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Radreise Lübeck - Nordkap: Tag 9 - 13

Tag 9 (25.6.): Jönköping - Motala

118,61 Km, Vav 17,6 km/h, Vmax 41,0 km/h, Gesamtsteigung: 585 m, Gesamtgefälle: 503 m, Gesamtkiometer: 807,30 km

19 - 24 °C


Gränna am Vätternsee
Früh stehe ich auf und schon um acht Uhr morgens radele ich bei bedecktem Himmel los. Zuerst geht es raus aus Jönköping in Richtung Gränna. Gleich hinter dem Ortsausgang von Jönköping schraubt sich die Straße schier endlos bis Gisebo in die Höhe. Ein gutes Training zum Wachwerden. Es folgt ein Auf und Ab aus kurzen und heftigen Anstiegen und Gefällen., die ich teilweise nur in den kleinsten Gängen bewältigen kann. Zur Belohnung für die Strapazen verzieht sich die dichte Bewölkung und macht Platz für wärmende Sonnenstrahlen.

Nach einer nicht leichten Stunde erreiche ich das gemütliche Örtchen Gränna, das bekannt für seine rotweißen Zuckerstangen ist. Hier legen auch die Fähren zur Insel Visingsö ab, was Gränna eine gewissen touristische Bedeutung verleiht. Auch mir fällt das Örtchen positiv auf, selbst wenn die kopfsteingepflasterte Hauptstraße von Kraftfahrzeugen verstopft ist.

Hinter Gränna radele ich auf einer angenehmen und recht ebenen Straße an der Küste des Vättern entlang. Häufig habe ich schöne Ausblicke auf den See. In Ödeshög mache ich eine größere Rast und gehe in die örtliche Bibliothek für einen Eintrag in den Blog. Weiter geht es bei bestem Rückenwind durch weites Agrarland nach Väderstad, da ich es vermeiden will, auf der ungemütlichen Fernstraße 50 zu radeln. Vorbei am Tåkern-See, einem ergiebigen Vogelbeobachtungsgebiet, pedaliere ich durch die bäuerliche Provinz nach Vadstena.


Motala
Um nach Motala zu kommen, habe ich keine andere Wahl, als einen 15 Kilometer langen Abschnitt der Fernstraße 50 zu benutzen. Es herrscht starker Verkehr, einen Randstreifen gibt es nicht. So radele ich in ständiger Anspannung auf Motala zu und ärgere mich über diese Art der KFZ-zentrierten Verkehrspolitik. Motala (30.000 EW) fügt sich nahtlos in dieses negative Bild ein. Es scheint im wesentlichen aus dicken mehrspurigen KFZ-Bahnen zu bestehen, die sich allesamt hier treffen und eine ungemütliche Aura verbreiten. Gleich hinter dem durchschnittlichen Stadtkern mit Einkaufsstraße liegen ausgedehnte Wohnblocksiedlungen, und ich taufe die Stadt für mich in Motorla um, denn dieser Name wird dem abgasschwangeren Kaff eher gerecht.

Ich quartiere mich auf dem örtlichen Campingplatz ein, wo ich ein paar Kollegen treffe. Ein dänisches Radlerpaar beradelt den Götakanal, der hier in den Vätternsee führt, und ein schwedischer Radler ist einfach so unterwegs. Sein Kommentar zu meinem Ziel, dem Norkap, fällt hier in Südschweden entmutigend aus: "it's very far away!". Beim Blick in die Landkarte kann ich diese Worte nur unterstreichen, und es scheint, als habe ich bis hierher nur einen verschwindend geringen Teil der langen Strecke zurückgelegt. In solchen Momenten wünsche ich mir manchmal, ich wäre auch nur einfach so ein bischen in Südschweden unterwegs.

