Radreise Baltikum - Süd-Skandinavien, Tag 6 - 7: Kurische Nehrung, Nida, Klaipėda / Palanga

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Tag 6 (22.7.): Kaliningrad - Nida (LT)

103,7 Km (88,7 km Etappe + 15 km in Nida), Gesamtkilometer: 363,48

/   33 - 40 °C


Die gut ausgebaute A191 nach Zelenogradsk
Heute steht die Kurische Nehrung auf dem Programm. Bei allerbestem Kaiserwetter packe ich mein Rad und mache mich auf denWeg zur A191 nach Zelenogrask. Zum Glück ist das Hotel Albertina nicht weit von meiner zuständigen Ausfallstraße entfernt. Ich muss nur etwa fünf Kilometer über z.T. holprige Schlaglochpisten rollen, dann dünnt die Bebauung aus und ich befinde mich auf der Landstraße. Ich staune nicht schlecht, als sich diese nach einem großen Straßenkreuz in eine gut ausgebaute Autobahn verwandelt. Da es keine Verbotsschilder für Radler gibt, bleibe ich auf dem breiten Seitenstreifen und lasse die Dinge geschehen. Es herrscht kaum Verkehr, was mich wundert, da die A191 der direkte Zugang zu den Ostseebädern der Oblast ist und heute ideales Badewetter herrscht. Der Wind bläst von hinten und die Straßenverhältnisse könnten kaum besser sein, so dass ich mit 37 - 40 km/h gen Norden brettere. Eine Autobahn kann also auch für Radfahrer schnelles Fortkommen bedeuten.

Und so erreiche ich am späten Vormittag Zelenogradsk, das alte Seebad Cranz. Obwohl es sich offiziell um einen Kurort handelt, geht es hier wenig beschaulich zu. Es wird gebaut, was das Zeug hält. Vornehmlich große Appartementhäuser werden aus dem Boden gestampft, offensichtlich lässt es sich hier die Oberschicht Kaliningrads gutgehen. Aber auch der Tourismus dürfte an der schönen Haffküste forciert werden.


Ortseingang Zelenogradsk
Ich biege nach rechts auf die Nehrungsstraße ab. Es herrscht reger Verkehr, weil alle Welt an die Strände zum Baden fährt - natürlich in ihren Blechkisten. Diese verzieren die enge Nehrungsstraße auf den folgenden Kilometern oft zu beiden Seiten. Und das, obwohl Autler an einem Kontrollposten eine Gebühr entrichten müssen. So ist die Fahrt bis Lesnoj, dem ersten Ort auf der Nehrung, nicht unbedingt geruhsam. Erst ab etwa der Hälfte des russischen Nehrungsteils nimmt der Verkehr langsam ab und ich kann die Umgebung genießen. Diese ist allerdings nicht allzu aufregend, denn zu beiden Seiten der Straße ziehen sich ausschließlich Wälder dahin. Von Ostsee oder Haff ist nichts zu sehen, da können 50 Kilometer Nehrungsstraße schnell langweilig werden. Trotzdem hat die Umgebung sicher viel zu bieten, sofern man die Straße verlässt und hie und da an die Strände und zu den Dünen wandert. Ich habe keine Zeit dafür und radele stur die Landstraße entlang.

Nach 50 ereignislosen Kilometern auf der Nehrungsstraße erscheint schließlich der Grenzposten nach Litauen. Hier ist erstmal Warten angesagt, denn das Grenzarreal ist mit einem dicken Tor abgesperrt. Offenbar lässt man nur so viele Fahrzeuge hinein, wie abgefertigt werden können. Und so stehe ich in der Gluthitze und lasse mir für eine knappe halbe Stunde die Sonne auf den Kopf scheinen. Erst dann öffnet man die Pforten und lässt uns hinein. Als ich an die Reihe komme, kann die dralle Beamtin kaum glauben, dass ich Russland schon wieder verlassen möchte. Weil mein Visum noch fast einen Monat lang gültig ist, fragt sie mich unsicher, ob ich nicht vielleicht in die falsche Richtung unterwegs bin. Sie lässt den Stempel über dem Visum schweben, hält inne und meint fragend in gebrochenem Deutsch "gabutt...". Ich nicke zur Bestätigung, dann knallt sie den Stempel in meinen Pass und entwertet mein Visum. Ein wenig schade ist das in der Tat, doch meine Reise ist noch lang und meine Zeit begrenzt. Außerdem war dies bestimmt nicht mein letzter Besuch in der Kalininingraskaja Oblast.


