Radreise Baltikum - Süd-Skandinavien, Tag: 15 - 17: Pärnu - Runnavere - Tallinn

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Tag 15 (31.7.): Pärnu - Runnavere Hotel

84 Km, Vav 23,29 km/h, Vmax 32,53 km/h, Gesamtkilometer: 1.025,46

  22 - 26 °C


Schönes Zelten beim Runnavere-Hotel
Via Baltica und keine Ende. Auch in diesem Teil des Baltikums gibt es kaum vertretbare Alternativen zur E67 - jedenfalls wenn man auf einigermaßen direktem Wege von Süden nach Tallinn gelangen möchte. Nach einer geruhsamen Nacht im Zimmer der Konse-Herberge nehme ich dort ein ausgiebiges Frühstück. Dabei fallen mir drei deutsche Touristen auf, eine Mittvierzigerin, ihr junger Sohn und wohl ihr Vater. Ständig mäkelt die Frau an ihrem Kind herum und macht auch sonst einen wenig entspannten Eindruck. Auf der Toilette höre ich ihre keifende Stimme aus der Nachbarzelle zu mir herüber dringen. Das Kind will sich wohl auf die Klobrille setzen, woraufhin sie zu schimpfen beginnt. Das Kind fragt, weshalb es sich nicht hinsetzen dürfe. Ihre Antwort: "Weil die Männer immer im Stehen machen und alles vollpinkeln". Ein Setting, das irgendwie nach einer frischen Scheidung aussieht...

Am späten Morgen packe ich meine Siebensachen und verlasse Pärnu. Anschließend radele ich 80 Kilometer auf der Via Baltica schnurstracks nach Norden bis zum Runnavere Hotel, etwa 40 Kilometer vor den Toren Tallinns. Auf diesem Abschnitt des Baltikum-Highways hält sich der Verkehr in recht erträglichen Grenzen. Das Radeln macht sogar soviel Spaß, dass ich fast ein wenig traurig darüber bin, schneller als erwartet am Runnawere Hotel anzukommen. Dabei handelt es sich um ein schmuckes Landhaus-Hotel mit Zeltwiese, das zum geruhsamsten und angenehmsten Campingplatz der gesamten Radreise avancieren soll.

Eine nette junge Dame weist mich in die Einrichtungen ein: Dusche, Toilette und Sauna befinden sich in einem separaten Haus und strahlen heimelige Gemütlichkeit aus. Ich erhalte frische Handtücher und man würde mir sogar die Sauna einschalten - unbedingt empfehlenswert! So verbringe ich einen entspannten Abend vor dem Zelt und sammele Kräfte für meinen Besuch in Tallinn.




Auf der Via Baltica

Tag 16, 1.8.: Runnavere Hotel - Tallinn

84,46 Km (Etappe: ca. 55 Km, Rest Herumgefahre in Tallinn), Vav: 13,54 km/h, Vmax: 31,72 km/h, Gesamtkilometer: 1.108,92 km

  26 - 30 °C


10 km vor Tallinn
Der Tag Tallinns ist gekommen! Das ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen erreiche ich endlich eine Stadt, die ich schon immer einmal unbedingt sehen wollte, und zum anderen ist hier die Zeit meines Alleine-Reisens endlich vorbei, weil ich hier auf Claudi treffe. Sie ist seit gestern von Lübeck aus unterwegs mit der Fähre nach Helsinki und wird dann nach Tallinn übersetzen. Heute Nachmittag werden wir uns sehen und den Rest der Radreise gemeinsam unternehmen.

Doch zunächst muss ich erstmal nach Tallinn kommen. Auf der Via Baltica kann ich nur bis kurz vor Pällu bleiben, danach wird sie zur Autobahn. Also biege ich dort ab und radele über Nebenstraßen nach Keila. Währenddessen, so erfahre ich per sms, kämpft sich Claudi vom Hansaterminaali in die Innenstadt von Helsinki vor. Dieses befindet sich 20 km östlich davon und ist damit nicht gerade stadtnah.


Endlich da!


In Keila radele ich auf die Fernstraße 8, die mich aus westlicher Richtung bis ins Herz von Tallinn bringen wird. Am Anfang macht sie einen leicht maroden Eindruck, was sich mit der Zeit allerdings ändert. Irgendwann kündigt ein großes Schild den Beginn der estnischen Hauptstadt an, danach erscheinen Industrie- und Plattenbaugebiete (Väik-Öismäe). Kurz darauf stehe ich vor der Saku Suurhall, der größten Sportarena Estlands die - wie sollte es anders sein - nach der populärsten estnischen Biermarke benannt ist (und von der im Übrigen das dunkle Starkbier exzellent schmeckt).