Tag 10, 26.6.: Motala - Örebro

118,02 Km, Vav 16,1 km/h, Vmax 37,1 km/h, Gesamtsteigung: 296 m, Gesamtgefälle: 295 m, Gesamtkilometer: 925,32 km

  19 - 23 °C, windig

Idyllische Wälder bei Godegård
Der erste Blick aus dem Zelt offenbart die unschöne Tatsache, dass das schöne Wetter vom Vortag verschwunden ist. Der Himmel hat sich verzogen und es bläst ein stärkerer Wind. Wenigstens regnet es nicht. Nach dem Packen geht es zunächst auf die Fernstraße 50, die nördlich von Motorla etwas besser zu beradeln ist. Trotzdem verlasse ich sie lieber bei Nykirka.

Bis Godegård geht es auf passablen und leicht hügeligen Straßen durch einsame Wälder. Nur selten begegnet mir ein Auto. Zwischen Godegård und Rönneshytta wird der Straßenbelag schlechter, hinzu kommen viele kurze und heftige Steigungen. In engen Kurven schraubt sich die Straße immer tiefer in den Wald hinein, der hier das erste Mal "nordisch" wirkt, also eher luftig und mit Seen durchsetzt.

Weiter geht es auf wieder besseren Straßen über Rönneshytta und Rögnestorp nach Åsbro, wobei die Beschilderung teilweise eher mau ausfällt und Intuition gefragt ist. Gegen Mittag erreiche ich schließlich das belanglos wirkende Hallsberg, laut einem großen Schild Schwedens "demografischer Mittelpunkt" (???).


Schloss Örebro (Örebro Slot)
Ab Hallsberg ist es vorbei mit dem waldreichen Idyll. Vor mir breitet sich eine weite Ebene aus, in der Industriegebiete und Agrarflächen vorherrschen. Über eine verkehrsreiche Straße ohne Randstreifen geht es durch die öden und sich zäh dahinziehenden Vororte Örebros. Ich erreiche Örebro (98.000 EW) schließlich am Nachmittag und steuere zunächst das Zentrum an, um in einer Bank Geld zu wechseln.

Auf einem gut ausgebauten Radweg werde ich zielsicher ins Stadtinnere geleitet. Die ersten Gebäude im Zentrum haben den Charme sowjetischer Funktionsbauten und könnten genauso gut in Murmansk oder Norilisk stehen. Einige hundert Meter weiter offenbart die Stadt aber ihr wirkliches Bild, und das fällt dann auch wesentlich positiver aus. Es gibt eine ausgedehnte Fußgängerzone, viele historische Bauten und natürlich das bekannte Schloss Örebro, das auf einer kleinen Insel mitten in der Stadt liegt.

Ich baue mein Zelt auf dem recht empfehlenswerten Campingplatz Gustavsvik auf, wo es neben sauberen Sanitäreinrichtungen auch einen günstigen Internetzugang gibt. Ich kaufe mir drei Stunden Surfzeit und chatte am Abend mit Claudi. Gegen Mitternacht liegt noch ein Schleier Dämmerlicht über dem Himmel und ich krieche müde in den Schlafsack.


Südliches Stadtzentrum Örebro

Tag 11, 27.6.: Örebro - Ramsberg

93,38 Km, Vav 14,5 km/h, Vmax 35,1 km/h, Gesamtsteigung: 542 m, Gesamtgefälle: 427 m, Gesamtkilometer: 1081,87 km

   14 - 16 °C, windig

Panorama von Lindesberg
Um sieben Uhr, in aller Herrgottsfrühe, krieche ich aus dem Zelt und friere unter einem düsteren Himmel. Die Temperatur ist gefallen, und das Wetter macht keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Das erste Mal kommen meine wärmenden Beinlinge zum Einsatz, auch ziehe ich lieber gleich die windstoppende Regenjacke über.

Kurz nach der Abfahrt gerät der erste Abschnitt dieser Etappe zum großen Ärgernis. Es ist schlechterdings nicht möglich, in Örebro als Radfahrer auf die Fernstraße 50 zu kommen. An jeder Zufahrt prangt ein dickes Verbotsschild. Ich versuche es am Ortsrand, doch auch hier ist kein Raufkommen. Das besonders Ärgerliche daran ist, dass es keine Alternativstrecke nach Norden gibt, die nicht eklatante Umwege bedeuten würde.

