Radreise Baltikum - Süd-Skandinavien, Tag: 8 - 10: Palanga - Mažeikiai - Tukums - Riga

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Tag 8 (24.7.): (Karklé) - Palanga - Mažeikiai

137,24 Km, Vav 17,5 km/h, Vmax 33,7 km/h, Gesamtkilometer: 540,37

ab Mittag:   22 - 28 °C


Auf dem Weg nach Kūlpėnai
Der Morgen präsentiert sich wechselhaft. Während ich mein Zelt abbaue und mich auf den Weg nach Palanga mache, scheint noch die Sonne. Doch je näher ich dem litauischen Ferienort Nummer Eins komme, desto dunkler werden die Wolken. Und kaum radele ich an Nemirseta (Nimmersatt), dem ehemals nördlichsten Örtchen Preußens vorbei, ergießt sich ein weiterer Wolkenbruch auf Land und Leute. Wieder einmal erreiche ich Palanga nur im Regen. Und das ist auch der Grund, weshalb ich kein einziges Foto von der Badehochburg an der Ostsee gemacht habe: Denn immer, wenn ich auch nur in die Nähe der Ortschaft kam, hat der Himmel seine Schleusen geöffnet. Und war zudem jedes Mal nicht besonders zimperlich dabei. Trotzdem bin ich gezwungen, hier einen kleinen Zwischenstopp einzulegen. Eher durch Zufall ist mir nämlich aufgefallen, dass mein auf dem Campingplatz abgefülltes Trinkwasser in der durchsichtigen Plastikflasche grünlich schimmert. Also muss dringend neues Wasser her, denn wer weiß, was sich da für Bakterien tummeln.

Palanga nach Osten hin zu verlassen, ist nicht unbedingt einfach. Obwohl - oder vielleicht auch gerade weil - Samstag ist, herrscht das Verkehrschaos auf der Ausfallstraße. Mein Plan für heute lautet, sehr weit nach Osten zu kommen. Hierzu muss ich die E272 nach Kretinga benutzen, um dort auf ruhigere Landstraßen auszuweichen. Und die E272 hat es durchaus in sich. Kurz vor dem Ortsgang erspähe ich auf der linken Seite einen rettenden Radweg, jedoch kostet es mich fünf Minuten (!) Wartezeit, bis es mir gelingt, die Straße zu überqueren. Bis Vydmantal bleibt mir der Radweg noch erhalten, dann heißt es Dreck fressen und sich unter die Autler mischen. In Kretinga habe ich dann endlich wieder meine Ruhe, wobei auf der fast schnurgeraden Straße nach Kūlpėnai kaum etwas los ist. Dafür bläst mir der Ostwind mit einer Wucht ins Gesicht, dass mir Angst und Bange wird. Schließlich liegen noch über einhundert Kilometer Strecke vor mir, und zwar vornehmlich entgegen der Hauptwindrichtung.


Storchenland Litauen
In Kūlpėnai biege ich auf die Straße 226 ab, wo der Wind nur von der Seite kommt und mich entlastet. Die zwei spitzen Türme der neogotischen Maria-Himmelfahrtskirche von Salantai sind schon von Weitem zu erkennen. Im Ort muss ich dazu kräftig in die Pedale treten, denn er liegt ausgerechnet oben auf einem Hügel. Überhaupt ist die Landschaft leicht hügelig, und immer wieder muss ich bergan kurbeln oder darf lange herab rollen. Davon abgesehen, ist die Gegend ausgesprochen langweilig. Es dominiert weites Agrarland, wo sich ein Acker an den nächsten reiht. Dazwischen steht mal ein Wäldchen oder erscheint ein Gehöft. So radele ich entspannt in den Tag hinein, wobei sich auch das Wetter grundlegend geändert hat. Die Sonne strahlt in immer größeren Abständen aus einem sich öffnenden Himmel, nur der Wind bläst nach wie vor kräftig aus Ost. Hätte ich die Wahl, wären mir Westwind und Regen lieber...

