Radreise Baltikum - Süd-Skandinavien, Tag 1 - 3: Gdynia, Danzig, Frombork

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Tag 1 (17.7.): Lübeck - Rostock Fährhafen

Bahn / 20,37 Km

  20 - 22 °C, wechselhaft, leichter Wind


Kurz vor der Abfahrt
Endlich geht es los. Die letzte größere Radreise liegt schon so lange zurück, daß es mehr als Zeit für ein weiteres Rad-Abenteuer wird. Ein wenig mulmig ist mir schon. Und zwar vor allem, weil ich mit meinem nagelneuen High-End-Reiserad den unbekannten Osten beradeln möchte. Mit ist bekannt, dass die Kriminalitätsraten im Baltikum geringer ausfallen, als etwa in Deutschland. Trotzdem ist das das Einkommens- und Vermögensgefälle so groß, dass es mir lieber wäre, ich führe ein altes und abgenutztes Reiserad. Damit stünde aber die Radreise als solche jederzeit auf der Kippe. Also überwiegt die Freude über mein zuverlässiges Fahrgerät, dass mich auf jeden Fall sicher bis ans geplante Ende der Radreise tragen wird.

Nicht ganz stilecht absolviere ich die erste Etappe mit der Bahn. Weil selbst mir nur ein begrenzter Zeitraum für diese Tour zur Verfügung steht, kann ich mich nicht mit Kleinkram aufhalten und nehme die Bahn bis Rostock. Nach einer nervigen Umsteigeprozedur in Bad Kleinen, wo es keine Aufzüge zu den Gleisen gibt, erreiche ich gegen Mittag den Rostocker Hauptbahnhof. Mir bleibt noch genügend Zeit, um gemütlich zum Fährhafen zu radeln. Dieser liegt 15 Kilometer außerhalb des Zentrums am nordöstlichen Ende der Warnowmündung.

Dabei erhalte ich einen ersten Vorgeschmack auf das, was mich in städtebaulicher Hinsicht im Baltikum erwartet: Ganz im Kontrast zum sehenswerten Zentrum Rostocks befinden sich am östlichen Warnowufer einige der Plattenbau-Vororte. Hier erinnert nichts mehr an die lauschigen Giebelhäuser und Gässchen der alten Hansestadt. Hier dominieren graue Wohnblocks, ungemütliche Großsiedlungen und eine eigenartige Tristesse.


Rostocker Randgebiete
Irgendwann erreiche ich den Fährhafen. Am Kai der Finnlines-Reederei liegt bereits mein Schiff - übrigens genau das gleiche, mit dem ich im Juni eine Pressereise nach Danzig unternommen habe. Heute bin ich leider nur ein ganz gewöhnlicher Passagier mit einer schnöden Dreimann-Innenkabine, die ich mir mit Fremden teilen muss. Egal, dafür bringt man mich und mein Rad für laue 67 Euro über Nacht nach Gdynia.

Doch bevor es aufs Schiff geht, heißt es erstmal warten. Irgendwann öffnet man die Schalter, dann ruckelt die Karawane aus PKW und Wohnmobilen vorwärts. Auf dem Rad habe ich das Privileg, mich nicht hinten anstellen zu müssen. So radele ich direkt zum Check-In, erhalte meine Bordkarte und muss dann kurz vor der Rampe aufs Schiff ein weiteres Mal warten. Zwei Reiseradler haben es sich schon an einer Mauer bequem gemacht. Die beiden wollen von Gdynia aus entlang der Ostsee zurück Deutschland radeln und dabei aus Prinzip wild campen. "Frei campen" nennen sie das, wobei Petra ein wenig Angst hat, da sie noch nie in Polen war. Auch an ihr sind die penetranten Vorurteile nicht spurlos vorüber gegangen.

Nach einer Viertelstunde rollen drei weitere Reiseradler um die Kurve. Beim obligatorischen Gespräch über Woher und Wohin stellst sich heraus, dass ich die Drei kenne. Nicht persönlich, aber aus dem Internet. Noch vor wenigen Tagen hat mir ihre interessante Website (s.u.) viele Informationen geliefert. Bereits seit 1998 treffen sie sich einmal jährlich zu einer Radreise, um auf diese Weise ganz Europa von Nord nach Süd und von Ost nach West zu bereisen. Man sieht, die Welt ist klein und der Zufall ein Eichhörnchen.