Irgendwann finde ich einen Radwegweiser nach Lindesberg, also grob in meine Richtung. Froh folge ich ihm, muss aber in Hovsta enttäuscht feststellen, dass er ein Unikat gewesen ist. Irgendwie arbeite ich mich durch das Kaff und finde - wieder mit verhaltener Zufriedenheit - einen Radweg, der die immer noch für Radler gesperrte Fernstraße 50 begleitet. Leider endet diese Errungenschaft verkehrstechnischer Fortschrittlichkeit nach wenigen Kilometern und entlässt mich ins Ungewisse. Kein Wegweiser weist mir die Richtung, auch ist meine Karte zu grob für die Feinheiten schwedischer Schleichwege.


Schotterstraße nach Stråssa
Ich folge dem einzig möglichen Weg und lande prompt in einer Sackgasse aus Schottersteinen. Fast zufällig finde ich einen zweiten Schotterweg, der mich schließlich auf die Landstraße nach Evalla bringt. Glück gehabt - obwohl mich die Verbannung von der 50 etliche Kilometer Umweg kostet. Weshalb man Hauptstraßen für Radler sperrt, für die es keine akzeptable Alternative gibt, wird mir ein Rätsel bleiben, auf das höchstens benzinbenebelte KFZ-Hardliner eine Antwort wissen

Bei mäßigem Gegenwind kämpfe ich mich über Frövi nach Lindesberg durch, einem halbwegs ansehnlichen Ort im Bergbaugebiet Bergslagen. Bei trübem Wetter radele ich durch das Städtchen nach Guselby und weiter nach Stråssa. Zu meinem Missfallen verliert der zwölf Kilometer lange Weg schnell seinen Asphaltbelag, obwohl das aus der Landkarte nicht hervorging. Zu allem Ärger gabelt er sich auch noch - natürlich ohne Wegweiser. Mir bleibt nichts anderes übrig, als den nächsten Autofahrer anzuhalten und zu befragen. So kämpfe ich mich bis Stråssa über einen üblen Schotterweg, der zudem durch ziemlich bergiges Gelände führt. Passend dazu fängt es an zu nieseln.

Irgendwann erreiche ich schließlich Ramsberg und lasse mich erschöpft am idyllischen Ölsjön nieder. Unpassend zu diesem Namen ("Biersee") habe ich hier keine Chance, an ein Bier zu kommen. Auch wird fortan der Begriff "Bergslagen" für mich nur noch ein Synonym für eine miserable Radfahrgegend sein.

Tag 12, 28.6.: Ramsberg - Ludvika

65,82 Km, Vav 16,5 km/h, Vmax 39,6 km/h, Gesamtsteigung: 451 m, Gesamtgefälle: 389483 m, Gesamtkiometer: 1147,69 km

  ab Mittag:      16 - 18 °C

Reiserad vor schwedischer Landschaft (zwischen Ölsjön und Löa)
Der Morgen präsentiert sich in bestem Wetter. Die Sonne scheint und nur wenige Wolken sind am Himmel. Ich packe alles zusammen und mache mich auf den Weg nach Löa, wo ich auf die Fernstraße 50 wechseln will, so sie denn hier für Radler frei ist. Schnell verwandelt sich mein Weg wieder in einer Schotterpiste, die mit Vorliebe über die Gipfel der umliegenden Berge führt. Zur Entschädigung stehe ich in Löa vor der historischen Kupferhütte, die vor dem blauen Himmel besonders gut zur Geltung kommt.

Zu meiner Erleichterung kann ich als Radler bei Löa wieder die 50 benutzen. Der Verkehr hält sich in Grenzen, der Randstreifen leider auch. Allerdings habe ich auch keine andere Wahl, denn dies ist in Bergslagen die einzige akzeptable Strecke nach Norden. Alles andere führt kreuz und quer durch die Pampa und scheidet als Riesenumweg aus.

