Radreise Baltikum - Süd-Skandinavien, Tag: 11 - 14: Riga - Salagcrīva - Pärnu

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Tag 11 (27.7.): Riga

20 Km, Gesamtkilometer: 710,49

ab Mittag:   22 - 28 °C


Freiheits-Denkmal
In meiner Zeit in Riga wiederholt sich ein bestimmtes Ritual mehrfach: Ich verstaue die wichtigsten Wertsachen in einer Packtasche, hänge sie an und verlasse den Campingplatz. Dann geht es rauf auf die Vansubrücke mit ihrer Schrägseilkonstruktion. Hier gibt es sogar separate Radwege, und zwar jeweils einen in jeder Richtung. Also nehme ich stadteinwärts den auf der rechten Seite und ärgere mich darüber, dass sich außer mir niemand darum kümmert. Auf der Altstadtseite hört der Radweg dann wieder auf und ich bin im historischen Zentrum. Dann schiebe ich mein Rad die meiste Zeit durch die Gassen und Plätze; ab und an radele ich aber auch, wenn ich die Altstadt verlasse.

Irgendwann habe ich mich satt gesehen, dann heißt es einkaufen. Es gibt einen Supermarkt an der 11. November krastmala, der in einer Art restauriertem und umfunktioniertem Mittelalter-Rondell steckt. Davor kette ich das Rad akribisch an und kaufe ein. Alles kriege ich in der Regel auf einmal nicht gekauft und transportiert, weil meine Packtasche schon durch die Wertsachen zur Hälfte voll ist. Die erste Fuhre kommt dann erstmal ins Zelt, wo ich eine kleine Pause mache. Am frühen Abend wiederholt sich das Ganze, und auf dem Rückweg ist dann der Rest des Einkaufs dran.


Jugenstil-Viertel
Rigas Altstadt ist reich an kleinen Gassen, interessanten Plätzen, Bauwerken und historisierendem Plunder. Um die Altstadt herum gruppiert sich ein Stadtviertel, das vornehmlich aus jüngeren Gebäuden im Jugendstil besteht. Doch so schön das alles objektiv ist, so wenig vermag es mich subjektiv in den Bann zu ziehen. Atmosphäre will nicht so recht aufkommen, was möglicherweise auch an dem Touristenrummel liegt. Riga verdient das Prädikat "ganz nett", ist aber kein Ort, den man unbedingt ein zweites Mal besuchen muss. Schnell habe ich mich satt gesehen und weiß nicht mehr so recht, was ich unternehmen soll. Vielleicht tue ich Riga aber auch unrecht, weil das regnerische Wetter einen trüben Schleier über die Stadt gelegt hat, die sich so nicht wirklich von ihrer Schokoladenseite zeigen konnte.

Festzuhalten bleibt allerdings, dass es auch Störendes in Riga gab. So etwa die unzähligen Überwachungskameras, die jeden Winkel der Altstadt ausspähen. Ein Überwachungswahn nahe der Totalüberwachung, die die mutmaßliche Spitzelei zu Zeiten der Sowjetunion sicher wie Kinderkram aussehen lässt. Einer jungen Demokratie wie Lettland steht dieser fahrlässige Umgang mit Grundrechten auf alle Fälle schlecht zu Gesicht. Auffällig waren auch die vielen Bettler und Obdachlosen, die oft außerhalb der eigentlichen Touristenbereiche vor Kirchen standen und um Almosen baten. Bettler und Kameras - auf den (abgebauten) Sozialstaat folgt der Sicherheitsstaat. Nicht nur Lettland muss sich die Frage stellen, wie seine politische und soziale Zukunft dereinst aussehen soll.




Stadtpanaroma wärend eimnes seltenen lichten Moments


Typische Altstadtgasse


Impression

Tag 12, 28.7.: Riga - Salacgrīva

125,09 Km (Etappe: 115 Km), Vav: 19,9 km/h, Vmax: 30,1 km/h, Gesamtkilometer: 835,58 km

  28 - 33 °C


Priedkalne: Hier wohnen Rigas Geldsäcke
Die Via Baltica ist die wichtigste Straße des Baltikums. Sie durchzieht die drei Länder in Nord-Süd-Richtung und ist insbesondere nördlich von Riga die einzige direkte Verbindung nach Estland. Daher ist sie auch sehr verkehrsreich, und sie sie mit dem Rad zu befahren, ist ein eher zweifelhaftes Vergnügen. Doch Alternativen gibt es kaum, möchte man keine Umwege oder Schotterstraßen in Kauf nehmen. Also lautet mein Plan für heute, Riga zu verlassen und dann auf der Via Baltica so weit nach Norden zu radeln, wie möglich. Beides jeweils keine Unternehmungen, auf die man sich als Reiseradler besonders freuen dürfte.