 www.europa-radtour.de


Warten vor der MS Finnlady


Abendliches Stilleben auf dem Sonnendeck
An Bord geht schließlich alles seinen Gang. Ich beziehe meine Kabine und freue mich etwa eine Stunde lang, keine weiteren Mitreisenden zu haben. Irgendwann öffnet sich die Tür und ein älterer Herr tritt ein. Er ist ein typischer "Heimwehtourist", der sich - Jahrzehnte nach seiner Flucht - die alte Heimat Danzig noch einmal anschauen möchte. Ein wenig unüblich für sein Alter, liest er englische Literatur und will in Hostels übernachten. Ähnlich fällt auch sein Urteil über die Veränderungen im ehemaligen Preußen aus: Jetzt sei alles polnisch, sei alles vollkommen anders. Aber da gäbe es keinen Grund zu jammern, denn schließlich hätten sich das die Deutschen selbst zuzuschreiben. Sehr vernünftige Ansicht.

Die Zeit bis zum Schlafengehen verbringe ich auf dem Sonnendeck. Bei einigen Bieren lese ich in den "Beschreibungen eines Kampfes" von Franz Kafka und schaue dann und wann in den goldenen Sonnenuntergang. Rügen zieht im Süden vorbei, dann im Norden die dänische Insel Møn. Gegen 23 Uhr wird es langsam dunkel und kühl. Ein Außendeck tiefer grölen die finnischen Trucker irgendwelche Lieder - Zeit für mich, ins Bett zu gehen.


Ausfahrt aus Rostock


Abendstimmung


Am nächsten Morgen

Tag 2, 18.7.: Gdynia - Danzig - Elblag - Frombork (PL)

143,27 Km, Vav 17,8 km/h, Vmax 37,3 km/h, Gesamtkilometer: 163,64 km

  19 - 22 °C


Einfahrt in das verregnete Gdynia
Das verregnete Gdynia sieht trostlos aus am Morgen. Früh stehe ich auf dem Deck und blicke in die wolkenverhangenen Hafenanlagen. Graue Häuserzeilen breiten sich in die umliegenden Hügel aus. Das frühere Gdingen zählt sicher nicht zu den schönsten Städten Polens, dafür aber zu den wohlhabendsten. Irgendwie vergesse ich ein wenig die Zeit und verpasse fast das Verlassen der Fähre. Diese fährt weiter nach Helsinki und legt in Gdynia nur einen Zwischenstopp ein. So rolle ich als letzter aus dem Laderaum; meine Radreise-Kollegen sind schon längst von Bord.

Nachdem ich es nach zwei Anläufen endlicht geschafft habe, die weitläufigen Hafenanlagen zu verlassen, beginnt die Orientierungsarbeit. Vor mir liegt eine kniffelige Aufgabe: Ich muss ganz Trójmiasto, also den Danziger Großraum mit den Städten Gdynia, Zoppot und Danzig der Länge nach durchqueren. Normalerweise herrscht hier der Verkehrsinfarkt. Doch jetzt, am frühen Sonntagmorgen, ist kaum etwas los. Vor dem Hauptbahnhof stehen die Räder der drei Europa-Radler. So können wir uns nachmals verabschieden Außerdem bewachen sie kurz mein Rad, während ich im Bahnhofsgebäude verschwinde um mich mit polnischen Złoty zu versorgen.

Kaum sind sie weg, fällt mir ein, dass ich noch einen Stadtplan gebrauchen könnte. So kette ich mein Rad an einen Laternenpfosten und gehe ein weiteres Mal in den Bahnhof. Ein komisches Gefühl: Mein nagelneues und teures Reiserad samt ungesichertem Gepäck vor dem Hauptbahnhof einer polnischen Großstadt angebunden, und das ohne Bewachung... Zugegeben, auch in mir schlummert das ein oder andere Vorurteil - so hartnäckig ist die mediale Verbreitung eines verzerrten Bildes unserer Nachbarn. Selbstredend hat sich niemand meinem Rad genähert. Und so radele ich guter Dinge in den grauen Morgen.


Einfahrt in das verregnete Gdynia
Eigentlich wollte ich mich über ein kompliziertes Gewirr aus Nebenstraßen durch Trójmiasto arbeiten. Doch weil die Straßen noch leer sind, radele ich kurzerhand auf die Hauptstraße, die die drei Städte in Ost-West-Richtung durchzieht. An gewöhnlichen Tagen ein Hort nicht endender Staus, radelt es sich hier nun komfortabel und schnell. Im alten Seebad Zoppot muss ich das mehrspurige Asphaltband leider verlassen, bekomme dafür aber einen recht guten Radweg zur Verfügung gestellt. Dieser bleibt mir bis zum Danziger Ortseingang erhalten, wo er sich Lieder in Nichts auflöst.