Weiter geht es stramm nach Norden bis Skodas, das nur noch drei Kilometer vor der lettischen Grenze liegt. Hier ist eine kurze Rast angesagt, denn vor mir liegen noch über 50 Kilometer Strecke, und zwar in exakt östlicher Richtung. Ich muss mich also stärken, nachdem bereits 80 Kilometer hinter mir liegen. In einem Supermarkt kaufe ich drei Liter Wasser und zwei Packungen Schokoladenkekse. Genau die Hälfte von all diesen Sachen verzehre ich an Ort und Stelle, der Rest kommt auf′s Rad. Nach einer ganzen Viertelstunde Rast - was viel für meine Verhältnisse ist - geht es in den Windkanal. Und tatsächlich: Schon auf den ersten Metern wird mir klar, dass da keine leichte Aufgabe vor mir liegt. Der Wind hat aufgefrischt, und so komme ich mit 10 - 13 km/h voran - auf gerader Strecke wohlgemerkt.

Unter diesen Bedingungen können sich 56 Kilometer unheimlich ziehen. Um meine Kräfte zu schonen, mache ich alle zehn Kilometer eine kleine Trinkpause. Da in Litauen jeder Straßenkilometer anzeigt wird, sehe ich jederzeit, was noch vor mir liegt. Und so zähle ich die Kilometer der Qual herunter: 50, 40, 39 - klingt doch schon garnicht so schlecht, 29 - das radele ich zuhause an einem Tag zum Einkaufen, 19 - bin ja schon fast da usw.


Endlose Weiten in Litauens Kornkammer
Um sieben Uhr abends rolle ich endlich in Mažeikiai (sprich: Mascheikjei; dt: Moscheken) ein. Die achtgrößte Stadt Litauens (40.000 EW) besteht hauptsächlich aus grauen Plattenbauten und einem großen Industriegebiet. Im Schein der langsam untergehenden Sonne wirkt alles trist und öde - keine Frage, "schön" ist was anderes. Allerdings hat auch gerade dieses auf den ersten Blick Abweisende seinen ganz eigentümlichen Reiz. Auf jeden Fall ist Mažeikiai um einiges auffälliger und interessanter, als alle anderen nichtsagenden Käffer auf dieser Etappe.

Weil es keinen Campingplatz gibt und ich auch keine Lust auf ein Wildcamp in den sumpfigen Wäldern habe, muss ich mir noch ein Hotel suchen. Zunächst befürchte ich, dass es so etwas hier garnicht gibt. Denn wer soll hier schon herkommen und übernachten wollen? Doch es gibt sogar mehrere davon. Meine Wahl fällt auf das  Synet-Hotel, das ebenfalls in einem grauen Plattenbau residiert. Mein Zimmer (160 lit./ 47 Eur) ist allerdings vollkommen in Ordnung, und auch der Service ist super. Die junge Frau an der Rezeption ist sehr bemüht, einen sicheren Ort für mein Fahrrad zu finden. Es wird in einer Garage eingeschlossen, die sich zudem auf einem abgesperrten Parkplatz befindet. Sicherer geht es kaum.




Bedrohliche Wolke über der Straße 170 nach Mažeikiai


Mažeikiai


Mažeikiai

Tag 9, 25.7.: Mažeikiai - Tukums (LV)

117,35 Km, Vav 19,27 km/h, Vmax 35,22 km/h, Gesamtkilometer: 657,72 km

  25 - 28 °C


Lettische Grenze
Diesmal ist mir das Wetter gewogen. Oder vielmehr der Wind, denn er bläst tatsächlich aus südlicher Richtung. Und da ich heute schnurstracks nach Norden radeln will, verspricht mir das einen angenehmen Radeltag. Am Morgen verlasse ich das immer noch graue Mažeikiai und mache mich auf den Weg nach Lettland. Zur Grenze sind es nur wenige Kilometer, und dank des Schengener Abkommens bemerke ich von ihr auch nicht allzu viel. Auf noch guten Straßen geht es mit manchmal fast 30 Sachen durch den Süden Lettlands, der hier genauso langweilig-agrarisch daherkommt, wie der Norden Litauens. Einzig die Wälder sehen ein wenig dunkler und dichter aus.