Gleich darauf folgt das riesige Einkaufszentrum Rocca Al Mare. Sein italienischer Name weist eigentlich auf eines der schönsten Naherholungsgebiete der Stadt hin. Ein italophiler Geschäftsmann hatte sich hier ein Sommerhaus errichtet und ihm den Namen "Felsen am Meer" gegeben, weil die Uferpartie an der Kopli-Bucht auf einer Anhöhe liegt. Ob der schnöde Konsumtempel auch zum Naherholungsgebiet gezählt werden darf, ist freilich eine andere Frage.

Auf einem guten Radweg nähere ich mich der Innenstadt. Mit knapp über 400.000 Einwohnern ist Tallinn recht überschaubar, obwohl es sich sichelförmig auf fast 30 Kilometern Länge um die Tallinner Bucht zieht. Auch außerhalb des historischen Zentrums ist das Stadtbild angenehm. Nähert man sich dem Kern von Westen, gibt es auffällig viele Holzhäuser, die man mitten in einer Großstadt kaum vermuten würde.


Talliinn, Altstadt
Das Zentrum kündigt sich schließlich mit einer ungemein steilen Straße an. Kein Wunder, denn muss ich hinauf auf den Domberg (Tompea), der samt Oberstadt über dem Rest Tallinns thront. Hier befinden sich das Schloss (Sitz des estnischen Parlaments), die Domkirche und die markante Aleksander-Nevskij-Kathedrale. Trotz Stadtplan fällt es im Gewirr der mittelalterlich Gassen nicht leicht, die Orientierung zu behalten.

Da ich ein Hotel finden möchte, ist meine erste Anlaufstelle die Touristeninformation in der Unterstadt. Die Talliner Altstadt besteht aus diesen beiden Teilen, wobei die Oberstadt auf dem Domhügel früher Sitz der Adeligen und des Klerus war, während das gemeine Volk die Unterstadt bevölkerte. Tiefes Misstrauen musste damals zwischen den unterschiedlichen Schichten geherrscht haben, denn beide Altstadtteile sind mit starken Mauern und wehrhaften Toren voneinander getrennt.

Über einen steilen Weg schiebe ich mein Rad hinab in die Unterstadt. Es ist sehr eng in den Gassen, und auf dem groben Kopfsteinpflaster wäre das Radeln ohnehin kein Vergnügen. Nach einigem Suchen finde ich die Touristeninfo, wo ich zu einer zentralen Hotelvermittlung geschickt werde (Booking Estonia). Alternativ könnte ich die Hotels auch persönlich abklappern, doch das erscheint mir als sehr mühselig. Denn die Regel für Tallinner Hotels lautet, dass der Preis mit zunehmender Nähe zur Altstadt steigt. Und zum Ziehen weiter Kreise um Tallinns Kern habe ich weder Lust noch Zeit. So trage ich der Dame meine Wünsche vor und betone, dass die Reiseräder sicher untergestellt werden müssen. Schnell werden wir fündig: Das Lilleküla-Hotell liegt zwei laue Kilometer außerhalb der Altstadt und ist mit umgerechnet 48 EUR / Übernachtung nicht allzu teuer. Trotzdem beschleicht mich der Verdacht, dass darin ein nicht unerheblicher Aufschlag für das Buchungsbüro enthalten ist.


Vabaduse-Platz (Unabhängigkeis-Platz)
Und wieder kämpfe ich mich mit dem Stadtplan in der Hand durch Tallinn, diesmal zum Hotel, um einzuchecken und mein Gepäck loszuwerden.
Das  Lilleküla-Hotell ist im Grunde ganz passabel, für seine 48 EUR allerdings eine Spur zu schäbig. Aber immerhin lassen sich die Reiseräder in einer abschließbaren Gerümpelkammer sicher unterbringen, und außerdem ist Tallinn auch nicht das günstigste Pflaster Estlands.

Anschließend unternehme ich eine erste Besichtigung der Altstadt und mache mich danach auf den Weg zum Fährhafen. Dieser liegt ausgesprochen zentral, keine zwei Radminuten vom Zentrum entfernt. Hier nehme ich nach über zwei Wochen des einsamen Radreisens dann endlich Claudi in Empfang. Den Rest des Tages verbringen wir in der lauschigen Altstadt, wo wir eine Pizza am wohl teuersten Ort der ganzen Stadt zu uns nehmen: In einer Pizzeria auf dem Rathausplatz (Raekoja platz). Gegenüber dem historischen Rathaus mit seinem markanten spitzen Turm heißt es, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Dafür schmeckt die Pizza an diesem historischen Ort dann auch besonders gut!


