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Abschnitt 3: Hong Kong (3)


Blick durch die Skulpturen des Man Fat Tempels hinab auf Sha Tin

New Territories: Die Tempel von Sha Tin


Sha Tin ist mit über 600.000 Einwohnern die größte Trabantenstadt Hong Kongs
Während die Keimzelle der Megametropole auf HK-Island zu suchen ist, sind die New Territories später hinzugepachtet worden, machen aber an die 90 % ihrer Gesamtfläche aus und haben eine immense Bedeutung für die Versorgung der Insel mit lebenswichtigen Gütern und infrastrukturellen Leistungen. Hieraus erklärt sich auch, weshalb Großbritannien die Kronkolonie als Ganzes an Peking zurückgab und nicht nur die angepachteten Gebiete.

Als nach dem Ersten Opiumkrieg (1840 - 42) die siegreichen Briten die Wahl hatten, entweder einen Freihandelsvertrag mit China oder eine handelstechnisch günstige Insel als Kolonie zu erhalten, rammte Captain Jack Elliot am 26. Januar 1841 den Union Jack in den Boden des Possession Point und nahm die Insel für Ihre Majestät in Besitz. Elliot wurde abgelöst, da er seinem Land lediglich "einen wertlosen Haufen Steine" eingebracht habe. Sein Nachfolger Henry Pottinger, der den Deal rückgängig machen sollte, zeigte Mut zur Vision und war von der Entwicklung des Steinhaufens so begeistert, dass er seine Aufgabe schlichtweg umdefinierte. Er beendete den Opiumkrieg mit dem Frieden von Nanjing, behielt Hong Kong und erhielt zudem umfassende Handelsrechte. Spätere Unstimmigkeiten über die Vertragsgestaltung mündeten in den Zweiten Opiumkrieg, den ebenfalls die Briten gewannen und mit dem Vertrag von Tian Jin zu ihren Gunsten beendeten. Kurz darauf werden weitere Auseinandersetzungen mit dem Vertrag von Peking beantwortet. Dabei fällt die Landspitze von Kowloon bis zur heutigen Boundary Street im Viertel Mong Kok in die Hände der Briten. Mit der Zweiten Konvention von Peking pachteten die Briten im Juni 1898 schließlich die New Territories sowie 235 weitere Inseln im Südchinesischen Meer auf 99 Jahre. Bis zum Ende der Pachtzeit, dem magischen 30. Juni 1997, zahlte die britische Regierung einen Pachtzins von 5.000 HK$ an Peking. Weil die versorgungstechnische und infrastrukurelle Bedeutung der New Territories von überlebenswichtiger Bedeutung für Hong Kong sind, hätte eine isolierte Rückgabe der gepachteten Areale am Stichtag keinen Sinn gemacht, so dass die komplette Stadt an Peking abgegeben wurde.

Seit dem 1. Juli 1997 hat Hong Kong den Status eines Sonderverwaltungsgebietes, in dem eine andere Wirtschaftsordnung sowie andere gesetzliche Regeln herrschen, als im chinesischen Kernland. So erklärt sich auch die visumfreie Einreise für Europäer. Hong Kong ist noch immer mit einer Grenze vom restlichen China abgetrennt; die erste Stadt hinter dem Zaun Shen Zhen liegt zudem in einer Sonderwirtschaftszone (SEZ - Special Economic Zone), in der ebenfalls andere Verhältnisse als im übrigen Land herrschen. Hier lassen sich im nominell (!) kommunistischen China der ökonomisch freie Kapitalismus ausprobieren und Devisen verdienen. Dass ausgerecht dem ehemaligen Fischerdörfchen Shen Zhen diese Ehre zuteil wurde, liegt zweifelsohne an der Nähe zu Hong Kong, wo Büro- und Wohnraum sowie die Produktion von Gütern und Dienstleistungen mittlerweile sehr teuer geworden sind. Wegen dieser "Mitnahmeeffekte" wuchs aus dem Fischernest eine hypermoderne Großstadt mit über 1.7 Mio. Einwohnern und der höchsten Kriminalitätsrate der Volksrepublik.