Zuweilen habe ich kilometerlange Anstiege zu bewältigen, die mich in die kleinsten Gänge zwingen. Es folgen die entsprechenden Abfahrten, die allerdings nicht allzu viel Spaß machen, weil ich konzentriert auf den Verkehr achten muss. Ab und an zweifele ich an meiner Kondition. Wie will ich es bis zum Nordkap schaffen, wenn ich bereits hier so zu kämpfen habe?

Vielleicht haben diese trüben Gedanke aber auch etwas mit den noch viel trüberen Wolken zu tun, die von Westen heranziehen und das schöne Wetter in einem erstaunlichen Tempo vertreiben. Schnell fallen die ersten Tropfen und ich ziehe Regenjacke und -hose über. Weil die Regenhose nicht atmungsaktiv ist, klebt sie schnell unangenehm an den Beinen. Auf einem Rastplatz ziehe ich daher die Beinlinge an, womit es sich bei Regen deutlich angenehmer Radeln lässt.

Bei Ludvika fällt der Regen schließlich in heftigen Güssen, und ich beschließe entnervt, die Etappe zu beenden. Immer noch im Regen, baue ich das Zelt am Ufer des Haggen-Sees auf und versuche, meine nassen Sachen zu trocknen, was allerdings recht aussichtslos erscheint.


Fernstraße 50 bei Kopparberg

Tag 13, 29.6.: Ruhetag Ludvika

11,63 Km, Gesamtkiometer: 1159,32 km

   11 - 13 °C

Ludvika
Wer Skandinavien als Reiseziel wählt, stellt sich in aller Regel darauf ein, dass das Klima nicht unbedingt zu den trockenen und heißen zählt. Ludvika liegt am Übergang von Süd- nach Mittelschweden und damit auf einer nördlichen Breite, auf der man allmählich mit vielem rechnen muss - auch mit lausigen Temperaturen im Sommer.

Nach dem Aufwachen zeigt sich ein trüber Himmel mit Sprühregen, dazu sind die Temperaturen in den Keller gefallen. Ein Wunder, dass es nicht auch schneit, denke ich mir. Passend zum Wetter, beginnt sich meine Isomatte aufzulösen. Der Schaumstoff löst sich an einer Stelle von der äußeren Hülle ab und es bildet sich ein unangenehmer Hubbel. Nur mit sehr wenig Luft lässt sich noch auf der Matte liegen und es muss dringend eine neue her. Angesichts des Wetters und meiner Laune beschließe ich, einen Ruhetag einzulegen.

Zuallererst breche ich zu einer Stadtbesichtigung auf. Ludvika (14.400 EW) ist eine triste Kleinstadt ohne nennenswerte Sehenswürdigkeiten, einmal abgesehen von einer größeren ABB-Niederlassung. Im Touristenbüro kann ich kostenlos surfen und aktualisiere den Blog.

Anschließend wird es Zeit für einen ersten Besuch im Systembolaget, denn ich habe Lust auf etwas anderes, als die dünne schwedische Bierplörre. Mein erster Eindruck ist ausgesprochen positiv: Sämtliche Getränke werden liebevoll und mit einer kleinen Beschreibung präsentiert. Die Preise für Wein und Spirituosen sind erwartungsgemäß hoch, wenn auch sie sich in Grenzen halten. Die Preise für Starkbier dagegen entsprechen dem deutschen Niveau. Dazu ist die Auswahl an Biersorten um einiges besser, als im heimischen Supermarkt. Es gibt eine Reihe an Starkbieren mit einem Alkoholgehalt zwischen 7 und 10,4 %. Freudig kaufe ich ein paar Dosen Sofiero Starkbier (7,5 Vol. %), die im Übrigen genauso viel kosten, wie das Dünnbier aus dem Supermarkt.

Nach einem anschließenden Lebensmitteleinkauf versuche ich, es mir im Zelt so gemütlich wie möglich zu machen. Im Laufe des Tages lässt der Regen ein wenig nach und die Bewölkung lockert auf. Mit den Solfierodosen lasse ich diesen Ruhetag ausklingen und hoffe vor dem Einschlafen inständig auf besseres Wetter.


Zelten am Haggen-See, Ludvika

Route

  • Tage 9 - 13


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