Blick vom Domberg auf die Neustadt


Aleksander-Nevskij-Kathedrale


Turm der Nikolaikirche

Tag 17, 2.8.: Tallinn

33,33 Km, Gesamtkilometer: 1.142,25 km

  33 - 36 °C


Stadtmauer
Um es vorwegzunehmen: Tallinn begeistert und hat Atmosphäre. Die Altstadt ist ein heimeliger Ort, voller gewundener Gässchen, pittoresker Gebäude und alter Gemäuer. Sicher, auch hier herrscht touristischer Rummel mit all seinen Nachteilen, doch es hält sich in erträglichen Grenzen. Irgendwie wirkt Talllinns Altstadt wie ein gemütliches Wohnzimmer, in dem man sich gleich wohl zu fühlen beginnt - auch wenn gerade die buckelige Verwandtschaft anwesend ist. Und das ist wohl auch der Unterschied zu Riga, das in dieser Hinsicht eher den kommerziellen Freiluftpark abgibt - zwar auch ganz nett, aber irgendwie unpersönlich. Man bleibt ein Fremdkörper vor einer geglätteten Kulisse, während man von Tallinn gleich aufgesogen und zum dazugehörigen Teil der Szenerie wird.

Außerhalb der Altstadt wirkt Tallinn gelegentlich etwas angestaubt und in sympathischer Weise schäbig. Die Neustadt mit ihren Glaspalästen und Wolkenkratzern reflektiert einen vereinheitlichen internationalen Standard. Ganz im Nordwesten, weitab vom Zentrum, liegt der gehobene Stadtteil Pirita. Auf dem Weg dorthin befindet sich die langgezogene Strandpromenade sowie einige ausgedehnte Parkanlagen. Und dazwischen sowie an den Stadträndern die unvermeidlichen Plattenbauviertel, die im Falle Talllinns von einem hohen Anteil an Russen bewohnt werden.


Im Schatten des Schlosses
Wir beginnen unsere Stadtbesichtigung mit einer ausgedehnten Runde durch die Altstadt. Wir folgen dabei keinem Plan, sondern lassen uns einfach durch die Gassen treiben und nehmen die Eindrücke in uns auf. Tallinns Altstadt ist wegen der Menge ihrer erhaltenen ursprünglichen Bausubstanz einzigartig in Nordeuropa und Teil des UNESCO Weltkulturerbes. Unterschiedliche Baustile mischen sich zu einem lockeren skandinavisch-hanseatischen Gemenge. Gedrungene Wehrtürme, spitze Kirchtürme, bunte Häuser und steinerne Wehranlagen machen die Altstadt ausgesprochen sehenswert. Und die ausprägte Hanglage sorgt nicht zuletzt für schöne Panoramablicke über die Stadt.

Weiter geht es in den Stadtteil Pirita, wo wir den Fernsehturm besuchen wollen. Leider sind die Radwege im Zentrum der Stadt sehr dünn gestreut und auf der verkehrsreichen Narva maantee vollkommen verschwunden. Auch überwiegt hier unter den motorisierten Verkehrsteilnehmern die übliche Arroganz und Aggressivität gegenüber Radfahrern. Erst auf dem Radweg an der Strandpromenade haben wir unsere Ruhe vor den Benzinhirnen und ihren Blechkisten. Hier lässt sich bestens radeln, dazu ergeben sich schöne Panoramablicke auf den Stadtkern. Pirita selbst ist an sich weniger sehenswert. Hinter dem Yachthafen biegen wir ab und radeln auf der Kloostrimetsa tee in Richtung Fernsehturm. Es geht leicht bergan, dann befinden wir uns mitten in einem aufgelockerten Wald. Es folgen einige neu angelegte Wohngebiete aus flachen Designerhäusern, dann stehen wir vor dem Fernsehturm (Teletorn). Er stammt noch aus sowjetischer Zeit, was man seiner leicht schroffen Architektur sofort ansieht. Leider wird das höchste Gebäude Estlands (314 m) gerade renoviert, so dass wir nicht auf die Aussichtsplattform dürfen, um mit ein wenig Glück bis hinüber nach Finnland gucken zu können.


Fernsehturm und moderne Wohnhäuser
Auf dem Rückweg in die Stadt kaufen wir ein paar Leckereien und essen sie auf einer Bank vor dem Russalka-Denkmal, das an den Untergang eines russischen Marineschiffes im Finnischen Meerbusen erinnert. Das Wetter meint es dabei so gut mit uns, dass wir vor der heißen Sonne ausnahmsweise mal den Schatten suchen - zumindest zum Essen.

Am Abend schauen wir uns die Altstadt bei Sonnenuntergang an. Diesmal gehen wir zu Fuß und haben außerdem ein wenig Wein im Gepäck. So suchen wir uns ein schönes Plätzchen mit Blick über die Stadt, lassen uns den Wein schmecken und genießen den lauen Abend. Und das wirklich Schöne dabei ist, dass außer uns fast niemand anwesend ist. Wir sitzen mitten in der Tallinner Altstadt und haben wirklich unsere Ruhe - auch das macht den Charme Tallinns aus.






Strandpromenade, Blick in Richtung Zentrum


Holzhäuser


Stadtmauer

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