Danzig ist nur in seinem historischen Zentrum sehenswert. Alles andere ist eher grau, funktional und von durchschnittlicher Hässlichkeit. Das moderne Zentrum der Stadt sieht aus, wie jeder andere Stadtkern. Hier gibt es die großen Kaufhäuser und was man sonst noch so an Konsum- und Zerstreuungseinrichtungen benötigt. Der Verkehr wird über breite Straßen geleitet, und selbst jetzt, am frühen Sonntagvormittag, ist recht viel los. Leider gibt es keine Radwege mehr, so dass es leicht ungemütlich wird. Zum Glück ist auch Danzig mit seinen über 450.000 Einwohnern recht überschaubar. Schnell finde ich das historische Zentrum und drehe eine kurze Runde durch die restaurierte Altstadt, die selbst jetzt im Regen ihren Reiz hat. Weil ich noch einiges vor mir habe, mache ich es kurz, schiebe mein Rad unter dem berühmten Krantor hindurch und kurbele zur E77, die hier Elbląska heisst, weil sie nach Elblag führt.


Endlich Danzig
Auch hier macht Radfahren wenig Spaß. Es gibt keinen Radweg, und der Verkehr ist auch nicht gerade ohne. Dazu geht es durch weite Industriegebiete, die im Regen noch trister wirken, als sie es ohnehin schon tun. Hinter einer großen Raffinerie biege ich auf die 501 ab, die anfangs veritable Schlaglöcher besitzt. Zwei Kilometer später verläuft die Straße auf einem Deich und lässt sich hervorragend beradeln. Über eine holprige Brücke überquere ich die Tote Weichsel, einen ehemaligen Seitenarm des Stroms. Diesen selbst muss ich mit einer Fähre überqueren, die trotz ihrer Größe ein wenig altertümlich wirkt. Ein schwimmender Ponton wird mit einem daran angebundenen Boot gezogen, das in den Wellen mächtig hin und her schaukelt.

Auf der andern Seite geht es weiter durch kleine Ortschaften, in denen offensichtlich gerade der Kirchgang angesagt ist. Bis Stegna, einem Seebad kurz vor Beginn der Frischen Nehrung, nimmt der Verkehr stetig zu. Keine Frage, es ist die Zeit des Sonntagsausfluges. Und obwohl es regnet, scheint das halbe Polen diesem Vergnügen zu frönen. Natürlich mit dem Auto. Und so stehe ich auf der Straße 55 tatsächlich bald im Stau, der sich erst in Nowy Dwór Gdański (dt. Neuhof bei Danzig) auflöst.


Danzig, beim Krantor
Das frühere Tiegenhof ist heute die Kreisstadt des Powiat Nowordworski und sticht mit seinen grauen Plattenbauten nicht gerade durch besondere Schönheit hervor. Dafür radele ich hier auf einer ruhigen, fast verkehrslosen Landstraße durch die flache Agrarlandschaft, die von kleinen Wasserläufen durchzogen ist und ein wenig an die Norddeutsche Marsch erinnert. Am frühen Nachmittag habe ich die 100-km-Marke überschritten und stehe vor den Toren Elblągs. Ursprünglich wollte ich hier mein Nachtlager aufschlagen, doch ich bin gerade so gut in Fahrt, dass ich entschließe, bis nach Frombork durchzuradeln.

Das preußische Elbing soll ein nettes Zentrum mit rekonstruierter Altstadt besitzen. Mir genügt der Blick auf die weithin sichtbare Nikolaikirche, dann durchquere ich auf guten Radwegen die ansonsten eher mäßig sehenswerte Großstadt (126.000 EW). Elbląg liegt am Fuß der nach ihr benannten Elbinger Höhe, einem kleinen Höhenzug, der sich bis zur Ostsee hinzieht. Und so geht es auf der Ausfallstraße nach Frombork erst einmal stetig bergauf. Der weitere Weg bis zur Ostsee verläuft auf der Straße 504 durch eine hügelige Waldlandschaft, die sich insgesamt gut befahren lässt. Ab circa der Hälfte der Strecke geht es nur noch bergab. Und so rolle ich am späten Nachmittag nach über 140 Tageskilometern in ein gemütliches Städtchen, das sich um einen mächtigen mittelalterlichen Dom zieht. Auf dem Campingplatz errichte ich mein Zelt und fühle mich sofort wohl im alten Frauenburg.