Dabei ist es an sich nicht schwierig, Riga nach Norden hin zu verlassen. Man muss einfach am Freiheitsdenkmal (Brīvības piemineklis) den Freiheitsboulevard (Brīvības būlvaris) geradeaus radeln, bis man aus der Stadt raus ist. Dazu braucht es nicht mal eines Stadtplanes. Der Verkehr ist ein wenig unangenehm, vor allem die vielen Busse erfordern höchste Achtsamkeit. Nach fünf Kilometern erscheint rechter Hand ein getrennter Radweg, den ich mit Kusshand in Anspruch nehme. Leider ist er noch sehr neu, so dass gelegentlich noch Baustellen das Weiterfahren behindern. Aber besser als nichts! Je weiter ich mich vom Zentrum entferne, desto mehr mischen sich Industriegebiete zwischen die Wohnblöcke. Irgendwann ist dann Riga vorbei und die Ausfallstraße geht in eine autobahnähnliche Trasse über, die zwischen zwei Seen hindurch führt und somit alternativlos ist. Auch hier ist man fleißig dabei, Radwege zu bauen. Ich bleibe aber lieber auf der Quasi-Autobahn, denn ich traue den Radwegen nicht so recht zu, mich auf die andere Seite hinüber zu bringen. Eine Fehleinschätzung, denn auf ihnen hätte den lästigen Achtsspurer locker vermeiden können.


Via Baltica, hier noch mit breitem Seitenstreifen
Drüben nehme ich die erste Abfahrt nach Bergi, wo ich mich zunächst verfahre. Weiter geht es entlang eines Kanals in eine denkwürdige Ortschaft namens Priedkalne. Sie beginnt harmlos mit ein paar Einfamilienhäusern, bevor die Hauptstraße in einen Wald führt und sich um das Ostufer des Lielais Baltezers (ein See) schlängelt. Dieses wird umsäumt von unzähligen abgesperrten und abgesicherten Grundstücken, auf denen sich die Anwesen des Rigaer Geldadels befinden. Ein Villa neben der anderen, ein prunkvolles Seegrundstück mit eigenem Bootsanleger neben dem nächsten. Wohlstand, Reichtum, Verschwendung und Protzerei, wohin man guckt. Ganz Priedkalne scheint eine einzige Ansammlung von akkumuliertem Geld zu sein. Ein widerliches Aushängeschild sozialer Spaltung, in dem ich mich zu allem Ärger auch noch verfahre, weil sich die Hauptstraße in mehrere Seitenwege aufgabelt. Als ich an einem Wachposten mit Schranke vorbeikomme - klar, man will unter sich sein und den Pöbel draußen lassen - frage ich nach dem Weg zur Autobahn. Die Security-Dame spricht kein Englisch und ich kein Lettisch, trotzdem kann sie mir zeigen, wo ich hin muss. Und so finde ich irgendwann endlich raus aus Priedkalne.


Radeln auf der akten Via Baltica
Nun folgt das Kilometermachen auf der Via Baltica. Schon von Weitem höre ich bedrohlich laut den Verkehr rauschen, dann liegt die A1 in ihrer vollen Pracht zu meinen Füßen. Erst zögere ich ein wenig und kann mir kaum vorstellen, darauf auch nur zwei Kilometer zu radeln. Doch es nützt nichts, ich muss mich ins Vergnügen stürzen. Und siehe da, die Lage bessert sich mit zunehmendem Abstand von Riga. Außerdem werde ich mit einem sehr großzügigen Seitenstreifen von mehr als 1,5 Metern Breite mehr als reich beschenkt. So radele ich bei bestem Wetter zügig schnurstracks nach Norden.

Alles hat einmal ein Ende, so auch der Seitenstreifen. Etwa nach 50 Kilometern verschwindet er einfach im Nichts, mir bleibt nur noch ein handtuchbreiter Alibi-Streifen. Egal, mittlerweile ist mir ein dickes Fell gewachsen. Außerdem fahren insbesondere die LKW-Fahrer erstaunlich rücksichtsvoll und weichen regelmäßig aus, sofern der Platz es zulässt.

Ein paar Kilometer vor Sventciems erscheint plötzlich die verlassene Trasse der alten Via Baltica. Für eine kurze Weile fungiert sie als überdimensionaler Radweg, bevor ich wieder auf die Haupttrasse muss. Der Verkehr hat hier im Norden Lettlands allerdings merklich nachgelassen, so dass ich am Nachmittag nach 115 Kilometern in Salacgrīva einrolle. Der Campingplatz liegt vier Kilometer nördlich der öden Kleinstadt. Er gehört zum Old Captain Hotel, zu dem noch ein paar weit verstreute Bungalows und eine riesige Zeltwiese gehören. Alles sieht aus, als sei es noch im Bau. Entsprechend wenig ist los. Auf der Zeltwiese bin ich der Einzige weit und breit, so dass ich lange vor dem Zelt entspannen und den Sonnenuntergang über der nahen Ostsee bewundern kann. Ruhe und Entspannung - so zeltet es sich am besten!