Die Bo Fook Ancestral Worship Halls
Weil zu einer Reise nach Hong Kong auch mindestens ein Besuch in den New Territories gehört, haben wir beschlossen, nach Sha Tin zu fahren, wo es einige kulturelle Sehenswürdigkeiten ginbt. Hierzu zählen die Bo Fook Ancestral Worship Halls, eine chinesische Friedhofsanlage, der Tempel der 10.000 Buddhas sowie die Tempelanlage Man Fat. Alle drei liegen in einem Berghang in der Nähe des Sha Tiner Bahnhofs und sind somit ein gut erreichares Tagesziel.

Die Anreise mit MTR und KCR gestaltet sich problemlos, bis auf die Tatsache, das die KCR-Züge um einiges voller sind, als die MTR-Züge. Dafür verkehrt die KCR im wesentlichen oberirdisch, so dass wir ein paar Blicke auf die Landschaft werfen können. Nach dem Verlassen Kowloons wechseln sich grün bewaldete Berge mit in die Täler gebauten Siedlungen ab, die überwiegend aus schlanken Wohnhochhäusern bestehen. Sha Tin (chin.: sandige Bucht) zählt mit über 600.000 Einwohnern zu den größten Wohnvororten Hong Kongs und besitzt einen erstaunlich großen Bahnhof. Schnell finden wir am richtigen Ausgang heraus und finden die Beschilderung zu den Tempeln. Sha Tin präsentiert sich als eher gesichtslose Trabantenstadt, die einzig zum Schlafen für Werktätige taugt, ansonsten jedoch wenig Lebensqualität zu bieten hat - eine Art in Ausdehnung und Bauhöhe überdimensionierter Gropiusstadt, in der man es sicherlich nur mit einer asiatischen Geisteshaltung schadlos aushält. Immerhin gibt es ein großes Einkaufszentrum mit Ikea-Filiale, die wir später zum Hot-Dog Essen missbrauchen.

An Einkaufszentrum und chinesischem Verwaltungsgebäude vorbei geht es zum Eingang der Bo Fook Ancestral Worship Halls, einer Friedhofs- und Ahnenverehrungsanlage. Über Treppen steigen wir auf zu den terrassenförmig angelegten Ahnenhallen, in deren Wandnischen sich Plätze für Urnen befinden. Die Ahnenhallen sind halbreisförmig auf den Terrassen um Altäre oder ähnliches herum angeordnet. Weithin sichtbar ist eine weiße Pagode sowie ein buddhistischer Tempel. Allerdings wird ein Besuch der Anlage, sofern man keine Ahnen in den Nischen lagern hat, schnell langweilig. Mit einem Schienenaufzug kann man die Anlage wieder nach unten zum Ein- und Ausgang verlassen, was eine für Hong Kong typische Einrichtung zur Vermeidung körperlicher Anstrengungen ist, von mir allerdings wegen einer Meniskusverletzung am Knie gerne angenommen wird.


Lebensgroße Boddhisatva-Figuren säumen den Aufstieg zum Tempel der 10.000 Buddhas
Im Gegensatz zum Prunktor der Friedhofsanlage ist der Aufstieg zur Ten Thousand Buddhas Monastry kaum zu erkennen, da er sich am Ende eines Parkplatzes befindet und kaum ausgeschildert ist. Am Einstieg hat eine alte Frau einen Stand aufgebaut und verkauft Räucherstäbchen. Weil wir in der buddhistischen Anlage auch ein rituelles Opfer darbringen wollen, kaufen wir pro Nase eine Hunderterpackung. Die anschließende Treppe ist schmal und verläuft durch üppige subtropische Vegetation. Interessanter sind jedoch die goldfarbenen lebensgroßen Boddhisatva-Figuren, die den Weg säumen und bereits den Aufstieg über 400 Stufen zu einer spirituellen Angelegenheit werden lassen - insbesondere mit Knieverletzung.