Gegen Mittag erreiche ich mit Saldus die erste lettische Stadt. Auffällig sind die vielen Holzhäuser in ihrem Zentrum, doch davon abgesehen, scheint hier nichts einen Fotostopp zu rechtfertigen. Ich verlasse Saldus und radele über die P109 nach Nordosten. Ab der großen Kreuzung mit der Fernstraße A9 verwandelt sich der Belag in einen Flickenteppich aus altem, neuen und fehlerhaft angmischtem Asphalt. Entsprechend holprig rollt es sich darauf.


lettischer Schotter (P109)
Doch noch weiß nicht, wie gut ich es zurzeit habe. Kurz hinter dem idyllischen Örtchen Remte traue ich meinen Augen nicht, als der Flickenasphalt aufhört und grober Schotter zum Vorschein kommt. Kein Schotter aus kleinen Steinchen, der noch halbwegs passabel zu befahren wäre. Nein, elender Schotter aus bis zu faustgroßen Kieselsteinen, der das Tempo drosselt und höchste Wachsamkeit erfordert. In einem Radreiseführer über das Baltikum habe ich mal gelesen, dass die Schotterstraßen aufgrund ihres geringen Verkehrs und ihrer landschaftlich reizvolleren Lage oft die besseren Alternativen zu Asphaltstraßen seien. Kokolores! Denn was nützt eine schöne Landschaft, wenn man sie vor lauter Konzentration auf Riesenkiesel, Schlaglöcher und Querrillen kaum mitbekommt. Als dann noch ein Einheimischer Autler mit Höllentempo an mir vorbei rauscht, wird mir klar, dass ich Schotterstraßen in Zukunft unbedingt meiden muss.

So quäle ich mich schwitzend über üble Straßen, während mir langsam das Wasser ausgeht. In diesem Teil Kurzemes (Kurland) sind Siedlungen und damit auch Einkaufsmöglichkeiten sehr dünn gestreut. Erst in Tukums, so denke ich mir, dürfte der nächste Laden sein. Irgendwann macht sich zum Glück wieder Asphalt unter den Reifen breit. Kurze Zeit später rolle ich in einen Talkessel hinab, wo die Stadt Tukums liegt. Auch hier gibt es keinen Campingplatz, zumindest nicht in vertretbarer Entfernung. Ein Hotel muss her.


Hier gibt es keinen Radelspaß
Doch das ist nicht so einfach, wie ich geglaubt habe. Trotz seiner knapp 20.000 Einwohner ist Tukums ein Kaff und zumindest auf der ersten Blick nicht besonders reich an Infrastruktur. Ein erstes Hotel erspähe ich in der Hauptstraße, doch einen Eingang gibt es nicht. Ich frage zwei Jugendliche, die mir bereitwillig helfen. Nach einigem Herumsuchen stellen sie fest, dass außer dem Schriftzug nichts mehr von dem Hotel übrig ist. Sie führen mich zu einem weiteren Hotel, doch hier will man mich für eine einzige Übernachtung wohl nicht nehmen. Allerdings drückt man mir einen Stadtplan in die Hand, auf dem weitere Hotels eingezeichnet sind. So ausgerüstet, breche ich auf zum munteren Hotel-Abklappern.

Und siehe da, schon bei der nächsten Adresse habe ich Glück: Das  Harmonija SPA, ein Fitnesscenter mit Schwimmbad und Sauna, hat noch freie Zimmer. Diese sind ausgesprochen gut und günstig, und mein Rad darf sogar im Flur vor der Zimmertür parken. Besser hätte es nicht kommen können!


Tukums 1


Tukums 2

Tag 10, 26.7.: Tukums - Riga(LV)

32,77 Km (den Zug genommen), Gesamtkilometer: 690,49 km

  18 - 22 °C


Blick über der Daugava zum Fernsehturm
Ich weiß, eine Radreise ist eine Radreise ist eine Radreise. Diesen Satz habe ich schon einmal geschrieben, nachdem ich Helsinki per Vorortzug verlassen hatte. Dieses Mal ist es umgekehrt. Nach all meinen Großstadtabenteuern habe ich nicht die geringste Lust, mich durch Verkehrsgewühl und Straßengewirr nach Riga hinein zu quälen. Vielleicht ist es nur eine Frage meiner momentanen Stimmung, vielleicht wäre ich an einem anderen Tag geradezu abenteuerversessen auf das Rad gestiegen und hätte mich über die Herausforderung gefreut. Doch nicht so heute. An meiner Lustlosigkeit konnte auch mein vegetarisches Frühstück im Harmonija-SPA nichts ändern. Und das regnerische Wetter draußen erst recht nicht. Also erkundige ich mich kurzerhand nach den Abfahrtzeiten der Züge und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Fahrradmitnahme ist in Lettland kein Problem, auch der Fahrpreis hält sich in Grenzen.

