[Etappe 5: 46,02 km]


Unterwegs nach Białowieża
Die heutige Etappe ist kurz, nur knapp 30 Kilometer sind es von Hajnówka bis Białowieża. Verfahren können wir uns auch schlecht, denn es gibt nur eine einzige Straße nach Białowieża. Und die hat es in sich. Die Fernstraße 693 führt mitten durch die Urwälder des Nationalparks und ist nicht wenig befahren.

Und weil auch Polen schon längst vom PS-Wahn heimgesucht worden ist, heizt man auch gerne zügig durch den Wald. Das verursacht nicht nur jede Menge Lärm im Schutzgebiet, sondern ist auch sehr gefährlich für die Tiere des Waldes. Kein Scherz, aber die meisten Wildtiere haben wir nicht in den Tiefen der Wälder gesehen, sondern tot am Straßenrand der 693. Hier ist ein streng kontrolliertes Tempolimit dringend notwendig.

Ärgernis: Die stark befahrene 689 mitten durch den Nationalpark
Trotz der kurzen Etappe legen wir auch hier eine Rast ein. Wir setzten uns auf den Sockel des Wisent-Denkmals, das zu Ehren der hier heimischen Wildrinder aufgestellt worden ist. Eine Horde wildgewordener Bremsen leistet uns dabei Gesellschaft, lässt sich aber von unserem Ballistol-Insektenspray wieder davon abbringen.

In Białowieża beziehen wir unser Zimmer, das wir für drei Übernachtungen gebucht haben. In aller Ruhe wollen wir den polnischen Teil der Puszca Białowieża erkunden, bevor es weiter nach Belarus geht.

Białowieża liegt inmitten des gleichnamigen Nationalparks und ist mit gerade einmal 2.300 Einwohnern sehr überschaubar. Es geht viel gemütlicher zu, als wir erwartet hatten. Schließlich ist das Städtchen so etwas wie das touristische Zentrum des recht bekannten Nationalparks. Dominiert wird das touristische Geschehen vom wuchtigen Hotel Zubrowka, das wohl auch das teuerste am Platze ist. Davon abgesehen, gibt es nur noch kleine Privatpensionen, was dem gemütlichen Ortsbild sehr zuträglich ist.

Białowieża
Geschäfte und Restaurants gibt es jede Menge, auch ein Nationalparkmuseum sowie ein Schloss samt Schlosspark und See sind zu finden. Zusammen mit dem umgebenden Urwald kommt also so schnell keine Langeweile auf.

Der Białowieża-Nationalpark ist der letzte Flachland-Urwald Europas und wurde 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Vor mehreren Tausend Jahren war Europa großflächig von solchen Wäldern bedeckt. Heute sieht das dank exponentieller Flächenversiegelung durch Siedlungs- und Verkehrsstraßenbau leider anders aus. Der Nationalpark ist die Heimat des Wisents (Zubr), dem größten und schwersten Land-Säugetier Europas.

Unterhalten wird der Nationalpark kooperativ von den Ländern Polen und Weißrussland, wobei sich der größte Teil der 1.500 Quadratkilometer jenseits der weißrussischen Grenze befinden. Diese soll angeblich so gut gesichert sein, dass es nicht eimal den Wildtieren gelingen soll, die Seiten zu wechseln. Auch auf polnischer Seite kann nur ein kleiner Teil des Parks auf ausgewiesenen Wegen erkundet werden. Es gibt zudem ein strenges Schutzgebiet, in dem keinerlei menschliche Eingriffe in das natürliche Geschehen erfolgen.

Unterwegs in der Puszca Białowieża
Unerlässlich für jeden Besucher ist deshalb eine Karte des Geländes, in der Fuß- und Radrouten eingezeichnet sind. Diese ist für ein paar Zloty in der winzigen Tourismusinformation erhältlich, leistet aber nur bedingt gute Dienste, weil einige der eingezeichneten Weg offensichtlich nicht mehr existieren.

Ideales Fortbewegungsmittel im Park ist natürlich das Fahrrad. Die teilweise bis über 30 Kilometer langen Strecken sind für Fußmärsche einfach zu weit. In aller Regel ist die Bodenbeschaffenheit gut für einigermaßen komfortables Radeln. Ein wenig ärgerlich ist, dass die meisten der Routen keine Rundrouten sind und man sie irgendwann wieder doof zurückradeln muss.


Ein Flüsschen


Blick über das strenge Schutzgebiet


Putzen wird nötig...

Kilometer Białowieża, Tag 2: 34,58

Kilometer Białowieża, Tag 3: 62,33

[Gesamtkilometer: 465,47]

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