Auf einem kleinen Platz befindet sich auf halber Höhe der thailändische Tempel Fat Wah, der aber eher wie eine heruntergekommene Andachtshütte wirkt. Endlich oben, stehen wir vor einer ausgedehnten Tempelanlage mit mehreren Hallen und einer Pagode. In der Haupthalle befindet sich mittig eine Dreiergruppe aus dem heilenden Buddha Yao Shi Fo, dem aus dem Boddhisatva Avalokiteshvara hervorgegangenen Kuan Yin sowie dem Höllenherrscher Di Zang. Ebenfalls aufgestellt ist ein Glaskasten mit der Nachbildung der Mumie des Mönchs Yuet Kai, was uns zunächst wundert. Klostergründer Yuet Kai hatte sein Leben dem intensiven Studium des Buddhismus gewidmet und einige Bücher zum Thema Unsterblichkeit verfasst. Als er 1965 im Alter von 85 Jahren schließlich doch starb, begrub man ihn im Berghang am Kloster. Nach acht Monaten exhumierte man seinen Leichnam und stellte fest, dass dieser nicht nennenswert verwest war - genau wie er es vorhergesagt hatte. Anschließend wurde seine Mumie mit Blattgold überzogen und in einer Vitrine ausgestellt. Gemäß unserer Infos hatten wir erwartet, die Mumie im angrenzenden Man Fat Tempel zu finden. Da dieser wegen Bauarbeiten teilweise geschlossen war, hat man wohl ersatzweise eine Attrappe in den Nachbartempel gestellt.


12.800 Buddhafiguren sitzen in den Nischen der Haupthalle der Ten Thousand Buddhas Monastry
Das eigentlich Bemerkenswerte in der Haupthalle sind allerdings die Wände. In unzähligen Nischen befinden sich ebenso unzählige (genauer: 12.800) kleine Buddhafiguren, denen die Tempelanlage ihren Namen verdankt. Sie wurden in jahrelanger Arbeit von Handwerkern aus Shanghai gefertigt. Den Mittelpunkt der Anlage bildet eine neungeschossige Pagode, deren Etagen Buddha als neunte Inkarnation Vishnus symbolisieren (nach hinduistischer Lesart). Ebenso stehen vor den Hallen große Statuen der 18 Luohans, der verehrungswürdigen ersten Schüler Buddhas, sowie weitere Boddhisatvafiguren.

Um den buddhistischen Symbolen unsere Ehre zu erweisen, entzünden wir die Räucherstäbchen-Pakete über einer Ölflamme und stecken jeweils eine Handvoll in die dafür vorhergesehen Sandgefäße vor den Luohan- und Boddhisatvastatuen. Dieses für geübte Buddhisten einfache Ritual bereitete uns jedoch gewisse Schwierigkeiten. Entweder weil die Qualität unserer Stäbchen nicht beste war oder aber wir einen Handhabungsfehler gemacht haben, beginnen die Stäbchen außer zu rauchen auch zu brennen. Nervös, weil die Augen vieler Einheimischer auf uns gerichtet sind, laufen wir umher und versuchen, unser gut gemeintes Werk trotz der Widrigkeiten zu vollenden. Zum Glück zählt im Buddhismus zumindest theoretisch nicht die korrekte Ausführung irgendwelcher Riten, sondern einzig die gute Absicht - und die war zweifelsohne vorhanden.

Nach dem Abschluss unserer rituellen Räucherarbeiten warten siebzig weitere Stufen auf uns, die zur weiter oben liegenden Man Fat Tempelanlage führen. Die Anlage besteht aus vier eher schmucklosen Hallen, die taoistischen und hinduistischen Verehrungsobjekten gewidmet sind. Leider sind Bauarbeiten im Gange, weshalb zwei Hallen geschlossen sind. Dafür ist der Aussicht in Tal und Umland phänomenal. Zwischen aufgereihten Skulpturen fällt der Blick auf die Hochhäuser Sha Tins und die Berge des Ma On Shan Country Park. Nach einem kurzen Aufenthalt steigen wir die vielen Stufen bis ganz nach unten hinab, was angesichts meiner Knieverletzung ein karmarelevantes Opfer sein dürfte. Wieder in Sha Tin - City, verirren wir uns auf der Suche nach einem günstigen Mittagessen im nahen Einkaufszentrum, wo uns sofort die chinesische Ikea-Filiale ins Auge fällt. Wir quälen uns genervt durch die komplette Möbelausstellung, die im Übrigen ziemlich genau unserer heimischen entspricht, kämpfen uns an den Kassenschlangen hinaus zum Essensstand und verspeisen jeweils zwei Hot Dogs. Lecker.


Die Pagode der Ten Thousand Buddhas Monastry.
Rechts davon Pu Xian, der Glücksbringende, auf dem weißen Elefanten,
links die Personifizierung der Weisheit Wen Shu auf dem blauen Löwen.