Bauboom in Zelenogradsk
Bei meiner Einreise nach Litauen komme ich mir fast vor, als betrete ich vertrauten heimischen Boden. Die Sternenflagge der Europäischen Union heißt mich in der Welt westlicher Standards willkommen, obgleich Litauen mein erster besuchter baltischer und damit eindeutig osteuropäischer Staat ist. Noch wenige Kilometer auf der Nehrungsstraße, dann biege ich rechter Hand nach Nida ab. Hier befahre ich recht hügeliges Terrain, denn das Städtchen liegt inmitten eines Dünengebiets. Und zwischen Nehrungsstraße und Dorfkern scheint eine der kapitalsten Dünen zu liegen, denn zuerst geht es mächtig bergauf, bevor ich mit hohem Tempo nach unten rolle. Dummerweise liegt mein Campingplatz hinter der Düne, was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht weiß.

Ein neues Land zu bereisen, bedeutet zunächst einmal Stress. So auch hier: Zunächst muss ich mich mit der Landeswährung versorgen, wozu ich einen Geldautomaten benötige. Diesen finde ich auch recht schnell, doch auch diesmal habe ich nur ein sehr vage Ahnung vom Wechselkurs. Ich tippe eine mir angemessene Zahl am Automaten an und nehme ein paar Litas-Scheine entgegen. In der gut ausgebauten Touristeninformation erfrage ich den Weg zum Campingplatz und quäle mich anschließend den soeben herab gerollten Hügel hinauf.

Der Kempingas Nidoje, auf dem ich dann mein Zelt aufschlage, verschlägt mir dann fast die Sprache. Ein elender Massenplatz, dazu teuer, laut und überfüllt. Auf der Zeltwiese finde ich kaum einen Platz für meine kleine Behausung, und die sanitären Anlagen veranlassen eher zu sehr schnellen Verrichtungen. In der Gemeinschaftsdusche gibt es nicht einmal verschließbare Kabinen, was recht nachteilhaft ist, sofern man als Alleinreisender seine Wertsachen stets mitschleppen muss. Fast schon will ich mir mein Geld zurückgeben lassen, bleibe dann aber doch, da im touristischen Nidda Hotels sich teuer sein dürften.


Russische Nehrrungsstraße, Km 30
Jede Minute auf dem Massencamping ist eine Minute zuviel. Und so baue ich schnell das Zelt auf, dusche (würg) und radele in die Stadt. Nida (Nidden) ist der touristische und verwaltungstechnische Hauptort des litauischen Nehrungsteils. Und es geht hier durchaus rummelig zu. Zwar nicht so, dass es lästig ist, aber immerhin. Vorbei die verträumten Kilometer in den russischen Wäldern, hier tanzt der Bär. Das Zentrum Nidas ist der Platz zwischen Taikos- und Nagliu gatvé. Hier befindet sich die Touristeninformation und der Supermarkt, in dem sich Menschenmassen mit Getränken versorgen. Die Auswahl ist groß, vor allem in der umfangreichen Bierabteilung. Letztere lässt deutsche Supermärkte alt aussehen, auch in preislicher Hinsicht. Überhaupt ist das Preisniveau um einiges niedriger, als in Russland. Und das, obwohl Lebensstandard und Lohnniveau über dem des Nachbarlandes liegen.

Der Tourismus wuchs in Nida bereits im 19. Jahrhundert heran. Schnell wurde das idyllische Fischerdorf zum Inbegriff der Nehrung und zog weite Kreise der deutschen Bohéme in seinen Bann. So auch Thomas Mann, der in einem der Kurischen Holzhäuser seinen Sommersitz einrichtete. Überhaupt sind diese bunt bemalten Häuser eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Nidas, einige stehen sogar unter Denkmalschutz. Die Atmosphäre des Örtchens ist in der Tat einmalig. Trotz Hochsaison wirkt alles ruhig und beschaulich, wozu auch die sattgrünen Parkanlagen beitragen. Das I-Tüpfelchen auf meiner wachsenden Sympathie für Nida sind schließlich die vorbildlich ausgebauten Radwege! So etwas habe ich seit Russland nicht mehr zu Gesicht bekommen.