Sieht also soweit ganz gut aus mit meinem kleinen Sündenfall, wäre da nicht die Bauweise lettischer Wagons. Um dort hinein zu kommen, muss man eine Höhe von knapp einem Meter überwinden, und zwar über drei handbreite Ministufen. Was für Menschen ohne Gepäck schon nicht immer einfach ist, entpuppt sich für einen Mann mit bepacktem Reiserad als sportlicher Kraftakt der Extraklasse. Erst nach drei Anläufen gelingt es mir, das beladene Rad in den Wagon zu wuchten. Meine Probleme mögen eine Ausnahme sein, doch was tun Mütter mit Kinderwagen, alte Menschen oder schlichtweg Leute mit wehen Knien?


Riga, Altstadt
Im Fahrradabteil selbst ist zum Ausgleich jede Menge Platz für mein Rad. So mache ich es mir bequem und lasse die lettische Landschaft an mir vorbeiziehen. Nach einer knappen Stunde verdichtet sich Bebauung; es erscheinen ausgedehnte Plattenbauviertel, dann überquert der Zug die Daugava und erreicht schließlich den Hauptbahnhof von Riga. Auch hier habe ich wieder meine Mühe, Rad und Gelumpe aus dem Zug zu bugsieren, bevor dieser wieder losfährt.

Die Orientierung fällt in meinem Falle leicht, da ich auf dem  Riga City Camping zu nächtigen gedenke. Dieser liegt auf der Insel Kipsala mitten in der Daugava, weshalb ich nur ein wenig am Fluß entlangfahren muss, um die zuständige Brücke zu erreichen. Wie in Großstädten dieses Kalibers üblich, liegen die Probleme eher im Detail. So gibt es an der verkehrsumtosten Krasta iela keinen Radweg. Also radele ich durch die Altstadt zu meiner Brücke, wobei ich schonmal einen ersten Eindruck vom touristischen Herzen der Stadt erhaschen kann.

Schon am Mittag habe ich mein Zelt auf dem Stadtcampingplatz aufgebaut. Dieser liegt auf der Insel Kipsala direkt am Messezentrum, und damit weit genug abseits von den Verkehrsadern, dass man halbwegs seine Ruhe hat. Der Platz selbst ist umzäunt und wird rund um die Uhr bewacht, so dass es sich hier recht sicher schlafen lässt. Einziger Nachteil ist, dass die Sanitäranlagen mehrere hundert Meter von Zeltwiese entfernt sind. Da heißt es improvisieren...


Riga, Schwarzhäupterhaus
Nach dem Zeltaufbau breche ich zu einer ersten Besichtigungsrunde in die Altstadt auf. Ich schlendere umher und lasse mich durch die Gassen treiben. Mein erster Eindruck von Riga ist der einer professionell restaurierten, aber an Atmosphäre eher armen Metropole. Das historische Zentrum hat viele schöne Ecken, wirkt aber wenig heimelig und zuweilen sogar leicht abweisend. Vielleicht hat man es mit dem ein oder anderen Gebäude zu gut gemeint und dabei die Grenze zu kommerziellem Kitsch überschritten. Vielleicht kommt Rigas Altstadt aber auch einfach unter dem grauen Himmel mit latentem Geniesele nicht wirklich zur Geltung.

Da ich einen ganzen weiteren Tag hier verbringen möchte, richten sich all meine Erwartungen auf morgen. Vielleicht zieht mich Riga ja dann in seinen Bann. Vorerst aber mache ich es mir vor dem Zelt gemütlich, wo ich einen schwedischen Reiseradler treffe, der vier Monate lang durch ganz Europa tourt. Auf einem Anhänger schleppt er eine komplette Bergsteigerausrüstung mit sich herum, weil er in den Alpen geklettert ist. Ich denke verschämt an meine Anreise per Zug und ziehe innerlich meinen Hut vor diesem Sportler.

Am späten Abend schließlich ziehen apokalyptische Unwetterwolken auf, die jedoch außer einem mittelprächtigen Regen und etwas auffrischendem Wind nichts weiter anzubieten haben. Sicher sind sie weitergezogen und haben sich weiter nördlich als Gewitterfront entladen. Jedenfalls schlafe ich tief und fest meinem zweiten Tag in der größten Stadt des Baltikums entgegen.


Wolkenfront über Riga


Wolkenfront über Riga

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