Mahnmal in Salagcrīva


Idyllisches Zelten

Tag 13, 27.7.: Salagcrīva - Pärnu(EST)

93,00 Km (Etappe: 85 Km), Gesamtkilometer: 928,58 km

  20 - 23 °C


Estnische Grenze in Ainaži
Schon wieder ein neues Land. Langsam werden die ständigen damit verbundenen Überlegungen lästig: wie ist der Wechselkurs, was gibt es in den Supermärkten zu kaufen, wo finde ich einen Geldautomaten, wie ist das Preisniveau etc. Fragen über Fragen. Fest allerdings steht, dass ich mit Estland das wohl modernste baltische Land beradele. Außerdem ist Estland wegen seiner schwedischen Traditionen das Skandinavien des Baltikums. Kein Wunder, denn ich befinde mich hier bereits auf einer nördlichen Breite, die dem schwedischen Vätternsee entspricht.

Dank des Schengener Abkommens erinnert auch an der Lettisch-Estnischen Grenze in Ainazi nicht mehr viel daran, dass man hier noch bis vor wenigen Jahren seinen Pass vorzeigen musste. Grenzanlagen gibt es nicht mehr, nur ein Schild weist auf das fünfte Land meiner Reise hin. Nun radele ich auf einer geruhsamen Seitenstraße nach Norden, zu beiden Seiten begleitet von dichten Wäldern. Es nieselt ein wenig, denn leider hat sich das Wetter über Nacht verschlechtert.


Nebenstraße bei Metsapoole
Sofort fallen mir einige estnische Eigenheiten auf. So sind staatliche Wälder mit Schildern gekennzeichnet ("Riigiments"); hier darf wild gecampt werden. Was aber nicht unbedingt Not tut, denn es gibt auffällig viele Naturcampingplätze mit schlichten Sanitäreinrichtungen, wo man zum Nulltarif zelten kann. Die Esten scheinen zumindest hier regen Gebrauch davon zu machen, was zweifellos am nahen Ostseestrand liegt.

Kurz hinter Häädemaste ist meine Nebenstraße leider zu Ende und ich muss wieder mit der Via Baltica vorlieb nehmen. Auch hier gibt es keine vertretbare Alternative zum lärmigen Betonband, sogar der nationale Radweg 1 wird über die E67 geleitet. Trotz bescheidenem Seitenstreifen radelt es sich einigermaßen akzeptabel, obwohl: Radreisevergnügen sieht anders aus. Es geht durch eine leicht hügelige Landschaft mit vielen Wäldern, wobei sogar die Sonne zunehmend aus dem grauen Himmel lugt. Nach 80 Kilometern erreiche ich den Stadtrand von Pärnu. Bis ich im Zentrum bin, vergehen nochmals zähe fünf Kilometer. Doch Pärnu (43.000 EW) überrascht auf den ersten Blick. Ein kleines Städtchen mit einem lauschigen Altstadtkern und seine sehr schönen Atmosphäre. Ich quartiere mich auf dem  Campingplatz Konse am Pärnufluss ein und beschließe, hier einen Ruhetag einzulegen. Schließlich liege ich bestens in der Zeit, denn bis Tallin sind es nur noch zwei Etappen. Dann ruhe ich mich lieber hier aus, als irgendwo in der Pampa.




Via Baltica


Pärnu

Tag 14, 27.7.: Pärnu

12,88 Kk, Gesamtkilometer: 941,66 km

  22 - 25 °C


hat auch was...
Man kann es nicht anders sagen. Pärnu ist eine kleine Perle. Die "Sommerhauptstadt" Estlands gehört zu den wenigen größeren Städten des kleinen Landes, die einen besonderen Besuchswert haben. Bedingt durch die Geschütze Lage an der feinsandigen Pärnuer Ostseebucht, entwickelt sich hier schnell ein recht mondäner Kur- und Badebetrieb. Ergänzt durch kulturelle Programme, mauserte sich Pärnu zu einem Anziehungspunkt für Erholungsuchende. In der malerischen Altstadt mit ihren bunten Häusern laden gemütliche Gässchen zum Flanieren und Cafés und Restaurants zum Verweilen ein. Es weht beinahe schon so etwas wie ein mediterraner Hauch durch Pärnu, das auf der gleichen nördlichen Höhe liegt, wie das schwedische Norrköping.


Pärnu
Und so verbringe ich einen sehr entspannten Tag, sieht man einmal von den lästigen Wetterkapriolen ab. Da es am Vortag zu heftigen Regengüssen kam, ziehe ich gleich am Morgen um in ein festes Zimmer der angeschlossenen Herberge. Irgendwie habe ich keine Lust, auf dem matschigen Boden des eher grasarmen Zeltplatzes zu liegen. Eine gute Entscheidung, denn auch heute geht der ein oder andere Wolkenbruch nieder. Einer davon erwischt mich, während ich unterwegs bin, um einzukaufen. Natürlich habe ich keine Regensachen dabei und werde bis auf die Haut durchnässt. Zum Glück kann ich im Zimmer kann die nassen Klamotten trocknen. Und das kostbare Reiserad darf gleich neben meinen Bett stehen.

Das Preise liegen in Lettland übrigens weit über den lettischen und haben schon fast deutsches Niveau. Auch ist die Auswahl an Bier ein wenig eingeschränkter, als in den beiden anderen baltischen Staaten. Ich sehe das als eine langsame Eingewöhnung auf die Zustände, die mich in Skandinavien erwarten werden.




Haupteinkaufsstraße in der Fußgängerzone

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