So schlendere ich bis in den späten Abend hinein durch die gemütlichen Gassen dieser netten Ortschaft und lasse diesen glutheißen Sommertag auf einer Parkbank am Meer mit einem Bier ausklingen.




Nida: Kurisches Holzhaus


Strandpromenade Nida


Nida, Kurenwimpel

Tag 7, 23.7.: Nida - Klaipėda - Palanga - Karklé

138,65 Km (99,65 km Etappe, 3 x 13 km Strafarbeit), Vav 18,14 km/h, Vmax 35,32 km/h, Gesamtkilometer: 400,13 km

  20 - 23 °C


Auf der litauischen Nehrungsstraße
Das erste Missgeschick leitet einen Tag ein, der mit weiteren Missgeschicken enden soll. Doch zunächst einmal ist es vorbei mit dem hochsommerlichen Wetter der letzen Tage. Über dem Massencamping klebt eine bedrohliche Gewitterwolke, die mit beachtlichem Tempo immer größer und schwärzer wird. Jetzt heißt es handeln. Das Zelt muss verpackt werden, bevor es zu regnen beginnt. Meine zahlreichen Zeltnachbarn sind auch schon fleißig bei der Arbeit. Nur die Jugendlichen liegen noch in den Kojen, die gestern Nacht bis in die Puppen Lärm veranstaltet haben. Routiniert sitzen mein Handgriffe, und bevor der erste Tropfen fällt, hängen die Packtaschen am Rad.

Nur, wo ist mein Tachometer? Ohne ihn kann ich keinen Meter fahren, er ist lebenswichtig. Alles Suchen bleibt erfolglos, bis ich eine böse Ahnung habe: die kleine Tasche im Innenzelt. Unter einem immer schwärzer werdenden Himmel rolle ich hastig das Zelt wieder auf und fingere den verlorenen Sohn aus seinem Gefängnis. Dann alles flugs wieder eingepackt, und zeitgleich mit dem letzten Handgriff öffnet der Himmel seine Schleusen. Egal, das Zelt ist ja trocken verpackt.


vorbildlicher Nehrungs-Radweg
Über die Nehrungsstraße radele ich nach Norden, für′s erste liegen überschaubare 50 Kilometer bis Klaipėda vor mir. Ab Höhe Preila müssen Radfahrer schließlich runter vom Asphalt, bekommen zum Ersatz aber einen wunderschönen Radweg präsentiert. Der nationale Radweg 10 wurde mit Mitteln der Europäischen Union gefördert, beginnt in Nida und endet an der lettischen Grenze. Ihm werde ich im wesentlichen bis Palanga folgen. Der Vorteil des Radwegs auf der Nehrung ist, dass ich die Gelegenheit habe, mal die langweilige Nehrungsstraße zu verlassen. Er führt vorbei an den Stränden der Ostseeküste mit all ihren Dünen und Salzwiesen. Der Regen hat auch wieder nachgelassen, so dass ich guter Dinge bis Smiltynė (Sandkrug) radele. Dieses gehört bereits zur Stadt Klaipėda, und hier legen auch die Fähren zum Festland ab.

Vom Hafen Smiltynės fällt mein Blick auf die gegenüberliegende Hafenstadt. Schier endlos ziehen sich die Kais mit ihren Kränen dahin. Auch weisen architektonisch interessante Hochhäuser Klaipėda als eine moderne Stadt aus. Eine halbe Stunde muss ich noch warten, dann setze ich mit der Fähre über.


Blick von Smiltynė nach Klaipėda
Trotz seiner 183.000 Einwohner fällt die Orientierung in Litauens drittgrößter Stadt Klaipėda nicht schwer. Die Stadt zieht sich zwar in Nord-Süd-Richtung über eine Länge von knapp 30 Kilometern hin, ist aber nur wenige Kilometer breit. Das macht es einfach, die zentrale H.Manto gatvé zu finden, über die ich die Stadt nach Norden hin verlassen muss. Doch bevor ich das tue, statte ich der beschaulichen Altstadt noch einen Besuch ab. Diese wurde bereits 1969 unter Denkmalschutz gestellt und befindet sich daher heute in einem einwandfreien Zustand. Leider fiel wohl auch das Kopfsteinpflaster unter den Schutz, was mir als Reiseradler weniger gefällt. Besonders sehenswert ist der Theaterplatz, auf dem früher der Markt abgehalten wurde. Hier steht das Schauspielhaus sowie der Simon-Dach-Brunnen mit der Figur des Ännchen von Tharau.