Danzig, Długi Targ


Elbląlag, Nikolaikirche

Tag 3, 19.7.: Frombork (Frauenburg)

20,73 Km, Vav 12,7 km/h, Vmax 34,0 km/h, Gesamtkilometer: 184,37 km

  später:   20 - 26 °C


Blick vom Campanile in Richtung Frisches Haff / Kaliningrad
Frombork (Frauenburg) ist eine kleine Perle. Das kleine Städtchen an der Küste des Frischen Haffs wird dominiert von der Domkirche, die Teil eines burgähnlichen Komplexes ist (Domburg). Dieser thront auf einem Hügel inmitten der Stadt und prägt ihr Bild nachhaltig. Das Zentrum Fromborks ist sehr überschaubar und gruppiert sich um einen kleinen Marktplatz mit Supermarkt. Am Nordende des Städtchens gibt es noch einen kleinen Hafen, von dem aus Schiffe auf das Frische Haff verkehren. Vor dem Domhügel steht zudem der Wasserturm, an dessen Fuß sich eine Art Fremdenverkehrsbüro befindet. Letzteres ist aber eher ein kommerzieller Laden mit angeschlossenem Restaurant. Hier erstehe für umgerechnet fünf Euro einen alten Stadtplan von Kaliningrad sowie eine Eintrittskarte in den Wasserturm. Eine Investition, die sich kaum lohnt denn der Ausblick ist eher mäßig und nach Osten von den Giebeln einer Kirche versperrt.

Ursprünglich hatte ich vor, die Strecke bis zur russischen Grenze auf zwei mittlere Etappen zu verteilen. Durch meine Gewaltetappe liege ich nun gut in der Zeit und kann mir nicht zuletzt wegen des russischen Visums einen Ruhetag gönnen. So gemütlich Frombork auch ist: einen ganzen Tag hier zu verbringen, wird mit der Zeit schon ein wenig langweilig. Ich bummele durch die Gässchen und steige auf die Aussichtsplattform des Wasserturms. Hier oben sehe ich, dass für den amtlichen Panoramablick der Glockenturm der Domburg zuständig ist. Also wechsele ich schnell die Lokalität, zahle meinen Eitritt in den Dom und marschiere zum etwas abseits stehenden Campanile, der auch Radziejowski-Turm oder Copernikusturm genannt wird. Nicolas Copernicus lebte lange Zeit in Frombork und arbeitete als ermländischer Domherr. Er entwickelte das heliozentrische Weltbild; seine sterblichen Überreste liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo im Schutt der Domkatakomben.


Der Campanile
Und tatsächlich: Vom Campanile aus bietet sich ein wunderbarer Blick über die Domkirche hinweg nach Osten. Dort, beim Nordende der Frischen Nehrung, liegt irgendwo Kaliningrad. Man kann zwar nichts davon sehen, aber schon die Ahnung genügt. Im ersten Geschoss des Turmes lässt sich noch ein kleines Planetarium bewundern, darüber schwingt die Kugel eines riesigen Foucaultsches Pendel.

Den Rest des Tages verbringe ich mit einer Mischung aus gemütlichem Promenieren, lästigen Lebensmitteleinkäufen und kleinen Exkursionen mit dem Rad. Hier begegne ich im Übrigen den einzigen wirklich nervenden wilden Hunden der gesamten Radreise. Um vom Ortsausgang aus zum Campingplatz zu gelangen, muss man einen recht steilen Hügel hinaufkurbeln. Oben angelangt, geht es links zu den Zelten, während sich auf der gegenüberliegenden Wiese zwei Hunde niedergelassen haben. Sobald man keuchend den Hügel hinaufkommt, fühlen sich die Viecher herausgefordert und jagen einem kläffend hinterher. Was bei mir recht häufig der Fall ist, da ich im Laufe des recht langen Tages oft zwischen Stadt und Zelt hin und her pendele. Später am Abend strolchen die Hunde wie selige Unschuldslämmer über den Campingplatz und hoffen, ein Abendessen zu ergattern. Obwohl sie mir kurz zuvor noch lechzend an den Fersen hingen, schlawenzeln sie nun geradezu unterwürfig an meinen Zelt vorbei. Natürlich kriegen sie von mir keinen Bissen ab!


Auf dem Campingplatz


Blick vom Hafen in Richtung Domhügel


Packtasche auf dem Campanile

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Route

  • Nördliches Polen

  • Trójmiasto


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