Zentrum der Haupthalle des Tempels. Vor der Dreiergruppe Yao Shi Fo, Kuan Yin und Di Zong
steht der Schrein mit der Attrappe der Mumie von Klostergründer Yuet Kai.



Kowloon: Mong Kok und Tsim Sha Tsuis Hafenfenpromenade bei Nacht


Blick von der Canton Rd. auf das Torhaus "The Arch" (231 m) auf der West Kowloon Reclamation
Mit der KCR machen wir uns auf den Rückweg, steigen aber schon an der Station Mong Kok im gleichnamigen Viertel Kowloons aus. Unser Interesse gilt der sprichwörtlichen Enge, die in Hong Kongs Stadtteil mit der zweithöchsten Bevölkerungsdichte zu erwarten sein dürfte. Hatte Mong Kok einst 175.000 Einwohner pro Quadratkilometer aufzuweisen, so sind es heute nach einigen Sanierungsmassnahmen "nur" noch 116.000. Überflügelt wird die Gegend nur vom nördlich angrenzenden Viertel Sham Shui Po mit stolzen 165.000 Einwohner pro qkm. Es ist nicht lange her, da fielen die Lebensbedingungen in Mong Kok weniger gut aus, als heute. Damals mussten sich über 200 Menschen einen Waschraum teilen, während jedem einzelnen magere zwei Quadratmeter zur Verfügung standen. Privatsphäre war unter diesen Bedingungen ein Luxusgut.
Heute haben sich diese Umstände entscheidend gebessert, obgleich die Enge auf den überfüllten Gehwegen sowie die düsteren Wohnbocks nichts für Klaustro- und andere Phobiker ist. Seinen Namen verdankt das Viertel im Übrigen einem Schreibfehler: Ursprünglich hieß es Wong Kok (chin.: Wongs Ecke), jedoch verwandelte ein schludriger Schildermacher das W in ein M (natürlich das chinesische Schriftpendant), so dass daraus für alle Zeiten Mongs Ecke wurde.

Aud den Straßen ist am frühen Abend die Hölle los. Selbst wenn unter Garantie nur ein Bruchteil der immensen Einwohnerschaft auf den Straßen ist, sind die Bürgersteige gerammelt voll. Es herrscht ein Gedränge und Geschiebe, das auf Dauer wenig spaßig und schon gar nicht entspannend ist. Wir kämpfen uns durch die Straßen, um über die Nathan Rd., Austin Rd. und schließlich Canton Rd. zu Clock Tower und Hafenpromenade zu kommen. Noch ist es nicht dunkel genug, um die HK-Island Skyline in voller Illuminationspracht zu erleben, doch es liegen noch ein paar Kilometer Fußmarsch über die dichtgedrängten Bürgersteige von Yau Ma Tei und Tsim Sha Tsui vor uns.

Unterwegs kommen wir am großen Kowloon-Park und in der Canton Rd. schließlich an der Harbour City - Shopping Mall vorbei, einem der größten Einkaufszentren Asiens. Uns ist nicht im Mindesten danach, das Shoppingparadies von Innen zu sehen, da das ganze südliche Kowloon mit Geschäften gepflastert ist und sich uns in der Harbour City von daher nichts anderes bieten dürfte, als draußen - eben nur klimatisiert und mit einem Dach drüber. Ein wenig später erreichen wir pünktlich mit der abendlichen Dunkelheit die Hafenpromenade und tun das, was die meisten der Anwesenden hier tun. Wir sind paralysiert von der in bunten Farben strahlenden Skyline auf der anderen Seite und versuchen das Schauspiel mit der Kamera einzufangen. Wegen der Dunkelheit und der hohen Belichtungszeiten ist das nicht so einfach, doch immer wieder finden sich stabile Auflageflächen zum Fixieren der Kamera. Vor dem HK Cultural Center hat man eine erhöhte Loge aufgebaut, von der aus sich bestens nach drüben gucken kann. Lange verweilen wir und betrachten die farbenfrohe Skyline. Anschließend schippern wir mit der Star Ferry zurück auf die Insel und nehmen diesmal, wegen der recht vielen zu Fuß zurückgelegten Kilometer die Tram zum Hotel.







Karte

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    Kowloon / New Territories


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