Klaipėda, das bis 1923 "Memel" hieß, war bis zur Besetzung durch litauische Freischärler im gleichen Jahr Hauptstadt des nord-ostpreußischen Memellandes. Im Grunde handelt es sich bei dem knapp 30 km breiten Streifen zwischen der Memelniederung und dem Ort Nimmerstatt (lit. Nemirseta) um das eigentliche Nord-Ostpreußen, das auch Klein-Litauen genannt wurde. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges behielt das litauisch besetzte Memelland einen autonomen Status und wurde erst danach der Sowjetrepublik Litauen zugeschlagen. Ab da trug sie offiziell den litauischen Namen Kalipėda.


Blick von Smiltynė nach Klaipėda


Endlose Kais unter dramatischem Himmel


Simon-Dach-Brunnen mit dem Ännchen von Tharau


Radweg zwischen Karklé und Palanga
Weiter geht′s nach Palanga. Wieder einmal ist es schade, nicht mehr Zeit für die interessante Stadt Klaipėda zu haben. Doch ein letzter Besuch war mein Aufenthalt hier sicher nicht. Über die H.Matve gatvé verlasse ich die langgezogene Stadt in nördlicher Richtung. Anschließend kurbele ich über anfangs recht strak befahrene Straßen nach Girulai, wo ich wieder auf den nationalen Radweg Nr. 10 stoße. Ihm folge ich auf gut ausgebauten Waldwegen bis Karklé, wo ich kurz zurück auf die Straße muss. Wenige Kilometer später geht es wieder hinein in den Wald, wo ich parallel zur Ostseeküste einem wunderbaren Radweg bis Palanga folge.

Kaum habe ich den größten Ferienort Litauens erreicht, beginnt es wie aus Kübeln zu gießen. Ich flüchte unter einen Baum, während um mich herum Landunter herrscht. Als der Regen schwächer wird, suche ich die Touristeninformation auf und erkundige mich nach der Lage des Campingplatzes. " Ham wa nich" lautet sinngemäß die Antwort der Dame am Schalter. Ich befinde mich also im bedeutendsten Ferienort des Landes, und es gibt vor Ort keinen Campingplatz! Auch meine Frage nach einem billigen Zimmer wird negativ beantwortet, so dass mir keine andere Wahl bleibt, als ganze 13 Kilometer zurück nach Karklé zu radeln. Gesagt, getan.


Radweg zwischen Karklé und Palanga
Kurz darauf genieße ich ein zweites Mal den Waldradweg und erreiche durchnässt den Campingplatz des Nachbarortes. Es ist Wochenende, und da die Litauer gerne campen, ist der Platz entsprechend voll. Alle Hütten sind belegt, so dass ich mein Zelt auf feuchtem Waldboden aufbauen muss. Zu allem Überdruss gibt es weit und breit keine Einkaufsmöglichkeit. Die nächsten Läden gibt es erst wieder in - na, wo wohl? - Palanga. Also wieder rauf auf′s Rad und ein drittes Mal die 13 Kilometer durch den Wald geradelt. Kaum habe ich Palanga erreicht, als es wieder kräftig zu regnen beginnt. Ich mache meine Besorgungen und verlasse das Ferienparadies schnellstens auf dem inzwischen wohlbekannten Waldradweg, den ich nun zum vierten Mal absolviere. 42 umsonst gefahrene Kilometer sind eine gute Strafe für eine im Detail lückenhafte Reiseplanung.

Und genau genommen sind es sogar 60 verschenkte Kilometer, denn ich muss meine Reise morgen über Palanga fortsetzen. Darüber denke ich lieber nicht nach, sondern mache es mir im Zelt gemütlich, während der Regen auf die Plane trommelt.


Zeltabbau am Morgen (CP Karklé)

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